der Zwingherrschaft erst die Republiken der Niederländer und der Ame- rikaner wieder einiges Heil in die Welt gebracht, bis dann endlich der lichte Tag der großen Revolution emporgestiegen war und eine neue Blüthe der Menschheit in den Heldenkämpfen des Convents sich entfaltet hatte. Solche Ansichten, die in den Tagen des Wartburgfestes noch einen Sturm des Unwillens erregt hätten, fanden jetzt schon eine gläubige Gemeinde. Unfähig, wie er sein Lebelang blieb, Traumleben und Wirklichkeit zu unterscheiden, baute Ruge fest auf die radikale Entschlossenheit seiner Ge- nossen und bezweifelte niemals die unermeßliche Ueberlegenheit "dieser ruhigen republikanischen Staatsmänner" gegenüber der verrotteten mo- narchischen Philisterwelt. "Von dem richtigen Verständniß dieser Frage hängt die Zukunft Europas, insbesondere unseres noch nicht republika- nischen Volkes ab" -- so klang es dröhnend durch den Saal, da die jungen Weltverbesserer über die Frage "des freien Schlägers" beriethen und als rauflustige Philosophen zu dem echt germanischen Entschlusse ge- langten, die mittelalterliche Barbarei des Duells in Anbetracht der Vor- urtheile des Zeitalters vorläufig noch nicht aufzugeben.
Wo diese radikale Richtung obenauf kam, da begann sich der Ton bald merklich zu ändern. Vom Christenthum war gar keine Rede mehr; aus den alten Wahlsprüchen "frisch, frei, fröhlich, fromm" und "Gott, Freiheit, Ehre, Vaterland" wurden die Frömmigkeit und der liebe Gott still- schweigend weggelassen, hier und da schon förmlich gestrichen. Wie erschrak Wolfgang Menzel, als er einige Jahre nach den Karlsbader Beschlüssen aus der Schweiz heimkehrte und von der christlich-germanischen Schwärmerei seiner Burschenzeit keine Spur mehr übrig fand. In Halle bemühte sich Karl von Raumer, der treue Freund der alten Burschenschaft vergeblich, den radikalen Verführern der Jugend zu wehren. Die Burschen hörten nicht mehr auf ihren frommen Lehrer. Wie durfte man von ihnen Mäßigung erwarten, wenn der Unverstand der Behörden das altgewohnte akademische Genossenschaftsleben völlig zu vernichten suchte und den Stu- denten nicht einmal die Einsetzung eines akademischen Ausschusses gestatten wollte? Lächerlich grell trat der Gegensatz des alten und des neuen Ge- schlechts an den Tag, als Arnold Ruge eine Zeit lang mit Jahn zu- sammen in Kolberg auf der Festung saß, der pantheistische Republikaner mit dem strenggläubigen, preußischen Monarchisten. Keiner von Beiden verhehlte, daß er den Anderen für einen ausgemachten Narren ansah, Kamptz aber hielt Beide für gleich ruchlose Hochverräther. Für die Zu- kunft des deutschen Parteilebens wurde die radikale Verbitterung des jungen Geschlechts unheilvoll, für die öffentliche Sicherheit stand im Augen- blicke nichts zu fürchten. Wie scharf durchschaute Arndt die deutsche Jugend, als er ihr zurief:
Schlecht geräth Dir List und Kunst, Feinheit wird Dir eitel Dunst.
Der junge Radicalismus. A. Ruge.
der Zwingherrſchaft erſt die Republiken der Niederländer und der Ame- rikaner wieder einiges Heil in die Welt gebracht, bis dann endlich der lichte Tag der großen Revolution emporgeſtiegen war und eine neue Blüthe der Menſchheit in den Heldenkämpfen des Convents ſich entfaltet hatte. Solche Anſichten, die in den Tagen des Wartburgfeſtes noch einen Sturm des Unwillens erregt hätten, fanden jetzt ſchon eine gläubige Gemeinde. Unfähig, wie er ſein Lebelang blieb, Traumleben und Wirklichkeit zu unterſcheiden, baute Ruge feſt auf die radikale Entſchloſſenheit ſeiner Ge- noſſen und bezweifelte niemals die unermeßliche Ueberlegenheit „dieſer ruhigen republikaniſchen Staatsmänner“ gegenüber der verrotteten mo- narchiſchen Philiſterwelt. „Von dem richtigen Verſtändniß dieſer Frage hängt die Zukunft Europas, insbeſondere unſeres noch nicht republika- niſchen Volkes ab“ — ſo klang es dröhnend durch den Saal, da die jungen Weltverbeſſerer über die Frage „des freien Schlägers“ beriethen und als raufluſtige Philoſophen zu dem echt germaniſchen Entſchluſſe ge- langten, die mittelalterliche Barbarei des Duells in Anbetracht der Vor- urtheile des Zeitalters vorläufig noch nicht aufzugeben.
Wo dieſe radikale Richtung obenauf kam, da begann ſich der Ton bald merklich zu ändern. Vom Chriſtenthum war gar keine Rede mehr; aus den alten Wahlſprüchen „friſch, frei, fröhlich, fromm“ und „Gott, Freiheit, Ehre, Vaterland“ wurden die Frömmigkeit und der liebe Gott ſtill- ſchweigend weggelaſſen, hier und da ſchon förmlich geſtrichen. Wie erſchrak Wolfgang Menzel, als er einige Jahre nach den Karlsbader Beſchlüſſen aus der Schweiz heimkehrte und von der chriſtlich-germaniſchen Schwärmerei ſeiner Burſchenzeit keine Spur mehr übrig fand. In Halle bemühte ſich Karl von Raumer, der treue Freund der alten Burſchenſchaft vergeblich, den radikalen Verführern der Jugend zu wehren. Die Burſchen hörten nicht mehr auf ihren frommen Lehrer. Wie durfte man von ihnen Mäßigung erwarten, wenn der Unverſtand der Behörden das altgewohnte akademiſche Genoſſenſchaftsleben völlig zu vernichten ſuchte und den Stu- denten nicht einmal die Einſetzung eines akademiſchen Ausſchuſſes geſtatten wollte? Lächerlich grell trat der Gegenſatz des alten und des neuen Ge- ſchlechts an den Tag, als Arnold Ruge eine Zeit lang mit Jahn zu- ſammen in Kolberg auf der Feſtung ſaß, der pantheiſtiſche Republikaner mit dem ſtrenggläubigen, preußiſchen Monarchiſten. Keiner von Beiden verhehlte, daß er den Anderen für einen ausgemachten Narren anſah, Kamptz aber hielt Beide für gleich ruchloſe Hochverräther. Für die Zu- kunft des deutſchen Parteilebens wurde die radikale Verbitterung des jungen Geſchlechts unheilvoll, für die öffentliche Sicherheit ſtand im Augen- blicke nichts zu fürchten. Wie ſcharf durchſchaute Arndt die deutſche Jugend, als er ihr zurief:
Schlecht geräth Dir Liſt und Kunſt, Feinheit wird Dir eitel Dunſt.
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Der junge Radicalismus. A. Ruge.
der Zwingherrſchaft erſt die Republiken der Niederländer und der Ame-
rikaner wieder einiges Heil in die Welt gebracht, bis dann endlich der
lichte Tag der großen Revolution emporgeſtiegen war und eine neue Blüthe
der Menſchheit in den Heldenkämpfen des Convents ſich entfaltet hatte.
Solche Anſichten, die in den Tagen des Wartburgfeſtes noch einen Sturm
des Unwillens erregt hätten, fanden jetzt ſchon eine gläubige Gemeinde.
Unfähig, wie er ſein Lebelang blieb, Traumleben und Wirklichkeit zu
unterſcheiden, baute Ruge feſt auf die radikale Entſchloſſenheit ſeiner Ge-
noſſen und bezweifelte niemals die unermeßliche Ueberlegenheit „dieſer
ruhigen republikaniſchen Staatsmänner“ gegenüber der verrotteten mo-
narchiſchen Philiſterwelt. „Von dem richtigen Verſtändniß dieſer Frage
hängt die Zukunft Europas, insbeſondere unſeres noch nicht republika-
niſchen Volkes ab“ — ſo klang es dröhnend durch den Saal, da die
jungen Weltverbeſſerer über die Frage „des freien Schlägers“ beriethen
und als raufluſtige Philoſophen zu dem echt germaniſchen Entſchluſſe ge-
langten, die mittelalterliche Barbarei des Duells in Anbetracht der Vor-
urtheile des Zeitalters vorläufig noch nicht aufzugeben.
Wo dieſe radikale Richtung obenauf kam, da begann ſich der Ton
bald merklich zu ändern. Vom Chriſtenthum war gar keine Rede mehr;
aus den alten Wahlſprüchen „friſch, frei, fröhlich, fromm“ und „Gott,
Freiheit, Ehre, Vaterland“ wurden die Frömmigkeit und der liebe Gott ſtill-
ſchweigend weggelaſſen, hier und da ſchon förmlich geſtrichen. Wie erſchrak
Wolfgang Menzel, als er einige Jahre nach den Karlsbader Beſchlüſſen aus
der Schweiz heimkehrte und von der chriſtlich-germaniſchen Schwärmerei
ſeiner Burſchenzeit keine Spur mehr übrig fand. In Halle bemühte ſich
Karl von Raumer, der treue Freund der alten Burſchenſchaft vergeblich,
den radikalen Verführern der Jugend zu wehren. Die Burſchen hörten
nicht mehr auf ihren frommen Lehrer. Wie durfte man von ihnen
Mäßigung erwarten, wenn der Unverſtand der Behörden das altgewohnte
akademiſche Genoſſenſchaftsleben völlig zu vernichten ſuchte und den Stu-
denten nicht einmal die Einſetzung eines akademiſchen Ausſchuſſes geſtatten
wollte? Lächerlich grell trat der Gegenſatz des alten und des neuen Ge-
ſchlechts an den Tag, als Arnold Ruge eine Zeit lang mit Jahn zu-
ſammen in Kolberg auf der Feſtung ſaß, der pantheiſtiſche Republikaner
mit dem ſtrenggläubigen, preußiſchen Monarchiſten. Keiner von Beiden
verhehlte, daß er den Anderen für einen ausgemachten Narren anſah,
Kamptz aber hielt Beide für gleich ruchloſe Hochverräther. Für die Zu-
kunft des deutſchen Parteilebens wurde die radikale Verbitterung des
jungen Geſchlechts unheilvoll, für die öffentliche Sicherheit ſtand im Augen-
blicke nichts zu fürchten. Wie ſcharf durchſchaute Arndt die deutſche Jugend,
als er ihr zurief:
Schlecht geräth Dir Liſt und Kunſt,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/457>, abgerufen am 16.07.2024.
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