III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
Die würdige Haltung des westphälischen Landtags war vornehmlich dem Einfluß Stein's zu verdanken. Lieber als in seinem schönen Nassau, wo ihn Alles an den Verlust seiner Freiheit erinnerte und die Vielge- schäftigkeit des rheinbündischen Beamtenthums ihn beständig reizte, lebte der Freiherr jetzt auf seinem preußischen Dotationsgute, der alten Prä- monstratenserpropstei Cappenberg. Hier fühlte er sich heimisch. Mitten im Hofe seines einsamen Schlosses stand die ehrwürdige Kirche des heiligen Norbert, und wenn er auf seinen "braunen Hengst" gestützt auf der Ter- rasse lustwandelte, dann blickte er über die alten Eichen seiner Forsten hinweg ins Thal der Lippe und zum fernen Gebirge, weithinaus in das Land der rothen Erde, dem er einst die Kraft seiner ersten Mannesjahre gewidmet hatte. Auf Vincke's Vorschlag wurde er als der anerkannt erste Mann der Provinz zum Landtagsmarschall ernannt. Schwer heimgesucht von den Plagen des Alters und auf einem Auge schon erblindet, nahm er doch willig an und eröffnete in dem prächtigen Friedenssaale des Rath- hauses zu Münster den ersten Landtag mit einer Rede, worin er noch einmal auf den sittlichen Zweck der politischen Freiheit hinwies. Er hieß die neue Verfassung willkommen, weil sie helfen werde das Volk zur Selbstthätigkeit zu erziehen: "sie wird binden, bilden, heben, sie wird die Gemüther vereinen, indem sie alle nach einem Ziele streben, der Verherr- lichung des Vaterlandes; sie wird dem Einzelnen ein Gefühl seines Werthes geben, indem sie seine edleren und besseren Kräfte in Anspruch nimmt." Leicht war es nicht unter Stein's Vorsitz zu tagen, seine Hef- tigkeit hatte sich mit den Jahren nicht gemildert. Sobald er eintrat, ver- stummten alle Gespräche, und wehe dann Jedem, der durch unnützes Ge- schwätz die Verhandlung erschwerte; auch ungerecht konnte er werden, wenn er etwa zu bemerken glaubte, daß ein "Bauernadvocat" die Land- leute gegen das bewährte alte Sachsenrecht aufwiegelte; selbst mit Vincke, dem Landtagscommissar, gerieth er wegen der Einrichtung des Katasters hart an einander, und die beiden Eisenköpfe konnten sich niemals wieder ganz versöhnen. Aber die sittliche Hoheit des gewaltigen Mannes hob die ganze Versammlung; aus jedem seiner Worte sprach die warme Liebe zu seiner anderen Heimath. In der Leitung der Geschäfte bewährte er noch die alte Meisterschaft, alle Lebensverhältnisse des Landes kannte er aus dem Grunde, und die Bauern wußten wohl, daß sie doch auf der Welt keinen besseren Freund besaßen, als diesen Stolzen, der jetzt im Alter seine aristokratische Gesinnung so oft mit verletzender Schroffheit aussprach.
Auch in den anderen Landtagen bekundete sich viel Menschenverstand und praktische Lebenserfahrung; die Anhänglichkeit an den König, die sich in den Adressen der Stände oft mit kindlicher Einfalt äußerte, schloß den ehrlichen Freimuth keineswegs aus. An die Verwaltung der ihnen über- lassenen Communalanstalten gingen die Landstände fast überall mit freu-
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
Die würdige Haltung des weſtphäliſchen Landtags war vornehmlich dem Einfluß Stein’s zu verdanken. Lieber als in ſeinem ſchönen Naſſau, wo ihn Alles an den Verluſt ſeiner Freiheit erinnerte und die Vielge- ſchäftigkeit des rheinbündiſchen Beamtenthums ihn beſtändig reizte, lebte der Freiherr jetzt auf ſeinem preußiſchen Dotationsgute, der alten Prä- monſtratenſerpropſtei Cappenberg. Hier fühlte er ſich heimiſch. Mitten im Hofe ſeines einſamen Schloſſes ſtand die ehrwürdige Kirche des heiligen Norbert, und wenn er auf ſeinen „braunen Hengſt“ geſtützt auf der Ter- raſſe luſtwandelte, dann blickte er über die alten Eichen ſeiner Forſten hinweg ins Thal der Lippe und zum fernen Gebirge, weithinaus in das Land der rothen Erde, dem er einſt die Kraft ſeiner erſten Mannesjahre gewidmet hatte. Auf Vincke’s Vorſchlag wurde er als der anerkannt erſte Mann der Provinz zum Landtagsmarſchall ernannt. Schwer heimgeſucht von den Plagen des Alters und auf einem Auge ſchon erblindet, nahm er doch willig an und eröffnete in dem prächtigen Friedensſaale des Rath- hauſes zu Münſter den erſten Landtag mit einer Rede, worin er noch einmal auf den ſittlichen Zweck der politiſchen Freiheit hinwies. Er hieß die neue Verfaſſung willkommen, weil ſie helfen werde das Volk zur Selbſtthätigkeit zu erziehen: „ſie wird binden, bilden, heben, ſie wird die Gemüther vereinen, indem ſie alle nach einem Ziele ſtreben, der Verherr- lichung des Vaterlandes; ſie wird dem Einzelnen ein Gefühl ſeines Werthes geben, indem ſie ſeine edleren und beſſeren Kräfte in Anſpruch nimmt.“ Leicht war es nicht unter Stein’s Vorſitz zu tagen, ſeine Hef- tigkeit hatte ſich mit den Jahren nicht gemildert. Sobald er eintrat, ver- ſtummten alle Geſpräche, und wehe dann Jedem, der durch unnützes Ge- ſchwätz die Verhandlung erſchwerte; auch ungerecht konnte er werden, wenn er etwa zu bemerken glaubte, daß ein „Bauernadvocat“ die Land- leute gegen das bewährte alte Sachſenrecht aufwiegelte; ſelbſt mit Vincke, dem Landtagscommiſſar, gerieth er wegen der Einrichtung des Kataſters hart an einander, und die beiden Eiſenköpfe konnten ſich niemals wieder ganz verſöhnen. Aber die ſittliche Hoheit des gewaltigen Mannes hob die ganze Verſammlung; aus jedem ſeiner Worte ſprach die warme Liebe zu ſeiner anderen Heimath. In der Leitung der Geſchäfte bewährte er noch die alte Meiſterſchaft, alle Lebensverhältniſſe des Landes kannte er aus dem Grunde, und die Bauern wußten wohl, daß ſie doch auf der Welt keinen beſſeren Freund beſaßen, als dieſen Stolzen, der jetzt im Alter ſeine ariſtokratiſche Geſinnung ſo oft mit verletzender Schroffheit ausſprach.
Auch in den anderen Landtagen bekundete ſich viel Menſchenverſtand und praktiſche Lebenserfahrung; die Anhänglichkeit an den König, die ſich in den Adreſſen der Stände oft mit kindlicher Einfalt äußerte, ſchloß den ehrlichen Freimuth keineswegs aus. An die Verwaltung der ihnen über- laſſenen Communalanſtalten gingen die Landſtände faſt überall mit freu-
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
Die würdige Haltung des weſtphäliſchen Landtags war vornehmlich
dem Einfluß Stein’s zu verdanken. Lieber als in ſeinem ſchönen Naſſau,
wo ihn Alles an den Verluſt ſeiner Freiheit erinnerte und die Vielge-
ſchäftigkeit des rheinbündiſchen Beamtenthums ihn beſtändig reizte, lebte
der Freiherr jetzt auf ſeinem preußiſchen Dotationsgute, der alten Prä-
monſtratenſerpropſtei Cappenberg. Hier fühlte er ſich heimiſch. Mitten
im Hofe ſeines einſamen Schloſſes ſtand die ehrwürdige Kirche des heiligen
Norbert, und wenn er auf ſeinen „braunen Hengſt“ geſtützt auf der Ter-
raſſe luſtwandelte, dann blickte er über die alten Eichen ſeiner Forſten
hinweg ins Thal der Lippe und zum fernen Gebirge, weithinaus in das
Land der rothen Erde, dem er einſt die Kraft ſeiner erſten Mannesjahre
gewidmet hatte. Auf Vincke’s Vorſchlag wurde er als der anerkannt erſte
Mann der Provinz zum Landtagsmarſchall ernannt. Schwer heimgeſucht
von den Plagen des Alters und auf einem Auge ſchon erblindet, nahm
er doch willig an und eröffnete in dem prächtigen Friedensſaale des Rath-
hauſes zu Münſter den erſten Landtag mit einer Rede, worin er noch
einmal auf den ſittlichen Zweck der politiſchen Freiheit hinwies. Er hieß
die neue Verfaſſung willkommen, weil ſie helfen werde das Volk zur
Selbſtthätigkeit zu erziehen: „ſie wird binden, bilden, heben, ſie wird die
Gemüther vereinen, indem ſie alle nach einem Ziele ſtreben, der Verherr-
lichung des Vaterlandes; ſie wird dem Einzelnen ein Gefühl ſeines
Werthes geben, indem ſie ſeine edleren und beſſeren Kräfte in Anſpruch
nimmt.“ Leicht war es nicht unter Stein’s Vorſitz zu tagen, ſeine Hef-
tigkeit hatte ſich mit den Jahren nicht gemildert. Sobald er eintrat, ver-
ſtummten alle Geſpräche, und wehe dann Jedem, der durch unnützes Ge-
ſchwätz die Verhandlung erſchwerte; auch ungerecht konnte er werden,
wenn er etwa zu bemerken glaubte, daß ein „Bauernadvocat“ die Land-
leute gegen das bewährte alte Sachſenrecht aufwiegelte; ſelbſt mit Vincke,
dem Landtagscommiſſar, gerieth er wegen der Einrichtung des Kataſters
hart an einander, und die beiden Eiſenköpfe konnten ſich niemals wieder
ganz verſöhnen. Aber die ſittliche Hoheit des gewaltigen Mannes hob
die ganze Verſammlung; aus jedem ſeiner Worte ſprach die warme Liebe
zu ſeiner anderen Heimath. In der Leitung der Geſchäfte bewährte er
noch die alte Meiſterſchaft, alle Lebensverhältniſſe des Landes kannte er
aus dem Grunde, und die Bauern wußten wohl, daß ſie doch auf der
Welt keinen beſſeren Freund beſaßen, als dieſen Stolzen, der jetzt im
Alter ſeine ariſtokratiſche Geſinnung ſo oft mit verletzender Schroffheit
ausſprach.
Auch in den anderen Landtagen bekundete ſich viel Menſchenverſtand
und praktiſche Lebenserfahrung; die Anhänglichkeit an den König, die ſich
in den Adreſſen der Stände oft mit kindlicher Einfalt äußerte, ſchloß den
ehrlichen Freimuth keineswegs aus. An die Verwaltung der ihnen über-
laſſenen Communalanſtalten gingen die Landſtände faſt überall mit freu-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/384>, abgerufen am 24.11.2024.
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