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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
wieder trat in der Eschenheimer Gasse ein Ausschuß zusammen unter dem
Vorsitz des k. k. Gesandten. Wieder ward ein Bericht zu Gunsten Köthens
erstattet und wieder mußte der preußische Gesandte eine scharfe Erwide-
rung verlesen. Nagler sagte geradezu, seine Regierung sei durch den
Commissionsbericht in der Ueberzeugung von ihrem Rechte unerschütter-
lich befestigt worden. Bernstorff aber erklärte: "Dazu haben sich große
Staaten mit den kleinen nicht in einen Verein zusammengethan, damit
diese nur ihre, bei vernünftigem Gebrauch unantastbare Souveränität
nach Willkür und jeder überspannten Einbildung ausüben dürfen."*)
Oesterreich zeigte bei Alledem eine sehr zweideutige Haltung. Adam Müller
wurde zwar auf längere Zeit beurlaubt, doch im Uebrigen that die Hof-
burg gar nichts zur Unterstützung Preußens; ihr Gesandter Graf Trautt-
mansdorff beschwerte sich sogar über die angeordneten Zwangsmaß-
regeln.**)

Die kleinen Höfe ergriff ein jäher Schrecken, da sie so unsanft an
die natürlichen Schranken ihrer Souveränität erinnert wurden. In einem
verzweifelten Briefe fragte Großherzog Georg von Strelitz seinen könig-
lichen Schwager, ob er denn wirklich den Bestand des Deutschen Bundes
gefährden wolle. Friedrich Wilhelm aber ließ sich nicht beirren. Er sen-
dete dem Schwager (Juli 1827) eine Denkschrift, welche nochmals die
ganze Nichtswürdigkeit der anhaltischen Schleichhandelspolitik darstellte,
und sagte: daraus möge er lernen, "daß das Interesse meiner Unterthanen
die getroffenen Maßregeln gebieterisch erheischte, daß ich dazu vollkommen
berechtigt war, und daher weder die Aussprüche der Bundesversammlung
noch das Urtheil des Publicums in und außer Deutschland, sondern nur
die Nachgiebigkeit der anhaltischen Fürsten eine Aenderung hervorbringen
können." Dann hob er mit seinem graden Verstande noch einmal den
Kern des Streites heraus: "Ew. K. Hoheit wird außerdem einleuchten,
daß, wenn sich die Interessen eines Staates von 30--40,000 Einwohnern
mit denen von zwölf Millionen in Conflict befinden, es in der Natur
der Verhältnisse liegt, daß der erstere nachgebe sobald ihm eine vollstän-
dige Entschädigung geboten wird. Sollte der Bund die aus einer übel
verstandenen Souveränität hergeleiteten Anmaßungen kleiner Staaten gegen
mächtigere nicht in die gehörigen Schranken zurückweisen, so würde für
diese das Bundesverhältniß bald unerträglich werden und der Bund, wie
E. K. H. bemerken, allerdings in Gefahr schweben."***)

Mittlerweile begannen die beiden bedrängten Kleinfürsten doch zu
merken, daß sie den ungleichen Kampf nicht durchführen konnten. Sie be-

*) Weisung an Nagler, 27. Febr. 1827.
**) Maltzahn's Berichte, Wien 21. März, 6. April, 6. Aug. 1827, 18. März 1828.
Bernstorff an Trauttmansdorff, 21. Febr. 1828.
***) König Friedrich Wilhelm an Großh. Georg v. Mecklenburg-Strelitz, Teplitz
28. Juli 1827.

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
wieder trat in der Eſchenheimer Gaſſe ein Ausſchuß zuſammen unter dem
Vorſitz des k. k. Geſandten. Wieder ward ein Bericht zu Gunſten Köthens
erſtattet und wieder mußte der preußiſche Geſandte eine ſcharfe Erwide-
rung verleſen. Nagler ſagte geradezu, ſeine Regierung ſei durch den
Commiſſionsbericht in der Ueberzeugung von ihrem Rechte unerſchütter-
lich befeſtigt worden. Bernſtorff aber erklärte: „Dazu haben ſich große
Staaten mit den kleinen nicht in einen Verein zuſammengethan, damit
dieſe nur ihre, bei vernünftigem Gebrauch unantaſtbare Souveränität
nach Willkür und jeder überſpannten Einbildung ausüben dürfen.“*)
Oeſterreich zeigte bei Alledem eine ſehr zweideutige Haltung. Adam Müller
wurde zwar auf längere Zeit beurlaubt, doch im Uebrigen that die Hof-
burg gar nichts zur Unterſtützung Preußens; ihr Geſandter Graf Trautt-
mansdorff beſchwerte ſich ſogar über die angeordneten Zwangsmaß-
regeln.**)

Die kleinen Höfe ergriff ein jäher Schrecken, da ſie ſo unſanft an
die natürlichen Schranken ihrer Souveränität erinnert wurden. In einem
verzweifelten Briefe fragte Großherzog Georg von Strelitz ſeinen könig-
lichen Schwager, ob er denn wirklich den Beſtand des Deutſchen Bundes
gefährden wolle. Friedrich Wilhelm aber ließ ſich nicht beirren. Er ſen-
dete dem Schwager (Juli 1827) eine Denkſchrift, welche nochmals die
ganze Nichtswürdigkeit der anhaltiſchen Schleichhandelspolitik darſtellte,
und ſagte: daraus möge er lernen, „daß das Intereſſe meiner Unterthanen
die getroffenen Maßregeln gebieteriſch erheiſchte, daß ich dazu vollkommen
berechtigt war, und daher weder die Ausſprüche der Bundesverſammlung
noch das Urtheil des Publicums in und außer Deutſchland, ſondern nur
die Nachgiebigkeit der anhaltiſchen Fürſten eine Aenderung hervorbringen
können.“ Dann hob er mit ſeinem graden Verſtande noch einmal den
Kern des Streites heraus: „Ew. K. Hoheit wird außerdem einleuchten,
daß, wenn ſich die Intereſſen eines Staates von 30—40,000 Einwohnern
mit denen von zwölf Millionen in Conflict befinden, es in der Natur
der Verhältniſſe liegt, daß der erſtere nachgebe ſobald ihm eine vollſtän-
dige Entſchädigung geboten wird. Sollte der Bund die aus einer übel
verſtandenen Souveränität hergeleiteten Anmaßungen kleiner Staaten gegen
mächtigere nicht in die gehörigen Schranken zurückweiſen, ſo würde für
dieſe das Bundesverhältniß bald unerträglich werden und der Bund, wie
E. K. H. bemerken, allerdings in Gefahr ſchweben.“***)

Mittlerweile begannen die beiden bedrängten Kleinfürſten doch zu
merken, daß ſie den ungleichen Kampf nicht durchführen konnten. Sie be-

*) Weiſung an Nagler, 27. Febr. 1827.
**) Maltzahn’s Berichte, Wien 21. März, 6. April, 6. Aug. 1827, 18. März 1828.
Bernſtorff an Trauttmansdorff, 21. Febr. 1828.
***) König Friedrich Wilhelm an Großh. Georg v. Mecklenburg-Strelitz, Teplitz
28. Juli 1827.
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[480/0496] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. wieder trat in der Eſchenheimer Gaſſe ein Ausſchuß zuſammen unter dem Vorſitz des k. k. Geſandten. Wieder ward ein Bericht zu Gunſten Köthens erſtattet und wieder mußte der preußiſche Geſandte eine ſcharfe Erwide- rung verleſen. Nagler ſagte geradezu, ſeine Regierung ſei durch den Commiſſionsbericht in der Ueberzeugung von ihrem Rechte unerſchütter- lich befeſtigt worden. Bernſtorff aber erklärte: „Dazu haben ſich große Staaten mit den kleinen nicht in einen Verein zuſammengethan, damit dieſe nur ihre, bei vernünftigem Gebrauch unantaſtbare Souveränität nach Willkür und jeder überſpannten Einbildung ausüben dürfen.“ *) Oeſterreich zeigte bei Alledem eine ſehr zweideutige Haltung. Adam Müller wurde zwar auf längere Zeit beurlaubt, doch im Uebrigen that die Hof- burg gar nichts zur Unterſtützung Preußens; ihr Geſandter Graf Trautt- mansdorff beſchwerte ſich ſogar über die angeordneten Zwangsmaß- regeln. **) Die kleinen Höfe ergriff ein jäher Schrecken, da ſie ſo unſanft an die natürlichen Schranken ihrer Souveränität erinnert wurden. In einem verzweifelten Briefe fragte Großherzog Georg von Strelitz ſeinen könig- lichen Schwager, ob er denn wirklich den Beſtand des Deutſchen Bundes gefährden wolle. Friedrich Wilhelm aber ließ ſich nicht beirren. Er ſen- dete dem Schwager (Juli 1827) eine Denkſchrift, welche nochmals die ganze Nichtswürdigkeit der anhaltiſchen Schleichhandelspolitik darſtellte, und ſagte: daraus möge er lernen, „daß das Intereſſe meiner Unterthanen die getroffenen Maßregeln gebieteriſch erheiſchte, daß ich dazu vollkommen berechtigt war, und daher weder die Ausſprüche der Bundesverſammlung noch das Urtheil des Publicums in und außer Deutſchland, ſondern nur die Nachgiebigkeit der anhaltiſchen Fürſten eine Aenderung hervorbringen können.“ Dann hob er mit ſeinem graden Verſtande noch einmal den Kern des Streites heraus: „Ew. K. Hoheit wird außerdem einleuchten, daß, wenn ſich die Intereſſen eines Staates von 30—40,000 Einwohnern mit denen von zwölf Millionen in Conflict befinden, es in der Natur der Verhältniſſe liegt, daß der erſtere nachgebe ſobald ihm eine vollſtän- dige Entſchädigung geboten wird. Sollte der Bund die aus einer übel verſtandenen Souveränität hergeleiteten Anmaßungen kleiner Staaten gegen mächtigere nicht in die gehörigen Schranken zurückweiſen, ſo würde für dieſe das Bundesverhältniß bald unerträglich werden und der Bund, wie E. K. H. bemerken, allerdings in Gefahr ſchweben.“ ***) Mittlerweile begannen die beiden bedrängten Kleinfürſten doch zu merken, daß ſie den ungleichen Kampf nicht durchführen konnten. Sie be- *) Weiſung an Nagler, 27. Febr. 1827. **) Maltzahn’s Berichte, Wien 21. März, 6. April, 6. Aug. 1827, 18. März 1828. Bernſtorff an Trauttmansdorff, 21. Febr. 1828. ***) König Friedrich Wilhelm an Großh. Georg v. Mecklenburg-Strelitz, Teplitz 28. Juli 1827.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/496>, abgerufen am 20.05.2024.