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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Noth der ostpreußischen Grundbesitzer.
wenn es aber ganz unmöglich sei, eine Familie im Besitze zu erhalten,
dann solle sie mit einer nothdürftigen Pension abgefunden und ihr Stamm-
gut durch die Landschaft unter den Hammer gebracht werden.*)

Mit dieser fast unbeschränkten Vollmacht schritt Schön ans Werk.
Das Schicksal des altpreußischen Adels lag in seiner Hand. Abermals,
und noch stürmischer, als vor Jahren bei der Vertheilung der ersten Kriegs-
entschädigungsgelder,**) drängte sich Alles um die Gunst des Beherrschers
der Provinz. Er that sein Bestes, viele wackere Männer vom Landadel
verdankten allein seiner Fürsorge die Erhaltung ihres Besitzes; wo er
aber die Lage für hoffnungslos hielt, da ließ er die Landschaft uner-
bittlich zur Subhastation schreiten. So geschah es, daß unter der Mit-
wirkung dieser wohlwollenden Regierung die Grafen Schlieben, die Grafen
Goltz und viele andere angesehene Adelsgeschlechter von Haus und Hof
verjagt wurden -- die meisten schuldlos, denn der letzte Grund ihrer
Noth lag doch in den patriotischen Opfern der Kriegszeit. Hunderte von
Landgütern wurden versteigert, einmal ihrer 218 fast zu gleicher Zeit;
das unmäßige Angebot drückte die Preise so tief herab, daß die Landschaft
selber nur durch Zuschüsse des Staates sich behaupten konnte. In man-
chen Theilen der Provinz wechselte die volle Hälfte der großen Güter
ihren Besitzer. Zu den Käswurm, Biehler, Reichenbach und den anderen
Salzburger Exulanten, die sich bereits in die Reihen des Grundherren-
standes emporgearbeitet hatten, trat mit einem male eine ganze Schaar
bürgerlicher Rittergutsbesitzer hinzu, aus dem Lande selbst, aus Mecklen-
burg, aus Bremen, Braunschweig, Sachsen: darunter viele tüchtige Männer,
die hier ihr Capital zu 15 Procent anlegen konnten und bald mit der
alten Aristokratie verwuchsen, aber auch manche rohe Abenteurer, welche
niemals auf einen grünen Zweig kamen.

Niemand hatte unter dieser socialen Umwälzung schmerzlicher zu leiden
als der gestrenge Oberpräsident. Thränen des Dankes sah er fließen,
doch auch mit Verwünschungen wurde er überhäuft. In den Nachbar-
provinzen erzählte man allgemein, der fanatische Liberale habe sich ver-
messen, die verfaulte Rasse des preußischen Adels durch ein neues kräf-
tigeres Geschlecht zu verdrängen. Möglich immerhin, daß Schön in seiner
Heftigkeit einmal eine solche Aeußerung herausgepoltert hat; allein seine
Absicht war gerecht, er wollte den alten Geschlechtern retten was noch zu
retten war, und nur die Dürftigkeit der Geldmittel zwang ihn zu einer
Härte, die seinen Wünschen widersprach. Wie viel erfolgreicher hatte einst
König Friedrich nach dem siebenjährigen Kriege für die "Conservirung"

*) Schön's Berichte an Schuckmann, 23. Aug., an den König, 6. Dec. 1824.
Lottum, Cabinetsschreiben an Schön, 2. Juli 1825. Stägemann an Schulz, 13. Okt.
1809; dessen Promemoria über die ostpreußischen Grundbesitzer, Juni 1825.
**) S. o. II. 250.

Noth der oſtpreußiſchen Grundbeſitzer.
wenn es aber ganz unmöglich ſei, eine Familie im Beſitze zu erhalten,
dann ſolle ſie mit einer nothdürftigen Penſion abgefunden und ihr Stamm-
gut durch die Landſchaft unter den Hammer gebracht werden.*)

Mit dieſer faſt unbeſchränkten Vollmacht ſchritt Schön ans Werk.
Das Schickſal des altpreußiſchen Adels lag in ſeiner Hand. Abermals,
und noch ſtürmiſcher, als vor Jahren bei der Vertheilung der erſten Kriegs-
entſchädigungsgelder,**) drängte ſich Alles um die Gunſt des Beherrſchers
der Provinz. Er that ſein Beſtes, viele wackere Männer vom Landadel
verdankten allein ſeiner Fürſorge die Erhaltung ihres Beſitzes; wo er
aber die Lage für hoffnungslos hielt, da ließ er die Landſchaft uner-
bittlich zur Subhaſtation ſchreiten. So geſchah es, daß unter der Mit-
wirkung dieſer wohlwollenden Regierung die Grafen Schlieben, die Grafen
Goltz und viele andere angeſehene Adelsgeſchlechter von Haus und Hof
verjagt wurden — die meiſten ſchuldlos, denn der letzte Grund ihrer
Noth lag doch in den patriotiſchen Opfern der Kriegszeit. Hunderte von
Landgütern wurden verſteigert, einmal ihrer 218 faſt zu gleicher Zeit;
das unmäßige Angebot drückte die Preiſe ſo tief herab, daß die Landſchaft
ſelber nur durch Zuſchüſſe des Staates ſich behaupten konnte. In man-
chen Theilen der Provinz wechſelte die volle Hälfte der großen Güter
ihren Beſitzer. Zu den Käswurm, Biehler, Reichenbach und den anderen
Salzburger Exulanten, die ſich bereits in die Reihen des Grundherren-
ſtandes emporgearbeitet hatten, trat mit einem male eine ganze Schaar
bürgerlicher Rittergutsbeſitzer hinzu, aus dem Lande ſelbſt, aus Mecklen-
burg, aus Bremen, Braunſchweig, Sachſen: darunter viele tüchtige Männer,
die hier ihr Capital zu 15 Procent anlegen konnten und bald mit der
alten Ariſtokratie verwuchſen, aber auch manche rohe Abenteurer, welche
niemals auf einen grünen Zweig kamen.

Niemand hatte unter dieſer ſocialen Umwälzung ſchmerzlicher zu leiden
als der geſtrenge Oberpräſident. Thränen des Dankes ſah er fließen,
doch auch mit Verwünſchungen wurde er überhäuft. In den Nachbar-
provinzen erzählte man allgemein, der fanatiſche Liberale habe ſich ver-
meſſen, die verfaulte Raſſe des preußiſchen Adels durch ein neues kräf-
tigeres Geſchlecht zu verdrängen. Möglich immerhin, daß Schön in ſeiner
Heftigkeit einmal eine ſolche Aeußerung herausgepoltert hat; allein ſeine
Abſicht war gerecht, er wollte den alten Geſchlechtern retten was noch zu
retten war, und nur die Dürftigkeit der Geldmittel zwang ihn zu einer
Härte, die ſeinen Wünſchen widerſprach. Wie viel erfolgreicher hatte einſt
König Friedrich nach dem ſiebenjährigen Kriege für die „Conſervirung“

*) Schön’s Berichte an Schuckmann, 23. Aug., an den König, 6. Dec. 1824.
Lottum, Cabinetsſchreiben an Schön, 2. Juli 1825. Stägemann an Schulz, 13. Okt.
1809; deſſen Promemoria über die oſtpreußiſchen Grundbeſitzer, Juni 1825.
**) S. o. II. 250.
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[459/0475] Noth der oſtpreußiſchen Grundbeſitzer. wenn es aber ganz unmöglich ſei, eine Familie im Beſitze zu erhalten, dann ſolle ſie mit einer nothdürftigen Penſion abgefunden und ihr Stamm- gut durch die Landſchaft unter den Hammer gebracht werden. *) Mit dieſer faſt unbeſchränkten Vollmacht ſchritt Schön ans Werk. Das Schickſal des altpreußiſchen Adels lag in ſeiner Hand. Abermals, und noch ſtürmiſcher, als vor Jahren bei der Vertheilung der erſten Kriegs- entſchädigungsgelder, **) drängte ſich Alles um die Gunſt des Beherrſchers der Provinz. Er that ſein Beſtes, viele wackere Männer vom Landadel verdankten allein ſeiner Fürſorge die Erhaltung ihres Beſitzes; wo er aber die Lage für hoffnungslos hielt, da ließ er die Landſchaft uner- bittlich zur Subhaſtation ſchreiten. So geſchah es, daß unter der Mit- wirkung dieſer wohlwollenden Regierung die Grafen Schlieben, die Grafen Goltz und viele andere angeſehene Adelsgeſchlechter von Haus und Hof verjagt wurden — die meiſten ſchuldlos, denn der letzte Grund ihrer Noth lag doch in den patriotiſchen Opfern der Kriegszeit. Hunderte von Landgütern wurden verſteigert, einmal ihrer 218 faſt zu gleicher Zeit; das unmäßige Angebot drückte die Preiſe ſo tief herab, daß die Landſchaft ſelber nur durch Zuſchüſſe des Staates ſich behaupten konnte. In man- chen Theilen der Provinz wechſelte die volle Hälfte der großen Güter ihren Beſitzer. Zu den Käswurm, Biehler, Reichenbach und den anderen Salzburger Exulanten, die ſich bereits in die Reihen des Grundherren- ſtandes emporgearbeitet hatten, trat mit einem male eine ganze Schaar bürgerlicher Rittergutsbeſitzer hinzu, aus dem Lande ſelbſt, aus Mecklen- burg, aus Bremen, Braunſchweig, Sachſen: darunter viele tüchtige Männer, die hier ihr Capital zu 15 Procent anlegen konnten und bald mit der alten Ariſtokratie verwuchſen, aber auch manche rohe Abenteurer, welche niemals auf einen grünen Zweig kamen. Niemand hatte unter dieſer ſocialen Umwälzung ſchmerzlicher zu leiden als der geſtrenge Oberpräſident. Thränen des Dankes ſah er fließen, doch auch mit Verwünſchungen wurde er überhäuft. In den Nachbar- provinzen erzählte man allgemein, der fanatiſche Liberale habe ſich ver- meſſen, die verfaulte Raſſe des preußiſchen Adels durch ein neues kräf- tigeres Geſchlecht zu verdrängen. Möglich immerhin, daß Schön in ſeiner Heftigkeit einmal eine ſolche Aeußerung herausgepoltert hat; allein ſeine Abſicht war gerecht, er wollte den alten Geſchlechtern retten was noch zu retten war, und nur die Dürftigkeit der Geldmittel zwang ihn zu einer Härte, die ſeinen Wünſchen widerſprach. Wie viel erfolgreicher hatte einſt König Friedrich nach dem ſiebenjährigen Kriege für die „Conſervirung“ *) Schön’s Berichte an Schuckmann, 23. Aug., an den König, 6. Dec. 1824. Lottum, Cabinetsſchreiben an Schön, 2. Juli 1825. Stägemann an Schulz, 13. Okt. 1809; deſſen Promemoria über die oſtpreußiſchen Grundbeſitzer, Juni 1825. **) S. o. II. 250.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/475>, abgerufen am 20.05.2024.