III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
gann man schon zu befürchten, der kernhafte alte Bauernstand würde bald gänzlich ausgekauft sein. Darum verlangte die Regierung das Gut- achten der Landstände über einige beschränkende Maßregeln: sie dachte das Zerschlagen der Bauerngüter fortan nur mit Zustimmung der Ge- meinde und nur bis zu einer gewissen Grenze zu gestatten, auch sollte dem Erben sein Hof, nach den Grundsätzen des alten Anerbenrechts, zu einem niedrigen Preise angerechnet werden. Aber nur wenige Landtage antworteten zustimmend; am willigsten die Westphalen, denn dort im Lande der großen Bauernhöfe war fast Jedermann -- Vincke so gut wie Stein, der Adel so gut wie die Bauerschaft -- von der Nothwendigkeit der gebundenen Erbfolge überzeugt. In den alten Provinzen hingegen äußerten sich die Bauern sehr unwirsch: nur die Sitte, nicht der Staat dürfe ihnen die freie Verfügung über ihr Eigen beengen. Also scheiterten die wohlgemeinten, freilich noch ganz unreifen Reformgedanken an einem Widerstande, der liberal schien, aber in Wahrheit aus mißtrauischem Bauerntrotz entsprang, und erst in einer weit späteren Zeit sollten sie tiefer durchdacht wiederkehren.
Wie fern lag diesen hochconservativen Körperschaften das Bestreben, sich gleich den süddeutschen Landtagen belebend und belebt mit der öffent- lichen Meinung zu berühren. Bald genug fühlten sie sich wohl in der Heimlichkeit ihrer Berathungen und bewachten das Geheimniß noch ängst- licher als die Regierung selbst. Als die schlesischen Stände im Jahre 1829 arg übertreibend wegen der Ueberbürdung ihrer Provinz klagten, schrieb der Finanzminister Motz eine gründliche Widerlegung, die mit dem Land- tagsabschiede veröffentlicht wurde und in der Presse verdiente Anerkennung fand. Der Landtag aber fühlte sich durch den Tadel, der in diesem Lobe lag, tief beleidigt, er erhob Beschwerde in Berlin und mußte von dem Könige die beschämende Zurechtweisung hinnehmen: die Krone selbst ge- statte den Zeitungen eine freimüthige und anständige Kritik über ihre eigenen Beschlüsse, auch die getreuen Stände sollten lernen sich daran zu gewöhnen. --
Dieselbe zähe Anhänglichkeit an den alten Landesbrauch, die auf den Provinziallandtagen des Ostens vorherrschte, führte auch im Düsseldorfer Ständesaale das große Wort; nur trug der Particularismus hier eine liberale Färbung, weil das rheinische Landesrecht der Revolution entstammte. Der Bestand der napoleonischen Gesetzgebung war neuerdings zum zweiten male ernstlich gefährdet, da ein gräßliches Ereigniß, das die Rheinländer schon seit dem Jahre 1816 in Athem hielt, den Gegnern des rheinischen Rechts neue Waffen in die Hand gab. Seit jener Zeit schon bezichtigte das allgemeine Gerücht den Kölner Kaufmann Fonk der Ermordung eines Handlungsdieners Cönen, dessen Leiche man damals im Rhein gefunden hatte. Fonk wurde zweimal verhaftet, zweimal nach langer Untersuchung frei gegeben, er verschmähte die Flucht über die nahe belgische Grenze. Das
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
gann man ſchon zu befürchten, der kernhafte alte Bauernſtand würde bald gänzlich ausgekauft ſein. Darum verlangte die Regierung das Gut- achten der Landſtände über einige beſchränkende Maßregeln: ſie dachte das Zerſchlagen der Bauerngüter fortan nur mit Zuſtimmung der Ge- meinde und nur bis zu einer gewiſſen Grenze zu geſtatten, auch ſollte dem Erben ſein Hof, nach den Grundſätzen des alten Anerbenrechts, zu einem niedrigen Preiſe angerechnet werden. Aber nur wenige Landtage antworteten zuſtimmend; am willigſten die Weſtphalen, denn dort im Lande der großen Bauernhöfe war faſt Jedermann — Vincke ſo gut wie Stein, der Adel ſo gut wie die Bauerſchaft — von der Nothwendigkeit der gebundenen Erbfolge überzeugt. In den alten Provinzen hingegen äußerten ſich die Bauern ſehr unwirſch: nur die Sitte, nicht der Staat dürfe ihnen die freie Verfügung über ihr Eigen beengen. Alſo ſcheiterten die wohlgemeinten, freilich noch ganz unreifen Reformgedanken an einem Widerſtande, der liberal ſchien, aber in Wahrheit aus mißtrauiſchem Bauerntrotz entſprang, und erſt in einer weit ſpäteren Zeit ſollten ſie tiefer durchdacht wiederkehren.
Wie fern lag dieſen hochconſervativen Körperſchaften das Beſtreben, ſich gleich den ſüddeutſchen Landtagen belebend und belebt mit der öffent- lichen Meinung zu berühren. Bald genug fühlten ſie ſich wohl in der Heimlichkeit ihrer Berathungen und bewachten das Geheimniß noch ängſt- licher als die Regierung ſelbſt. Als die ſchleſiſchen Stände im Jahre 1829 arg übertreibend wegen der Ueberbürdung ihrer Provinz klagten, ſchrieb der Finanzminiſter Motz eine gründliche Widerlegung, die mit dem Land- tagsabſchiede veröffentlicht wurde und in der Preſſe verdiente Anerkennung fand. Der Landtag aber fühlte ſich durch den Tadel, der in dieſem Lobe lag, tief beleidigt, er erhob Beſchwerde in Berlin und mußte von dem Könige die beſchämende Zurechtweiſung hinnehmen: die Krone ſelbſt ge- ſtatte den Zeitungen eine freimüthige und anſtändige Kritik über ihre eigenen Beſchlüſſe, auch die getreuen Stände ſollten lernen ſich daran zu gewöhnen. —
Dieſelbe zähe Anhänglichkeit an den alten Landesbrauch, die auf den Provinziallandtagen des Oſtens vorherrſchte, führte auch im Düſſeldorfer Ständeſaale das große Wort; nur trug der Particularismus hier eine liberale Färbung, weil das rheiniſche Landesrecht der Revolution entſtammte. Der Beſtand der napoleoniſchen Geſetzgebung war neuerdings zum zweiten male ernſtlich gefährdet, da ein gräßliches Ereigniß, das die Rheinländer ſchon ſeit dem Jahre 1816 in Athem hielt, den Gegnern des rheiniſchen Rechts neue Waffen in die Hand gab. Seit jener Zeit ſchon bezichtigte das allgemeine Gerücht den Kölner Kaufmann Fonk der Ermordung eines Handlungsdieners Cönen, deſſen Leiche man damals im Rhein gefunden hatte. Fonk wurde zweimal verhaftet, zweimal nach langer Unterſuchung frei gegeben, er verſchmähte die Flucht über die nahe belgiſche Grenze. Das
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
gann man ſchon zu befürchten, der kernhafte alte Bauernſtand würde
bald gänzlich ausgekauft ſein. Darum verlangte die Regierung das Gut-
achten der Landſtände über einige beſchränkende Maßregeln: ſie dachte
das Zerſchlagen der Bauerngüter fortan nur mit Zuſtimmung der Ge-
meinde und nur bis zu einer gewiſſen Grenze zu geſtatten, auch ſollte
dem Erben ſein Hof, nach den Grundſätzen des alten Anerbenrechts, zu
einem niedrigen Preiſe angerechnet werden. Aber nur wenige Landtage
antworteten zuſtimmend; am willigſten die Weſtphalen, denn dort im
Lande der großen Bauernhöfe war faſt Jedermann — Vincke ſo gut wie
Stein, der Adel ſo gut wie die Bauerſchaft — von der Nothwendigkeit
der gebundenen Erbfolge überzeugt. In den alten Provinzen hingegen
äußerten ſich die Bauern ſehr unwirſch: nur die Sitte, nicht der Staat
dürfe ihnen die freie Verfügung über ihr Eigen beengen. Alſo ſcheiterten
die wohlgemeinten, freilich noch ganz unreifen Reformgedanken an einem
Widerſtande, der liberal ſchien, aber in Wahrheit aus mißtrauiſchem
Bauerntrotz entſprang, und erſt in einer weit ſpäteren Zeit ſollten ſie
tiefer durchdacht wiederkehren.
Wie fern lag dieſen hochconſervativen Körperſchaften das Beſtreben,
ſich gleich den ſüddeutſchen Landtagen belebend und belebt mit der öffent-
lichen Meinung zu berühren. Bald genug fühlten ſie ſich wohl in der
Heimlichkeit ihrer Berathungen und bewachten das Geheimniß noch ängſt-
licher als die Regierung ſelbſt. Als die ſchleſiſchen Stände im Jahre 1829
arg übertreibend wegen der Ueberbürdung ihrer Provinz klagten, ſchrieb
der Finanzminiſter Motz eine gründliche Widerlegung, die mit dem Land-
tagsabſchiede veröffentlicht wurde und in der Preſſe verdiente Anerkennung
fand. Der Landtag aber fühlte ſich durch den Tadel, der in dieſem Lobe
lag, tief beleidigt, er erhob Beſchwerde in Berlin und mußte von dem
Könige die beſchämende Zurechtweiſung hinnehmen: die Krone ſelbſt ge-
ſtatte den Zeitungen eine freimüthige und anſtändige Kritik über ihre
eigenen Beſchlüſſe, auch die getreuen Stände ſollten lernen ſich daran zu
gewöhnen. —
Dieſelbe zähe Anhänglichkeit an den alten Landesbrauch, die auf den
Provinziallandtagen des Oſtens vorherrſchte, führte auch im Düſſeldorfer
Ständeſaale das große Wort; nur trug der Particularismus hier eine
liberale Färbung, weil das rheiniſche Landesrecht der Revolution entſtammte.
Der Beſtand der napoleoniſchen Geſetzgebung war neuerdings zum zweiten
male ernſtlich gefährdet, da ein gräßliches Ereigniß, das die Rheinländer
ſchon ſeit dem Jahre 1816 in Athem hielt, den Gegnern des rheiniſchen
Rechts neue Waffen in die Hand gab. Seit jener Zeit ſchon bezichtigte
das allgemeine Gerücht den Kölner Kaufmann Fonk der Ermordung eines
Handlungsdieners Cönen, deſſen Leiche man damals im Rhein gefunden
hatte. Fonk wurde zweimal verhaftet, zweimal nach langer Unterſuchung
frei gegeben, er verſchmähte die Flucht über die nahe belgiſche Grenze. Das
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/398>, abgerufen am 24.11.2024.
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