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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die polnischen Auguste.
Sklaven des Wohllebens, dem Grafen Brühl zu: "ich freie die Armuth,
wenn sie mir zur Morgengabe Ehre bringt und Redlichkeit." Gleichwohl
hat das gewissenlose Regiment der beiden polnischen Auguste in der deut-
schen Geschichte einen bleibenden Niederschlag zurückgelassen. Der üppigste
Hof Deutschlands war auch der geschmackvollste, August der Starke selbst
nicht ohne einen Zug cynischer Genialität und sein Nachfolger mindestens
so glücklich schönheitskundige Helfer zu finden. Dresden wurde der Schmuck-
kasten des deutschen Rococostils, eine liebliche Stätte heiteren Genusses, wie
sie die ernsthafte germanische Welt sonst kaum kannte, ein Stelldichein
aller Nationen. In der wuchtigen Kuppel der Frauenkirche und dem präch-
tigen Hesperidengarten des sächsischen Herkules, dem Zwinger, mit dem
goldenen Atlas über dem Portale, verewigte sich eine Kunst, die den Em-
pfindungen der Zeit getreuen Ausdruck gab und darum lebendig war.
Neben den kostbaren Email-Spielereien des kursächsischen Cellini Dinglinger,
neben den Diamantenagraffen und vergoldeten Straußeneiern und all dem
anderen theueren Firlefanz des Grünen Gewölbes ward doch auch die
schönste und stimmungsvollste Gallerie Nordeuropas angesammelt, ein Be-
sitzthum Deutschlands für alle Zeiten. Die Kolonie der wälschen Künstler
im Italienischen Dörfchen, ernste Gelehrte wie Graf Bünau, zahlreiche
heimische Künstler und Kenner brachten dem leichtfertigen Leben der Saxe
galante
doch so viel geistigen Gehalt, daß Winckelmann selig aufathmete,
als er sich aus der Mark in das schöne Elbflorenz geflüchtet hatte. Die
Eleganz der kosmopolitischen Dresdener Gesellschaft fand in diesem Lande
der Frauenanmuth und der humanistischen Bildung dankbaren Boden.
Weithin im Volke verbreitete sich eine Feinheit der Sitten, wie sie sonst
nur in Ländern alter Cultur gedeiht, jene Freundlichkeit der Umgangs-
formen, die der Sachse Lessing in seiner Minna von Barnhelm mit un-
verhohlenem Selbstgefühle der rauhen Schroffheit der Märker entgegenstellte.

Die norddeutschen Nachbarn, nach deutscher Art gewohnt den Splitter
im Auge des Landsmanns aufzusuchen, hatten schon in Luther's Tagen
das ungerechte Sprichwort "ein Meißner, ein Gleißner" aufgebracht und
gefielen sich jetzt darin, die wortreiche Höflichkeit der schmiegsamen und
biegsamen Kursachsen zu verspotten. Und doch liegen im Charakter dieser
Mitteldeutschen Jähzorn und Wohlwollen, Kraft und Feinheit dicht bei-
sammen, ganz wie ihr Dialekt die abscheulichste Aussprache mit der größten
grammatischen Richtigkeit verbindet. Vielleicht kein anderer Stamm im
leidenschaftlichen Deutschland zählt so viele stürmisch aufbrausende Naturen
wie der obersächsische. Unter der Unzahl begabter Männer, die er der
Nation geschenkt hat, finden sich zwar viele von milder, weicher, nachgiebiger
Liebenswürdigkeit, aber daneben auch von jeher ebenso viele geborene
Kämpfer, die, in natürlichem Rückschlage, ihr stolzes Ich rücksichtslos,
mit leidenschaftlichem Trotz durchsetzen, kraftstrotzende Vertreter des ger-
manischen Freimuths. So standen einst nebeneinander der friedfertige

Die polniſchen Auguſte.
Sklaven des Wohllebens, dem Grafen Brühl zu: „ich freie die Armuth,
wenn ſie mir zur Morgengabe Ehre bringt und Redlichkeit.“ Gleichwohl
hat das gewiſſenloſe Regiment der beiden polniſchen Auguſte in der deut-
ſchen Geſchichte einen bleibenden Niederſchlag zurückgelaſſen. Der üppigſte
Hof Deutſchlands war auch der geſchmackvollſte, Auguſt der Starke ſelbſt
nicht ohne einen Zug cyniſcher Genialität und ſein Nachfolger mindeſtens
ſo glücklich ſchönheitskundige Helfer zu finden. Dresden wurde der Schmuck-
kaſten des deutſchen Rococoſtils, eine liebliche Stätte heiteren Genuſſes, wie
ſie die ernſthafte germaniſche Welt ſonſt kaum kannte, ein Stelldichein
aller Nationen. In der wuchtigen Kuppel der Frauenkirche und dem präch-
tigen Hesperidengarten des ſächſiſchen Herkules, dem Zwinger, mit dem
goldenen Atlas über dem Portale, verewigte ſich eine Kunſt, die den Em-
pfindungen der Zeit getreuen Ausdruck gab und darum lebendig war.
Neben den koſtbaren Email-Spielereien des kurſächſiſchen Cellini Dinglinger,
neben den Diamantenagraffen und vergoldeten Straußeneiern und all dem
anderen theueren Firlefanz des Grünen Gewölbes ward doch auch die
ſchönſte und ſtimmungsvollſte Gallerie Nordeuropas angeſammelt, ein Be-
ſitzthum Deutſchlands für alle Zeiten. Die Kolonie der wälſchen Künſtler
im Italieniſchen Dörfchen, ernſte Gelehrte wie Graf Bünau, zahlreiche
heimiſche Künſtler und Kenner brachten dem leichtfertigen Leben der Saxe
galante
doch ſo viel geiſtigen Gehalt, daß Winckelmann ſelig aufathmete,
als er ſich aus der Mark in das ſchöne Elbflorenz geflüchtet hatte. Die
Eleganz der kosmopolitiſchen Dresdener Geſellſchaft fand in dieſem Lande
der Frauenanmuth und der humaniſtiſchen Bildung dankbaren Boden.
Weithin im Volke verbreitete ſich eine Feinheit der Sitten, wie ſie ſonſt
nur in Ländern alter Cultur gedeiht, jene Freundlichkeit der Umgangs-
formen, die der Sachſe Leſſing in ſeiner Minna von Barnhelm mit un-
verhohlenem Selbſtgefühle der rauhen Schroffheit der Märker entgegenſtellte.

Die norddeutſchen Nachbarn, nach deutſcher Art gewohnt den Splitter
im Auge des Landsmanns aufzuſuchen, hatten ſchon in Luther’s Tagen
das ungerechte Sprichwort „ein Meißner, ein Gleißner“ aufgebracht und
gefielen ſich jetzt darin, die wortreiche Höflichkeit der ſchmiegſamen und
biegſamen Kurſachſen zu verſpotten. Und doch liegen im Charakter dieſer
Mitteldeutſchen Jähzorn und Wohlwollen, Kraft und Feinheit dicht bei-
ſammen, ganz wie ihr Dialekt die abſcheulichſte Ausſprache mit der größten
grammatiſchen Richtigkeit verbindet. Vielleicht kein anderer Stamm im
leidenſchaftlichen Deutſchland zählt ſo viele ſtürmiſch aufbrauſende Naturen
wie der oberſächſiſche. Unter der Unzahl begabter Männer, die er der
Nation geſchenkt hat, finden ſich zwar viele von milder, weicher, nachgiebiger
Liebenswürdigkeit, aber daneben auch von jeher ebenſo viele geborene
Kämpfer, die, in natürlichem Rückſchlage, ihr ſtolzes Ich rückſichtslos,
mit leidenſchaftlichem Trotz durchſetzen, kraftſtrotzende Vertreter des ger-
maniſchen Freimuths. So ſtanden einſt nebeneinander der friedfertige

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[495/0511] Die polniſchen Auguſte. Sklaven des Wohllebens, dem Grafen Brühl zu: „ich freie die Armuth, wenn ſie mir zur Morgengabe Ehre bringt und Redlichkeit.“ Gleichwohl hat das gewiſſenloſe Regiment der beiden polniſchen Auguſte in der deut- ſchen Geſchichte einen bleibenden Niederſchlag zurückgelaſſen. Der üppigſte Hof Deutſchlands war auch der geſchmackvollſte, Auguſt der Starke ſelbſt nicht ohne einen Zug cyniſcher Genialität und ſein Nachfolger mindeſtens ſo glücklich ſchönheitskundige Helfer zu finden. Dresden wurde der Schmuck- kaſten des deutſchen Rococoſtils, eine liebliche Stätte heiteren Genuſſes, wie ſie die ernſthafte germaniſche Welt ſonſt kaum kannte, ein Stelldichein aller Nationen. In der wuchtigen Kuppel der Frauenkirche und dem präch- tigen Hesperidengarten des ſächſiſchen Herkules, dem Zwinger, mit dem goldenen Atlas über dem Portale, verewigte ſich eine Kunſt, die den Em- pfindungen der Zeit getreuen Ausdruck gab und darum lebendig war. Neben den koſtbaren Email-Spielereien des kurſächſiſchen Cellini Dinglinger, neben den Diamantenagraffen und vergoldeten Straußeneiern und all dem anderen theueren Firlefanz des Grünen Gewölbes ward doch auch die ſchönſte und ſtimmungsvollſte Gallerie Nordeuropas angeſammelt, ein Be- ſitzthum Deutſchlands für alle Zeiten. Die Kolonie der wälſchen Künſtler im Italieniſchen Dörfchen, ernſte Gelehrte wie Graf Bünau, zahlreiche heimiſche Künſtler und Kenner brachten dem leichtfertigen Leben der Saxe galante doch ſo viel geiſtigen Gehalt, daß Winckelmann ſelig aufathmete, als er ſich aus der Mark in das ſchöne Elbflorenz geflüchtet hatte. Die Eleganz der kosmopolitiſchen Dresdener Geſellſchaft fand in dieſem Lande der Frauenanmuth und der humaniſtiſchen Bildung dankbaren Boden. Weithin im Volke verbreitete ſich eine Feinheit der Sitten, wie ſie ſonſt nur in Ländern alter Cultur gedeiht, jene Freundlichkeit der Umgangs- formen, die der Sachſe Leſſing in ſeiner Minna von Barnhelm mit un- verhohlenem Selbſtgefühle der rauhen Schroffheit der Märker entgegenſtellte. Die norddeutſchen Nachbarn, nach deutſcher Art gewohnt den Splitter im Auge des Landsmanns aufzuſuchen, hatten ſchon in Luther’s Tagen das ungerechte Sprichwort „ein Meißner, ein Gleißner“ aufgebracht und gefielen ſich jetzt darin, die wortreiche Höflichkeit der ſchmiegſamen und biegſamen Kurſachſen zu verſpotten. Und doch liegen im Charakter dieſer Mitteldeutſchen Jähzorn und Wohlwollen, Kraft und Feinheit dicht bei- ſammen, ganz wie ihr Dialekt die abſcheulichſte Ausſprache mit der größten grammatiſchen Richtigkeit verbindet. Vielleicht kein anderer Stamm im leidenſchaftlichen Deutſchland zählt ſo viele ſtürmiſch aufbrauſende Naturen wie der oberſächſiſche. Unter der Unzahl begabter Männer, die er der Nation geſchenkt hat, finden ſich zwar viele von milder, weicher, nachgiebiger Liebenswürdigkeit, aber daneben auch von jeher ebenſo viele geborene Kämpfer, die, in natürlichem Rückſchlage, ihr ſtolzes Ich rückſichtslos, mit leidenſchaftlichem Trotz durchſetzen, kraftſtrotzende Vertreter des ger- maniſchen Freimuths. So ſtanden einſt nebeneinander der friedfertige

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/511>, abgerufen am 22.11.2024.