III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
die Verwaltung seiner geliebten Heimath in fremden Händen lag. Als nach fünf Jahren die Oberpräsidentenstelle wieder erledigt war, erbat und erlangte er vom Könige die Rückkehr in sein altes Amt.*) --
Als Merckel und Grolman in den Dienst zurückkehrten, W. Hum- boldt das Wohlwollen des Königs völlig wieder erlangte, war die schlimmste Zeit der Reaction überstanden. Und zum Glück für Preußen starb jetzt auch Fürst Hatzfeldt (Febr. 1827). Der war bis zum letzten Athemzuge der alte rastlose Spürer geblieben. Ganz so dreist, wie er sich einst -- von wegen seiner bergischen Besitzungen -- als "Unterthan Sr. Majestät des Kaisers der Franzosen" gebährdet hatte, spielte er jetzt den Handlanger Oesterreichs. Was für Gespenster die k. k. Polizei auch sehen mochte, Hatzfeldt glaubte ihr Alles, sogar einen von Gentz verfaßten Bericht, der die gefährlichsten politischen Schriftsteller Deutschlands -- Börne und Gagern, List und Wessenberg, Zachariä und Pölitz freundnachbarlich neben- einander -- aufzählte.**) Es kam so weit, daß Metternich sich einmal -- das einzige mal in allen diesen Jahren -- unterstand, den Gesandten wegen einer inneren Angelegenheit Preußens zur Rede zu stellen. Er hatte in einem Verzeichniß des preußischen Staatsraths gelesen, daß Gneisenau den Vorsitz in dem diplomatischen Ausschusse führe, und erklärte dem Gesandten, ein solches zweites Ministerium mache vertrauliche Mit- theilungen unmöglich. Hatzfeldt nahm die Anmaßung ohne Widerspruch hin und empfing zu seiner Beschämung aus Berlin die Antwort: jener Ausschuß bestehe bekanntermaßen schon seit 1817 und trete nur in außer- ordentlichen Fällen zur Berathung großer Fragen zusammen.***) Diesem Liebediener Oesterreichs die Vertretung Preußens am Wiener Hofe anzu- vertrauen, konnte Bernstorff nicht länger mehr verantworten. Er ertheilte im Frühjahr 1826 dem unheilvollen Manne einen unbestimmten Urlaub. Der alte Fürst aber weigerte sich geradezu, die Dienstpapiere seinem Stell- vertreter auszuliefern, da sein Briefwechsel mit Metternich nicht für die Augen Dritter bestimmt sei+), und setzte bei Hofe durch, daß er noch ein- mal an die Donau zurückkehren durfte. Bald nachher machte sein Tod dem Skandal ein Ende, und seitdem zeigte Preußens Politik auch in ihrer äußeren Haltung wieder die Würde einer Großmacht. Die Demagogen- verfolgung schlief ein, die Gemüther begannen sich zu beruhigen.
Den begnadigten Hochverräthern wurden ihre Sünden nicht nach- getragen; man spottete sogar in den Beamtenkreisen, Niemand könne so sicher auf eine glänzende Carriere rechnen wie die bekehrten Demagogen. Indeß empfand der König keineswegs Reue wegen des Geschehenen; er
**) Hatzfeldt's Bericht, 17. März 1825, mit Beilage: Gentz's Uebersicht der deut- schen Schriftsteller u. s. w.
***) Witzleben's Tagebuch, 21. Dec. 1825.
+) Maltzahn's Bericht, Wien 15. Mai 1826.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
die Verwaltung ſeiner geliebten Heimath in fremden Händen lag. Als nach fünf Jahren die Oberpräſidentenſtelle wieder erledigt war, erbat und erlangte er vom Könige die Rückkehr in ſein altes Amt.*) —
Als Merckel und Grolman in den Dienſt zurückkehrten, W. Hum- boldt das Wohlwollen des Königs völlig wieder erlangte, war die ſchlimmſte Zeit der Reaction überſtanden. Und zum Glück für Preußen ſtarb jetzt auch Fürſt Hatzfeldt (Febr. 1827). Der war bis zum letzten Athemzuge der alte raſtloſe Spürer geblieben. Ganz ſo dreiſt, wie er ſich einſt — von wegen ſeiner bergiſchen Beſitzungen — als „Unterthan Sr. Majeſtät des Kaiſers der Franzoſen“ gebährdet hatte, ſpielte er jetzt den Handlanger Oeſterreichs. Was für Geſpenſter die k. k. Polizei auch ſehen mochte, Hatzfeldt glaubte ihr Alles, ſogar einen von Gentz verfaßten Bericht, der die gefährlichſten politiſchen Schriftſteller Deutſchlands — Börne und Gagern, Liſt und Weſſenberg, Zachariä und Pölitz freundnachbarlich neben- einander — aufzählte.**) Es kam ſo weit, daß Metternich ſich einmal — das einzige mal in allen dieſen Jahren — unterſtand, den Geſandten wegen einer inneren Angelegenheit Preußens zur Rede zu ſtellen. Er hatte in einem Verzeichniß des preußiſchen Staatsraths geleſen, daß Gneiſenau den Vorſitz in dem diplomatiſchen Ausſchuſſe führe, und erklärte dem Geſandten, ein ſolches zweites Miniſterium mache vertrauliche Mit- theilungen unmöglich. Hatzfeldt nahm die Anmaßung ohne Widerſpruch hin und empfing zu ſeiner Beſchämung aus Berlin die Antwort: jener Ausſchuß beſtehe bekanntermaßen ſchon ſeit 1817 und trete nur in außer- ordentlichen Fällen zur Berathung großer Fragen zuſammen.***) Dieſem Liebediener Oeſterreichs die Vertretung Preußens am Wiener Hofe anzu- vertrauen, konnte Bernſtorff nicht länger mehr verantworten. Er ertheilte im Frühjahr 1826 dem unheilvollen Manne einen unbeſtimmten Urlaub. Der alte Fürſt aber weigerte ſich geradezu, die Dienſtpapiere ſeinem Stell- vertreter auszuliefern, da ſein Briefwechſel mit Metternich nicht für die Augen Dritter beſtimmt ſei†), und ſetzte bei Hofe durch, daß er noch ein- mal an die Donau zurückkehren durfte. Bald nachher machte ſein Tod dem Skandal ein Ende, und ſeitdem zeigte Preußens Politik auch in ihrer äußeren Haltung wieder die Würde einer Großmacht. Die Demagogen- verfolgung ſchlief ein, die Gemüther begannen ſich zu beruhigen.
Den begnadigten Hochverräthern wurden ihre Sünden nicht nach- getragen; man ſpottete ſogar in den Beamtenkreiſen, Niemand könne ſo ſicher auf eine glänzende Carriere rechnen wie die bekehrten Demagogen. Indeß empfand der König keineswegs Reue wegen des Geſchehenen; er
**) Hatzfeldt’s Bericht, 17. März 1825, mit Beilage: Gentz’s Ueberſicht der deut- ſchen Schriftſteller u. ſ. w.
***) Witzleben’s Tagebuch, 21. Dec. 1825.
†) Maltzahn’s Bericht, Wien 15. Mai 1826.
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die Verwaltung ſeiner geliebten Heimath in fremden Händen lag. Als
nach fünf Jahren die Oberpräſidentenſtelle wieder erledigt war, erbat und
erlangte er vom Könige die Rückkehr in ſein altes Amt. *) —
Als Merckel und Grolman in den Dienſt zurückkehrten, W. Hum-
boldt das Wohlwollen des Königs völlig wieder erlangte, war die ſchlimmſte
Zeit der Reaction überſtanden. Und zum Glück für Preußen ſtarb jetzt
auch Fürſt Hatzfeldt (Febr. 1827). Der war bis zum letzten Athemzuge
der alte raſtloſe Spürer geblieben. Ganz ſo dreiſt, wie er ſich einſt —
von wegen ſeiner bergiſchen Beſitzungen — als „Unterthan Sr. Majeſtät
des Kaiſers der Franzoſen“ gebährdet hatte, ſpielte er jetzt den Handlanger
Oeſterreichs. Was für Geſpenſter die k. k. Polizei auch ſehen mochte,
Hatzfeldt glaubte ihr Alles, ſogar einen von Gentz verfaßten Bericht, der
die gefährlichſten politiſchen Schriftſteller Deutſchlands — Börne und
Gagern, Liſt und Weſſenberg, Zachariä und Pölitz freundnachbarlich neben-
einander — aufzählte. **) Es kam ſo weit, daß Metternich ſich einmal —
das einzige mal in allen dieſen Jahren — unterſtand, den Geſandten
wegen einer inneren Angelegenheit Preußens zur Rede zu ſtellen. Er
hatte in einem Verzeichniß des preußiſchen Staatsraths geleſen, daß
Gneiſenau den Vorſitz in dem diplomatiſchen Ausſchuſſe führe, und erklärte
dem Geſandten, ein ſolches zweites Miniſterium mache vertrauliche Mit-
theilungen unmöglich. Hatzfeldt nahm die Anmaßung ohne Widerſpruch
hin und empfing zu ſeiner Beſchämung aus Berlin die Antwort: jener
Ausſchuß beſtehe bekanntermaßen ſchon ſeit 1817 und trete nur in außer-
ordentlichen Fällen zur Berathung großer Fragen zuſammen. ***) Dieſem
Liebediener Oeſterreichs die Vertretung Preußens am Wiener Hofe anzu-
vertrauen, konnte Bernſtorff nicht länger mehr verantworten. Er ertheilte
im Frühjahr 1826 dem unheilvollen Manne einen unbeſtimmten Urlaub.
Der alte Fürſt aber weigerte ſich geradezu, die Dienſtpapiere ſeinem Stell-
vertreter auszuliefern, da ſein Briefwechſel mit Metternich nicht für die
Augen Dritter beſtimmt ſei †), und ſetzte bei Hofe durch, daß er noch ein-
mal an die Donau zurückkehren durfte. Bald nachher machte ſein Tod
dem Skandal ein Ende, und ſeitdem zeigte Preußens Politik auch in ihrer
äußeren Haltung wieder die Würde einer Großmacht. Die Demagogen-
verfolgung ſchlief ein, die Gemüther begannen ſich zu beruhigen.
Den begnadigten Hochverräthern wurden ihre Sünden nicht nach-
getragen; man ſpottete ſogar in den Beamtenkreiſen, Niemand könne ſo
ſicher auf eine glänzende Carriere rechnen wie die bekehrten Demagogen.
Indeß empfand der König keineswegs Reue wegen des Geſchehenen; er
*) Merckel an Lottum, 18. Aug., Lottum’s Antwort, 4. Sept. 1825.
**) Hatzfeldt’s Bericht, 17. März 1825, mit Beilage: Gentz’s Ueberſicht der deut-
ſchen Schriftſteller u. ſ. w.
***) Witzleben’s Tagebuch, 21. Dec. 1825.
†) Maltzahn’s Bericht, Wien 15. Mai 1826.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/468>, abgerufen am 22.11.2024.
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