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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
die Absichten der Hofburg unterrichtet. Vier Tage darauf ging das wohl-
vorbereitete Schauspiel über die Bretter. Münch hielt einen langen Prä-
sidialvortrag und führte darin auf Metternich's Befehl mehrere Stellen
aus Zentner's Denkschrift wörtlich wieder an, damit die Anträge auch in
der Form als ein gemeinsames Werk Baierns und Oesterreichs erschienen.
Darauf beschloß der Bundestag einstimmig, die Giltigkeit des provisorischen
Preßgesetzes bis zum Erlaß eines endgiltigen Gesetzes zu verlängern. Auch
das Gesetz über die Universitäten sollte fortbestehen und inzwischen ein
Ausschuß der Bundesversammlung die Gebrechen des deutschen Unter-
richtswesens näher prüfen. Endlich wurden alle Bundesstaaten verpflichtet,
das monarchische Princip aufrecht zu erhalten und den Mißbräuchen der
öffentlichen Landtagsverhandlungen durch eine strenge Geschäftsordnung,
womöglich nach gemeinsamen Grundsätzen, vorzubeugen.

Die meisten der kleinen Höfe, Berstett selbst gestand es späterhin,
fügten sich nur widerwillig, jedoch der Schein der Freiheit blieb gewahrt,
die Zustimmung ward durchweg ohne Vorbehalt gegeben, und nur Blit-
tersdorff's argwöhnisches Auge konnte aus den etwas gewundenen Sätzen
des Votums der Ernestiner errathen, daß "der Wartburg-Geist" in Weimar
noch spuke. Das verheißene definitive Preßgesetz wagte man nicht anzu-
regen, aus Furcht vor Unfrieden, und aus demselben Grunde trat auch
der neue Bundesausschuß für das Universitätswesen niemals ins Leben.
Der einzige Staat, welcher den bairisch-österreichischen Anträgen ein kleines
Bedenken anhing, war, seltsam genug, Baiern selbst. Sein Gesandter
willigte in die Verlängerung des Preßgesetzes mit den zweideutigen Worten:
die im Jahre 1819 beschlossenen Maßregeln gegen die Presse sollten in
allen deutschen Staaten "wie bisher" gehandhabt werden. Baiern behielt
sich also seinen bisherigen Sonderbrauch stillschweigend vor. Vergeblich
hatte Metternich bis zuletzt versucht, diese Clausel zu beseitigen; endlich
drückte er ein Auge zu, da Baiern ohnehin schon fest genug an Oester-
reich gekettet war. Die Annahme der Karlsbader Beschlüsse war vor fünf
Jahren nur durch einen Gewaltstreich gelungen, ihre Erneuerung jetzt war
rechtlich unanfechtbar. Obwohl die vorgeschriebene förmliche Berathung
nicht stattfand, so wurden doch alle übrigen Vorschriften der Geschäfts-
ordnung eingehalten, und die verfassungsmäßige Einstimmigkeit kam zu
Stande. Der Beschluß über die Landtage bedeutete sehr wenig; denn im
Grunde stand es auch jetzt noch jedem Bundesstaate frei, die Schranken
der Redefreiheit nach seinem Belieben zu ziehen. Aber ihr wichtigstes Ziel
hatte die Hofburg erreicht, die Heilanstalt der Censur blieb den Deutschen
auf unbestimmte Zeit hinaus gesichert. Der König von Preußen sprach
dem österreichischen Staatskanzler in einem gnädigen Briefe seinen Dank
aus, und Metternich meinte befriedigt, nunmehr erst sei der Deutsche
Bund ganz in das System der großen Mächte verflochten.*) Gentz aber

*) Blittersdorff's Berichte, 12., 16., 22., 27. Aug. 1824.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
die Abſichten der Hofburg unterrichtet. Vier Tage darauf ging das wohl-
vorbereitete Schauſpiel über die Bretter. Münch hielt einen langen Prä-
ſidialvortrag und führte darin auf Metternich’s Befehl mehrere Stellen
aus Zentner’s Denkſchrift wörtlich wieder an, damit die Anträge auch in
der Form als ein gemeinſames Werk Baierns und Oeſterreichs erſchienen.
Darauf beſchloß der Bundestag einſtimmig, die Giltigkeit des proviſoriſchen
Preßgeſetzes bis zum Erlaß eines endgiltigen Geſetzes zu verlängern. Auch
das Geſetz über die Univerſitäten ſollte fortbeſtehen und inzwiſchen ein
Ausſchuß der Bundesverſammlung die Gebrechen des deutſchen Unter-
richtsweſens näher prüfen. Endlich wurden alle Bundesſtaaten verpflichtet,
das monarchiſche Princip aufrecht zu erhalten und den Mißbräuchen der
öffentlichen Landtagsverhandlungen durch eine ſtrenge Geſchäftsordnung,
womöglich nach gemeinſamen Grundſätzen, vorzubeugen.

Die meiſten der kleinen Höfe, Berſtett ſelbſt geſtand es ſpäterhin,
fügten ſich nur widerwillig, jedoch der Schein der Freiheit blieb gewahrt,
die Zuſtimmung ward durchweg ohne Vorbehalt gegeben, und nur Blit-
tersdorff’s argwöhniſches Auge konnte aus den etwas gewundenen Sätzen
des Votums der Erneſtiner errathen, daß „der Wartburg-Geiſt“ in Weimar
noch ſpuke. Das verheißene definitive Preßgeſetz wagte man nicht anzu-
regen, aus Furcht vor Unfrieden, und aus demſelben Grunde trat auch
der neue Bundesausſchuß für das Univerſitätsweſen niemals ins Leben.
Der einzige Staat, welcher den bairiſch-öſterreichiſchen Anträgen ein kleines
Bedenken anhing, war, ſeltſam genug, Baiern ſelbſt. Sein Geſandter
willigte in die Verlängerung des Preßgeſetzes mit den zweideutigen Worten:
die im Jahre 1819 beſchloſſenen Maßregeln gegen die Preſſe ſollten in
allen deutſchen Staaten „wie bisher“ gehandhabt werden. Baiern behielt
ſich alſo ſeinen bisherigen Sonderbrauch ſtillſchweigend vor. Vergeblich
hatte Metternich bis zuletzt verſucht, dieſe Clauſel zu beſeitigen; endlich
drückte er ein Auge zu, da Baiern ohnehin ſchon feſt genug an Oeſter-
reich gekettet war. Die Annahme der Karlsbader Beſchlüſſe war vor fünf
Jahren nur durch einen Gewaltſtreich gelungen, ihre Erneuerung jetzt war
rechtlich unanfechtbar. Obwohl die vorgeſchriebene förmliche Berathung
nicht ſtattfand, ſo wurden doch alle übrigen Vorſchriften der Geſchäfts-
ordnung eingehalten, und die verfaſſungsmäßige Einſtimmigkeit kam zu
Stande. Der Beſchluß über die Landtage bedeutete ſehr wenig; denn im
Grunde ſtand es auch jetzt noch jedem Bundesſtaate frei, die Schranken
der Redefreiheit nach ſeinem Belieben zu ziehen. Aber ihr wichtigſtes Ziel
hatte die Hofburg erreicht, die Heilanſtalt der Cenſur blieb den Deutſchen
auf unbeſtimmte Zeit hinaus geſichert. Der König von Preußen ſprach
dem öſterreichiſchen Staatskanzler in einem gnädigen Briefe ſeinen Dank
aus, und Metternich meinte befriedigt, nunmehr erſt ſei der Deutſche
Bund ganz in das Syſtem der großen Mächte verflochten.*) Gentz aber

*) Blittersdorff’s Berichte, 12., 16., 22., 27. Aug. 1824.
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[338/0354] III. 5. Die Großmächte und die Trias. die Abſichten der Hofburg unterrichtet. Vier Tage darauf ging das wohl- vorbereitete Schauſpiel über die Bretter. Münch hielt einen langen Prä- ſidialvortrag und führte darin auf Metternich’s Befehl mehrere Stellen aus Zentner’s Denkſchrift wörtlich wieder an, damit die Anträge auch in der Form als ein gemeinſames Werk Baierns und Oeſterreichs erſchienen. Darauf beſchloß der Bundestag einſtimmig, die Giltigkeit des proviſoriſchen Preßgeſetzes bis zum Erlaß eines endgiltigen Geſetzes zu verlängern. Auch das Geſetz über die Univerſitäten ſollte fortbeſtehen und inzwiſchen ein Ausſchuß der Bundesverſammlung die Gebrechen des deutſchen Unter- richtsweſens näher prüfen. Endlich wurden alle Bundesſtaaten verpflichtet, das monarchiſche Princip aufrecht zu erhalten und den Mißbräuchen der öffentlichen Landtagsverhandlungen durch eine ſtrenge Geſchäftsordnung, womöglich nach gemeinſamen Grundſätzen, vorzubeugen. Die meiſten der kleinen Höfe, Berſtett ſelbſt geſtand es ſpäterhin, fügten ſich nur widerwillig, jedoch der Schein der Freiheit blieb gewahrt, die Zuſtimmung ward durchweg ohne Vorbehalt gegeben, und nur Blit- tersdorff’s argwöhniſches Auge konnte aus den etwas gewundenen Sätzen des Votums der Erneſtiner errathen, daß „der Wartburg-Geiſt“ in Weimar noch ſpuke. Das verheißene definitive Preßgeſetz wagte man nicht anzu- regen, aus Furcht vor Unfrieden, und aus demſelben Grunde trat auch der neue Bundesausſchuß für das Univerſitätsweſen niemals ins Leben. Der einzige Staat, welcher den bairiſch-öſterreichiſchen Anträgen ein kleines Bedenken anhing, war, ſeltſam genug, Baiern ſelbſt. Sein Geſandter willigte in die Verlängerung des Preßgeſetzes mit den zweideutigen Worten: die im Jahre 1819 beſchloſſenen Maßregeln gegen die Preſſe ſollten in allen deutſchen Staaten „wie bisher“ gehandhabt werden. Baiern behielt ſich alſo ſeinen bisherigen Sonderbrauch ſtillſchweigend vor. Vergeblich hatte Metternich bis zuletzt verſucht, dieſe Clauſel zu beſeitigen; endlich drückte er ein Auge zu, da Baiern ohnehin ſchon feſt genug an Oeſter- reich gekettet war. Die Annahme der Karlsbader Beſchlüſſe war vor fünf Jahren nur durch einen Gewaltſtreich gelungen, ihre Erneuerung jetzt war rechtlich unanfechtbar. Obwohl die vorgeſchriebene förmliche Berathung nicht ſtattfand, ſo wurden doch alle übrigen Vorſchriften der Geſchäfts- ordnung eingehalten, und die verfaſſungsmäßige Einſtimmigkeit kam zu Stande. Der Beſchluß über die Landtage bedeutete ſehr wenig; denn im Grunde ſtand es auch jetzt noch jedem Bundesſtaate frei, die Schranken der Redefreiheit nach ſeinem Belieben zu ziehen. Aber ihr wichtigſtes Ziel hatte die Hofburg erreicht, die Heilanſtalt der Cenſur blieb den Deutſchen auf unbeſtimmte Zeit hinaus geſichert. Der König von Preußen ſprach dem öſterreichiſchen Staatskanzler in einem gnädigen Briefe ſeinen Dank aus, und Metternich meinte befriedigt, nunmehr erſt ſei der Deutſche Bund ganz in das Syſtem der großen Mächte verflochten. *) Gentz aber *) Blittersdorff’s Berichte, 12., 16., 22., 27. Aug. 1824.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/354>, abgerufen am 23.11.2024.