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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
den raschen litthauischen Rossen sehr mühsam. Schön aber wußte alle
Bedenken zu überwinden, der allgemeine Wunsch nach Vereinfachung der
Verwaltung kam ihm zu statten, und im Jahre 1824 wurde er zum
Oberpräsidenten der Provinz Preußen ernannt. So entstanden zwei neue
Provinzen, die eine fast ebenso groß, die andere fast ebenso stark be-
völkert wie das gesammte rechtsrheinische Baiern. Im Rheinland be-
währte sich die Vereinigung vollständig; in der Provinz Preußen traten
doch bald scharfe Gegensätze hervor, die Westpreußen fanden sich durch die
ostpreußische Mehrheit in ihren Interessen geschädigt, und nur so lange
Schön sein gestrenges und sorgsames Regiment führte blieb die neue
Ordnung unangefochten. --

Der Angriff auf die Einheit der Verwaltung war gescheitert; um so
sicherer hoffte die feudale Partei die Einheit der Verfassung zu hinter-
treiben. Am 30. Okt. wurde die neue Commission -- die fünfte und
letzte -- einberufen, um über die Bildung der Provinzialstände zu be-
rathen. Der König nahm seinen würdelos nachgiebigen Staatskanzler
beim Wort, schloß ihn von den Berathungen gänzlich aus. Er berief
den Kronprinzen zum Vorsitzenden, zu Theilnehmern die sämmtlichen Mit-
glieder jenes vierten Ausschusses, welcher soeben die Verwerfung der Com-
munalordnung gegen Hardenberg durchgesetzt hatte. Neu hinzu traten
nur: der Minister Voß-Buch, die Präsidenten Vincke und Schönberg und
als Schriftführer: Geh. Rath Duncker. Es war wie eine feierliche Ab-
dankung des Staatskanzlers. Die Commission eröffnete ihre Sitzungen
am 4. Decbr. Sie berief sodann nach einander eine kleine Zahl von
Notabeln aus den einzelnen Landestheilen. Zuerst (Januar 1822) tagten
die Brandenburger, dann die Notabeln aus Pommern, Ostpreußen, West-
preußen, aus der Niederlausitz, aus Sachsen. Im Mai wurden die
Schlesier und die Oberlausitzer, im October die Westphalen, zuletzt die
Rheinländer und (im März 1823) die Posener gehört. Die Einberufenen
waren zur strengsten Verschwiegenheit verpflichtet, und da die Censur auch
die Zeitungen scharf überwachte, so blieb das Geheimniß so wohl bewahrt,
daß erst im Jahre 1847 durch die Schriften von Röpell und Wuttke
Einiges aus den Verhandlungen der schlesischen Notabeln bekannt wurde.

Schon die Auswahl der Vertrauensmänner ließ erkennen, wie viel
Boden die Altständischen gewonnen hatten in den vier Jahren seit jener
Bereisung der Provinzen. Damals waren noch Männer aus allen Stän-
den vernommen worden. So weit ging man freilich auch jetzt nicht, kurz-
weg die Deputirten der alten Landtage als solche zu versammeln, wie
einst die Ruppiner Stände verlangt hatten. Aber wie ganz unbillig, wie
ganz zuwider allen Traditionen dieser gerechten Krone wurde der Adel
bevorzugt! Unter den etwa hundert Notabeln, die man aus der Monarchie
einberief, waren: aus Schlesien 15 vom Landadel, 6 Bürger, kein Bauer;
aus den Marken 6 Edelleute, 4 Bürger, kein Bauer; aus Westphalen

III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
den raſchen litthauiſchen Roſſen ſehr mühſam. Schön aber wußte alle
Bedenken zu überwinden, der allgemeine Wunſch nach Vereinfachung der
Verwaltung kam ihm zu ſtatten, und im Jahre 1824 wurde er zum
Oberpräſidenten der Provinz Preußen ernannt. So entſtanden zwei neue
Provinzen, die eine faſt ebenſo groß, die andere faſt ebenſo ſtark be-
völkert wie das geſammte rechtsrheiniſche Baiern. Im Rheinland be-
währte ſich die Vereinigung vollſtändig; in der Provinz Preußen traten
doch bald ſcharfe Gegenſätze hervor, die Weſtpreußen fanden ſich durch die
oſtpreußiſche Mehrheit in ihren Intereſſen geſchädigt, und nur ſo lange
Schön ſein geſtrenges und ſorgſames Regiment führte blieb die neue
Ordnung unangefochten. —

Der Angriff auf die Einheit der Verwaltung war geſcheitert; um ſo
ſicherer hoffte die feudale Partei die Einheit der Verfaſſung zu hinter-
treiben. Am 30. Okt. wurde die neue Commiſſion — die fünfte und
letzte — einberufen, um über die Bildung der Provinzialſtände zu be-
rathen. Der König nahm ſeinen würdelos nachgiebigen Staatskanzler
beim Wort, ſchloß ihn von den Berathungen gänzlich aus. Er berief
den Kronprinzen zum Vorſitzenden, zu Theilnehmern die ſämmtlichen Mit-
glieder jenes vierten Ausſchuſſes, welcher ſoeben die Verwerfung der Com-
munalordnung gegen Hardenberg durchgeſetzt hatte. Neu hinzu traten
nur: der Miniſter Voß-Buch, die Präſidenten Vincke und Schönberg und
als Schriftführer: Geh. Rath Duncker. Es war wie eine feierliche Ab-
dankung des Staatskanzlers. Die Commiſſion eröffnete ihre Sitzungen
am 4. Decbr. Sie berief ſodann nach einander eine kleine Zahl von
Notabeln aus den einzelnen Landestheilen. Zuerſt (Januar 1822) tagten
die Brandenburger, dann die Notabeln aus Pommern, Oſtpreußen, Weſt-
preußen, aus der Niederlauſitz, aus Sachſen. Im Mai wurden die
Schleſier und die Oberlauſitzer, im October die Weſtphalen, zuletzt die
Rheinländer und (im März 1823) die Poſener gehört. Die Einberufenen
waren zur ſtrengſten Verſchwiegenheit verpflichtet, und da die Cenſur auch
die Zeitungen ſcharf überwachte, ſo blieb das Geheimniß ſo wohl bewahrt,
daß erſt im Jahre 1847 durch die Schriften von Röpell und Wuttke
Einiges aus den Verhandlungen der ſchleſiſchen Notabeln bekannt wurde.

Schon die Auswahl der Vertrauensmänner ließ erkennen, wie viel
Boden die Altſtändiſchen gewonnen hatten in den vier Jahren ſeit jener
Bereiſung der Provinzen. Damals waren noch Männer aus allen Stän-
den vernommen worden. So weit ging man freilich auch jetzt nicht, kurz-
weg die Deputirten der alten Landtage als ſolche zu verſammeln, wie
einſt die Ruppiner Stände verlangt hatten. Aber wie ganz unbillig, wie
ganz zuwider allen Traditionen dieſer gerechten Krone wurde der Adel
bevorzugt! Unter den etwa hundert Notabeln, die man aus der Monarchie
einberief, waren: aus Schleſien 15 vom Landadel, 6 Bürger, kein Bauer;
aus den Marken 6 Edelleute, 4 Bürger, kein Bauer; aus Weſtphalen

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[236/0252] III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. den raſchen litthauiſchen Roſſen ſehr mühſam. Schön aber wußte alle Bedenken zu überwinden, der allgemeine Wunſch nach Vereinfachung der Verwaltung kam ihm zu ſtatten, und im Jahre 1824 wurde er zum Oberpräſidenten der Provinz Preußen ernannt. So entſtanden zwei neue Provinzen, die eine faſt ebenſo groß, die andere faſt ebenſo ſtark be- völkert wie das geſammte rechtsrheiniſche Baiern. Im Rheinland be- währte ſich die Vereinigung vollſtändig; in der Provinz Preußen traten doch bald ſcharfe Gegenſätze hervor, die Weſtpreußen fanden ſich durch die oſtpreußiſche Mehrheit in ihren Intereſſen geſchädigt, und nur ſo lange Schön ſein geſtrenges und ſorgſames Regiment führte blieb die neue Ordnung unangefochten. — Der Angriff auf die Einheit der Verwaltung war geſcheitert; um ſo ſicherer hoffte die feudale Partei die Einheit der Verfaſſung zu hinter- treiben. Am 30. Okt. wurde die neue Commiſſion — die fünfte und letzte — einberufen, um über die Bildung der Provinzialſtände zu be- rathen. Der König nahm ſeinen würdelos nachgiebigen Staatskanzler beim Wort, ſchloß ihn von den Berathungen gänzlich aus. Er berief den Kronprinzen zum Vorſitzenden, zu Theilnehmern die ſämmtlichen Mit- glieder jenes vierten Ausſchuſſes, welcher ſoeben die Verwerfung der Com- munalordnung gegen Hardenberg durchgeſetzt hatte. Neu hinzu traten nur: der Miniſter Voß-Buch, die Präſidenten Vincke und Schönberg und als Schriftführer: Geh. Rath Duncker. Es war wie eine feierliche Ab- dankung des Staatskanzlers. Die Commiſſion eröffnete ihre Sitzungen am 4. Decbr. Sie berief ſodann nach einander eine kleine Zahl von Notabeln aus den einzelnen Landestheilen. Zuerſt (Januar 1822) tagten die Brandenburger, dann die Notabeln aus Pommern, Oſtpreußen, Weſt- preußen, aus der Niederlauſitz, aus Sachſen. Im Mai wurden die Schleſier und die Oberlauſitzer, im October die Weſtphalen, zuletzt die Rheinländer und (im März 1823) die Poſener gehört. Die Einberufenen waren zur ſtrengſten Verſchwiegenheit verpflichtet, und da die Cenſur auch die Zeitungen ſcharf überwachte, ſo blieb das Geheimniß ſo wohl bewahrt, daß erſt im Jahre 1847 durch die Schriften von Röpell und Wuttke Einiges aus den Verhandlungen der ſchleſiſchen Notabeln bekannt wurde. Schon die Auswahl der Vertrauensmänner ließ erkennen, wie viel Boden die Altſtändiſchen gewonnen hatten in den vier Jahren ſeit jener Bereiſung der Provinzen. Damals waren noch Männer aus allen Stän- den vernommen worden. So weit ging man freilich auch jetzt nicht, kurz- weg die Deputirten der alten Landtage als ſolche zu verſammeln, wie einſt die Ruppiner Stände verlangt hatten. Aber wie ganz unbillig, wie ganz zuwider allen Traditionen dieſer gerechten Krone wurde der Adel bevorzugt! Unter den etwa hundert Notabeln, die man aus der Monarchie einberief, waren: aus Schleſien 15 vom Landadel, 6 Bürger, kein Bauer; aus den Marken 6 Edelleute, 4 Bürger, kein Bauer; aus Weſtphalen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/252>, abgerufen am 22.11.2024.