Gleichstrebenden in einen anregenden Gedankenaustausch zu treten. Auch einen nationalen Zweck hatte Oken im Auge, als er diese Versamm- lungen nach dem Vorbilde der Schweizer ins Leben rief. Mochten einzelne der Theilnehmer im Bewußtsein der idealen Größe des Vaterlandes sich über das politische Elend behaglich trösten, den Meisten wuchs doch der nationale Stolz und die Sehnsucht nach festerer Verbindung mit den Volksgenossen. Gleiche Empfindungen erweckte das damals zuerst in Stuttgart gefeierte, nachher oft wiederholte Schillerfest und die Säcular- feier zu Ehren Albrecht Dürer's, die in vielen deutschen Städten mit Sang und Klang und begeisterten patriotischen Reden abgehalten wurde.
Noch glänzender verlief gleich darauf der Berliner Naturforschertag. An sechshundert Theilnehmer hatten sich eingefunden. Humboldt selbst machte den Wirth und sagte in seiner classischen Eröffnungsrede: Deutsch- land offenbare sich hier gleichsam in seiner geistigen Einheit. Er zwang durch sein Beispiel den Hof und die amtliche Welt, auch ihrerseits den Gelehrten eine Achtung zu erweisen, die ihnen in Paris und London längst fraglos gewährt wurde. Wie staunten die Berliner, als bei dem großen Bankett die königlichen Prinzen sich unter die Professoren mischten und der Dema- gogenrichter Kamptz mit dem erschrecklichen Verschwörer Oken Arm in Arm zur Tafel schritt; der König selber freilich sah nur schüchtern aus seiner Loge auf das ungewohnte Treiben hernieder. Alles drängte sich huldigend um den Fürsten der Naturforschung; und wenngleich viel modische Eitel- keit mit unterlief bei allen den Adressen und Ehrengeschenken, die dem Gefeierten gespendet wurden: es blieb doch ein dauernder Gewinn, daß er der Wissenschaft das Bürgerrecht eroberte in der vornehmen Gesellschaft, daß die zanksüchtige Hauptstadt nun endlich eine anerkannte Größe besaß, die Alle gelten ließen, zu der Alle emporblickten. Erst durch Humboldt und die versöhnende Macht seines Genies wurde der gute Ton groß- städtischer Duldsamkeit in dem zerfahrenen deutschen Leben heimisch.
Draußen im Reiche verlautete freilich von dem Glanze des Ber- liner geistigen Lebens und von den Verdiensten der preußischen Verwal- tung weit weniger als von den albernen Sünden der Demagogenjagd, welche den Ruhm der hohenzollernschen Krone befleckten. Nirgendwo sonst in Deutschland wurde die politische Verfolgung so unerbittlich betrieben. Es lag im Wesen dieses starkknochigen Staates, daß hier alle deutschen Tugenden kraftvoll und mächtig, aber auch alle deutschen Sünden schlecht- hin ruchlos zu Tage traten. Fünf Jahre lang durfte eine Rotte von Verworfenen und Verblendeten das kleinliche Mißtrauen, das dem bureau- kratischen Absolutismus überall anhaftet, für ihre unheimlichen Zwecke ausbeuten und, während sonst überall das Recht unverbrüchlich gehand-
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 28
Der Berliner Naturforſchertag.
Gleichſtrebenden in einen anregenden Gedankenaustauſch zu treten. Auch einen nationalen Zweck hatte Oken im Auge, als er dieſe Verſamm- lungen nach dem Vorbilde der Schweizer ins Leben rief. Mochten einzelne der Theilnehmer im Bewußtſein der idealen Größe des Vaterlandes ſich über das politiſche Elend behaglich tröſten, den Meiſten wuchs doch der nationale Stolz und die Sehnſucht nach feſterer Verbindung mit den Volksgenoſſen. Gleiche Empfindungen erweckte das damals zuerſt in Stuttgart gefeierte, nachher oft wiederholte Schillerfeſt und die Säcular- feier zu Ehren Albrecht Dürer’s, die in vielen deutſchen Städten mit Sang und Klang und begeiſterten patriotiſchen Reden abgehalten wurde.
Noch glänzender verlief gleich darauf der Berliner Naturforſchertag. An ſechshundert Theilnehmer hatten ſich eingefunden. Humboldt ſelbſt machte den Wirth und ſagte in ſeiner claſſiſchen Eröffnungsrede: Deutſch- land offenbare ſich hier gleichſam in ſeiner geiſtigen Einheit. Er zwang durch ſein Beiſpiel den Hof und die amtliche Welt, auch ihrerſeits den Gelehrten eine Achtung zu erweiſen, die ihnen in Paris und London längſt fraglos gewährt wurde. Wie ſtaunten die Berliner, als bei dem großen Bankett die königlichen Prinzen ſich unter die Profeſſoren miſchten und der Dema- gogenrichter Kamptz mit dem erſchrecklichen Verſchwörer Oken Arm in Arm zur Tafel ſchritt; der König ſelber freilich ſah nur ſchüchtern aus ſeiner Loge auf das ungewohnte Treiben hernieder. Alles drängte ſich huldigend um den Fürſten der Naturforſchung; und wenngleich viel modiſche Eitel- keit mit unterlief bei allen den Adreſſen und Ehrengeſchenken, die dem Gefeierten geſpendet wurden: es blieb doch ein dauernder Gewinn, daß er der Wiſſenſchaft das Bürgerrecht eroberte in der vornehmen Geſellſchaft, daß die zankſüchtige Hauptſtadt nun endlich eine anerkannte Größe beſaß, die Alle gelten ließen, zu der Alle emporblickten. Erſt durch Humboldt und die verſöhnende Macht ſeines Genies wurde der gute Ton groß- ſtädtiſcher Duldſamkeit in dem zerfahrenen deutſchen Leben heimiſch.
Draußen im Reiche verlautete freilich von dem Glanze des Ber- liner geiſtigen Lebens und von den Verdienſten der preußiſchen Verwal- tung weit weniger als von den albernen Sünden der Demagogenjagd, welche den Ruhm der hohenzollernſchen Krone befleckten. Nirgendwo ſonſt in Deutſchland wurde die politiſche Verfolgung ſo unerbittlich betrieben. Es lag im Weſen dieſes ſtarkknochigen Staates, daß hier alle deutſchen Tugenden kraftvoll und mächtig, aber auch alle deutſchen Sünden ſchlecht- hin ruchlos zu Tage traten. Fünf Jahre lang durfte eine Rotte von Verworfenen und Verblendeten das kleinliche Mißtrauen, das dem bureau- kratiſchen Abſolutismus überall anhaftet, für ihre unheimlichen Zwecke ausbeuten und, während ſonſt überall das Recht unverbrüchlich gehand-
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 28
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Der Berliner Naturforſchertag.
Gleichſtrebenden in einen anregenden Gedankenaustauſch zu treten. Auch
einen nationalen Zweck hatte Oken im Auge, als er dieſe Verſamm-
lungen nach dem Vorbilde der Schweizer ins Leben rief. Mochten einzelne
der Theilnehmer im Bewußtſein der idealen Größe des Vaterlandes ſich
über das politiſche Elend behaglich tröſten, den Meiſten wuchs doch der
nationale Stolz und die Sehnſucht nach feſterer Verbindung mit den
Volksgenoſſen. Gleiche Empfindungen erweckte das damals zuerſt in
Stuttgart gefeierte, nachher oft wiederholte Schillerfeſt und die Säcular-
feier zu Ehren Albrecht Dürer’s, die in vielen deutſchen Städten mit
Sang und Klang und begeiſterten patriotiſchen Reden abgehalten wurde.
Noch glänzender verlief gleich darauf der Berliner Naturforſchertag.
An ſechshundert Theilnehmer hatten ſich eingefunden. Humboldt ſelbſt
machte den Wirth und ſagte in ſeiner claſſiſchen Eröffnungsrede: Deutſch-
land offenbare ſich hier gleichſam in ſeiner geiſtigen Einheit. Er zwang durch
ſein Beiſpiel den Hof und die amtliche Welt, auch ihrerſeits den Gelehrten
eine Achtung zu erweiſen, die ihnen in Paris und London längſt fraglos
gewährt wurde. Wie ſtaunten die Berliner, als bei dem großen Bankett
die königlichen Prinzen ſich unter die Profeſſoren miſchten und der Dema-
gogenrichter Kamptz mit dem erſchrecklichen Verſchwörer Oken Arm in Arm
zur Tafel ſchritt; der König ſelber freilich ſah nur ſchüchtern aus ſeiner
Loge auf das ungewohnte Treiben hernieder. Alles drängte ſich huldigend
um den Fürſten der Naturforſchung; und wenngleich viel modiſche Eitel-
keit mit unterlief bei allen den Adreſſen und Ehrengeſchenken, die dem
Gefeierten geſpendet wurden: es blieb doch ein dauernder Gewinn, daß er
der Wiſſenſchaft das Bürgerrecht eroberte in der vornehmen Geſellſchaft,
daß die zankſüchtige Hauptſtadt nun endlich eine anerkannte Größe beſaß,
die Alle gelten ließen, zu der Alle emporblickten. Erſt durch Humboldt
und die verſöhnende Macht ſeines Genies wurde der gute Ton groß-
ſtädtiſcher Duldſamkeit in dem zerfahrenen deutſchen Leben heimiſch.
Draußen im Reiche verlautete freilich von dem Glanze des Ber-
liner geiſtigen Lebens und von den Verdienſten der preußiſchen Verwal-
tung weit weniger als von den albernen Sünden der Demagogenjagd,
welche den Ruhm der hohenzollernſchen Krone befleckten. Nirgendwo ſonſt
in Deutſchland wurde die politiſche Verfolgung ſo unerbittlich betrieben.
Es lag im Weſen dieſes ſtarkknochigen Staates, daß hier alle deutſchen
Tugenden kraftvoll und mächtig, aber auch alle deutſchen Sünden ſchlecht-
hin ruchlos zu Tage traten. Fünf Jahre lang durfte eine Rotte von
Verworfenen und Verblendeten das kleinliche Mißtrauen, das dem bureau-
kratiſchen Abſolutismus überall anhaftet, für ihre unheimlichen Zwecke
ausbeuten und, während ſonſt überall das Recht unverbrüchlich gehand-
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 28
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/449>, abgerufen am 22.11.2024.
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