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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Verhandlungen der oberrheinischen Staaten.
Anspruch nahm -- das Placet, die Ernennung der Bischöfe und viele
andere sehr weit gefaßte Befugnisse der Kirchenhoheit -- in einer Decla-
ration zusammen und schickte eine gemeinsame Gesandtschaft nach Rom
um über diese Ansprüche nicht mit dem heiligen Stuhle zu verhandeln,
sondern nur seine Meinung zu vernehmen. Man gab sich der harmlosen
Hoffnung hin, der Papst werde nicht widersprechen; wagte er es dennoch,
so waren die verbündeten Staaten entschlossen, auf eigene Faust, mit
Hilfe ihrer noch vorhandenen Bisthumsverweser die neuen Diöcesen ein-
zurichten. Und doch zählte die Errichtung neuer Bisthümer zu den alten
unbestrittenen Rechten des päpstlichen Primats, welche kein Prälat jemals
antasten konnte. Die liberalen Zeitungen des Südwestens feierten schon
im Voraus den Triumph der aufgeklärten Staaten über den römischen
Stuhl, und einer der Leiter der Conferenz, Koch, schrieb hoffnungsvoll:
so werde denn endlich eine Kirchenverfassung entstehen, "die mit den Staats-
constitutionen und den Wünschen und Bedürfnissen der Zeit, welche aus
dem Zwielichte der Morgendämmerung in das helle Tageslicht hinein-
scheint, übereinstimmt;" von einer Herabminderung der bescheidenen An-
sprüche der Staatsgewalt könne natürlich gar nicht die Rede sein.*)

Im März 1819 traf die Gesandtschaft in Rom ein; sie bestand aus
dem Staatsrath v. Schmitz-Grollenburg, einem ehemaligen Domherrn,
der sich nachher im Württembergischen Staatsdienste als strenger Jose-
phiner gezeigt, und dem Freiherrn v. Türckheim, dem Vater des conser-
vativen badischen Kammerredners. Beim Empfange beugte der Protestant
Türckheim die Kniee vor dem Papste, während der Katholik Schmitz, um
die Souveränität seines Königs zu wahren, aufrecht stehen blieb. Der
Erfolg war wie Niebuhr den Gesandten voraussagte. Selbst der sanft-
müthige Pius VII. fühlte sich beleidigt, als diese fünf kleinen Höfe ihre
Verhandlungen sogleich mit der Ueberreichung eines Ultimatums eröff-
neten; sein Staatssekretär fragte, ob man den Papst für einen Türken
halte, und sprach offen aus, nicht die protestantischen Höfe seien feind-
lich gesinnt, sondern ihre katholischen Rathgeber. Am 10. August ant-
wortete Consalvi mit einer langen Esposizione, welche noch einmal bündig
bewies, daß der moderne Staat, wenn er sich über den Umfang seiner
Hoheitsrechte mit der Curie verständigen will, entweder nichts ausrichtet
oder seine Souveränität aufgeben muß. Die Denkschrift enthielt, in etwas
milderer Fassung, dieselben Grundsätze schrankenloser Kirchenherrschaft,
welche Consalvi bereits dem hannöverschen Hofe entgegengehalten hatte.
Trotz dieser schroffen Abweisung verbrachten die Gesandten noch einige
Zeit in Rom mit unfruchtbaren Verhandlungen. Einen Ausweg ließ
ihnen der Papst noch offen; er erklärte sich bereit, die Diöcesen der neuen
oberrheinischen Kirchenprovinz festzusetzen.

*) Koch an Berstett, 15. Febr. 1819.

Verhandlungen der oberrheiniſchen Staaten.
Anſpruch nahm — das Placet, die Ernennung der Biſchöfe und viele
andere ſehr weit gefaßte Befugniſſe der Kirchenhoheit — in einer Decla-
ration zuſammen und ſchickte eine gemeinſame Geſandtſchaft nach Rom
um über dieſe Anſprüche nicht mit dem heiligen Stuhle zu verhandeln,
ſondern nur ſeine Meinung zu vernehmen. Man gab ſich der harmloſen
Hoffnung hin, der Papſt werde nicht widerſprechen; wagte er es dennoch,
ſo waren die verbündeten Staaten entſchloſſen, auf eigene Fauſt, mit
Hilfe ihrer noch vorhandenen Bisthumsverweſer die neuen Diöceſen ein-
zurichten. Und doch zählte die Errichtung neuer Bisthümer zu den alten
unbeſtrittenen Rechten des päpſtlichen Primats, welche kein Prälat jemals
antaſten konnte. Die liberalen Zeitungen des Südweſtens feierten ſchon
im Voraus den Triumph der aufgeklärten Staaten über den römiſchen
Stuhl, und einer der Leiter der Conferenz, Koch, ſchrieb hoffnungsvoll:
ſo werde denn endlich eine Kirchenverfaſſung entſtehen, „die mit den Staats-
conſtitutionen und den Wünſchen und Bedürfniſſen der Zeit, welche aus
dem Zwielichte der Morgendämmerung in das helle Tageslicht hinein-
ſcheint, übereinſtimmt;“ von einer Herabminderung der beſcheidenen An-
ſprüche der Staatsgewalt könne natürlich gar nicht die Rede ſein.*)

Im März 1819 traf die Geſandtſchaft in Rom ein; ſie beſtand aus
dem Staatsrath v. Schmitz-Grollenburg, einem ehemaligen Domherrn,
der ſich nachher im Württembergiſchen Staatsdienſte als ſtrenger Joſe-
phiner gezeigt, und dem Freiherrn v. Türckheim, dem Vater des conſer-
vativen badiſchen Kammerredners. Beim Empfange beugte der Proteſtant
Türckheim die Kniee vor dem Papſte, während der Katholik Schmitz, um
die Souveränität ſeines Königs zu wahren, aufrecht ſtehen blieb. Der
Erfolg war wie Niebuhr den Geſandten vorausſagte. Selbſt der ſanft-
müthige Pius VII. fühlte ſich beleidigt, als dieſe fünf kleinen Höfe ihre
Verhandlungen ſogleich mit der Ueberreichung eines Ultimatums eröff-
neten; ſein Staatsſekretär fragte, ob man den Papſt für einen Türken
halte, und ſprach offen aus, nicht die proteſtantiſchen Höfe ſeien feind-
lich geſinnt, ſondern ihre katholiſchen Rathgeber. Am 10. Auguſt ant-
wortete Conſalvi mit einer langen Espoſizione, welche noch einmal bündig
bewies, daß der moderne Staat, wenn er ſich über den Umfang ſeiner
Hoheitsrechte mit der Curie verſtändigen will, entweder nichts ausrichtet
oder ſeine Souveränität aufgeben muß. Die Denkſchrift enthielt, in etwas
milderer Faſſung, dieſelben Grundſätze ſchrankenloſer Kirchenherrſchaft,
welche Conſalvi bereits dem hannöverſchen Hofe entgegengehalten hatte.
Trotz dieſer ſchroffen Abweiſung verbrachten die Geſandten noch einige
Zeit in Rom mit unfruchtbaren Verhandlungen. Einen Ausweg ließ
ihnen der Papſt noch offen; er erklärte ſich bereit, die Diöceſen der neuen
oberrheiniſchen Kirchenprovinz feſtzuſetzen.

*) Koch an Berſtett, 15. Febr. 1819.
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[223/0239] Verhandlungen der oberrheiniſchen Staaten. Anſpruch nahm — das Placet, die Ernennung der Biſchöfe und viele andere ſehr weit gefaßte Befugniſſe der Kirchenhoheit — in einer Decla- ration zuſammen und ſchickte eine gemeinſame Geſandtſchaft nach Rom um über dieſe Anſprüche nicht mit dem heiligen Stuhle zu verhandeln, ſondern nur ſeine Meinung zu vernehmen. Man gab ſich der harmloſen Hoffnung hin, der Papſt werde nicht widerſprechen; wagte er es dennoch, ſo waren die verbündeten Staaten entſchloſſen, auf eigene Fauſt, mit Hilfe ihrer noch vorhandenen Bisthumsverweſer die neuen Diöceſen ein- zurichten. Und doch zählte die Errichtung neuer Bisthümer zu den alten unbeſtrittenen Rechten des päpſtlichen Primats, welche kein Prälat jemals antaſten konnte. Die liberalen Zeitungen des Südweſtens feierten ſchon im Voraus den Triumph der aufgeklärten Staaten über den römiſchen Stuhl, und einer der Leiter der Conferenz, Koch, ſchrieb hoffnungsvoll: ſo werde denn endlich eine Kirchenverfaſſung entſtehen, „die mit den Staats- conſtitutionen und den Wünſchen und Bedürfniſſen der Zeit, welche aus dem Zwielichte der Morgendämmerung in das helle Tageslicht hinein- ſcheint, übereinſtimmt;“ von einer Herabminderung der beſcheidenen An- ſprüche der Staatsgewalt könne natürlich gar nicht die Rede ſein. *) Im März 1819 traf die Geſandtſchaft in Rom ein; ſie beſtand aus dem Staatsrath v. Schmitz-Grollenburg, einem ehemaligen Domherrn, der ſich nachher im Württembergiſchen Staatsdienſte als ſtrenger Joſe- phiner gezeigt, und dem Freiherrn v. Türckheim, dem Vater des conſer- vativen badiſchen Kammerredners. Beim Empfange beugte der Proteſtant Türckheim die Kniee vor dem Papſte, während der Katholik Schmitz, um die Souveränität ſeines Königs zu wahren, aufrecht ſtehen blieb. Der Erfolg war wie Niebuhr den Geſandten vorausſagte. Selbſt der ſanft- müthige Pius VII. fühlte ſich beleidigt, als dieſe fünf kleinen Höfe ihre Verhandlungen ſogleich mit der Ueberreichung eines Ultimatums eröff- neten; ſein Staatsſekretär fragte, ob man den Papſt für einen Türken halte, und ſprach offen aus, nicht die proteſtantiſchen Höfe ſeien feind- lich geſinnt, ſondern ihre katholiſchen Rathgeber. Am 10. Auguſt ant- wortete Conſalvi mit einer langen Espoſizione, welche noch einmal bündig bewies, daß der moderne Staat, wenn er ſich über den Umfang ſeiner Hoheitsrechte mit der Curie verſtändigen will, entweder nichts ausrichtet oder ſeine Souveränität aufgeben muß. Die Denkſchrift enthielt, in etwas milderer Faſſung, dieſelben Grundſätze ſchrankenloſer Kirchenherrſchaft, welche Conſalvi bereits dem hannöverſchen Hofe entgegengehalten hatte. Trotz dieſer ſchroffen Abweiſung verbrachten die Geſandten noch einige Zeit in Rom mit unfruchtbaren Verhandlungen. Einen Ausweg ließ ihnen der Papſt noch offen; er erklärte ſich bereit, die Diöceſen der neuen oberrheiniſchen Kirchenprovinz feſtzuſetzen. *) Koch an Berſtett, 15. Febr. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/239>, abgerufen am 04.05.2024.