seine philhellenische Gesinnung nicht verhehlt und sich in der Unterrichts- verwaltung duldsamer gezeigt, als den fanatischen Popen erlaubt schien.
Wetteifernd suchten England und Oesterreich, die beiden treuen Gönner des Divans, den Czaren in seiner friedlichen Gesinnung zu bestärken. Im Oktober 1821 empfing Metternich von Lord Castlereagh ein Schreiben, das ihn über die Harmlosigkeit der Troppauer Protestnoten seines englischen Freundes vollständig beruhigte. Der Lord, jetzt Graf Londonderry, lud ihn ein, sich in Hannover bei König Georg einzufinden; dort wollten sie Beide alle die kleinen Meinungsunterschiede ausgleichen, die selbst zwischen vollkommen gleichgesinnten Höfen zuweilen beständen.*) In Hannover ward der Oesterreicher mit offenen Armen aufgenommen; der Welfe sprach mit inbrünstiger Bewunderung von der Weisheit des Kaisers Franz, ließ bei Tisch ein urkräftiges Hep hep hurrah zu Ehren seines großen Alliirten erschallen und entwickelte Grundsätze, deren Lauterkeit den Gast entzückte: seine eigenen Tory-Minister waren ihm noch viel zu liberal. Die beiden Staatsmänner erneuerten unterdessen ihr altes Freundschaftsbündniß, sie verständigten sich leicht über alle europäischen Fragen, am leichtesten über die Aufrechterhaltung des Friedens im Oriente: mit vereinter Kraft dachten Beide zugleich den Czaren vor dem Kriege zu warnen und die Pforte zur Mäßigung zu mahnen. Da aber die Feinheit der Orien- talen sogleich witterte, daß keiner der beiden Höfe geneigt war, seinen menschenfreundlichen Mahnungen durch die Waffen Nachdruck zu geben, und der Oesterreichische Beobachter nach wie vor jede Grausamkeit der Türken beschönigte, jeden Sieg der Griechen verdächtigte, so ließen sich die Paschas des herrischen Machmud in ihrer gewohnten Kriegführung nicht stören. Sie fuhren fort, gegen die Rebellen die altbewährten ottomani- schen Beruhigungsmittel des Schändens und Schindens, des Pfählens und Säckens, des Köpfens und Brennens anzuwenden; und wer ein Ohr hatte für die Verzweiflung eines zur Raserei gebrachten Volkes, der mußte erkennen, daß die von Metternich und Londonderry ersehnte Unterwerfung der Griechen schon längst unmöglich war. Ein so gräßlicher Krieg konnte nicht mehr anders enden als mit der Ausrottung oder der Befreiung des Hellenenvolkes.
Dem Czaren freilich war die unfruchtbare Schlauheit der Hofburg immer noch überlegen. Zunächst galt es, "den Träumer" Kapodistrias vom Petersburger Hofe zu entfernen. Den ganzen Winter hindurch ängstete Metternich den russischen Monarchen in zahllosen Briefen und Denkschriften mit dem Gespenste des allgemeinen Weltbrandes: alle Un- zufriedenen in Deutschland ersehnten den Augenblick, da der Czar sich für die Revolution erklären würde! Von dem getreuen Rechberg wollte er so- gar erfahren haben, daß die Münchener Liberalen nur auf das Los-
*) Castlereagh an Metternich, Aachen 1. Okt. 1821.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 17
Friedliche Haltung Rußlands.
ſeine philhelleniſche Geſinnung nicht verhehlt und ſich in der Unterrichts- verwaltung duldſamer gezeigt, als den fanatiſchen Popen erlaubt ſchien.
Wetteifernd ſuchten England und Oeſterreich, die beiden treuen Gönner des Divans, den Czaren in ſeiner friedlichen Geſinnung zu beſtärken. Im Oktober 1821 empfing Metternich von Lord Caſtlereagh ein Schreiben, das ihn über die Harmloſigkeit der Troppauer Proteſtnoten ſeines engliſchen Freundes vollſtändig beruhigte. Der Lord, jetzt Graf Londonderry, lud ihn ein, ſich in Hannover bei König Georg einzufinden; dort wollten ſie Beide alle die kleinen Meinungsunterſchiede ausgleichen, die ſelbſt zwiſchen vollkommen gleichgeſinnten Höfen zuweilen beſtänden.*) In Hannover ward der Oeſterreicher mit offenen Armen aufgenommen; der Welfe ſprach mit inbrünſtiger Bewunderung von der Weisheit des Kaiſers Franz, ließ bei Tiſch ein urkräftiges Hep hep hurrah zu Ehren ſeines großen Alliirten erſchallen und entwickelte Grundſätze, deren Lauterkeit den Gaſt entzückte: ſeine eigenen Tory-Miniſter waren ihm noch viel zu liberal. Die beiden Staatsmänner erneuerten unterdeſſen ihr altes Freundſchaftsbündniß, ſie verſtändigten ſich leicht über alle europäiſchen Fragen, am leichteſten über die Aufrechterhaltung des Friedens im Oriente: mit vereinter Kraft dachten Beide zugleich den Czaren vor dem Kriege zu warnen und die Pforte zur Mäßigung zu mahnen. Da aber die Feinheit der Orien- talen ſogleich witterte, daß keiner der beiden Höfe geneigt war, ſeinen menſchenfreundlichen Mahnungen durch die Waffen Nachdruck zu geben, und der Oeſterreichiſche Beobachter nach wie vor jede Grauſamkeit der Türken beſchönigte, jeden Sieg der Griechen verdächtigte, ſo ließen ſich die Paſchas des herriſchen Machmud in ihrer gewohnten Kriegführung nicht ſtören. Sie fuhren fort, gegen die Rebellen die altbewährten ottomani- ſchen Beruhigungsmittel des Schändens und Schindens, des Pfählens und Säckens, des Köpfens und Brennens anzuwenden; und wer ein Ohr hatte für die Verzweiflung eines zur Raſerei gebrachten Volkes, der mußte erkennen, daß die von Metternich und Londonderry erſehnte Unterwerfung der Griechen ſchon längſt unmöglich war. Ein ſo gräßlicher Krieg konnte nicht mehr anders enden als mit der Ausrottung oder der Befreiung des Hellenenvolkes.
Dem Czaren freilich war die unfruchtbare Schlauheit der Hofburg immer noch überlegen. Zunächſt galt es, „den Träumer“ Kapodiſtrias vom Petersburger Hofe zu entfernen. Den ganzen Winter hindurch ängſtete Metternich den ruſſiſchen Monarchen in zahlloſen Briefen und Denkſchriften mit dem Geſpenſte des allgemeinen Weltbrandes: alle Un- zufriedenen in Deutſchland erſehnten den Augenblick, da der Czar ſich für die Revolution erklären würde! Von dem getreuen Rechberg wollte er ſo- gar erfahren haben, daß die Münchener Liberalen nur auf das Los-
*) Caſtlereagh an Metternich, Aachen 1. Okt. 1821.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 17
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0273"n="257"/><fwplace="top"type="header">Friedliche Haltung Rußlands.</fw><lb/>ſeine philhelleniſche Geſinnung nicht verhehlt und ſich in der Unterrichts-<lb/>
verwaltung duldſamer gezeigt, als den fanatiſchen Popen erlaubt ſchien.</p><lb/><p>Wetteifernd ſuchten England und Oeſterreich, die beiden treuen Gönner<lb/>
des Divans, den Czaren in ſeiner friedlichen Geſinnung zu beſtärken. Im<lb/>
Oktober 1821 empfing Metternich von Lord Caſtlereagh ein Schreiben, das<lb/>
ihn über die Harmloſigkeit der Troppauer Proteſtnoten ſeines engliſchen<lb/>
Freundes vollſtändig beruhigte. Der Lord, jetzt Graf Londonderry, lud<lb/>
ihn ein, ſich in Hannover bei König Georg einzufinden; dort wollten ſie<lb/>
Beide alle die kleinen Meinungsunterſchiede ausgleichen, die ſelbſt zwiſchen<lb/>
vollkommen gleichgeſinnten Höfen zuweilen beſtänden.<noteplace="foot"n="*)">Caſtlereagh an Metternich, Aachen 1. Okt. 1821.</note> In Hannover<lb/>
ward der Oeſterreicher mit offenen Armen aufgenommen; der Welfe ſprach<lb/>
mit inbrünſtiger Bewunderung von der Weisheit des Kaiſers Franz, ließ<lb/>
bei Tiſch ein urkräftiges <hirendition="#aq">Hep hep hurrah</hi> zu Ehren ſeines großen Alliirten<lb/>
erſchallen und entwickelte Grundſätze, deren Lauterkeit den Gaſt entzückte:<lb/>ſeine eigenen Tory-Miniſter waren ihm noch viel zu liberal. Die beiden<lb/>
Staatsmänner erneuerten unterdeſſen ihr altes Freundſchaftsbündniß, ſie<lb/>
verſtändigten ſich leicht über alle europäiſchen Fragen, am leichteſten<lb/>
über die Aufrechterhaltung des Friedens im Oriente: mit vereinter Kraft<lb/>
dachten Beide zugleich den Czaren vor dem Kriege zu warnen und die<lb/>
Pforte zur Mäßigung zu mahnen. Da aber die Feinheit der Orien-<lb/>
talen ſogleich witterte, daß keiner der beiden Höfe geneigt war, ſeinen<lb/>
menſchenfreundlichen Mahnungen durch die Waffen Nachdruck zu geben,<lb/>
und der Oeſterreichiſche Beobachter nach wie vor jede Grauſamkeit der<lb/>
Türken beſchönigte, jeden Sieg der Griechen verdächtigte, ſo ließen ſich die<lb/>
Paſchas des herriſchen Machmud in ihrer gewohnten Kriegführung nicht<lb/>ſtören. Sie fuhren fort, gegen die Rebellen die altbewährten ottomani-<lb/>ſchen Beruhigungsmittel des Schändens und Schindens, des Pfählens<lb/>
und Säckens, des Köpfens und Brennens anzuwenden; und wer ein Ohr<lb/>
hatte für die Verzweiflung eines zur Raſerei gebrachten Volkes, der mußte<lb/>
erkennen, daß die von Metternich und Londonderry erſehnte Unterwerfung<lb/>
der Griechen ſchon längſt unmöglich war. Ein ſo gräßlicher Krieg konnte<lb/>
nicht mehr anders enden als mit der Ausrottung oder der Befreiung des<lb/>
Hellenenvolkes.</p><lb/><p>Dem Czaren freilich war die unfruchtbare Schlauheit der Hofburg<lb/>
immer noch überlegen. Zunächſt galt es, „den Träumer“ Kapodiſtrias<lb/>
vom Petersburger Hofe zu entfernen. Den ganzen Winter hindurch<lb/>
ängſtete Metternich den ruſſiſchen Monarchen in zahlloſen Briefen und<lb/>
Denkſchriften mit dem Geſpenſte des allgemeinen Weltbrandes: alle Un-<lb/>
zufriedenen in Deutſchland erſehnten den Augenblick, da der Czar ſich für<lb/>
die Revolution erklären würde! Von dem getreuen Rechberg wollte er ſo-<lb/>
gar erfahren haben, daß die Münchener Liberalen nur auf das Los-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Treitſchke</hi>, Deutſche Geſchichte. <hirendition="#aq">III.</hi> 17</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[257/0273]
Friedliche Haltung Rußlands.
ſeine philhelleniſche Geſinnung nicht verhehlt und ſich in der Unterrichts-
verwaltung duldſamer gezeigt, als den fanatiſchen Popen erlaubt ſchien.
Wetteifernd ſuchten England und Oeſterreich, die beiden treuen Gönner
des Divans, den Czaren in ſeiner friedlichen Geſinnung zu beſtärken. Im
Oktober 1821 empfing Metternich von Lord Caſtlereagh ein Schreiben, das
ihn über die Harmloſigkeit der Troppauer Proteſtnoten ſeines engliſchen
Freundes vollſtändig beruhigte. Der Lord, jetzt Graf Londonderry, lud
ihn ein, ſich in Hannover bei König Georg einzufinden; dort wollten ſie
Beide alle die kleinen Meinungsunterſchiede ausgleichen, die ſelbſt zwiſchen
vollkommen gleichgeſinnten Höfen zuweilen beſtänden. *) In Hannover
ward der Oeſterreicher mit offenen Armen aufgenommen; der Welfe ſprach
mit inbrünſtiger Bewunderung von der Weisheit des Kaiſers Franz, ließ
bei Tiſch ein urkräftiges Hep hep hurrah zu Ehren ſeines großen Alliirten
erſchallen und entwickelte Grundſätze, deren Lauterkeit den Gaſt entzückte:
ſeine eigenen Tory-Miniſter waren ihm noch viel zu liberal. Die beiden
Staatsmänner erneuerten unterdeſſen ihr altes Freundſchaftsbündniß, ſie
verſtändigten ſich leicht über alle europäiſchen Fragen, am leichteſten
über die Aufrechterhaltung des Friedens im Oriente: mit vereinter Kraft
dachten Beide zugleich den Czaren vor dem Kriege zu warnen und die
Pforte zur Mäßigung zu mahnen. Da aber die Feinheit der Orien-
talen ſogleich witterte, daß keiner der beiden Höfe geneigt war, ſeinen
menſchenfreundlichen Mahnungen durch die Waffen Nachdruck zu geben,
und der Oeſterreichiſche Beobachter nach wie vor jede Grauſamkeit der
Türken beſchönigte, jeden Sieg der Griechen verdächtigte, ſo ließen ſich die
Paſchas des herriſchen Machmud in ihrer gewohnten Kriegführung nicht
ſtören. Sie fuhren fort, gegen die Rebellen die altbewährten ottomani-
ſchen Beruhigungsmittel des Schändens und Schindens, des Pfählens
und Säckens, des Köpfens und Brennens anzuwenden; und wer ein Ohr
hatte für die Verzweiflung eines zur Raſerei gebrachten Volkes, der mußte
erkennen, daß die von Metternich und Londonderry erſehnte Unterwerfung
der Griechen ſchon längſt unmöglich war. Ein ſo gräßlicher Krieg konnte
nicht mehr anders enden als mit der Ausrottung oder der Befreiung des
Hellenenvolkes.
Dem Czaren freilich war die unfruchtbare Schlauheit der Hofburg
immer noch überlegen. Zunächſt galt es, „den Träumer“ Kapodiſtrias
vom Petersburger Hofe zu entfernen. Den ganzen Winter hindurch
ängſtete Metternich den ruſſiſchen Monarchen in zahlloſen Briefen und
Denkſchriften mit dem Geſpenſte des allgemeinen Weltbrandes: alle Un-
zufriedenen in Deutſchland erſehnten den Augenblick, da der Czar ſich für
die Revolution erklären würde! Von dem getreuen Rechberg wollte er ſo-
gar erfahren haben, daß die Münchener Liberalen nur auf das Los-
*) Caſtlereagh an Metternich, Aachen 1. Okt. 1821.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 17
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/273>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.