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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Bernstorff gegen Metternich.
für In- und Ausland, und frohlockend schrieb der badische Staatsmann:
nun haben die Gegner "kaum etwas mehr für sich als die Lüge, das Ge-
schrei und die Unverschämtheit."*) Aber die kühne Auslegung des Bun-
desrechts, welche Blittersdorff mit den Oesterreichern verabredet hatte, fand
einen unbesieglichen Widerstand an der Rechtlichkeit Bernstorff's. Der preu-
ßische Minister trat sehr kräftig auf, er war über die Gentz'sche Denkschrift
"wahrhaft entsetzt" und tadelte scharf, daß Hatzfeld ein "so unreifes und
vages Werk" mit gewohnter Beflissenheit sogleich nach Berlin gesendet hatte.
Nimmermehr wollte er den Rechtsboden der Schlußakte verlassen -- sonst
würde das grundlose Mißtrauen der kleinen Staaten gegen die Großmächte
"gewissermaßen gerechtfertigt".**) Und wieder wie vor drei Jahren fand
er einen guten Bundesgenossen an Zentner, der von Rechberg's Hilfe-
rufen sehr wenig erbaut war. Seltsame Widersprüche dieser zwiespältigen
Münchener Politik: von Baiern aus waren die Wiener Verhandlungen
veranlaßt, und nun half Baiern selber ihnen die Spitze abzubrechen. Da
die beiden Freunde auch Plessen für sich gewannen, so ließ Metternich
seinen Vorschlag vorläufig fallen, und wehmüthig mußte Blittersdorff heim
berichten: der Preuße und der Baier hätten die Oeffentlichkeit der Land-
tage gerettet, den geplanten Eingriff in die Landesverfassungen vereitelt.***)
In Berlin fand Bernstorff's ehrenhaftes Verhalten vollkommene Zustim-
mung; denn obwohl der preußische Hof jetzt zuversichtlich hoffte, die süd-
deutschen Verfassungen würden sich bald als völlig unhaltbar erweisen, so
dachte er doch jeden Rechtsbruch zu vermeiden. Selbst Schuckmann, der
starre Bureaukrat, sagte in einem Gutachten: ein Eingriff des Bundestags
in die Landesverfassungen sei rechtlich nur dann statthaft, wenn man die
Regierungen vorher veranlasse ihre Grundgesetze unter die Bürgschaft des
Bundes zu stellen.+)

Auch über die Presse hatte Gentz einen Entwurf ausgearbeitet, der
sogleich mit der Ermahnung begann, daß die Regenten den Verführern der
öffentlichen Meinung nicht bloß das Stillschweigen der Verachtung entgegen-
setzen dürften. Gentz selber war gegen den Vorwurf übertriebener Schweig-
samkeit allerdings gesichert; denn auf achtundzwanzig engen Seiten entlud
er seinen alten Groll gegen die Zeitungsschreiber. Wenn der große Publicist
diesen seinen Lieblingsfeinden gegenübertrat, dann konnte er seine staats-
männische Haltung nie bewahren. Was wurde dieser geknebelten Presse nicht
Alles nachgesagt: sie sollte bewiesen haben, "daß sie in ihren gleißnerischen
Anpreisungen einer constitutionellen Monarchie nie etwas Anderes gewollt
hatte als eine demokratische Mißgeburt", und da ein gemeinsamer Crimi-
nalcodex gegen Preßvergehen leider unerreichbar sei, so "werde es bald er-

*) Blittersdorff's Berichte, 5. Febr., 5. März 1823.
**) Bernstorff's Bericht an den König, 21. Jan.; Bernstorff an Ancillon, 21. Jan. 1823.
***) Blittersdorff's Bericht, 3. Febr. 1823.
+) Schuckmann an Bernstorff, 28. April 1823.

Bernſtorff gegen Metternich.
für In- und Ausland, und frohlockend ſchrieb der badiſche Staatsmann:
nun haben die Gegner „kaum etwas mehr für ſich als die Lüge, das Ge-
ſchrei und die Unverſchämtheit.“*) Aber die kühne Auslegung des Bun-
desrechts, welche Blittersdorff mit den Oeſterreichern verabredet hatte, fand
einen unbeſieglichen Widerſtand an der Rechtlichkeit Bernſtorff’s. Der preu-
ßiſche Miniſter trat ſehr kräftig auf, er war über die Gentz’ſche Denkſchrift
„wahrhaft entſetzt“ und tadelte ſcharf, daß Hatzfeld ein „ſo unreifes und
vages Werk“ mit gewohnter Befliſſenheit ſogleich nach Berlin geſendet hatte.
Nimmermehr wollte er den Rechtsboden der Schlußakte verlaſſen — ſonſt
würde das grundloſe Mißtrauen der kleinen Staaten gegen die Großmächte
„gewiſſermaßen gerechtfertigt“.**) Und wieder wie vor drei Jahren fand
er einen guten Bundesgenoſſen an Zentner, der von Rechberg’s Hilfe-
rufen ſehr wenig erbaut war. Seltſame Widerſprüche dieſer zwieſpältigen
Münchener Politik: von Baiern aus waren die Wiener Verhandlungen
veranlaßt, und nun half Baiern ſelber ihnen die Spitze abzubrechen. Da
die beiden Freunde auch Pleſſen für ſich gewannen, ſo ließ Metternich
ſeinen Vorſchlag vorläufig fallen, und wehmüthig mußte Blittersdorff heim
berichten: der Preuße und der Baier hätten die Oeffentlichkeit der Land-
tage gerettet, den geplanten Eingriff in die Landesverfaſſungen vereitelt.***)
In Berlin fand Bernſtorff’s ehrenhaftes Verhalten vollkommene Zuſtim-
mung; denn obwohl der preußiſche Hof jetzt zuverſichtlich hoffte, die ſüd-
deutſchen Verfaſſungen würden ſich bald als völlig unhaltbar erweiſen, ſo
dachte er doch jeden Rechtsbruch zu vermeiden. Selbſt Schuckmann, der
ſtarre Bureaukrat, ſagte in einem Gutachten: ein Eingriff des Bundestags
in die Landesverfaſſungen ſei rechtlich nur dann ſtatthaft, wenn man die
Regierungen vorher veranlaſſe ihre Grundgeſetze unter die Bürgſchaft des
Bundes zu ſtellen.†)

Auch über die Preſſe hatte Gentz einen Entwurf ausgearbeitet, der
ſogleich mit der Ermahnung begann, daß die Regenten den Verführern der
öffentlichen Meinung nicht bloß das Stillſchweigen der Verachtung entgegen-
ſetzen dürften. Gentz ſelber war gegen den Vorwurf übertriebener Schweig-
ſamkeit allerdings geſichert; denn auf achtundzwanzig engen Seiten entlud
er ſeinen alten Groll gegen die Zeitungsſchreiber. Wenn der große Publiciſt
dieſen ſeinen Lieblingsfeinden gegenübertrat, dann konnte er ſeine ſtaats-
männiſche Haltung nie bewahren. Was wurde dieſer geknebelten Preſſe nicht
Alles nachgeſagt: ſie ſollte bewieſen haben, „daß ſie in ihren gleißneriſchen
Anpreiſungen einer conſtitutionellen Monarchie nie etwas Anderes gewollt
hatte als eine demokratiſche Mißgeburt“, und da ein gemeinſamer Crimi-
nalcodex gegen Preßvergehen leider unerreichbar ſei, ſo „werde es bald er-

*) Blittersdorff’s Berichte, 5. Febr., 5. März 1823.
**) Bernſtorff’s Bericht an den König, 21. Jan.; Bernſtorff an Ancillon, 21. Jan. 1823.
***) Blittersdorff’s Bericht, 3. Febr. 1823.
†) Schuckmann an Bernſtorff, 28. April 1823.
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[317/0333] Bernſtorff gegen Metternich. für In- und Ausland, und frohlockend ſchrieb der badiſche Staatsmann: nun haben die Gegner „kaum etwas mehr für ſich als die Lüge, das Ge- ſchrei und die Unverſchämtheit.“ *) Aber die kühne Auslegung des Bun- desrechts, welche Blittersdorff mit den Oeſterreichern verabredet hatte, fand einen unbeſieglichen Widerſtand an der Rechtlichkeit Bernſtorff’s. Der preu- ßiſche Miniſter trat ſehr kräftig auf, er war über die Gentz’ſche Denkſchrift „wahrhaft entſetzt“ und tadelte ſcharf, daß Hatzfeld ein „ſo unreifes und vages Werk“ mit gewohnter Befliſſenheit ſogleich nach Berlin geſendet hatte. Nimmermehr wollte er den Rechtsboden der Schlußakte verlaſſen — ſonſt würde das grundloſe Mißtrauen der kleinen Staaten gegen die Großmächte „gewiſſermaßen gerechtfertigt“. **) Und wieder wie vor drei Jahren fand er einen guten Bundesgenoſſen an Zentner, der von Rechberg’s Hilfe- rufen ſehr wenig erbaut war. Seltſame Widerſprüche dieſer zwieſpältigen Münchener Politik: von Baiern aus waren die Wiener Verhandlungen veranlaßt, und nun half Baiern ſelber ihnen die Spitze abzubrechen. Da die beiden Freunde auch Pleſſen für ſich gewannen, ſo ließ Metternich ſeinen Vorſchlag vorläufig fallen, und wehmüthig mußte Blittersdorff heim berichten: der Preuße und der Baier hätten die Oeffentlichkeit der Land- tage gerettet, den geplanten Eingriff in die Landesverfaſſungen vereitelt. ***) In Berlin fand Bernſtorff’s ehrenhaftes Verhalten vollkommene Zuſtim- mung; denn obwohl der preußiſche Hof jetzt zuverſichtlich hoffte, die ſüd- deutſchen Verfaſſungen würden ſich bald als völlig unhaltbar erweiſen, ſo dachte er doch jeden Rechtsbruch zu vermeiden. Selbſt Schuckmann, der ſtarre Bureaukrat, ſagte in einem Gutachten: ein Eingriff des Bundestags in die Landesverfaſſungen ſei rechtlich nur dann ſtatthaft, wenn man die Regierungen vorher veranlaſſe ihre Grundgeſetze unter die Bürgſchaft des Bundes zu ſtellen. †) Auch über die Preſſe hatte Gentz einen Entwurf ausgearbeitet, der ſogleich mit der Ermahnung begann, daß die Regenten den Verführern der öffentlichen Meinung nicht bloß das Stillſchweigen der Verachtung entgegen- ſetzen dürften. Gentz ſelber war gegen den Vorwurf übertriebener Schweig- ſamkeit allerdings geſichert; denn auf achtundzwanzig engen Seiten entlud er ſeinen alten Groll gegen die Zeitungsſchreiber. Wenn der große Publiciſt dieſen ſeinen Lieblingsfeinden gegenübertrat, dann konnte er ſeine ſtaats- männiſche Haltung nie bewahren. Was wurde dieſer geknebelten Preſſe nicht Alles nachgeſagt: ſie ſollte bewieſen haben, „daß ſie in ihren gleißneriſchen Anpreiſungen einer conſtitutionellen Monarchie nie etwas Anderes gewollt hatte als eine demokratiſche Mißgeburt“, und da ein gemeinſamer Crimi- nalcodex gegen Preßvergehen leider unerreichbar ſei, ſo „werde es bald er- *) Blittersdorff’s Berichte, 5. Febr., 5. März 1823. **) Bernſtorff’s Bericht an den König, 21. Jan.; Bernſtorff an Ancillon, 21. Jan. 1823. ***) Blittersdorff’s Bericht, 3. Febr. 1823. †) Schuckmann an Bernſtorff, 28. April 1823.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/333>, abgerufen am 22.11.2024.