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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
hinausgezogen, dann an das Austrägalgericht in Lübeck verwiesen. Im
Jahre 1830 entschied das Gericht, wie sich von selbst verstand, zu Gunsten
der Klägerin. Aber inzwischen war die Fürstin gestorben, und ihr Sohn,
Lord Craven, erhielt in Baiern den Bescheid, die Forderung sei nach
bairischem Gesetz erloschen. Er konnte niemals zu seinem Rechte gelangen,
obgleich die englische Regierung sich seiner annahm und die Londoner
Presse mit wohlverdienter Verachtung über dies Probstück deutscher Treue
sprach. Gentz war im Rechte, so weit hatte man es seit dem Jahre 1819
gebracht! Angesichts dieses Jammers war es kaum noch zu verwundern,
daß Metternich am 18. Sept. 1828 der Bundesversammlung die höhnische
Zumuthung stellen ließ, sich in Ermangelung von Geschäften auf unbe-
stimmte Zeit zu vertagen. Der Antrag ward aus Schamgefühl nicht ein-
mal in die geheimen Protokolle aufgenommen, sondern in einer geschrie-
benen Registrande versteckt; aber man ging darauf ein, und die Vertagung
währte über vier Monate.

So schimpflich dieser Zustand war, der ein großes Volk dem Ge-
spötte Europas preisgab, er hatte doch sehr feste Wurzeln in den großen
Weltverhältnissen. So lange Oesterreich, England, Dänemark, Holland
dem Deutschen Bunde angehörten, mußte seine Centralgewalt entweder,
wie in Wangenheim's Tagen, in unfruchtbarer Zänkerei oder in nichtigem
Stillleben verkommen, und wer unter den tausenden treuer Patrioten,
die über das deutsche Elend weinten, hatte über die Gründe der natio-
nalen Schande auch nur ernstlich nachgedacht? Mit der Zeit knüpfte sich
auch manches gesellschaftliche Band zwischen dem Bundestage, der Frank-
furter Börse und den angesehenen Häusern der Nachbarschaft; die vor-
nehme Welt des Südwestens konnte diesen immer unbeschäftigten und
immer zu Lustbarkeiten aufgelegten Diplomatenhof bald nicht mehr ent-
behren. Ungemein werthvolle Dienste leisteten ihm seine drei mächtigen
Günstlinge, die Geschäftshäuser Rothschild, Taxis und Cotta. Die Firma
Rothschild erstattete ihren Dank für die geschenkten Zinsen der deutschen
Festungsgelder, indem sie den Wiener Hof mit geheimen Nachrichten be-
diente und durch ihre weitverzweigte, stillwirkende sociale Macht die k. k.
Bundespolitik unterstützte.

Nicht minder dankbar zeigte sich das Fürstenhaus Thurn und Taxis,
dem die Bundesakte alle seine alten Postrechte bestätigt und dadurch von
Preußen und mehreren anderen Staaten eine reichliche Entschädigung ver-
schafft hatte. In Württemberg, beiden Hessen, Nassau und den thüringi-
schen Landen verwaltete das Haus die Posten selber mit der ganzen Scham-
losigkeit des Monopolgeistes. Wie manche Reise in Mitteldeutschland
unterblieb, weil man sich fürchtete in den entsetzlichen Wagen dieser Post
"thurn- und taxirt zu werden", wie der Volksmund sagte. Die durch
Börne's Witze verherrlichte Taxis'sche Postschnecke brauchte für die vierzig
Stunden Weges zwischen Frankfurt und Stuttgart sechsundvierzig Stun-

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
hinausgezogen, dann an das Austrägalgericht in Lübeck verwieſen. Im
Jahre 1830 entſchied das Gericht, wie ſich von ſelbſt verſtand, zu Gunſten
der Klägerin. Aber inzwiſchen war die Fürſtin geſtorben, und ihr Sohn,
Lord Craven, erhielt in Baiern den Beſcheid, die Forderung ſei nach
bairiſchem Geſetz erloſchen. Er konnte niemals zu ſeinem Rechte gelangen,
obgleich die engliſche Regierung ſich ſeiner annahm und die Londoner
Preſſe mit wohlverdienter Verachtung über dies Probſtück deutſcher Treue
ſprach. Gentz war im Rechte, ſo weit hatte man es ſeit dem Jahre 1819
gebracht! Angeſichts dieſes Jammers war es kaum noch zu verwundern,
daß Metternich am 18. Sept. 1828 der Bundesverſammlung die höhniſche
Zumuthung ſtellen ließ, ſich in Ermangelung von Geſchäften auf unbe-
ſtimmte Zeit zu vertagen. Der Antrag ward aus Schamgefühl nicht ein-
mal in die geheimen Protokolle aufgenommen, ſondern in einer geſchrie-
benen Regiſtrande verſteckt; aber man ging darauf ein, und die Vertagung
währte über vier Monate.

So ſchimpflich dieſer Zuſtand war, der ein großes Volk dem Ge-
ſpötte Europas preisgab, er hatte doch ſehr feſte Wurzeln in den großen
Weltverhältniſſen. So lange Oeſterreich, England, Dänemark, Holland
dem Deutſchen Bunde angehörten, mußte ſeine Centralgewalt entweder,
wie in Wangenheim’s Tagen, in unfruchtbarer Zänkerei oder in nichtigem
Stillleben verkommen, und wer unter den tauſenden treuer Patrioten,
die über das deutſche Elend weinten, hatte über die Gründe der natio-
nalen Schande auch nur ernſtlich nachgedacht? Mit der Zeit knüpfte ſich
auch manches geſellſchaftliche Band zwiſchen dem Bundestage, der Frank-
furter Börſe und den angeſehenen Häuſern der Nachbarſchaft; die vor-
nehme Welt des Südweſtens konnte dieſen immer unbeſchäftigten und
immer zu Luſtbarkeiten aufgelegten Diplomatenhof bald nicht mehr ent-
behren. Ungemein werthvolle Dienſte leiſteten ihm ſeine drei mächtigen
Günſtlinge, die Geſchäftshäuſer Rothſchild, Taxis und Cotta. Die Firma
Rothſchild erſtattete ihren Dank für die geſchenkten Zinſen der deutſchen
Feſtungsgelder, indem ſie den Wiener Hof mit geheimen Nachrichten be-
diente und durch ihre weitverzweigte, ſtillwirkende ſociale Macht die k. k.
Bundespolitik unterſtützte.

Nicht minder dankbar zeigte ſich das Fürſtenhaus Thurn und Taxis,
dem die Bundesakte alle ſeine alten Poſtrechte beſtätigt und dadurch von
Preußen und mehreren anderen Staaten eine reichliche Entſchädigung ver-
ſchafft hatte. In Württemberg, beiden Heſſen, Naſſau und den thüringi-
ſchen Landen verwaltete das Haus die Poſten ſelber mit der ganzen Scham-
loſigkeit des Monopolgeiſtes. Wie manche Reiſe in Mitteldeutſchland
unterblieb, weil man ſich fürchtete in den entſetzlichen Wagen dieſer Poſt
„thurn- und taxirt zu werden“, wie der Volksmund ſagte. Die durch
Börne’s Witze verherrlichte Taxis’ſche Poſtſchnecke brauchte für die vierzig
Stunden Weges zwiſchen Frankfurt und Stuttgart ſechsundvierzig Stun-

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[340/0356] III. 5. Die Großmächte und die Trias. hinausgezogen, dann an das Austrägalgericht in Lübeck verwieſen. Im Jahre 1830 entſchied das Gericht, wie ſich von ſelbſt verſtand, zu Gunſten der Klägerin. Aber inzwiſchen war die Fürſtin geſtorben, und ihr Sohn, Lord Craven, erhielt in Baiern den Beſcheid, die Forderung ſei nach bairiſchem Geſetz erloſchen. Er konnte niemals zu ſeinem Rechte gelangen, obgleich die engliſche Regierung ſich ſeiner annahm und die Londoner Preſſe mit wohlverdienter Verachtung über dies Probſtück deutſcher Treue ſprach. Gentz war im Rechte, ſo weit hatte man es ſeit dem Jahre 1819 gebracht! Angeſichts dieſes Jammers war es kaum noch zu verwundern, daß Metternich am 18. Sept. 1828 der Bundesverſammlung die höhniſche Zumuthung ſtellen ließ, ſich in Ermangelung von Geſchäften auf unbe- ſtimmte Zeit zu vertagen. Der Antrag ward aus Schamgefühl nicht ein- mal in die geheimen Protokolle aufgenommen, ſondern in einer geſchrie- benen Regiſtrande verſteckt; aber man ging darauf ein, und die Vertagung währte über vier Monate. So ſchimpflich dieſer Zuſtand war, der ein großes Volk dem Ge- ſpötte Europas preisgab, er hatte doch ſehr feſte Wurzeln in den großen Weltverhältniſſen. So lange Oeſterreich, England, Dänemark, Holland dem Deutſchen Bunde angehörten, mußte ſeine Centralgewalt entweder, wie in Wangenheim’s Tagen, in unfruchtbarer Zänkerei oder in nichtigem Stillleben verkommen, und wer unter den tauſenden treuer Patrioten, die über das deutſche Elend weinten, hatte über die Gründe der natio- nalen Schande auch nur ernſtlich nachgedacht? Mit der Zeit knüpfte ſich auch manches geſellſchaftliche Band zwiſchen dem Bundestage, der Frank- furter Börſe und den angeſehenen Häuſern der Nachbarſchaft; die vor- nehme Welt des Südweſtens konnte dieſen immer unbeſchäftigten und immer zu Luſtbarkeiten aufgelegten Diplomatenhof bald nicht mehr ent- behren. Ungemein werthvolle Dienſte leiſteten ihm ſeine drei mächtigen Günſtlinge, die Geſchäftshäuſer Rothſchild, Taxis und Cotta. Die Firma Rothſchild erſtattete ihren Dank für die geſchenkten Zinſen der deutſchen Feſtungsgelder, indem ſie den Wiener Hof mit geheimen Nachrichten be- diente und durch ihre weitverzweigte, ſtillwirkende ſociale Macht die k. k. Bundespolitik unterſtützte. Nicht minder dankbar zeigte ſich das Fürſtenhaus Thurn und Taxis, dem die Bundesakte alle ſeine alten Poſtrechte beſtätigt und dadurch von Preußen und mehreren anderen Staaten eine reichliche Entſchädigung ver- ſchafft hatte. In Württemberg, beiden Heſſen, Naſſau und den thüringi- ſchen Landen verwaltete das Haus die Poſten ſelber mit der ganzen Scham- loſigkeit des Monopolgeiſtes. Wie manche Reiſe in Mitteldeutſchland unterblieb, weil man ſich fürchtete in den entſetzlichen Wagen dieſer Poſt „thurn- und taxirt zu werden“, wie der Volksmund ſagte. Die durch Börne’s Witze verherrlichte Taxis’ſche Poſtſchnecke brauchte für die vierzig Stunden Weges zwiſchen Frankfurt und Stuttgart ſechsundvierzig Stun-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/356>, abgerufen am 23.11.2024.