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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die militärisch-politischen Fragen.
immerhin betrachtete er es als einen Gewinn, daß jenes von Haus aus
parteiische Bundesgericht nicht zu Stande gekommen war.*)

Auch die neue Executionsordnung, welche fortan statt der Karlsbader
provisorischen Vorschriften galt, war in demselben Geiste partikularistischer
Behutsamkeit gehalten. Der Regel nach sollte der Bundestag nur mit
den Regierungen verkehren und nur gegen sie Execution verhängen; nur
wenn eine Bundesregierung selber seine Hilfe nachsuchte oder im Falle
offenen Aufruhrs durfte er unmittelbar gegen die Unterthanen ein-
schreiten. --

Bei allen diesen Berathungen war Bernstorff mit Zentner Hand in
Hand gegangen. Ganz anders gestaltete sich der Parteikampf bei dem
zweiten Theile der Schlußakte, der in achtzehn Artikeln (Art. 35--52)
über die auswärtige Politik und das Heerwesen des Bundes Vorschriften
gab. In diesen "militärisch-politischen Fragen" vertrat Preußen jetzt wie
immer die Sache der Bundeseinheit; wirksamer Schutz gegen das Aus-
land blieb nach Hardenberg's Ansicht der einzige Segen, welchen die im
Innern so unfruchtbare Bundespolitik der Nation noch zu gewähren ver-
mochte. König Friedrich Wilhelm konnte es noch immer nicht verwinden,
daß er den Eintritt Posens und Altpreußens in den Bund nicht hatte
durchsetzen können. Um so ernstlicher wünschte er jetzt ein ewiges Ver-
theidigungsbündniß zwischen dem Deutschen Bunde und den Gesammt-
staaten Oesterreich und Preußen abzuschließen; vermöge man dies nicht zu
erlangen, so verlangte er zum mindesten eine bündige Antwort auf die
noch immer offene Frage: was eigentlich ein Bundeskrieg sei? Wenn
eine der beiden Großmächte in ihren nichtdeutschen Provinzen angegriffen
würde, dann müsse der Bund befugt sein durch einfachen Mehrheitsbe-
schluß den Krieg zu erklären, und käme ein solcher Beschluß nicht zu
Stande, so dürfe doch den Staaten der Minderheit nicht verwehrt wer-
den ihrerseits dem Angegriffenen Hilfe zu leisten. Der König dachte dabei
zunächst an seine eigene ungesicherte Ostgrenze, aber auch an das öster-
reichische Italien: denn darüber war er mit dem Staatskanzler einig,
daß jeder Angriff auf Oesterreich auch seinen Staat bedrohe. Seine
Absichten fanden indeß auf allen Seiten heftigen Widerstand. Die Mittel-
staaten trugen schon ihre Bundespflicht nur widerwillig und spürten keine
Neigung die Last noch zu vermehren. Sogar Zentner zeigte sich diesmal
spröde, fast feindselig; sein Benehmen verrieth, daß der Münchener Hof
sich im Stillen vorbehielt, unter Umständen als Haupt eines rein-deut-
schen Bundes die Politik der bewaffneten Neutralität zu führen.**) Auch
das Ausland gerieth in Bewegung. Die fremden Gesandten am Bundes-
tage schilderten allesammt ihren Höfen in aufgeregten Berichten die drohende
Gefahr eines großen mitteleuropäischen Völkerbundes; das Petersburger

*) Bernstorff an Goltz, 25. März 1820.
**) Bernstorff's Bericht, 29. Jan. 1820.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 2

Die militäriſch-politiſchen Fragen.
immerhin betrachtete er es als einen Gewinn, daß jenes von Haus aus
parteiiſche Bundesgericht nicht zu Stande gekommen war.*)

Auch die neue Executionsordnung, welche fortan ſtatt der Karlsbader
proviſoriſchen Vorſchriften galt, war in demſelben Geiſte partikulariſtiſcher
Behutſamkeit gehalten. Der Regel nach ſollte der Bundestag nur mit
den Regierungen verkehren und nur gegen ſie Execution verhängen; nur
wenn eine Bundesregierung ſelber ſeine Hilfe nachſuchte oder im Falle
offenen Aufruhrs durfte er unmittelbar gegen die Unterthanen ein-
ſchreiten. —

Bei allen dieſen Berathungen war Bernſtorff mit Zentner Hand in
Hand gegangen. Ganz anders geſtaltete ſich der Parteikampf bei dem
zweiten Theile der Schlußakte, der in achtzehn Artikeln (Art. 35—52)
über die auswärtige Politik und das Heerweſen des Bundes Vorſchriften
gab. In dieſen „militäriſch-politiſchen Fragen“ vertrat Preußen jetzt wie
immer die Sache der Bundeseinheit; wirkſamer Schutz gegen das Aus-
land blieb nach Hardenberg’s Anſicht der einzige Segen, welchen die im
Innern ſo unfruchtbare Bundespolitik der Nation noch zu gewähren ver-
mochte. König Friedrich Wilhelm konnte es noch immer nicht verwinden,
daß er den Eintritt Poſens und Altpreußens in den Bund nicht hatte
durchſetzen können. Um ſo ernſtlicher wünſchte er jetzt ein ewiges Ver-
theidigungsbündniß zwiſchen dem Deutſchen Bunde und den Geſammt-
ſtaaten Oeſterreich und Preußen abzuſchließen; vermöge man dies nicht zu
erlangen, ſo verlangte er zum mindeſten eine bündige Antwort auf die
noch immer offene Frage: was eigentlich ein Bundeskrieg ſei? Wenn
eine der beiden Großmächte in ihren nichtdeutſchen Provinzen angegriffen
würde, dann müſſe der Bund befugt ſein durch einfachen Mehrheitsbe-
ſchluß den Krieg zu erklären, und käme ein ſolcher Beſchluß nicht zu
Stande, ſo dürfe doch den Staaten der Minderheit nicht verwehrt wer-
den ihrerſeits dem Angegriffenen Hilfe zu leiſten. Der König dachte dabei
zunächſt an ſeine eigene ungeſicherte Oſtgrenze, aber auch an das öſter-
reichiſche Italien: denn darüber war er mit dem Staatskanzler einig,
daß jeder Angriff auf Oeſterreich auch ſeinen Staat bedrohe. Seine
Abſichten fanden indeß auf allen Seiten heftigen Widerſtand. Die Mittel-
ſtaaten trugen ſchon ihre Bundespflicht nur widerwillig und ſpürten keine
Neigung die Laſt noch zu vermehren. Sogar Zentner zeigte ſich diesmal
ſpröde, faſt feindſelig; ſein Benehmen verrieth, daß der Münchener Hof
ſich im Stillen vorbehielt, unter Umſtänden als Haupt eines rein-deut-
ſchen Bundes die Politik der bewaffneten Neutralität zu führen.**) Auch
das Ausland gerieth in Bewegung. Die fremden Geſandten am Bundes-
tage ſchilderten alleſammt ihren Höfen in aufgeregten Berichten die drohende
Gefahr eines großen mitteleuropäiſchen Völkerbundes; das Petersburger

*) Bernſtorff an Goltz, 25. März 1820.
**) Bernſtorff’s Bericht, 29. Jan. 1820.
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[17/0033] Die militäriſch-politiſchen Fragen. immerhin betrachtete er es als einen Gewinn, daß jenes von Haus aus parteiiſche Bundesgericht nicht zu Stande gekommen war. *) Auch die neue Executionsordnung, welche fortan ſtatt der Karlsbader proviſoriſchen Vorſchriften galt, war in demſelben Geiſte partikulariſtiſcher Behutſamkeit gehalten. Der Regel nach ſollte der Bundestag nur mit den Regierungen verkehren und nur gegen ſie Execution verhängen; nur wenn eine Bundesregierung ſelber ſeine Hilfe nachſuchte oder im Falle offenen Aufruhrs durfte er unmittelbar gegen die Unterthanen ein- ſchreiten. — Bei allen dieſen Berathungen war Bernſtorff mit Zentner Hand in Hand gegangen. Ganz anders geſtaltete ſich der Parteikampf bei dem zweiten Theile der Schlußakte, der in achtzehn Artikeln (Art. 35—52) über die auswärtige Politik und das Heerweſen des Bundes Vorſchriften gab. In dieſen „militäriſch-politiſchen Fragen“ vertrat Preußen jetzt wie immer die Sache der Bundeseinheit; wirkſamer Schutz gegen das Aus- land blieb nach Hardenberg’s Anſicht der einzige Segen, welchen die im Innern ſo unfruchtbare Bundespolitik der Nation noch zu gewähren ver- mochte. König Friedrich Wilhelm konnte es noch immer nicht verwinden, daß er den Eintritt Poſens und Altpreußens in den Bund nicht hatte durchſetzen können. Um ſo ernſtlicher wünſchte er jetzt ein ewiges Ver- theidigungsbündniß zwiſchen dem Deutſchen Bunde und den Geſammt- ſtaaten Oeſterreich und Preußen abzuſchließen; vermöge man dies nicht zu erlangen, ſo verlangte er zum mindeſten eine bündige Antwort auf die noch immer offene Frage: was eigentlich ein Bundeskrieg ſei? Wenn eine der beiden Großmächte in ihren nichtdeutſchen Provinzen angegriffen würde, dann müſſe der Bund befugt ſein durch einfachen Mehrheitsbe- ſchluß den Krieg zu erklären, und käme ein ſolcher Beſchluß nicht zu Stande, ſo dürfe doch den Staaten der Minderheit nicht verwehrt wer- den ihrerſeits dem Angegriffenen Hilfe zu leiſten. Der König dachte dabei zunächſt an ſeine eigene ungeſicherte Oſtgrenze, aber auch an das öſter- reichiſche Italien: denn darüber war er mit dem Staatskanzler einig, daß jeder Angriff auf Oeſterreich auch ſeinen Staat bedrohe. Seine Abſichten fanden indeß auf allen Seiten heftigen Widerſtand. Die Mittel- ſtaaten trugen ſchon ihre Bundespflicht nur widerwillig und ſpürten keine Neigung die Laſt noch zu vermehren. Sogar Zentner zeigte ſich diesmal ſpröde, faſt feindſelig; ſein Benehmen verrieth, daß der Münchener Hof ſich im Stillen vorbehielt, unter Umſtänden als Haupt eines rein-deut- ſchen Bundes die Politik der bewaffneten Neutralität zu führen. **) Auch das Ausland gerieth in Bewegung. Die fremden Geſandten am Bundes- tage ſchilderten alleſammt ihren Höfen in aufgeregten Berichten die drohende Gefahr eines großen mitteleuropäiſchen Völkerbundes; das Petersburger *) Bernſtorff an Goltz, 25. März 1820. **) Bernſtorff’s Bericht, 29. Jan. 1820. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 2

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/33>, abgerufen am 28.03.2024.