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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Uebertritt der Albertiner.
Gesinnung hielt auch Stand, als die albertinische Politik den letzten Schritt
that auf ihrem abschüssigen Wege und August der Starke um die pol-
nische Königskrone zu erringen zur römischen Kirche übertrat. Wie ein
Naturlaut erklang das Protestantenlieb "Erhalt' uns Herr bei Deinem
Wort" in allen Kirchen des Landes, da die unbegreifliche Kunde kam, der
Direktor des Corpus Evangelicorum habe sich selber vom evangelischen
Glauben losgesagt; denn im kirchlichen Leben war dies Volk von jeher
ebenso reizbar wie geduldig in der Politik. Bei schwerer Strafe durfte
hier im Zion der lutherischen Rechtgläubigkeit kein Protestant dem Haus-
gottesdienste der katholischen Gesandtschaften auch nur zusehen. Schon in
der Schule lernten die Kinder ihre Heimath als die Wiege der Refor-
mation verehren -- was allerdings nur auf den Kurkreis zutraf, nicht auf
Meißen und das Osterland; jeder Bergknappe in Schneeberg oder Schwar-
zenberg nahm seinen Antheil an dem Ruhme des großen sächsischen Berg-
mannssohnes, der den römischen Papst gestürzt hatte. Gleichwohl wurde
selbst der Glaubenswechsel der Dynastie ertragen. Das altlutherische
Staatskirchenthum bestand völlig unverändert fort, nur daß der Kurfürst
fortan seine oberstbischöfliche Gewalt den in Evangelicis beauftragten Ge-
heimen Räthen abtreten mußte, und auf dem Reichstage galt Kursachsen
nach wie vor als der erste evangelische Reichsstand -- denn nicht das
Kurhaus Sachsen, sondern nur König August persönlich sollte sein Be-
kenntniß gewechselt haben. Der Landtag benutzte die Verlegenheit des
Monarchen um die Vorrechte des Adels zu verstärken und Jeden, der
nicht acht Ahnen aufweisen konnte, von der Ritterschaft auszuschließen.
Den Katholiken aber blieben alle politischen Rechte streng versagt; in Polen
ließ der König seine Jesuiten gegen die Thorner Protestanten wüthen, in
Dresden wagte der päpstliche Nuntius das Geschäft der Propaganda nur
sehr behutsam, und selten mit Erfolg zu treiben.

Also über seinen lutherischen Glauben beruhigt, brachte das treue
Volk siebzig Jahre hindurch ungeheuere Opfer für die undeutsche Politik
seiner beiden polnischen Auguste. Außer Westpreußen hat kein anderes
deutsches Land durch die Verbindung mit dem Auslande so namenlos ge-
litten. Die Hannoveraner, die Holsten, die schwedischen Pommern ver-
dankten den Fremden doch zuweilen militärischen Schutz oder Handels-
vortheile für ihre Flagge; Kursachsen aber wurde durch das Flitter-
königthum seiner Herrscher nur in das Ränkespiel, in die anarchischen
Kämpfe und die sittliche Verwilderung eines versinkenden Staates hinein-
gerissen. Als die Prunksucht der Albertiner mit der Unzucht des polnischen
Adels sich freundlich zusammenfand, trat der deutsche höfische Absolutis-
mus in seiner Sünde Blüthe. Mit einer Geduld, die uns Nachlebende
halb rührt, halb empört, ließen sich die armen Weber und Spitzenklöppler
des Gebirgs bis aufs Blut aussaugen. Die beste Kraft des Landes floß
dahin um der Königsmark, der Cosel, den zahllosen anderen Dirnen des

Uebertritt der Albertiner.
Geſinnung hielt auch Stand, als die albertiniſche Politik den letzten Schritt
that auf ihrem abſchüſſigen Wege und Auguſt der Starke um die pol-
niſche Königskrone zu erringen zur römiſchen Kirche übertrat. Wie ein
Naturlaut erklang das Proteſtantenlieb „Erhalt’ uns Herr bei Deinem
Wort“ in allen Kirchen des Landes, da die unbegreifliche Kunde kam, der
Direktor des Corpus Evangelicorum habe ſich ſelber vom evangeliſchen
Glauben losgeſagt; denn im kirchlichen Leben war dies Volk von jeher
ebenſo reizbar wie geduldig in der Politik. Bei ſchwerer Strafe durfte
hier im Zion der lutheriſchen Rechtgläubigkeit kein Proteſtant dem Haus-
gottesdienſte der katholiſchen Geſandtſchaften auch nur zuſehen. Schon in
der Schule lernten die Kinder ihre Heimath als die Wiege der Refor-
mation verehren — was allerdings nur auf den Kurkreis zutraf, nicht auf
Meißen und das Oſterland; jeder Bergknappe in Schneeberg oder Schwar-
zenberg nahm ſeinen Antheil an dem Ruhme des großen ſächſiſchen Berg-
mannsſohnes, der den römiſchen Papſt geſtürzt hatte. Gleichwohl wurde
ſelbſt der Glaubenswechſel der Dynaſtie ertragen. Das altlutheriſche
Staatskirchenthum beſtand völlig unverändert fort, nur daß der Kurfürſt
fortan ſeine oberſtbiſchöfliche Gewalt den in Evangelicis beauftragten Ge-
heimen Räthen abtreten mußte, und auf dem Reichstage galt Kurſachſen
nach wie vor als der erſte evangeliſche Reichsſtand — denn nicht das
Kurhaus Sachſen, ſondern nur König Auguſt perſönlich ſollte ſein Be-
kenntniß gewechſelt haben. Der Landtag benutzte die Verlegenheit des
Monarchen um die Vorrechte des Adels zu verſtärken und Jeden, der
nicht acht Ahnen aufweiſen konnte, von der Ritterſchaft auszuſchließen.
Den Katholiken aber blieben alle politiſchen Rechte ſtreng verſagt; in Polen
ließ der König ſeine Jeſuiten gegen die Thorner Proteſtanten wüthen, in
Dresden wagte der päpſtliche Nuntius das Geſchäft der Propaganda nur
ſehr behutſam, und ſelten mit Erfolg zu treiben.

Alſo über ſeinen lutheriſchen Glauben beruhigt, brachte das treue
Volk ſiebzig Jahre hindurch ungeheuere Opfer für die undeutſche Politik
ſeiner beiden polniſchen Auguſte. Außer Weſtpreußen hat kein anderes
deutſches Land durch die Verbindung mit dem Auslande ſo namenlos ge-
litten. Die Hannoveraner, die Holſten, die ſchwediſchen Pommern ver-
dankten den Fremden doch zuweilen militäriſchen Schutz oder Handels-
vortheile für ihre Flagge; Kurſachſen aber wurde durch das Flitter-
königthum ſeiner Herrſcher nur in das Ränkeſpiel, in die anarchiſchen
Kämpfe und die ſittliche Verwilderung eines verſinkenden Staates hinein-
geriſſen. Als die Prunkſucht der Albertiner mit der Unzucht des polniſchen
Adels ſich freundlich zuſammenfand, trat der deutſche höfiſche Abſolutis-
mus in ſeiner Sünde Blüthe. Mit einer Geduld, die uns Nachlebende
halb rührt, halb empört, ließen ſich die armen Weber und Spitzenklöppler
des Gebirgs bis aufs Blut ausſaugen. Die beſte Kraft des Landes floß
dahin um der Königsmark, der Coſel, den zahlloſen anderen Dirnen des

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[493/0509] Uebertritt der Albertiner. Geſinnung hielt auch Stand, als die albertiniſche Politik den letzten Schritt that auf ihrem abſchüſſigen Wege und Auguſt der Starke um die pol- niſche Königskrone zu erringen zur römiſchen Kirche übertrat. Wie ein Naturlaut erklang das Proteſtantenlieb „Erhalt’ uns Herr bei Deinem Wort“ in allen Kirchen des Landes, da die unbegreifliche Kunde kam, der Direktor des Corpus Evangelicorum habe ſich ſelber vom evangeliſchen Glauben losgeſagt; denn im kirchlichen Leben war dies Volk von jeher ebenſo reizbar wie geduldig in der Politik. Bei ſchwerer Strafe durfte hier im Zion der lutheriſchen Rechtgläubigkeit kein Proteſtant dem Haus- gottesdienſte der katholiſchen Geſandtſchaften auch nur zuſehen. Schon in der Schule lernten die Kinder ihre Heimath als die Wiege der Refor- mation verehren — was allerdings nur auf den Kurkreis zutraf, nicht auf Meißen und das Oſterland; jeder Bergknappe in Schneeberg oder Schwar- zenberg nahm ſeinen Antheil an dem Ruhme des großen ſächſiſchen Berg- mannsſohnes, der den römiſchen Papſt geſtürzt hatte. Gleichwohl wurde ſelbſt der Glaubenswechſel der Dynaſtie ertragen. Das altlutheriſche Staatskirchenthum beſtand völlig unverändert fort, nur daß der Kurfürſt fortan ſeine oberſtbiſchöfliche Gewalt den in Evangelicis beauftragten Ge- heimen Räthen abtreten mußte, und auf dem Reichstage galt Kurſachſen nach wie vor als der erſte evangeliſche Reichsſtand — denn nicht das Kurhaus Sachſen, ſondern nur König Auguſt perſönlich ſollte ſein Be- kenntniß gewechſelt haben. Der Landtag benutzte die Verlegenheit des Monarchen um die Vorrechte des Adels zu verſtärken und Jeden, der nicht acht Ahnen aufweiſen konnte, von der Ritterſchaft auszuſchließen. Den Katholiken aber blieben alle politiſchen Rechte ſtreng verſagt; in Polen ließ der König ſeine Jeſuiten gegen die Thorner Proteſtanten wüthen, in Dresden wagte der päpſtliche Nuntius das Geſchäft der Propaganda nur ſehr behutſam, und ſelten mit Erfolg zu treiben. Alſo über ſeinen lutheriſchen Glauben beruhigt, brachte das treue Volk ſiebzig Jahre hindurch ungeheuere Opfer für die undeutſche Politik ſeiner beiden polniſchen Auguſte. Außer Weſtpreußen hat kein anderes deutſches Land durch die Verbindung mit dem Auslande ſo namenlos ge- litten. Die Hannoveraner, die Holſten, die ſchwediſchen Pommern ver- dankten den Fremden doch zuweilen militäriſchen Schutz oder Handels- vortheile für ihre Flagge; Kurſachſen aber wurde durch das Flitter- königthum ſeiner Herrſcher nur in das Ränkeſpiel, in die anarchiſchen Kämpfe und die ſittliche Verwilderung eines verſinkenden Staates hinein- geriſſen. Als die Prunkſucht der Albertiner mit der Unzucht des polniſchen Adels ſich freundlich zuſammenfand, trat der deutſche höfiſche Abſolutis- mus in ſeiner Sünde Blüthe. Mit einer Geduld, die uns Nachlebende halb rührt, halb empört, ließen ſich die armen Weber und Spitzenklöppler des Gebirgs bis aufs Blut ausſaugen. Die beſte Kraft des Landes floß dahin um der Königsmark, der Coſel, den zahlloſen anderen Dirnen des

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/509>, abgerufen am 22.11.2024.