der die politisch unanfechtbare Sache Preußens mit zweifelhaften Rechts- gründen vertheidigte, gestattete dem Württemberger manchen kleinen Ein- tagserfolg; doch bald mußte Wangenheim bemerken, daß seine eigenen Freunde, Aretin vornehmlich, kopfscheu wurden. Wer konnte auch im Ernst glauben, daß Preußen einem Bundesbeschlusse sein Zollsystem opfern würde? -- und -- meinte Blittersdorff in seiner frivolen Weise -- "glück- licherweise bietet die Bundesgesetzgebung Ausflüchte genug dar um jede Sache beliebig in die Länge zu ziehen." Auch Graf Buol, der anfangs dem Streite mit Schadenfreude zugesehen hatte, zog sich besorgt zurück, seit Wangenheim's Absicht eine dritte Macht in Deutschland zu gründen immer dreister heraustrat. Den feindseligen Ausschußberichten, welche den preußischen Staat, unter dem Jubel der liberalen Presse, mit argen Vor- würfen überhäuften, folgte kein entscheidender Beschluß; die leidige Sache ward verschleppt, bis nach langen Jahren Anhalt freiwillig den preußischen Forderungen nachgab. --
Einen wohlthuenden Gegensatz zu diesen partikularistischen Thorheiten bildete Wangenheim's Verhalten in den Streitfragen des Verfassungs- rechts der Bundesstaaten. Hier zeigte sich Alles was tüchtig war in dem seltsamen Manne: sein Freimuth, sein Rechtsgefühl, sein Wissen und sein Fleiß. Er wurde die Seele des Ausschusses für Beschwerden und Petitionen, der denn auch in der Hofburg als Feuerheerd der Bundes- tags-Demagogie betrachtet wurde. Freilich blieb diese rastlose Thätigkeit ebenso unfruchtbar wie der Bundestag selber, aber Wangenheim verstand, sie für den Gedanken des Bundes der Mindermächtigen zu verwerthen. Er unterhielt mit der liberalen Presse lebhaften Verkehr und bald mel- deten die Zeitungen fast allwöchentlich, wie tapfer sich Württemberg wie- derum in Frankfurt aller Bedrängten angenommen habe. Der Glaube an die liberale Gesinnung der süddeutschen Höfe begann schon zum all- gemeinen Vorurtheil zu werden. Auch das Ausland eignete sich diese An- sicht an, schon weil die tonangebende französische Presse in den Staaten der Trias die Verbündeten Frankreichs liebte; der amerikanische Publicist A. Everett, der im Jahre 1822 die deutschen Dinge ärger fand als die Zustände Hinterasiens, sah in dieser großen Wüste der Knechtschaft nur eine Oase: Württemberg und seine Nachbarlande.
Wangenheim's Berichte über den Detmolder Verfassungsstreit, über die Klage der alten Stände Schleswig-Holsteins gegen die dänische Re- gierung erregten in den Zeitungen dankbare Anerkennung, in der Hof- burg wachsenden Unwillen; doch ein Sturm des Unmuths ging durch das österreichische Lager, als der Württemberger sich auch der westphälischen Domänenkäufer, die von den hessischen Gerichten auf Befehl des Kurfürsten ungehört abgewiesen wurden, tapfer annahm. Vor wenigen Jahren hatte freilich der Bundestag selber sich für diese Unglücklichen verwendet, jetzt aber war den Diplomaten der Eschenheimer Gasse der Muth gesunken; sie wollten
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
der die politiſch unanfechtbare Sache Preußens mit zweifelhaften Rechts- gründen vertheidigte, geſtattete dem Württemberger manchen kleinen Ein- tagserfolg; doch bald mußte Wangenheim bemerken, daß ſeine eigenen Freunde, Aretin vornehmlich, kopfſcheu wurden. Wer konnte auch im Ernſt glauben, daß Preußen einem Bundesbeſchluſſe ſein Zollſyſtem opfern würde? — und — meinte Blittersdorff in ſeiner frivolen Weiſe — „glück- licherweiſe bietet die Bundesgeſetzgebung Ausflüchte genug dar um jede Sache beliebig in die Länge zu ziehen.“ Auch Graf Buol, der anfangs dem Streite mit Schadenfreude zugeſehen hatte, zog ſich beſorgt zurück, ſeit Wangenheim’s Abſicht eine dritte Macht in Deutſchland zu gründen immer dreiſter heraustrat. Den feindſeligen Ausſchußberichten, welche den preußiſchen Staat, unter dem Jubel der liberalen Preſſe, mit argen Vor- würfen überhäuften, folgte kein entſcheidender Beſchluß; die leidige Sache ward verſchleppt, bis nach langen Jahren Anhalt freiwillig den preußiſchen Forderungen nachgab. —
Einen wohlthuenden Gegenſatz zu dieſen partikulariſtiſchen Thorheiten bildete Wangenheim’s Verhalten in den Streitfragen des Verfaſſungs- rechts der Bundesſtaaten. Hier zeigte ſich Alles was tüchtig war in dem ſeltſamen Manne: ſein Freimuth, ſein Rechtsgefühl, ſein Wiſſen und ſein Fleiß. Er wurde die Seele des Ausſchuſſes für Beſchwerden und Petitionen, der denn auch in der Hofburg als Feuerheerd der Bundes- tags-Demagogie betrachtet wurde. Freilich blieb dieſe raſtloſe Thätigkeit ebenſo unfruchtbar wie der Bundestag ſelber, aber Wangenheim verſtand, ſie für den Gedanken des Bundes der Mindermächtigen zu verwerthen. Er unterhielt mit der liberalen Preſſe lebhaften Verkehr und bald mel- deten die Zeitungen faſt allwöchentlich, wie tapfer ſich Württemberg wie- derum in Frankfurt aller Bedrängten angenommen habe. Der Glaube an die liberale Geſinnung der ſüddeutſchen Höfe begann ſchon zum all- gemeinen Vorurtheil zu werden. Auch das Ausland eignete ſich dieſe An- ſicht an, ſchon weil die tonangebende franzöſiſche Preſſe in den Staaten der Trias die Verbündeten Frankreichs liebte; der amerikaniſche Publiciſt A. Everett, der im Jahre 1822 die deutſchen Dinge ärger fand als die Zuſtände Hinteraſiens, ſah in dieſer großen Wüſte der Knechtſchaft nur eine Oaſe: Württemberg und ſeine Nachbarlande.
Wangenheim’s Berichte über den Detmolder Verfaſſungsſtreit, über die Klage der alten Stände Schleswig-Holſteins gegen die däniſche Re- gierung erregten in den Zeitungen dankbare Anerkennung, in der Hof- burg wachſenden Unwillen; doch ein Sturm des Unmuths ging durch das öſterreichiſche Lager, als der Württemberger ſich auch der weſtphäliſchen Domänenkäufer, die von den heſſiſchen Gerichten auf Befehl des Kurfürſten ungehört abgewieſen wurden, tapfer annahm. Vor wenigen Jahren hatte freilich der Bundestag ſelber ſich für dieſe Unglücklichen verwendet, jetzt aber war den Diplomaten der Eſchenheimer Gaſſe der Muth geſunken; ſie wollten
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der die politiſch unanfechtbare Sache Preußens mit zweifelhaften Rechts-
gründen vertheidigte, geſtattete dem Württemberger manchen kleinen Ein-
tagserfolg; doch bald mußte Wangenheim bemerken, daß ſeine eigenen
Freunde, Aretin vornehmlich, kopfſcheu wurden. Wer konnte auch im
Ernſt glauben, daß Preußen einem Bundesbeſchluſſe ſein Zollſyſtem opfern
würde? — und — meinte Blittersdorff in ſeiner frivolen Weiſe — „glück-
licherweiſe bietet die Bundesgeſetzgebung Ausflüchte genug dar um jede
Sache beliebig in die Länge zu ziehen.“ Auch Graf Buol, der anfangs
dem Streite mit Schadenfreude zugeſehen hatte, zog ſich beſorgt zurück,
ſeit Wangenheim’s Abſicht eine dritte Macht in Deutſchland zu gründen
immer dreiſter heraustrat. Den feindſeligen Ausſchußberichten, welche den
preußiſchen Staat, unter dem Jubel der liberalen Preſſe, mit argen Vor-
würfen überhäuften, folgte kein entſcheidender Beſchluß; die leidige Sache
ward verſchleppt, bis nach langen Jahren Anhalt freiwillig den preußiſchen
Forderungen nachgab. —
Einen wohlthuenden Gegenſatz zu dieſen partikulariſtiſchen Thorheiten
bildete Wangenheim’s Verhalten in den Streitfragen des Verfaſſungs-
rechts der Bundesſtaaten. Hier zeigte ſich Alles was tüchtig war in dem
ſeltſamen Manne: ſein Freimuth, ſein Rechtsgefühl, ſein Wiſſen und
ſein Fleiß. Er wurde die Seele des Ausſchuſſes für Beſchwerden und
Petitionen, der denn auch in der Hofburg als Feuerheerd der Bundes-
tags-Demagogie betrachtet wurde. Freilich blieb dieſe raſtloſe Thätigkeit
ebenſo unfruchtbar wie der Bundestag ſelber, aber Wangenheim verſtand,
ſie für den Gedanken des Bundes der Mindermächtigen zu verwerthen.
Er unterhielt mit der liberalen Preſſe lebhaften Verkehr und bald mel-
deten die Zeitungen faſt allwöchentlich, wie tapfer ſich Württemberg wie-
derum in Frankfurt aller Bedrängten angenommen habe. Der Glaube
an die liberale Geſinnung der ſüddeutſchen Höfe begann ſchon zum all-
gemeinen Vorurtheil zu werden. Auch das Ausland eignete ſich dieſe An-
ſicht an, ſchon weil die tonangebende franzöſiſche Preſſe in den Staaten
der Trias die Verbündeten Frankreichs liebte; der amerikaniſche Publiciſt
A. Everett, der im Jahre 1822 die deutſchen Dinge ärger fand als die
Zuſtände Hinteraſiens, ſah in dieſer großen Wüſte der Knechtſchaft nur
eine Oaſe: Württemberg und ſeine Nachbarlande.
Wangenheim’s Berichte über den Detmolder Verfaſſungsſtreit, über
die Klage der alten Stände Schleswig-Holſteins gegen die däniſche Re-
gierung erregten in den Zeitungen dankbare Anerkennung, in der Hof-
burg wachſenden Unwillen; doch ein Sturm des Unmuths ging durch
das öſterreichiſche Lager, als der Württemberger ſich auch der weſtphäliſchen
Domänenkäufer, die von den heſſiſchen Gerichten auf Befehl des Kurfürſten
ungehört abgewieſen wurden, tapfer annahm. Vor wenigen Jahren hatte
freilich der Bundestag ſelber ſich für dieſe Unglücklichen verwendet, jetzt aber
war den Diplomaten der Eſchenheimer Gaſſe der Muth geſunken; ſie wollten
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/312>, abgerufen am 25.11.2024.
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