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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
aus dem krausen Durcheinander politischer Gegensätze, das in den Ver-
handlungen der neuen Provinziallandtage zu Tage kam. Am Geburts-
tage des Königs, 3. Aug. 1823, wurden das allgemeine Gesetz über die
Provinzialstände vom 5. Juni und die besonderen Gesetze für Brandenburg,
Preußen, Pommern vom 1. Juli verkündigt. Dann folgten, 27. März
1824, die Gesetze für die übrigen fünf Provinzen. In den Jahren 1824
bis 1827 wurden sodann die Provinziallandtage versammelt, zuerst in
Brandenburg, zuletzt in Posen. Von der Richtigkeit der getroffenen Ent-
scheidung war der König jetzt tief überzeugt, und was er in jüngster Zeit
von den Früchten des süddeutschen Kammerwesens kennen gelernt hatte,
die unstete Haltung des Stuttgarter Hofes und die beständigen Angstrufe
aus Baiern und Baden konnten ihn in seiner Meinung nur bestärken. Er
ließ die neuen Gesetze allen Gesandtschaften zugehen mit der Erklärung,
die politische Ideenverwirrung der Zeit und die Mannichfaltigkeit der Pro-
vinzialverhältnisse hätten den Abschluß der Arbeit verzögert. Die Höfe und
die Diplomaten überboten sich natürlich in Aeußerungen dankbarer Be-
wunderung. Berstett war ebenso entzückt wie der alte König von Sachsen,
Rechberg lobte vornehmlich die starke Vertretung des Adels. Der badische
Gesandte sprach die Hoffnung aus, daß nunmehr das allgemeine Urtheil
über Verfassungsleben sich ändern werde, und Bunsen schilderte in einem
salbungsvollen Berichte die Freude aller gutgesinnten Römer: wie leicht
seien solche Gesetze in Deutschland, wie schwer in Italien; "wer wird bei
solchen Betrachtungen nicht vor Allem den Geist der Reformation segnen!"
Nur der alte Deutsch-Franzose Reinhard in Frankfurt konnte sich's nicht
versagen, in einer boshaften Denkschrift auf die Unzufriedenheit der Rhein-
länder hinzuweisen.*) --

Die öffentliche Meinung in den Kleinstaaten empfing das Werk, das
von ihren constitutionellen Idealen so weit ab lag, anfangs mit eisigem
Stillschweigen. Das Journal des Debats war das erste Blatt, das die
neuen Gesetze eingehend besprach, und als die deutschen Zeitungen endlich
redeten, ging ihr Urtheil fast einstimmig dahin: die Erwartungen der
Nation seien getäuscht, in Preußen bleibe Alles beim Alten. Die Preußen
selbst empfanden anders. In der Masse des Volkes hatte das Verlangen
nach Reichsständen niemals tiefe Wurzeln geschlagen, und auch die Männer,
welche einst Größeres erhofft, waren von monarchischer Gesinnung so ganz
durchdrungen, daß sie jetzt das Gebotene dankbar annahmen und die Pro-
vinzialstände mindestens als den Unterbau der künftigen Verfassung gelten
ließen. So dachten Stein, Humboldt, Vincke, Schön. Selbst in den
liberalen Kreisen, denen General Pfuel und der Vater Theodor Körner's

*) Berichte von Küster 21. Aug., Jordan 18. Aug., Zastrow 17. Aug., Meyern
in Berlin 9. Aug., Bunsen 30. Aug.; Denkschrift von Reinhard, an Küster übergeben
August 1823.

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
aus dem krauſen Durcheinander politiſcher Gegenſätze, das in den Ver-
handlungen der neuen Provinziallandtage zu Tage kam. Am Geburts-
tage des Königs, 3. Aug. 1823, wurden das allgemeine Geſetz über die
Provinzialſtände vom 5. Juni und die beſonderen Geſetze für Brandenburg,
Preußen, Pommern vom 1. Juli verkündigt. Dann folgten, 27. März
1824, die Geſetze für die übrigen fünf Provinzen. In den Jahren 1824
bis 1827 wurden ſodann die Provinziallandtage verſammelt, zuerſt in
Brandenburg, zuletzt in Poſen. Von der Richtigkeit der getroffenen Ent-
ſcheidung war der König jetzt tief überzeugt, und was er in jüngſter Zeit
von den Früchten des ſüddeutſchen Kammerweſens kennen gelernt hatte,
die unſtete Haltung des Stuttgarter Hofes und die beſtändigen Angſtrufe
aus Baiern und Baden konnten ihn in ſeiner Meinung nur beſtärken. Er
ließ die neuen Geſetze allen Geſandtſchaften zugehen mit der Erklärung,
die politiſche Ideenverwirrung der Zeit und die Mannichfaltigkeit der Pro-
vinzialverhältniſſe hätten den Abſchluß der Arbeit verzögert. Die Höfe und
die Diplomaten überboten ſich natürlich in Aeußerungen dankbarer Be-
wunderung. Berſtett war ebenſo entzückt wie der alte König von Sachſen,
Rechberg lobte vornehmlich die ſtarke Vertretung des Adels. Der badiſche
Geſandte ſprach die Hoffnung aus, daß nunmehr das allgemeine Urtheil
über Verfaſſungsleben ſich ändern werde, und Bunſen ſchilderte in einem
ſalbungsvollen Berichte die Freude aller gutgeſinnten Römer: wie leicht
ſeien ſolche Geſetze in Deutſchland, wie ſchwer in Italien; „wer wird bei
ſolchen Betrachtungen nicht vor Allem den Geiſt der Reformation ſegnen!“
Nur der alte Deutſch-Franzoſe Reinhard in Frankfurt konnte ſich’s nicht
verſagen, in einer boshaften Denkſchrift auf die Unzufriedenheit der Rhein-
länder hinzuweiſen.*)

Die öffentliche Meinung in den Kleinſtaaten empfing das Werk, das
von ihren conſtitutionellen Idealen ſo weit ab lag, anfangs mit eiſigem
Stillſchweigen. Das Journal des Debats war das erſte Blatt, das die
neuen Geſetze eingehend beſprach, und als die deutſchen Zeitungen endlich
redeten, ging ihr Urtheil faſt einſtimmig dahin: die Erwartungen der
Nation ſeien getäuſcht, in Preußen bleibe Alles beim Alten. Die Preußen
ſelbſt empfanden anders. In der Maſſe des Volkes hatte das Verlangen
nach Reichsſtänden niemals tiefe Wurzeln geſchlagen, und auch die Männer,
welche einſt Größeres erhofft, waren von monarchiſcher Geſinnung ſo ganz
durchdrungen, daß ſie jetzt das Gebotene dankbar annahmen und die Pro-
vinzialſtände mindeſtens als den Unterbau der künftigen Verfaſſung gelten
ließen. So dachten Stein, Humboldt, Vincke, Schön. Selbſt in den
liberalen Kreiſen, denen General Pfuel und der Vater Theodor Körner’s

*) Berichte von Küſter 21. Aug., Jordan 18. Aug., Zaſtrow 17. Aug., Meyern
in Berlin 9. Aug., Bunſen 30. Aug.; Denkſchrift von Reinhard, an Küſter übergeben
Auguſt 1823.
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[364/0380] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. aus dem krauſen Durcheinander politiſcher Gegenſätze, das in den Ver- handlungen der neuen Provinziallandtage zu Tage kam. Am Geburts- tage des Königs, 3. Aug. 1823, wurden das allgemeine Geſetz über die Provinzialſtände vom 5. Juni und die beſonderen Geſetze für Brandenburg, Preußen, Pommern vom 1. Juli verkündigt. Dann folgten, 27. März 1824, die Geſetze für die übrigen fünf Provinzen. In den Jahren 1824 bis 1827 wurden ſodann die Provinziallandtage verſammelt, zuerſt in Brandenburg, zuletzt in Poſen. Von der Richtigkeit der getroffenen Ent- ſcheidung war der König jetzt tief überzeugt, und was er in jüngſter Zeit von den Früchten des ſüddeutſchen Kammerweſens kennen gelernt hatte, die unſtete Haltung des Stuttgarter Hofes und die beſtändigen Angſtrufe aus Baiern und Baden konnten ihn in ſeiner Meinung nur beſtärken. Er ließ die neuen Geſetze allen Geſandtſchaften zugehen mit der Erklärung, die politiſche Ideenverwirrung der Zeit und die Mannichfaltigkeit der Pro- vinzialverhältniſſe hätten den Abſchluß der Arbeit verzögert. Die Höfe und die Diplomaten überboten ſich natürlich in Aeußerungen dankbarer Be- wunderung. Berſtett war ebenſo entzückt wie der alte König von Sachſen, Rechberg lobte vornehmlich die ſtarke Vertretung des Adels. Der badiſche Geſandte ſprach die Hoffnung aus, daß nunmehr das allgemeine Urtheil über Verfaſſungsleben ſich ändern werde, und Bunſen ſchilderte in einem ſalbungsvollen Berichte die Freude aller gutgeſinnten Römer: wie leicht ſeien ſolche Geſetze in Deutſchland, wie ſchwer in Italien; „wer wird bei ſolchen Betrachtungen nicht vor Allem den Geiſt der Reformation ſegnen!“ Nur der alte Deutſch-Franzoſe Reinhard in Frankfurt konnte ſich’s nicht verſagen, in einer boshaften Denkſchrift auf die Unzufriedenheit der Rhein- länder hinzuweiſen. *) — Die öffentliche Meinung in den Kleinſtaaten empfing das Werk, das von ihren conſtitutionellen Idealen ſo weit ab lag, anfangs mit eiſigem Stillſchweigen. Das Journal des Debats war das erſte Blatt, das die neuen Geſetze eingehend beſprach, und als die deutſchen Zeitungen endlich redeten, ging ihr Urtheil faſt einſtimmig dahin: die Erwartungen der Nation ſeien getäuſcht, in Preußen bleibe Alles beim Alten. Die Preußen ſelbſt empfanden anders. In der Maſſe des Volkes hatte das Verlangen nach Reichsſtänden niemals tiefe Wurzeln geſchlagen, und auch die Männer, welche einſt Größeres erhofft, waren von monarchiſcher Geſinnung ſo ganz durchdrungen, daß ſie jetzt das Gebotene dankbar annahmen und die Pro- vinzialſtände mindeſtens als den Unterbau der künftigen Verfaſſung gelten ließen. So dachten Stein, Humboldt, Vincke, Schön. Selbſt in den liberalen Kreiſen, denen General Pfuel und der Vater Theodor Körner’s *) Berichte von Küſter 21. Aug., Jordan 18. Aug., Zaſtrow 17. Aug., Meyern in Berlin 9. Aug., Bunſen 30. Aug.; Denkſchrift von Reinhard, an Küſter übergeben Auguſt 1823.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/380>, abgerufen am 18.05.2024.