preußische Zollgesetz an den Bettelstab gebracht habe -- ein Versprechen, das der geizige Kurfürst selbstverständlich niemals einlöste. In Berlin dachte man anfangs an Retorsionen. Der König aber hielt sich streng an die Zusage, daß die preußischen Zölle vornehmlich die außerdeutschen Waaren treffen sollten, und wollte feindselige Schritte gegen deutsche Staaten wenn irgend möglich vermeiden. Auch ein Gutachten des Finanzministe- riums gelangte zu dem Schlusse, die hessischen Retorsionen seien für Hessen überaus schädlich, für Preußen ungefährlich, also "nur der Form wegen zu bekämpfen". Der Gesandte in Kassel sprach sich in diesem Sinne vertraulich gegen den Kurfürsten aus. Unterdessen ließ Preußen die Köln- Berliner Kunststraße über Höxter und Paderborn, mit Umgehung des hessischen Gebiets, ausbauen. Der Verkehr des Nordostens mit dem Süden zog sich von Hanau hinweg nach Würzburg, die hessischen Straßen be- gannen zu veröden. Der Kurfürst mußte seine Kampfzölle wieder herab- setzen und harrte nun um so ungeduldiger auf einen Bundesbeschluß, der die Zolllinien des unangreifbaren Nachbarn zerstören sollte.
Unter den Widersachern Preußens verstand doch keiner eine so ur- wüchsig grobe Sprache zu führen, wie der Herzog Ferdinand von Köthen, ein eitler, nichtiger Mensch, der im Jahre 1806 wegen erwiesener Un- fähigkeit den preußischen Kriegsdienst hatte verlassen müssen und jetzt per- sönlich an die Donau eilte um "die Mediatisirung des uralten Hauses Anhalt" abzuwenden. Die wirkliche Herrin seines Ländchens war seine Gemahlin Julia, eine geborene Gräfin Brandenburg, Halbschwester des Königs von Preußen, eine Dame von Geist und Bildung, unermeßlich stolz auf ihre fürstliche Würde, den katholisirenden Lehren der romanti- schen Schule eifrig zugethan. Da Metternich den Werth einer solchen Bundesgenossin wohl zu würdigen wußte, so hatte er Adam Müller be- auftragt, neben dem Leipziger Consulate auch das Amt des österreichischen Geschäftsträgers an den anhaltischen Höfen zu bekleiden, und der ge- feierte Publicist der ultramontanen Partei wurde der romantischen Her- zogin bald ein unentbehrlicher Rathgeber. Müller haßte seine preußische Heimath mit dem ganzen Ingrimm des Convertiten. Seinem erfinderi- schen Kopfe entsprang der Plan zu einem großen Gaunerstücke kleinfürst- licher Staatskunst, das die preußische Zollgesetzgebung von innen heraus durchlöchern und mindestens für die Provinz Sachsen unmöglich machen sollte. Das Köthensche Land wurde einige Stunden weit von der Elbe durchflossen, und die Elbe zählte zu den conventionellen Flüssen, denen der Wiener Congreß die "vollkommene Freiheit der Schifffahrt" zugesagt hatte. Welch eine glänzende Aussicht eröffnete sich also für die Macht- stellung Köthens, wenn die Conferenz sich bewegen ließ, die Freiheit der Elbe sofort und unbedingt von Bundeswegen einzuführen! Dann konnte der Herzog, obgleich sein Land von preußischem Gebiete umschlossen war, eine selbständige europäische Handelspolitik beginnen, er konnte die Frei-
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
preußiſche Zollgeſetz an den Bettelſtab gebracht habe — ein Verſprechen, das der geizige Kurfürſt ſelbſtverſtändlich niemals einlöſte. In Berlin dachte man anfangs an Retorſionen. Der König aber hielt ſich ſtreng an die Zuſage, daß die preußiſchen Zölle vornehmlich die außerdeutſchen Waaren treffen ſollten, und wollte feindſelige Schritte gegen deutſche Staaten wenn irgend möglich vermeiden. Auch ein Gutachten des Finanzminiſte- riums gelangte zu dem Schluſſe, die heſſiſchen Retorſionen ſeien für Heſſen überaus ſchädlich, für Preußen ungefährlich, alſo „nur der Form wegen zu bekämpfen“. Der Geſandte in Kaſſel ſprach ſich in dieſem Sinne vertraulich gegen den Kurfürſten aus. Unterdeſſen ließ Preußen die Köln- Berliner Kunſtſtraße über Höxter und Paderborn, mit Umgehung des heſſiſchen Gebiets, ausbauen. Der Verkehr des Nordoſtens mit dem Süden zog ſich von Hanau hinweg nach Würzburg, die heſſiſchen Straßen be- gannen zu veröden. Der Kurfürſt mußte ſeine Kampfzölle wieder herab- ſetzen und harrte nun um ſo ungeduldiger auf einen Bundesbeſchluß, der die Zolllinien des unangreifbaren Nachbarn zerſtören ſollte.
Unter den Widerſachern Preußens verſtand doch keiner eine ſo ur- wüchſig grobe Sprache zu führen, wie der Herzog Ferdinand von Köthen, ein eitler, nichtiger Menſch, der im Jahre 1806 wegen erwieſener Un- fähigkeit den preußiſchen Kriegsdienſt hatte verlaſſen müſſen und jetzt per- ſönlich an die Donau eilte um „die Mediatiſirung des uralten Hauſes Anhalt“ abzuwenden. Die wirkliche Herrin ſeines Ländchens war ſeine Gemahlin Julia, eine geborene Gräfin Brandenburg, Halbſchweſter des Königs von Preußen, eine Dame von Geiſt und Bildung, unermeßlich ſtolz auf ihre fürſtliche Würde, den katholiſirenden Lehren der romanti- ſchen Schule eifrig zugethan. Da Metternich den Werth einer ſolchen Bundesgenoſſin wohl zu würdigen wußte, ſo hatte er Adam Müller be- auftragt, neben dem Leipziger Conſulate auch das Amt des öſterreichiſchen Geſchäftsträgers an den anhaltiſchen Höfen zu bekleiden, und der ge- feierte Publiciſt der ultramontanen Partei wurde der romantiſchen Her- zogin bald ein unentbehrlicher Rathgeber. Müller haßte ſeine preußiſche Heimath mit dem ganzen Ingrimm des Convertiten. Seinem erfinderi- ſchen Kopfe entſprang der Plan zu einem großen Gaunerſtücke kleinfürſt- licher Staatskunſt, das die preußiſche Zollgeſetzgebung von innen heraus durchlöchern und mindeſtens für die Provinz Sachſen unmöglich machen ſollte. Das Köthenſche Land wurde einige Stunden weit von der Elbe durchfloſſen, und die Elbe zählte zu den conventionellen Flüſſen, denen der Wiener Congreß die „vollkommene Freiheit der Schifffahrt“ zugeſagt hatte. Welch eine glänzende Ausſicht eröffnete ſich alſo für die Macht- ſtellung Köthens, wenn die Conferenz ſich bewegen ließ, die Freiheit der Elbe ſofort und unbedingt von Bundeswegen einzuführen! Dann konnte der Herzog, obgleich ſein Land von preußiſchem Gebiete umſchloſſen war, eine ſelbſtändige europäiſche Handelspolitik beginnen, er konnte die Frei-
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preußiſche Zollgeſetz an den Bettelſtab gebracht habe — ein Verſprechen,
das der geizige Kurfürſt ſelbſtverſtändlich niemals einlöſte. In Berlin
dachte man anfangs an Retorſionen. Der König aber hielt ſich ſtreng
an die Zuſage, daß die preußiſchen Zölle vornehmlich die außerdeutſchen
Waaren treffen ſollten, und wollte feindſelige Schritte gegen deutſche Staaten
wenn irgend möglich vermeiden. Auch ein Gutachten des Finanzminiſte-
riums gelangte zu dem Schluſſe, die heſſiſchen Retorſionen ſeien für Heſſen
überaus ſchädlich, für Preußen ungefährlich, alſo „nur der Form wegen
zu bekämpfen“. Der Geſandte in Kaſſel ſprach ſich in dieſem Sinne
vertraulich gegen den Kurfürſten aus. Unterdeſſen ließ Preußen die Köln-
Berliner Kunſtſtraße über Höxter und Paderborn, mit Umgehung des
heſſiſchen Gebiets, ausbauen. Der Verkehr des Nordoſtens mit dem Süden
zog ſich von Hanau hinweg nach Würzburg, die heſſiſchen Straßen be-
gannen zu veröden. Der Kurfürſt mußte ſeine Kampfzölle wieder herab-
ſetzen und harrte nun um ſo ungeduldiger auf einen Bundesbeſchluß,
der die Zolllinien des unangreifbaren Nachbarn zerſtören ſollte.
Unter den Widerſachern Preußens verſtand doch keiner eine ſo ur-
wüchſig grobe Sprache zu führen, wie der Herzog Ferdinand von Köthen,
ein eitler, nichtiger Menſch, der im Jahre 1806 wegen erwieſener Un-
fähigkeit den preußiſchen Kriegsdienſt hatte verlaſſen müſſen und jetzt per-
ſönlich an die Donau eilte um „die Mediatiſirung des uralten Hauſes
Anhalt“ abzuwenden. Die wirkliche Herrin ſeines Ländchens war ſeine
Gemahlin Julia, eine geborene Gräfin Brandenburg, Halbſchweſter des
Königs von Preußen, eine Dame von Geiſt und Bildung, unermeßlich
ſtolz auf ihre fürſtliche Würde, den katholiſirenden Lehren der romanti-
ſchen Schule eifrig zugethan. Da Metternich den Werth einer ſolchen
Bundesgenoſſin wohl zu würdigen wußte, ſo hatte er Adam Müller be-
auftragt, neben dem Leipziger Conſulate auch das Amt des öſterreichiſchen
Geſchäftsträgers an den anhaltiſchen Höfen zu bekleiden, und der ge-
feierte Publiciſt der ultramontanen Partei wurde der romantiſchen Her-
zogin bald ein unentbehrlicher Rathgeber. Müller haßte ſeine preußiſche
Heimath mit dem ganzen Ingrimm des Convertiten. Seinem erfinderi-
ſchen Kopfe entſprang der Plan zu einem großen Gaunerſtücke kleinfürſt-
licher Staatskunſt, das die preußiſche Zollgeſetzgebung von innen heraus
durchlöchern und mindeſtens für die Provinz Sachſen unmöglich machen
ſollte. Das Köthenſche Land wurde einige Stunden weit von der Elbe
durchfloſſen, und die Elbe zählte zu den conventionellen Flüſſen, denen
der Wiener Congreß die „vollkommene Freiheit der Schifffahrt“ zugeſagt
hatte. Welch eine glänzende Ausſicht eröffnete ſich alſo für die Macht-
ſtellung Köthens, wenn die Conferenz ſich bewegen ließ, die Freiheit der
Elbe ſofort und unbedingt von Bundeswegen einzuführen! Dann konnte
der Herzog, obgleich ſein Land von preußiſchem Gebiete umſchloſſen war,
eine ſelbſtändige europäiſche Handelspolitik beginnen, er konnte die Frei-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/48>, abgerufen am 24.11.2024.
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