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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
kennen, wie seine geistige Kraft ihn nach und nach verließ. Nur das
unwürdige Weib, das schon so viel Jammer über sein graues Haupt ge-
bracht, verließ ihn nicht; die Schlafwandlerin Friederike reiste ihm in den
Süden nach. Wer könnte es ohne Erschütterung lesen -- die letzten
Worte seines Tagebuches lauten: 9. Nov. Arrivee des Kimsky! In
dieser Gesellschaft brach er von Verona auf um die Riviera zu bereisen.
Als die Wagen bei dem Leuchtthurm von Genua anlangten, an jener
Biegung des Strandes, wo sich plötzlich der Ausblick öffnet auf das weite
Halbrund des Hafens und die stolz aufsteigende Stadt darüber, da gab
sich die Liebenswürdigkeit des Greises, seine jugendliche Freude an allem
Schönen noch einmal in bewegten Worten kund. Er konnte sich von dem
grandiosen Anblick lange nicht trennen und sagte, ein schöneres Schau-
spiel habe er in seinem langen Leben nie genossen. Einige Stunden darauf
lag er auf dem Krankenbette und verschied nach kurzem Leiden am
26. November.

Er starb zu spät für seinen Ruhm. Den Reaktionären verhaßt, den
Conservativen verdächtig, hatte er auch bei den Liberalen, die zudem von
dem Ernst seiner Verfassungsarbeit nichts wußten, durch den Kleinmuth
seiner letzten Lebensjahre alles Ansehen eingebüßt. Fast Niemand fühlte,
wie traurig es doch war, daß der Strom eines großen Lebens so still im
Sande verlaufen mußte. Der König bekundete in der Gesetzsammlung
öffentlich sein Bedauern über den Heimgang des Staatsverwesers, dessen
Andenken stets erhalten bleiben werde, wie auch Gentz im Oesterreichischen
Beobachter die pflichtschuldigen amtlichen Harfenklänge ertönen ließ. In
seinem Herzen hatte Friedrich Wilhelm mit dem Manne, der ihm einst so
nahe gestanden, längst gebrochen; er nahm die Todesnachricht so gleichgiltig
auf, daß seine Umgebung den wohlwollenden Fürsten kaum wiedererkannte
und Wittgenstein zu dem jungen Grafen Redern sagte: hier möge er
lernen, wie Könige über Menschen dächten.*) Nur der treue Stägemann
wollte nicht vergessen, was seine Brennen -- so nannte er die Preußen --
diesem Todten dankten, und sang:

Du aber schweigst, Posaune der Klio, nicht.
Du legst dich purpurn über die stille Gruft,
Der Brennen-Zukunft reicher Teppich,
Dran er, ein Meister, gewoben immer.

Und wahrlich, so viele Fäden wie Hardenberg hatten bisher wohl ein-
zelne große Monarchen, aber noch niemals ein Unterthan in das Schick-
salsgewebe dieses Staates eingeschlungen. Klang es nicht wie ein Märchen,
daß er wirklich nur zwölf Jahre lang an der Spitze der Verwaltung ge-
standen hatte? Welche Fülle von Thaten drängte sich in der kurzen Frist
seiner Kanzlerschaft zusammen: erst der Umsturz der feudalen Gesellschafts-

*) Nach mündlichen Erzählungen des Grafen Redern.

III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
kennen, wie ſeine geiſtige Kraft ihn nach und nach verließ. Nur das
unwürdige Weib, das ſchon ſo viel Jammer über ſein graues Haupt ge-
bracht, verließ ihn nicht; die Schlafwandlerin Friederike reiſte ihm in den
Süden nach. Wer könnte es ohne Erſchütterung leſen — die letzten
Worte ſeines Tagebuches lauten: 9. Nov. Arrivée des Kimsky! In
dieſer Geſellſchaft brach er von Verona auf um die Riviera zu bereiſen.
Als die Wagen bei dem Leuchtthurm von Genua anlangten, an jener
Biegung des Strandes, wo ſich plötzlich der Ausblick öffnet auf das weite
Halbrund des Hafens und die ſtolz aufſteigende Stadt darüber, da gab
ſich die Liebenswürdigkeit des Greiſes, ſeine jugendliche Freude an allem
Schönen noch einmal in bewegten Worten kund. Er konnte ſich von dem
grandioſen Anblick lange nicht trennen und ſagte, ein ſchöneres Schau-
ſpiel habe er in ſeinem langen Leben nie genoſſen. Einige Stunden darauf
lag er auf dem Krankenbette und verſchied nach kurzem Leiden am
26. November.

Er ſtarb zu ſpät für ſeinen Ruhm. Den Reaktionären verhaßt, den
Conſervativen verdächtig, hatte er auch bei den Liberalen, die zudem von
dem Ernſt ſeiner Verfaſſungsarbeit nichts wußten, durch den Kleinmuth
ſeiner letzten Lebensjahre alles Anſehen eingebüßt. Faſt Niemand fühlte,
wie traurig es doch war, daß der Strom eines großen Lebens ſo ſtill im
Sande verlaufen mußte. Der König bekundete in der Geſetzſammlung
öffentlich ſein Bedauern über den Heimgang des Staatsverweſers, deſſen
Andenken ſtets erhalten bleiben werde, wie auch Gentz im Oeſterreichiſchen
Beobachter die pflichtſchuldigen amtlichen Harfenklänge ertönen ließ. In
ſeinem Herzen hatte Friedrich Wilhelm mit dem Manne, der ihm einſt ſo
nahe geſtanden, längſt gebrochen; er nahm die Todesnachricht ſo gleichgiltig
auf, daß ſeine Umgebung den wohlwollenden Fürſten kaum wiedererkannte
und Wittgenſtein zu dem jungen Grafen Redern ſagte: hier möge er
lernen, wie Könige über Menſchen dächten.*) Nur der treue Stägemann
wollte nicht vergeſſen, was ſeine Brennen — ſo nannte er die Preußen —
dieſem Todten dankten, und ſang:

Du aber ſchweigſt, Poſaune der Klio, nicht.
Du legſt dich purpurn über die ſtille Gruft,
Der Brennen-Zukunft reicher Teppich,
Dran er, ein Meiſter, gewoben immer.

Und wahrlich, ſo viele Fäden wie Hardenberg hatten bisher wohl ein-
zelne große Monarchen, aber noch niemals ein Unterthan in das Schick-
ſalsgewebe dieſes Staates eingeſchlungen. Klang es nicht wie ein Märchen,
daß er wirklich nur zwölf Jahre lang an der Spitze der Verwaltung ge-
ſtanden hatte? Welche Fülle von Thaten drängte ſich in der kurzen Friſt
ſeiner Kanzlerſchaft zuſammen: erſt der Umſturz der feudalen Geſellſchafts-

*) Nach mündlichen Erzählungen des Grafen Redern.
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[252/0268] III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. kennen, wie ſeine geiſtige Kraft ihn nach und nach verließ. Nur das unwürdige Weib, das ſchon ſo viel Jammer über ſein graues Haupt ge- bracht, verließ ihn nicht; die Schlafwandlerin Friederike reiſte ihm in den Süden nach. Wer könnte es ohne Erſchütterung leſen — die letzten Worte ſeines Tagebuches lauten: 9. Nov. Arrivée des Kimsky! In dieſer Geſellſchaft brach er von Verona auf um die Riviera zu bereiſen. Als die Wagen bei dem Leuchtthurm von Genua anlangten, an jener Biegung des Strandes, wo ſich plötzlich der Ausblick öffnet auf das weite Halbrund des Hafens und die ſtolz aufſteigende Stadt darüber, da gab ſich die Liebenswürdigkeit des Greiſes, ſeine jugendliche Freude an allem Schönen noch einmal in bewegten Worten kund. Er konnte ſich von dem grandioſen Anblick lange nicht trennen und ſagte, ein ſchöneres Schau- ſpiel habe er in ſeinem langen Leben nie genoſſen. Einige Stunden darauf lag er auf dem Krankenbette und verſchied nach kurzem Leiden am 26. November. Er ſtarb zu ſpät für ſeinen Ruhm. Den Reaktionären verhaßt, den Conſervativen verdächtig, hatte er auch bei den Liberalen, die zudem von dem Ernſt ſeiner Verfaſſungsarbeit nichts wußten, durch den Kleinmuth ſeiner letzten Lebensjahre alles Anſehen eingebüßt. Faſt Niemand fühlte, wie traurig es doch war, daß der Strom eines großen Lebens ſo ſtill im Sande verlaufen mußte. Der König bekundete in der Geſetzſammlung öffentlich ſein Bedauern über den Heimgang des Staatsverweſers, deſſen Andenken ſtets erhalten bleiben werde, wie auch Gentz im Oeſterreichiſchen Beobachter die pflichtſchuldigen amtlichen Harfenklänge ertönen ließ. In ſeinem Herzen hatte Friedrich Wilhelm mit dem Manne, der ihm einſt ſo nahe geſtanden, längſt gebrochen; er nahm die Todesnachricht ſo gleichgiltig auf, daß ſeine Umgebung den wohlwollenden Fürſten kaum wiedererkannte und Wittgenſtein zu dem jungen Grafen Redern ſagte: hier möge er lernen, wie Könige über Menſchen dächten. *) Nur der treue Stägemann wollte nicht vergeſſen, was ſeine Brennen — ſo nannte er die Preußen — dieſem Todten dankten, und ſang: Du aber ſchweigſt, Poſaune der Klio, nicht. Du legſt dich purpurn über die ſtille Gruft, Der Brennen-Zukunft reicher Teppich, Dran er, ein Meiſter, gewoben immer. Und wahrlich, ſo viele Fäden wie Hardenberg hatten bisher wohl ein- zelne große Monarchen, aber noch niemals ein Unterthan in das Schick- ſalsgewebe dieſes Staates eingeſchlungen. Klang es nicht wie ein Märchen, daß er wirklich nur zwölf Jahre lang an der Spitze der Verwaltung ge- ſtanden hatte? Welche Fülle von Thaten drängte ſich in der kurzen Friſt ſeiner Kanzlerſchaft zuſammen: erſt der Umſturz der feudalen Geſellſchafts- *) Nach mündlichen Erzählungen des Grafen Redern.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/268>, abgerufen am 22.11.2024.