III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
gestürzten Minister sein Wohlwollen nie ganz entzogen, er nannte ihn den fähigsten seiner Staatsmänner; allein dasselbe Bedenken, das schon vor fünf Jahren Humboldt's Berufung ins Auswärtige Amt verhindert hatte, schien auch jetzt noch unüberwindlich. Preußens Friedenspolitik stand und fiel mit dem Bunde der Ostmächte, und Friedrich Wilhelm traute sich die Kraft nicht zu, einen Mann, der in Petersburg und Wien gleich verhaßt war, an der Spitze seines Ministerraths zu halten. Etwas stilles Miß- trauen und die alte Scheu vor genialen Naturen mochten wohl mitwirken; genug, der König erklärte diese Ernennung für unmöglich.
In seiner Verlegenheit berief er sodann den alten Feldmarschall Kleist von Nollendorf, der bisher dem politischen Leben fern gestanden, doch schon vor Jahren als Generaladjutant durch seine Rechtschaffenheit und maß- volle Ruhe sich das persönliche Vertrauen des Monarchen erworben hatte. Aber auch er starb plötzlich, noch bevor er sein Amt angetreten hatte, und da der König sonst keinen geeigneten Mann zu finden wußte, so kam er jetzt auf einen Gedanken zurück, der ihm schon nach Voß's Tode aufgestiegen war. Er wollte fortan ohne einen leitenden Staatsmann, allein durch Fachminister regieren. Der regelmäßige Vortrag beim Könige wurde dem Grafen Lottum übertragen, der im Ministerrathe verblieb, aber die Ver- waltung des Staatsschatzes dem Finanzminister abtrat.*) Der reiche Graf bewährte sich als fleißiger, gewissenhafter Berichterstatter; seine vornehme Gelassenheit, sein allen Ränken unzugänglicher Gradsinn sagten dem Mon- archen zu, er behielt sein Amt bis zu Friedrich Wilhelm's Tode. Großen politischen Ehrgeiz hegte er nicht, selbst den Titel eines Cabinetsministers hat er niemals erhalten. Im Uebrigen blieb das Ministerium unver- ändert, obgleich Hardenberg in einer hinterlassenen Denkschrift die Berufung neuer Kräfte dringend angerathen hatte.
Also folgte auf die Tage der Staatskanzlerschaft wieder eine Zeit königlicher Selbstregierung. Der Wille des Monarchen allein hielt die Minister zusammen, Alles hing an seiner Entscheidung. Nur seine Ver- trauten Wittgenstein, Witzleben, Albrecht bestimmten zuweilen seinen Ent- schluß, noch seltener der alte Oberhofmarschall Schilden, der Morgens über den Hofhalt kurzen Vortrag hielt und sich dann und wann einen politischen Rathschlag erlauben durfte. Eine solche Regierung konnte nur in einer Epoche tiefen Friedens genügen; Kraft, Einheit, rasche Entschlie- ßung zeigte sie selten. Da der König weder rücksichtslos durchzugreifen liebte, noch die gesammte Verwaltung zu übersehen vermochte, so wucherte die alte Sünde des Beamtenthums, der Sondergeist der Departements, wieder fröhlich auf. Jeder Fachminister ging so weit er konnte seines eigenen Wegs, schroffe Gegensätze standen unvermittelt nebeneinander; derselbe
*) Witzleben's Tagebuch, 31. Jan. 1823. Aus dieser Quelle stammt die Erzäh- lung bei Dorow, Erlebtes III. 328.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
geſtürzten Miniſter ſein Wohlwollen nie ganz entzogen, er nannte ihn den fähigſten ſeiner Staatsmänner; allein daſſelbe Bedenken, das ſchon vor fünf Jahren Humboldt’s Berufung ins Auswärtige Amt verhindert hatte, ſchien auch jetzt noch unüberwindlich. Preußens Friedenspolitik ſtand und fiel mit dem Bunde der Oſtmächte, und Friedrich Wilhelm traute ſich die Kraft nicht zu, einen Mann, der in Petersburg und Wien gleich verhaßt war, an der Spitze ſeines Miniſterraths zu halten. Etwas ſtilles Miß- trauen und die alte Scheu vor genialen Naturen mochten wohl mitwirken; genug, der König erklärte dieſe Ernennung für unmöglich.
In ſeiner Verlegenheit berief er ſodann den alten Feldmarſchall Kleiſt von Nollendorf, der bisher dem politiſchen Leben fern geſtanden, doch ſchon vor Jahren als Generaladjutant durch ſeine Rechtſchaffenheit und maß- volle Ruhe ſich das perſönliche Vertrauen des Monarchen erworben hatte. Aber auch er ſtarb plötzlich, noch bevor er ſein Amt angetreten hatte, und da der König ſonſt keinen geeigneten Mann zu finden wußte, ſo kam er jetzt auf einen Gedanken zurück, der ihm ſchon nach Voß’s Tode aufgeſtiegen war. Er wollte fortan ohne einen leitenden Staatsmann, allein durch Fachminiſter regieren. Der regelmäßige Vortrag beim Könige wurde dem Grafen Lottum übertragen, der im Miniſterrathe verblieb, aber die Ver- waltung des Staatsſchatzes dem Finanzminiſter abtrat.*) Der reiche Graf bewährte ſich als fleißiger, gewiſſenhafter Berichterſtatter; ſeine vornehme Gelaſſenheit, ſein allen Ränken unzugänglicher Gradſinn ſagten dem Mon- archen zu, er behielt ſein Amt bis zu Friedrich Wilhelm’s Tode. Großen politiſchen Ehrgeiz hegte er nicht, ſelbſt den Titel eines Cabinetsminiſters hat er niemals erhalten. Im Uebrigen blieb das Miniſterium unver- ändert, obgleich Hardenberg in einer hinterlaſſenen Denkſchrift die Berufung neuer Kräfte dringend angerathen hatte.
Alſo folgte auf die Tage der Staatskanzlerſchaft wieder eine Zeit königlicher Selbſtregierung. Der Wille des Monarchen allein hielt die Miniſter zuſammen, Alles hing an ſeiner Entſcheidung. Nur ſeine Ver- trauten Wittgenſtein, Witzleben, Albrecht beſtimmten zuweilen ſeinen Ent- ſchluß, noch ſeltener der alte Oberhofmarſchall Schilden, der Morgens über den Hofhalt kurzen Vortrag hielt und ſich dann und wann einen politiſchen Rathſchlag erlauben durfte. Eine ſolche Regierung konnte nur in einer Epoche tiefen Friedens genügen; Kraft, Einheit, raſche Entſchlie- ßung zeigte ſie ſelten. Da der König weder rückſichtslos durchzugreifen liebte, noch die geſammte Verwaltung zu überſehen vermochte, ſo wucherte die alte Sünde des Beamtenthums, der Sondergeiſt der Departements, wieder fröhlich auf. Jeder Fachminiſter ging ſo weit er konnte ſeines eigenen Wegs, ſchroffe Gegenſätze ſtanden unvermittelt nebeneinander; derſelbe
*) Witzleben’s Tagebuch, 31. Jan. 1823. Aus dieſer Quelle ſtammt die Erzäh- lung bei Dorow, Erlebtes III. 328.
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
geſtürzten Miniſter ſein Wohlwollen nie ganz entzogen, er nannte ihn den
fähigſten ſeiner Staatsmänner; allein daſſelbe Bedenken, das ſchon vor
fünf Jahren Humboldt’s Berufung ins Auswärtige Amt verhindert hatte,
ſchien auch jetzt noch unüberwindlich. Preußens Friedenspolitik ſtand und
fiel mit dem Bunde der Oſtmächte, und Friedrich Wilhelm traute ſich die
Kraft nicht zu, einen Mann, der in Petersburg und Wien gleich verhaßt
war, an der Spitze ſeines Miniſterraths zu halten. Etwas ſtilles Miß-
trauen und die alte Scheu vor genialen Naturen mochten wohl mitwirken;
genug, der König erklärte dieſe Ernennung für unmöglich.
In ſeiner Verlegenheit berief er ſodann den alten Feldmarſchall Kleiſt
von Nollendorf, der bisher dem politiſchen Leben fern geſtanden, doch ſchon
vor Jahren als Generaladjutant durch ſeine Rechtſchaffenheit und maß-
volle Ruhe ſich das perſönliche Vertrauen des Monarchen erworben hatte.
Aber auch er ſtarb plötzlich, noch bevor er ſein Amt angetreten hatte, und
da der König ſonſt keinen geeigneten Mann zu finden wußte, ſo kam er jetzt
auf einen Gedanken zurück, der ihm ſchon nach Voß’s Tode aufgeſtiegen
war. Er wollte fortan ohne einen leitenden Staatsmann, allein durch
Fachminiſter regieren. Der regelmäßige Vortrag beim Könige wurde dem
Grafen Lottum übertragen, der im Miniſterrathe verblieb, aber die Ver-
waltung des Staatsſchatzes dem Finanzminiſter abtrat. *) Der reiche Graf
bewährte ſich als fleißiger, gewiſſenhafter Berichterſtatter; ſeine vornehme
Gelaſſenheit, ſein allen Ränken unzugänglicher Gradſinn ſagten dem Mon-
archen zu, er behielt ſein Amt bis zu Friedrich Wilhelm’s Tode. Großen
politiſchen Ehrgeiz hegte er nicht, ſelbſt den Titel eines Cabinetsminiſters
hat er niemals erhalten. Im Uebrigen blieb das Miniſterium unver-
ändert, obgleich Hardenberg in einer hinterlaſſenen Denkſchrift die Berufung
neuer Kräfte dringend angerathen hatte.
Alſo folgte auf die Tage der Staatskanzlerſchaft wieder eine Zeit
königlicher Selbſtregierung. Der Wille des Monarchen allein hielt die
Miniſter zuſammen, Alles hing an ſeiner Entſcheidung. Nur ſeine Ver-
trauten Wittgenſtein, Witzleben, Albrecht beſtimmten zuweilen ſeinen Ent-
ſchluß, noch ſeltener der alte Oberhofmarſchall Schilden, der Morgens
über den Hofhalt kurzen Vortrag hielt und ſich dann und wann einen
politiſchen Rathſchlag erlauben durfte. Eine ſolche Regierung konnte nur
in einer Epoche tiefen Friedens genügen; Kraft, Einheit, raſche Entſchlie-
ßung zeigte ſie ſelten. Da der König weder rückſichtslos durchzugreifen
liebte, noch die geſammte Verwaltung zu überſehen vermochte, ſo wucherte
die alte Sünde des Beamtenthums, der Sondergeiſt der Departements,
wieder fröhlich auf. Jeder Fachminiſter ging ſo weit er konnte ſeines eigenen
Wegs, ſchroffe Gegenſätze ſtanden unvermittelt nebeneinander; derſelbe
*) Witzleben’s Tagebuch, 31. Jan. 1823. Aus dieſer Quelle ſtammt die Erzäh-
lung bei Dorow, Erlebtes III. 328.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/378>, abgerufen am 24.11.2024.
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