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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
eine Weile goldig in der Sonne glitzerten, blieb aber auch ebenso seelen-
vergnügt wenn sie platzten. Denn die leidenschaftliche Freude am Erfolge,
das sicherste Kennzeichen des praktischen Talentes, fehlte ihm gänzlich, trotz
der Ehrlichkeit seiner Ueberzeugung kam er niemals über den geschäftigen
Dilettantismus hinaus. Unter allen Grundsätzen des Bundesrechtes hielt
er keinen so hoch wie die formale Rechtsgleichheit der souveränen Bundes-
staaten. Nicht einmal den Schein eines Uebergewichts wollte er den Groß-
mächten gönnen, und niemals beunruhigte ihn das Bedenken, ob denn
die Macht und Einheit Deutschlands, die er auf seine Weise ehrlich wünschte,
mit der Gleichheit dieser achtunddreißig Souveräne verträglich sei. Als
er einmal in einem langen Gutachten bewiesen hatte, Köthen sei ein Staat
wie Preußen auch und folglich der köthener Schmuggel ebenso berechtigt
wie die preußische Handelspolitik, da erfüllte ihn das Bewußtsein einer
vollbrachten Großthat, und stolz schrieb er einem Freunde: "Die anhaltisch-
preußische Streitfrage, welche synonym mit der ist, ob wir einen Bund
oder eine societatem leoninam haben sollen, wird würdig und folgen-
reich beantwortet, und -- Württemberg hat die Antwort gegeben, die nun
ihr Echo in ganz Deutschland findet!"*)

Die stattliche Erscheinung des schönen hochgewachsenen Cavaliers mit
den schwärmerischen Augen und dem gutmüthigen Lachen war in der Ge-
sellschaft überall willkommen; man verzieh ihm gern, wenn er in der
Lust des Weines seinem taktlosen Uebermuth die Zügel schießen ließ und
einmal gar in Gegenwart des preußischen Gesandten einen Trinkspruch
auf die Republik ausbrachte. An Geist und Bildung übertraf er die
meisten, an dialektischer Gewandtheit alle seine Amtsgenossen, und rück-
sichtslos genug ließ er sie sein Uebergewicht fühlen; jeden seiner Einfälle
vertheidigte er in Repliken und Dupliken, und bald ward es zur Regel,
daß Württemberg über alle noch so geringfügigen Fragen sein Sonder-
gutachten abgab. Seit Buol's pomphaften Eröffnungsreden und Gagern's
reichspatriotischen Herzensergießungen hatte sich der Bundestag an den
Mißbrauch parlamentarischer Redekünste gewöhnt, obgleich diese Gesand-
ten allesammt streng an ihre Instruktionen gebunden waren; jetzt füllte
Wangenheim's unersättliche Beredsamkeit zuweilen ganze Sitzungen aus.
Der conservative Wintzingerode in Stuttgart erschrak nicht selten über die
kühnen Luftsprünge seines Bundesgesandten; jedoch der König und sein
geheimer Rathgeber Trott nahmen sich Wangenheim's in der Regel an,
und so konnte er ungestört eine Oppositionspartei um sich sammeln. Die
hessischen Gesandten Lepel und Harnier, zwei tüchtige Geschäftsmänner,
folgten ihm fast unbedingt. Aber auch der Baier Aretin, ein feiner, geist-
reicher Gelehrter, der den wilden bajuvarischen Fanatismus seines aleman-
nischen Bruders keineswegs theilte, blieb nicht ganz unempfänglich, wenn

*) Wangenheim an Hartmann, 12. Juli 1821.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
eine Weile goldig in der Sonne glitzerten, blieb aber auch ebenſo ſeelen-
vergnügt wenn ſie platzten. Denn die leidenſchaftliche Freude am Erfolge,
das ſicherſte Kennzeichen des praktiſchen Talentes, fehlte ihm gänzlich, trotz
der Ehrlichkeit ſeiner Ueberzeugung kam er niemals über den geſchäftigen
Dilettantismus hinaus. Unter allen Grundſätzen des Bundesrechtes hielt
er keinen ſo hoch wie die formale Rechtsgleichheit der ſouveränen Bundes-
ſtaaten. Nicht einmal den Schein eines Uebergewichts wollte er den Groß-
mächten gönnen, und niemals beunruhigte ihn das Bedenken, ob denn
die Macht und Einheit Deutſchlands, die er auf ſeine Weiſe ehrlich wünſchte,
mit der Gleichheit dieſer achtunddreißig Souveräne verträglich ſei. Als
er einmal in einem langen Gutachten bewieſen hatte, Köthen ſei ein Staat
wie Preußen auch und folglich der köthener Schmuggel ebenſo berechtigt
wie die preußiſche Handelspolitik, da erfüllte ihn das Bewußtſein einer
vollbrachten Großthat, und ſtolz ſchrieb er einem Freunde: „Die anhaltiſch-
preußiſche Streitfrage, welche ſynonym mit der iſt, ob wir einen Bund
oder eine societatem leoninam haben ſollen, wird würdig und folgen-
reich beantwortet, und — Württemberg hat die Antwort gegeben, die nun
ihr Echo in ganz Deutſchland findet!“*)

Die ſtattliche Erſcheinung des ſchönen hochgewachſenen Cavaliers mit
den ſchwärmeriſchen Augen und dem gutmüthigen Lachen war in der Ge-
ſellſchaft überall willkommen; man verzieh ihm gern, wenn er in der
Luſt des Weines ſeinem taktloſen Uebermuth die Zügel ſchießen ließ und
einmal gar in Gegenwart des preußiſchen Geſandten einen Trinkſpruch
auf die Republik ausbrachte. An Geiſt und Bildung übertraf er die
meiſten, an dialektiſcher Gewandtheit alle ſeine Amtsgenoſſen, und rück-
ſichtslos genug ließ er ſie ſein Uebergewicht fühlen; jeden ſeiner Einfälle
vertheidigte er in Repliken und Dupliken, und bald ward es zur Regel,
daß Württemberg über alle noch ſo geringfügigen Fragen ſein Sonder-
gutachten abgab. Seit Buol’s pomphaften Eröffnungsreden und Gagern’s
reichspatriotiſchen Herzensergießungen hatte ſich der Bundestag an den
Mißbrauch parlamentariſcher Redekünſte gewöhnt, obgleich dieſe Geſand-
ten alleſammt ſtreng an ihre Inſtruktionen gebunden waren; jetzt füllte
Wangenheim’s unerſättliche Beredſamkeit zuweilen ganze Sitzungen aus.
Der conſervative Wintzingerode in Stuttgart erſchrak nicht ſelten über die
kühnen Luftſprünge ſeines Bundesgeſandten; jedoch der König und ſein
geheimer Rathgeber Trott nahmen ſich Wangenheim’s in der Regel an,
und ſo konnte er ungeſtört eine Oppoſitionspartei um ſich ſammeln. Die
heſſiſchen Geſandten Lepel und Harnier, zwei tüchtige Geſchäftsmänner,
folgten ihm faſt unbedingt. Aber auch der Baier Aretin, ein feiner, geiſt-
reicher Gelehrter, der den wilden bajuvariſchen Fanatismus ſeines aleman-
niſchen Bruders keineswegs theilte, blieb nicht ganz unempfänglich, wenn

*) Wangenheim an Hartmann, 12. Juli 1821.
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[286/0302] III. 5. Die Großmächte und die Trias. eine Weile goldig in der Sonne glitzerten, blieb aber auch ebenſo ſeelen- vergnügt wenn ſie platzten. Denn die leidenſchaftliche Freude am Erfolge, das ſicherſte Kennzeichen des praktiſchen Talentes, fehlte ihm gänzlich, trotz der Ehrlichkeit ſeiner Ueberzeugung kam er niemals über den geſchäftigen Dilettantismus hinaus. Unter allen Grundſätzen des Bundesrechtes hielt er keinen ſo hoch wie die formale Rechtsgleichheit der ſouveränen Bundes- ſtaaten. Nicht einmal den Schein eines Uebergewichts wollte er den Groß- mächten gönnen, und niemals beunruhigte ihn das Bedenken, ob denn die Macht und Einheit Deutſchlands, die er auf ſeine Weiſe ehrlich wünſchte, mit der Gleichheit dieſer achtunddreißig Souveräne verträglich ſei. Als er einmal in einem langen Gutachten bewieſen hatte, Köthen ſei ein Staat wie Preußen auch und folglich der köthener Schmuggel ebenſo berechtigt wie die preußiſche Handelspolitik, da erfüllte ihn das Bewußtſein einer vollbrachten Großthat, und ſtolz ſchrieb er einem Freunde: „Die anhaltiſch- preußiſche Streitfrage, welche ſynonym mit der iſt, ob wir einen Bund oder eine societatem leoninam haben ſollen, wird würdig und folgen- reich beantwortet, und — Württemberg hat die Antwort gegeben, die nun ihr Echo in ganz Deutſchland findet!“ *) Die ſtattliche Erſcheinung des ſchönen hochgewachſenen Cavaliers mit den ſchwärmeriſchen Augen und dem gutmüthigen Lachen war in der Ge- ſellſchaft überall willkommen; man verzieh ihm gern, wenn er in der Luſt des Weines ſeinem taktloſen Uebermuth die Zügel ſchießen ließ und einmal gar in Gegenwart des preußiſchen Geſandten einen Trinkſpruch auf die Republik ausbrachte. An Geiſt und Bildung übertraf er die meiſten, an dialektiſcher Gewandtheit alle ſeine Amtsgenoſſen, und rück- ſichtslos genug ließ er ſie ſein Uebergewicht fühlen; jeden ſeiner Einfälle vertheidigte er in Repliken und Dupliken, und bald ward es zur Regel, daß Württemberg über alle noch ſo geringfügigen Fragen ſein Sonder- gutachten abgab. Seit Buol’s pomphaften Eröffnungsreden und Gagern’s reichspatriotiſchen Herzensergießungen hatte ſich der Bundestag an den Mißbrauch parlamentariſcher Redekünſte gewöhnt, obgleich dieſe Geſand- ten alleſammt ſtreng an ihre Inſtruktionen gebunden waren; jetzt füllte Wangenheim’s unerſättliche Beredſamkeit zuweilen ganze Sitzungen aus. Der conſervative Wintzingerode in Stuttgart erſchrak nicht ſelten über die kühnen Luftſprünge ſeines Bundesgeſandten; jedoch der König und ſein geheimer Rathgeber Trott nahmen ſich Wangenheim’s in der Regel an, und ſo konnte er ungeſtört eine Oppoſitionspartei um ſich ſammeln. Die heſſiſchen Geſandten Lepel und Harnier, zwei tüchtige Geſchäftsmänner, folgten ihm faſt unbedingt. Aber auch der Baier Aretin, ein feiner, geiſt- reicher Gelehrter, der den wilden bajuvariſchen Fanatismus ſeines aleman- niſchen Bruders keineswegs theilte, blieb nicht ganz unempfänglich, wenn *) Wangenheim an Hartmann, 12. Juli 1821.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/302>, abgerufen am 13.05.2024.