Dort lehrte Scheibel, ein Geistlicher von hartem Kopfe und gläubigem Herzen, der völlig unberührt von den Ideen der neuen theologischen Wis- senschaft, noch ganz im Stile der Flacius und Heshusius den reformirten Cultus als Isisdienst verdammte und den Anordnungen des heidnischen Kirchenregiments mit der unbelehrbaren Zanksucht des berufenen Zions- wächters, ja mit offenbarem Hohne widersprach. Neben ihm stand der Jurist Huschke, ein phantastischer Grübler, und der ruhelose Steffens, der in einer Schrift über den wahren Glauben die Unfehlbarkeit seines harten skandinavischen Lutherthums vertheidigte.
Dem Bestande der Landeskirche konnte diese so bunt gemischte Oppo- sition nicht gefährlich werden, wenn das Kirchenregiment duldsam genug war Allen, die sich nicht von freien Stücken zur Annahme der Agende verstehen wollten, den Austritt frei zu stellen. Altenstein aber verharrte, gleich seinem Könige, unwandelbar bei der alten territorialistischen Rechts- ansicht, wonach jeder preußische Protestant der Landeskirche angehören mußte. Das Verständniß für die Energie der streng-kirchlichen Gesinnung fehlte dem aufgeklärten Minister gänzlich; an seinem gastlichen Tische wurde zuweilen kühl die Frage erörtert, ob das Christenthum noch zwanzig oder fünfzig Jahre dauern werde. Ihm war es genug, wenn das religiöse Gefühl ein gewisses anständiges Mittelmaß nicht überschritt, und er glaubte nur den öffentlichen Frieden zu wahren, als er (1825) eine scharfe Ver- fügung wider die "verkehrten und unstatthaften" Richtungen des Pietis- mus, Mysticismus und Separatismus erließ. Wie dankbar hatte einst die öffentliche Meinung noch in Friedrich Wilhelm's ersten Regierungs- jahren ähnliche Aeußerungen der aufgeklärten Gesinnung des Monarchen hingenommen. Jetzt erregte die wohlgemeinte Warnung des Ministers selbst unter Männern, welche seine Ansicht theilten, gerechtes Befremden. Solche meisternde Eingriffe der Staatsgewalt in das innere Leben der Kirche vertrug die Zeit nicht mehr. Es blieb ein unlösbarer Widerspruch, daß ein Staat, der ein zu zwei Fünfteln katholisches Volk beherrschte und allen Confessionen gerecht werden wollte, gleichwohl seinen Protestanten vor- schrieb, in welchem Sinne sie die Heilswahrheiten ihres Glaubens zu ver- stehen hätten.
Die nämlichen Waffen einer veralteten Kirchenpolitik benutzte Alten- stein auch um die Agende durchzusetzen. Gewiß beabsichtigte der philoso- phische Minister ebenso wenig wie sein frommer Monarch irgend eine Be- drückung der Gewissen; aber da die Kirche noch keine geordnete Gemeinde- vertretung besaß, so lag das Schicksal der Agende zunächst in der Hand der Geistlichen, und diese waren -- Altenstein wußte es nicht anders -- seine Untergebenen. Auch der König hielt scharfe Vermahnungen für er- laubt, denn die böswillige Verdächtigung seiner evangelischen Glaubens- treue kränkte ihn in tiefster Seele. Er sah nicht, wie heiße Thränen um dieser Agende willen flossen; seine weltklugen Hofbischöfe Eylert und
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 26
Widerſtand der Altlutheraner.
Dort lehrte Scheibel, ein Geiſtlicher von hartem Kopfe und gläubigem Herzen, der völlig unberührt von den Ideen der neuen theologiſchen Wiſ- ſenſchaft, noch ganz im Stile der Flacius und Heshuſius den reformirten Cultus als Iſisdienſt verdammte und den Anordnungen des heidniſchen Kirchenregiments mit der unbelehrbaren Zankſucht des berufenen Zions- wächters, ja mit offenbarem Hohne widerſprach. Neben ihm ſtand der Juriſt Huſchke, ein phantaſtiſcher Grübler, und der ruheloſe Steffens, der in einer Schrift über den wahren Glauben die Unfehlbarkeit ſeines harten ſkandinaviſchen Lutherthums vertheidigte.
Dem Beſtande der Landeskirche konnte dieſe ſo bunt gemiſchte Oppo- ſition nicht gefährlich werden, wenn das Kirchenregiment duldſam genug war Allen, die ſich nicht von freien Stücken zur Annahme der Agende verſtehen wollten, den Austritt frei zu ſtellen. Altenſtein aber verharrte, gleich ſeinem Könige, unwandelbar bei der alten territorialiſtiſchen Rechts- anſicht, wonach jeder preußiſche Proteſtant der Landeskirche angehören mußte. Das Verſtändniß für die Energie der ſtreng-kirchlichen Geſinnung fehlte dem aufgeklärten Miniſter gänzlich; an ſeinem gaſtlichen Tiſche wurde zuweilen kühl die Frage erörtert, ob das Chriſtenthum noch zwanzig oder fünfzig Jahre dauern werde. Ihm war es genug, wenn das religiöſe Gefühl ein gewiſſes anſtändiges Mittelmaß nicht überſchritt, und er glaubte nur den öffentlichen Frieden zu wahren, als er (1825) eine ſcharfe Ver- fügung wider die „verkehrten und unſtatthaften“ Richtungen des Pietis- mus, Myſticismus und Separatismus erließ. Wie dankbar hatte einſt die öffentliche Meinung noch in Friedrich Wilhelm’s erſten Regierungs- jahren ähnliche Aeußerungen der aufgeklärten Geſinnung des Monarchen hingenommen. Jetzt erregte die wohlgemeinte Warnung des Miniſters ſelbſt unter Männern, welche ſeine Anſicht theilten, gerechtes Befremden. Solche meiſternde Eingriffe der Staatsgewalt in das innere Leben der Kirche vertrug die Zeit nicht mehr. Es blieb ein unlösbarer Widerſpruch, daß ein Staat, der ein zu zwei Fünfteln katholiſches Volk beherrſchte und allen Confeſſionen gerecht werden wollte, gleichwohl ſeinen Proteſtanten vor- ſchrieb, in welchem Sinne ſie die Heilswahrheiten ihres Glaubens zu ver- ſtehen hätten.
Die nämlichen Waffen einer veralteten Kirchenpolitik benutzte Alten- ſtein auch um die Agende durchzuſetzen. Gewiß beabſichtigte der philoſo- phiſche Miniſter ebenſo wenig wie ſein frommer Monarch irgend eine Be- drückung der Gewiſſen; aber da die Kirche noch keine geordnete Gemeinde- vertretung beſaß, ſo lag das Schickſal der Agende zunächſt in der Hand der Geiſtlichen, und dieſe waren — Altenſtein wußte es nicht anders — ſeine Untergebenen. Auch der König hielt ſcharfe Vermahnungen für er- laubt, denn die böswillige Verdächtigung ſeiner evangeliſchen Glaubens- treue kränkte ihn in tiefſter Seele. Er ſah nicht, wie heiße Thränen um dieſer Agende willen floſſen; ſeine weltklugen Hofbiſchöfe Eylert und
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 26
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Widerſtand der Altlutheraner.
Dort lehrte Scheibel, ein Geiſtlicher von hartem Kopfe und gläubigem
Herzen, der völlig unberührt von den Ideen der neuen theologiſchen Wiſ-
ſenſchaft, noch ganz im Stile der Flacius und Heshuſius den reformirten
Cultus als Iſisdienſt verdammte und den Anordnungen des heidniſchen
Kirchenregiments mit der unbelehrbaren Zankſucht des berufenen Zions-
wächters, ja mit offenbarem Hohne widerſprach. Neben ihm ſtand der
Juriſt Huſchke, ein phantaſtiſcher Grübler, und der ruheloſe Steffens,
der in einer Schrift über den wahren Glauben die Unfehlbarkeit ſeines
harten ſkandinaviſchen Lutherthums vertheidigte.
Dem Beſtande der Landeskirche konnte dieſe ſo bunt gemiſchte Oppo-
ſition nicht gefährlich werden, wenn das Kirchenregiment duldſam genug
war Allen, die ſich nicht von freien Stücken zur Annahme der Agende
verſtehen wollten, den Austritt frei zu ſtellen. Altenſtein aber verharrte,
gleich ſeinem Könige, unwandelbar bei der alten territorialiſtiſchen Rechts-
anſicht, wonach jeder preußiſche Proteſtant der Landeskirche angehören mußte.
Das Verſtändniß für die Energie der ſtreng-kirchlichen Geſinnung fehlte
dem aufgeklärten Miniſter gänzlich; an ſeinem gaſtlichen Tiſche wurde
zuweilen kühl die Frage erörtert, ob das Chriſtenthum noch zwanzig oder
fünfzig Jahre dauern werde. Ihm war es genug, wenn das religiöſe
Gefühl ein gewiſſes anſtändiges Mittelmaß nicht überſchritt, und er glaubte
nur den öffentlichen Frieden zu wahren, als er (1825) eine ſcharfe Ver-
fügung wider die „verkehrten und unſtatthaften“ Richtungen des Pietis-
mus, Myſticismus und Separatismus erließ. Wie dankbar hatte einſt
die öffentliche Meinung noch in Friedrich Wilhelm’s erſten Regierungs-
jahren ähnliche Aeußerungen der aufgeklärten Geſinnung des Monarchen
hingenommen. Jetzt erregte die wohlgemeinte Warnung des Miniſters
ſelbſt unter Männern, welche ſeine Anſicht theilten, gerechtes Befremden.
Solche meiſternde Eingriffe der Staatsgewalt in das innere Leben der
Kirche vertrug die Zeit nicht mehr. Es blieb ein unlösbarer Widerſpruch,
daß ein Staat, der ein zu zwei Fünfteln katholiſches Volk beherrſchte und
allen Confeſſionen gerecht werden wollte, gleichwohl ſeinen Proteſtanten vor-
ſchrieb, in welchem Sinne ſie die Heilswahrheiten ihres Glaubens zu ver-
ſtehen hätten.
Die nämlichen Waffen einer veralteten Kirchenpolitik benutzte Alten-
ſtein auch um die Agende durchzuſetzen. Gewiß beabſichtigte der philoſo-
phiſche Miniſter ebenſo wenig wie ſein frommer Monarch irgend eine Be-
drückung der Gewiſſen; aber da die Kirche noch keine geordnete Gemeinde-
vertretung beſaß, ſo lag das Schickſal der Agende zunächſt in der Hand
der Geiſtlichen, und dieſe waren — Altenſtein wußte es nicht anders —
ſeine Untergebenen. Auch der König hielt ſcharfe Vermahnungen für er-
laubt, denn die böswillige Verdächtigung ſeiner evangeliſchen Glaubens-
treue kränkte ihn in tiefſter Seele. Er ſah nicht, wie heiße Thränen
um dieſer Agende willen floſſen; ſeine weltklugen Hofbiſchöfe Eylert und
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 26
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/417>, abgerufen am 24.11.2024.
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