der Erde eine großartige wirthschaftliche Betriebsamkeit, wie sie Deutsch- land nur erst am Niederrhein kannte: die Wasserläufe des Gebirgs durch ein System von Floßgräben verbunden; die mächtigen Kohlenwerke des Plauenschen Grundes und des Zwickauer Beckens bereits in Thätig- keit; die Textilindustrie seit der Continentalsperre hoch entwickelt; in Chemnitz C. G. Becker, der in seiner Kattundruckerei und Baumwollenspinnerei schon über 3000 Arbeiter beschäftigte. Und fast in jedem Bergstädtchen dasselbe Bild: am Eingange des Orts der hohe Post-Obelisk mit dem Namenszuge des starken August, droben auf flußumrauschtem Felsenriegel ein altes kurfürstliches Schloß, am Berge aufsteigend die schmucken Häuser mit den Werkstätten der Weber, der Uhrmacher, der Steindreher, Alles wimmelnd von fleißigen Menschen, als einzige Nahrung oft wochenlang nur Kartoffeln und der Cichorientrank aus den gelben Düten von Jordan und Timäus, aber trotz der bitteren Armuth nirgends Schmutz und in aller Noth immer der alte Trost: gemüthlich ist's doch droben auf dem Erzgebirge! Dazu durchweg gute Volksschulen, freilich mit halbverhungerten Lehrern, und ein mannichfacher technischer Unterricht, der in der Dresdener technischen Bildungsanstalt (1828) seinen Mittelpunkt fand. Es lag ein herrliches Stück deutscher Tüchtigkeit in diesem stolzen alten Kursachsen, und selbst im Rheinlande gedachte General Aster noch mit Selbstgefühl des vielgestaltigen Lebens seiner Heimath, obschon er wohl wußte, daß für sein Talent in dem kleinen Lande kein Raum war.
Aber diese Fülle socialer Kräfte ward unterbunden und darnieder- gehalten durch eine Verfassung, die hierzulande wie ein Stück verkehrter Welt erschien. Alles, was diesem Lande Bedeutung gab, Wissenschaft, Handel und Gewerbfleiß war bürgerlich. Zwar bestand hier noch wie in allen germanisirten Slavenlanden eine Unzahl von Rittergütern, doch der Grundadel war mit seltenen Ausnahmen arm, nur in der Lausitz leidlich wohlhabend; die große Mehrzahl der adlichen Familien mußte im Hof- und Staatsdienste ein Unterkommen suchen. Mit seiner dichten Bevöl- kerung und dem überwiegend städtischen Charakter seiner Cultur stand Sachsen dem deutschen Westen weit näher als den aristokratischen Acker- baulanden an der Ostsee; und doch behauptete sich in diesen ganz mo- dernen Wirthschaftsverhältnissen unwandelbar wie eine wohl erhaltene politische Versteinerung noch eine Adelsherrschaft, deren Starrheit kaum in Mecklenburg überboten wurde. Eine gründliche Neugestaltung war hier durch die Landestheilung ganz ebenso unabweisbar geboten wie einst in den süddeutschen Rheinbundslanden durch die Vergrößerung des Staats- gebiets; der weite Mantel der alten Verfassung hing dem verkleinerten Staate schlotternd um die Glieder. Doch wer konnte von dem bedächtigen Friedrich August jetzt in seinen hohen Jahren noch kühne Entschlüsse er- warten? wer hätte auch nur gewagt solche Forderungen auszusprechen inmitten der überschwänglichen Huldigungen dieser Tage des Wiedersehens?
Das Erzgebirge.
der Erde eine großartige wirthſchaftliche Betriebſamkeit, wie ſie Deutſch- land nur erſt am Niederrhein kannte: die Waſſerläufe des Gebirgs durch ein Syſtem von Floßgräben verbunden; die mächtigen Kohlenwerke des Plauenſchen Grundes und des Zwickauer Beckens bereits in Thätig- keit; die Textilinduſtrie ſeit der Continentalſperre hoch entwickelt; in Chemnitz C. G. Becker, der in ſeiner Kattundruckerei und Baumwollenſpinnerei ſchon über 3000 Arbeiter beſchäftigte. Und faſt in jedem Bergſtädtchen daſſelbe Bild: am Eingange des Orts der hohe Poſt-Obelisk mit dem Namenszuge des ſtarken Auguſt, droben auf flußumrauſchtem Felſenriegel ein altes kurfürſtliches Schloß, am Berge aufſteigend die ſchmucken Häuſer mit den Werkſtätten der Weber, der Uhrmacher, der Steindreher, Alles wimmelnd von fleißigen Menſchen, als einzige Nahrung oft wochenlang nur Kartoffeln und der Cichorientrank aus den gelben Düten von Jordan und Timäus, aber trotz der bitteren Armuth nirgends Schmutz und in aller Noth immer der alte Troſt: gemüthlich iſt’s doch droben auf dem Erzgebirge! Dazu durchweg gute Volksſchulen, freilich mit halbverhungerten Lehrern, und ein mannichfacher techniſcher Unterricht, der in der Dresdener techniſchen Bildungsanſtalt (1828) ſeinen Mittelpunkt fand. Es lag ein herrliches Stück deutſcher Tüchtigkeit in dieſem ſtolzen alten Kurſachſen, und ſelbſt im Rheinlande gedachte General Aſter noch mit Selbſtgefühl des vielgeſtaltigen Lebens ſeiner Heimath, obſchon er wohl wußte, daß für ſein Talent in dem kleinen Lande kein Raum war.
Aber dieſe Fülle ſocialer Kräfte ward unterbunden und darnieder- gehalten durch eine Verfaſſung, die hierzulande wie ein Stück verkehrter Welt erſchien. Alles, was dieſem Lande Bedeutung gab, Wiſſenſchaft, Handel und Gewerbfleiß war bürgerlich. Zwar beſtand hier noch wie in allen germaniſirten Slavenlanden eine Unzahl von Rittergütern, doch der Grundadel war mit ſeltenen Ausnahmen arm, nur in der Lauſitz leidlich wohlhabend; die große Mehrzahl der adlichen Familien mußte im Hof- und Staatsdienſte ein Unterkommen ſuchen. Mit ſeiner dichten Bevöl- kerung und dem überwiegend ſtädtiſchen Charakter ſeiner Cultur ſtand Sachſen dem deutſchen Weſten weit näher als den ariſtokratiſchen Acker- baulanden an der Oſtſee; und doch behauptete ſich in dieſen ganz mo- dernen Wirthſchaftsverhältniſſen unwandelbar wie eine wohl erhaltene politiſche Verſteinerung noch eine Adelsherrſchaft, deren Starrheit kaum in Mecklenburg überboten wurde. Eine gründliche Neugeſtaltung war hier durch die Landestheilung ganz ebenſo unabweisbar geboten wie einſt in den ſüddeutſchen Rheinbundslanden durch die Vergrößerung des Staats- gebiets; der weite Mantel der alten Verfaſſung hing dem verkleinerten Staate ſchlotternd um die Glieder. Doch wer konnte von dem bedächtigen Friedrich Auguſt jetzt in ſeinen hohen Jahren noch kühne Entſchlüſſe er- warten? wer hätte auch nur gewagt ſolche Forderungen auszuſprechen inmitten der überſchwänglichen Huldigungen dieſer Tage des Wiederſehens?
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Das Erzgebirge.
der Erde eine großartige wirthſchaftliche Betriebſamkeit, wie ſie Deutſch-
land nur erſt am Niederrhein kannte: die Waſſerläufe des Gebirgs
durch ein Syſtem von Floßgräben verbunden; die mächtigen Kohlenwerke
des Plauenſchen Grundes und des Zwickauer Beckens bereits in Thätig-
keit; die Textilinduſtrie ſeit der Continentalſperre hoch entwickelt; in Chemnitz
C. G. Becker, der in ſeiner Kattundruckerei und Baumwollenſpinnerei
ſchon über 3000 Arbeiter beſchäftigte. Und faſt in jedem Bergſtädtchen
daſſelbe Bild: am Eingange des Orts der hohe Poſt-Obelisk mit dem
Namenszuge des ſtarken Auguſt, droben auf flußumrauſchtem Felſenriegel
ein altes kurfürſtliches Schloß, am Berge aufſteigend die ſchmucken Häuſer
mit den Werkſtätten der Weber, der Uhrmacher, der Steindreher, Alles
wimmelnd von fleißigen Menſchen, als einzige Nahrung oft wochenlang
nur Kartoffeln und der Cichorientrank aus den gelben Düten von Jordan
und Timäus, aber trotz der bitteren Armuth nirgends Schmutz und in
aller Noth immer der alte Troſt: gemüthlich iſt’s doch droben auf dem
Erzgebirge! Dazu durchweg gute Volksſchulen, freilich mit halbverhungerten
Lehrern, und ein mannichfacher techniſcher Unterricht, der in der Dresdener
techniſchen Bildungsanſtalt (1828) ſeinen Mittelpunkt fand. Es lag ein
herrliches Stück deutſcher Tüchtigkeit in dieſem ſtolzen alten Kurſachſen,
und ſelbſt im Rheinlande gedachte General Aſter noch mit Selbſtgefühl
des vielgeſtaltigen Lebens ſeiner Heimath, obſchon er wohl wußte, daß für
ſein Talent in dem kleinen Lande kein Raum war.
Aber dieſe Fülle ſocialer Kräfte ward unterbunden und darnieder-
gehalten durch eine Verfaſſung, die hierzulande wie ein Stück verkehrter
Welt erſchien. Alles, was dieſem Lande Bedeutung gab, Wiſſenſchaft,
Handel und Gewerbfleiß war bürgerlich. Zwar beſtand hier noch wie in
allen germaniſirten Slavenlanden eine Unzahl von Rittergütern, doch der
Grundadel war mit ſeltenen Ausnahmen arm, nur in der Lauſitz leidlich
wohlhabend; die große Mehrzahl der adlichen Familien mußte im Hof-
und Staatsdienſte ein Unterkommen ſuchen. Mit ſeiner dichten Bevöl-
kerung und dem überwiegend ſtädtiſchen Charakter ſeiner Cultur ſtand
Sachſen dem deutſchen Weſten weit näher als den ariſtokratiſchen Acker-
baulanden an der Oſtſee; und doch behauptete ſich in dieſen ganz mo-
dernen Wirthſchaftsverhältniſſen unwandelbar wie eine wohl erhaltene
politiſche Verſteinerung noch eine Adelsherrſchaft, deren Starrheit kaum in
Mecklenburg überboten wurde. Eine gründliche Neugeſtaltung war hier
durch die Landestheilung ganz ebenſo unabweisbar geboten wie einſt in
den ſüddeutſchen Rheinbundslanden durch die Vergrößerung des Staats-
gebiets; der weite Mantel der alten Verfaſſung hing dem verkleinerten
Staate ſchlotternd um die Glieder. Doch wer konnte von dem bedächtigen
Friedrich Auguſt jetzt in ſeinen hohen Jahren noch kühne Entſchlüſſe er-
warten? wer hätte auch nur gewagt ſolche Forderungen auszuſprechen
inmitten der überſchwänglichen Huldigungen dieſer Tage des Wiederſehens?
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/521>, abgerufen am 16.07.2024.
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