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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Eine neue Epoche der orientalischen Verwicklung kündigte sich an. Der
Berliner Hof hatte die österreichischen Freunde -- wie in allen Fragen,
welche das preußische Interesse nicht unmittelbar berührten -- bisher unter-
stützt; aber mit sichtlicher Gleichgiltigkeit, denn an den Sieg der Türken
glaubte Bernstorff längst nicht mehr, und gegen die philhellenischen Nei-
gungen der öffentlichen Meinung, welche König Friedrich Wilhelm selber
theilte, mochte man nicht allzu dreist ankämpfen. Im Sommer 1825 schilderte
der preußische Minister seinem Monarchen die zunehmende Spannung
zwischen den beiden Kaiserhöfen also: "Oesterreich will unter keiner Be-
dingung und für keinen Preis den Krieg, Rußland will unter jeder Be-
dingung und für jeden Preis die Rettung und Befreiung Griechenlands."
Darauf erhielt er den Befehl, dem Wiener Hofe offen zu erklären: der
König vermöge den Ansichten Oesterreichs nicht zuzustimmen, er wünsche
weder den Untergang der Türkei noch die Vernichtung der Griechen.*)
Auch der Tuilerienhof zeigte sich schon längst verstimmt über die unfrucht-
baren Wiener Zauderkünste.

Da starb Kaiser Alexander, der einzige Mann, welcher den unver-
meidlichen Zusammenstoß im Osten bisher hintangehalten hatte. Sogleich
nach seinem Tode lenkte Rußland wieder ein in die Bahnen seiner natio-
nalen Staatskunst, und bald gewann auch Preußens Politik ihre volle
Selbständigkeit wieder. Die spanischen Wirren hatten England der großen
Allianz entfremdet; durch die griechische Revolution wurden alle Groß-
mächte zu einer veränderten Parteistellung genöthigt.


*) Bernstorff, Denkschrift über die Lage im Orient, 15. Juni; Lottum's Antwort
im Namen des Königs, 24. Juni 1825.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Eine neue Epoche der orientaliſchen Verwicklung kündigte ſich an. Der
Berliner Hof hatte die öſterreichiſchen Freunde — wie in allen Fragen,
welche das preußiſche Intereſſe nicht unmittelbar berührten — bisher unter-
ſtützt; aber mit ſichtlicher Gleichgiltigkeit, denn an den Sieg der Türken
glaubte Bernſtorff längſt nicht mehr, und gegen die philhelleniſchen Nei-
gungen der öffentlichen Meinung, welche König Friedrich Wilhelm ſelber
theilte, mochte man nicht allzu dreiſt ankämpfen. Im Sommer 1825 ſchilderte
der preußiſche Miniſter ſeinem Monarchen die zunehmende Spannung
zwiſchen den beiden Kaiſerhöfen alſo: „Oeſterreich will unter keiner Be-
dingung und für keinen Preis den Krieg, Rußland will unter jeder Be-
dingung und für jeden Preis die Rettung und Befreiung Griechenlands.“
Darauf erhielt er den Befehl, dem Wiener Hofe offen zu erklären: der
König vermöge den Anſichten Oeſterreichs nicht zuzuſtimmen, er wünſche
weder den Untergang der Türkei noch die Vernichtung der Griechen.*)
Auch der Tuilerienhof zeigte ſich ſchon längſt verſtimmt über die unfrucht-
baren Wiener Zauderkünſte.

Da ſtarb Kaiſer Alexander, der einzige Mann, welcher den unver-
meidlichen Zuſammenſtoß im Oſten bisher hintangehalten hatte. Sogleich
nach ſeinem Tode lenkte Rußland wieder ein in die Bahnen ſeiner natio-
nalen Staatskunſt, und bald gewann auch Preußens Politik ihre volle
Selbſtändigkeit wieder. Die ſpaniſchen Wirren hatten England der großen
Allianz entfremdet; durch die griechiſche Revolution wurden alle Groß-
mächte zu einer veränderten Parteiſtellung genöthigt.


*) Bernſtorff, Denkſchrift über die Lage im Orient, 15. Juni; Lottum’s Antwort
im Namen des Königs, 24. Juni 1825.
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[360/0376] III. 5. Die Großmächte und die Trias. Eine neue Epoche der orientaliſchen Verwicklung kündigte ſich an. Der Berliner Hof hatte die öſterreichiſchen Freunde — wie in allen Fragen, welche das preußiſche Intereſſe nicht unmittelbar berührten — bisher unter- ſtützt; aber mit ſichtlicher Gleichgiltigkeit, denn an den Sieg der Türken glaubte Bernſtorff längſt nicht mehr, und gegen die philhelleniſchen Nei- gungen der öffentlichen Meinung, welche König Friedrich Wilhelm ſelber theilte, mochte man nicht allzu dreiſt ankämpfen. Im Sommer 1825 ſchilderte der preußiſche Miniſter ſeinem Monarchen die zunehmende Spannung zwiſchen den beiden Kaiſerhöfen alſo: „Oeſterreich will unter keiner Be- dingung und für keinen Preis den Krieg, Rußland will unter jeder Be- dingung und für jeden Preis die Rettung und Befreiung Griechenlands.“ Darauf erhielt er den Befehl, dem Wiener Hofe offen zu erklären: der König vermöge den Anſichten Oeſterreichs nicht zuzuſtimmen, er wünſche weder den Untergang der Türkei noch die Vernichtung der Griechen. *) Auch der Tuilerienhof zeigte ſich ſchon längſt verſtimmt über die unfrucht- baren Wiener Zauderkünſte. Da ſtarb Kaiſer Alexander, der einzige Mann, welcher den unver- meidlichen Zuſammenſtoß im Oſten bisher hintangehalten hatte. Sogleich nach ſeinem Tode lenkte Rußland wieder ein in die Bahnen ſeiner natio- nalen Staatskunſt, und bald gewann auch Preußens Politik ihre volle Selbſtändigkeit wieder. Die ſpaniſchen Wirren hatten England der großen Allianz entfremdet; durch die griechiſche Revolution wurden alle Groß- mächte zu einer veränderten Parteiſtellung genöthigt. *) Bernſtorff, Denkſchrift über die Lage im Orient, 15. Juni; Lottum’s Antwort im Namen des Königs, 24. Juni 1825.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/376>, abgerufen am 24.11.2024.