III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
Rechtszustand für das gesammte Staatsgebiet geschaffen; denn nach pro- testantischer Logik schien es undenkbar, daß die römische Kirche ein Gesetz, das sie in Schlesien seit zwanzig Jahren unweigerlich befolgte, in West- phalen und am Rhein bekämpfen sollte. Man mußte jedoch bald lernen, daß Rom niemals freiwillig einen Besitzstand aufgiebt. Die rheinischen Priester umgingen das neue Gesetz, unbekümmert um das gute Beispiel ihrer schlesischen Amtsbrüder. Sie verweigerten die Einsegnung gemischter Ehen ohne Angabe von Gründen, da sie nicht mehr wagten, den Braut- leuten das förmliche Versprechen der katholischen Kindererziehung abzu- fordern; und selbst die wohlmeinenden Bischöfe Spiegel und Hommer ver- mochten dem Unwesen nicht zu steuern, weil die in den rheinischen Krumm- stabslanden noch bestehenden alten kirchlichen Vorschriften ohne päpstlichen Dispens nicht abgeändert werden durften.
Da bot sich ein Helfer in der Noth: der neue Vertreter Preußens beim römischen Hofe, C. K. Josias Bunsen. Was hätte er sich damals auch nicht zugetraut, dieser Liebling des Glücks, in den ersten Jahren seiner vielbeneideten Erfolge! In kleinen Verhältnissen aufgewachsen, dann durch Niebuhr in die diplomatische Laufbahn eingeführt und nach wenigen Jahren schon des Meisters Nachfolger, errang er sich in der römischen Gesellschaft bald eine günstige Stellung durch das stärkste und wirksamste seiner mannichfaltigen Talente, die ganz eigenthümliche Kunst belebender und anregender Unterhaltung. In dem Palaste Caffarelli auf der Höhe des Capitols, wo die preußische Gesandtschaft jetzt hauste, fand sich Alles zusammen, was die Weltstadt an geistreichen Menschen, Fremden und Einheimischen beherbergte, und noch nach langen Jahren gedachten alle alten "Capitoliner", wo immer in der Welt sie einander begegneten, mit dankbarer Freude jener prunklosen und doch so reizvollen Geselligkeit, deren sie einst bei Bunsen und seiner edlen Frau, einer vornehmen Engländerin genossen hatten. Der Hausherr, ein bildschöner Mann mit leuchtenden Prophetenaugen, wußte aus der Fülle seiner Gedanken und seiner allsei- tigen Belesenheit jedem Gaste etwas zu bieten. Die jungen Talente unter den Künstlern und Gelehrten schlossen sich ihm begeistert an, er förderte ihre Entwicklung mit feinsinnigem Verständniß, und sie ließen sich's gern gefallen, daß er die Ideen seiner Schützlinge ganz unbedenklich in Wort und Schrift für sich selber ausnutzte. Das zweifellose Selbstgefühl, das aus jeder seiner Mienen sprach, heischte und erzwang Bewunderung; nur selten einmal wagte ein unbefangenes Weltkind flüsternd zu bemerken, dies ewige feierliche Pathos werde auf die Dauer doch langweilig.
Von dem europäischen Ruhme seiner Vorgänger Humboldt und Nie- buhr fiel ein Abglanz zurück auf Bunsen's jugendlichen Scheitel; die nam- haften Fremden, die sich seiner Gastfreundschaft erfreut, die Engländer zumal, erzählten überall von dem Zauber seines Umgangs und der Un- ermeßlichkeit seines Wissens. So ward er berühmt noch bevor er Erheb-
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
Rechtszuſtand für das geſammte Staatsgebiet geſchaffen; denn nach pro- teſtantiſcher Logik ſchien es undenkbar, daß die römiſche Kirche ein Geſetz, das ſie in Schleſien ſeit zwanzig Jahren unweigerlich befolgte, in Weſt- phalen und am Rhein bekämpfen ſollte. Man mußte jedoch bald lernen, daß Rom niemals freiwillig einen Beſitzſtand aufgiebt. Die rheiniſchen Prieſter umgingen das neue Geſetz, unbekümmert um das gute Beiſpiel ihrer ſchleſiſchen Amtsbrüder. Sie verweigerten die Einſegnung gemiſchter Ehen ohne Angabe von Gründen, da ſie nicht mehr wagten, den Braut- leuten das förmliche Verſprechen der katholiſchen Kindererziehung abzu- fordern; und ſelbſt die wohlmeinenden Biſchöfe Spiegel und Hommer ver- mochten dem Unweſen nicht zu ſteuern, weil die in den rheiniſchen Krumm- ſtabslanden noch beſtehenden alten kirchlichen Vorſchriften ohne päpſtlichen Dispens nicht abgeändert werden durften.
Da bot ſich ein Helfer in der Noth: der neue Vertreter Preußens beim römiſchen Hofe, C. K. Joſias Bunſen. Was hätte er ſich damals auch nicht zugetraut, dieſer Liebling des Glücks, in den erſten Jahren ſeiner vielbeneideten Erfolge! In kleinen Verhältniſſen aufgewachſen, dann durch Niebuhr in die diplomatiſche Laufbahn eingeführt und nach wenigen Jahren ſchon des Meiſters Nachfolger, errang er ſich in der römiſchen Geſellſchaft bald eine günſtige Stellung durch das ſtärkſte und wirkſamſte ſeiner mannichfaltigen Talente, die ganz eigenthümliche Kunſt belebender und anregender Unterhaltung. In dem Palaſte Caffarelli auf der Höhe des Capitols, wo die preußiſche Geſandtſchaft jetzt hauſte, fand ſich Alles zuſammen, was die Weltſtadt an geiſtreichen Menſchen, Fremden und Einheimiſchen beherbergte, und noch nach langen Jahren gedachten alle alten „Capitoliner“, wo immer in der Welt ſie einander begegneten, mit dankbarer Freude jener prunkloſen und doch ſo reizvollen Geſelligkeit, deren ſie einſt bei Bunſen und ſeiner edlen Frau, einer vornehmen Engländerin genoſſen hatten. Der Hausherr, ein bildſchöner Mann mit leuchtenden Prophetenaugen, wußte aus der Fülle ſeiner Gedanken und ſeiner allſei- tigen Beleſenheit jedem Gaſte etwas zu bieten. Die jungen Talente unter den Künſtlern und Gelehrten ſchloſſen ſich ihm begeiſtert an, er förderte ihre Entwicklung mit feinſinnigem Verſtändniß, und ſie ließen ſich’s gern gefallen, daß er die Ideen ſeiner Schützlinge ganz unbedenklich in Wort und Schrift für ſich ſelber ausnutzte. Das zweifelloſe Selbſtgefühl, das aus jeder ſeiner Mienen ſprach, heiſchte und erzwang Bewunderung; nur ſelten einmal wagte ein unbefangenes Weltkind flüſternd zu bemerken, dies ewige feierliche Pathos werde auf die Dauer doch langweilig.
Von dem europäiſchen Ruhme ſeiner Vorgänger Humboldt und Nie- buhr fiel ein Abglanz zurück auf Bunſen’s jugendlichen Scheitel; die nam- haften Fremden, die ſich ſeiner Gaſtfreundſchaft erfreut, die Engländer zumal, erzählten überall von dem Zauber ſeines Umgangs und der Un- ermeßlichkeit ſeines Wiſſens. So ward er berühmt noch bevor er Erheb-
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
Rechtszuſtand für das geſammte Staatsgebiet geſchaffen; denn nach pro-
teſtantiſcher Logik ſchien es undenkbar, daß die römiſche Kirche ein Geſetz,
das ſie in Schleſien ſeit zwanzig Jahren unweigerlich befolgte, in Weſt-
phalen und am Rhein bekämpfen ſollte. Man mußte jedoch bald lernen,
daß Rom niemals freiwillig einen Beſitzſtand aufgiebt. Die rheiniſchen
Prieſter umgingen das neue Geſetz, unbekümmert um das gute Beiſpiel
ihrer ſchleſiſchen Amtsbrüder. Sie verweigerten die Einſegnung gemiſchter
Ehen ohne Angabe von Gründen, da ſie nicht mehr wagten, den Braut-
leuten das förmliche Verſprechen der katholiſchen Kindererziehung abzu-
fordern; und ſelbſt die wohlmeinenden Biſchöfe Spiegel und Hommer ver-
mochten dem Unweſen nicht zu ſteuern, weil die in den rheiniſchen Krumm-
ſtabslanden noch beſtehenden alten kirchlichen Vorſchriften ohne päpſtlichen
Dispens nicht abgeändert werden durften.
Da bot ſich ein Helfer in der Noth: der neue Vertreter Preußens
beim römiſchen Hofe, C. K. Joſias Bunſen. Was hätte er ſich damals
auch nicht zugetraut, dieſer Liebling des Glücks, in den erſten Jahren
ſeiner vielbeneideten Erfolge! In kleinen Verhältniſſen aufgewachſen, dann
durch Niebuhr in die diplomatiſche Laufbahn eingeführt und nach wenigen
Jahren ſchon des Meiſters Nachfolger, errang er ſich in der römiſchen
Geſellſchaft bald eine günſtige Stellung durch das ſtärkſte und wirkſamſte
ſeiner mannichfaltigen Talente, die ganz eigenthümliche Kunſt belebender
und anregender Unterhaltung. In dem Palaſte Caffarelli auf der Höhe
des Capitols, wo die preußiſche Geſandtſchaft jetzt hauſte, fand ſich Alles
zuſammen, was die Weltſtadt an geiſtreichen Menſchen, Fremden und
Einheimiſchen beherbergte, und noch nach langen Jahren gedachten alle
alten „Capitoliner“, wo immer in der Welt ſie einander begegneten, mit
dankbarer Freude jener prunkloſen und doch ſo reizvollen Geſelligkeit, deren
ſie einſt bei Bunſen und ſeiner edlen Frau, einer vornehmen Engländerin
genoſſen hatten. Der Hausherr, ein bildſchöner Mann mit leuchtenden
Prophetenaugen, wußte aus der Fülle ſeiner Gedanken und ſeiner allſei-
tigen Beleſenheit jedem Gaſte etwas zu bieten. Die jungen Talente unter
den Künſtlern und Gelehrten ſchloſſen ſich ihm begeiſtert an, er förderte
ihre Entwicklung mit feinſinnigem Verſtändniß, und ſie ließen ſich’s gern
gefallen, daß er die Ideen ſeiner Schützlinge ganz unbedenklich in Wort
und Schrift für ſich ſelber ausnutzte. Das zweifelloſe Selbſtgefühl, das
aus jeder ſeiner Mienen ſprach, heiſchte und erzwang Bewunderung; nur
ſelten einmal wagte ein unbefangenes Weltkind flüſternd zu bemerken,
dies ewige feierliche Pathos werde auf die Dauer doch langweilig.
Von dem europäiſchen Ruhme ſeiner Vorgänger Humboldt und Nie-
buhr fiel ein Abglanz zurück auf Bunſen’s jugendlichen Scheitel; die nam-
haften Fremden, die ſich ſeiner Gaſtfreundſchaft erfreut, die Engländer
zumal, erzählten überall von dem Zauber ſeines Umgangs und der Un-
ermeßlichkeit ſeines Wiſſens. So ward er berühmt noch bevor er Erheb-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/428>, abgerufen am 24.11.2024.
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