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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Haltung Baierns und Württembergs.
nügen und schlug eine mittlere Richtung ein, welche, wie die Dinge lagen,
für seinen Staat die einzig richtige Politik war. Er bekannte unverhohlen
seine Verfassungstreue und verfocht mit juristischem Scharfsinn jene streng
partikularistische Ansicht des Bundesrechts, welche das Haus Wittelsbach
schon auf dem Wiener Congresse und seitdem am Bundestage beharrlich ver-
treten hatte: nach der bairischen Doctrin war das Grundgesetz des Bun-
des allein in den elf ersten Artikeln der Bundesakte enthalten, die "be-
sonderen Bestimmungen" der neun letzten Artikel über die inneren Ver-
hältnisse der Bundesstaaten galten in München nur als eine freiwillige,
nicht unbedingt verbindliche Verabredung zwischen souveränen Mächten.
Aber man wußte stets woran man mit dem Baiern war. Von den libe-
ralen Neigungen, die man ihm fälschlich zugetraut, zeigte er gar nichts;
er vermied jedes Wort, das ihn in diesem Kreise verdächtigen konnte, um
so vorsichtiger, da ihm seine Genossen nachdrücklich vorhielten, daß der
Münchener Hof selber durch seine Hilferufe die Karlsbader Beschlüsse mit
veranlaßt hatte. Blieb nur die Souveränität der Wittelsbacher und ihre
Landesverfassung unangetastet, so bot er willig seine Hand zu jedem An-
trage, der die "Ordnung" sichern sollte; und da er in den Verhandlungen
sich als ein ausgezeichneter Geschäftsmann bewährte, immer gelassen und
höflich, arbeitsam und unterrichtet, ganz frei von Arglist, so kam er selbst
mit Metternich, wie Rechberg vorausgesagt, auf einen guten Fuß. Mit
Bernstorff verband ihn bald eine vertrauensvolle Freundschaft, und wie-
der einmal erwies sich die Verständigung zwischen den beiden größten rein
deutschen Staaten als naturgemäß und heilsam: sie konnte zwar, wie
hier die Parteien standen, nur wenig Gutes schaffen, doch manche Thor-
heit reaktionärer Parteipolitik verhindern.

Minder freundlich, aber fast noch ungefährlicher erschien die Haltung
Württembergs. Ueber den Plänen des Stuttgarter Hofes lag noch immer
jenes seltsame Zwielicht, das dem Charakter König Wilhelms zusagte.
Der preußische Gesandte vermochte schlechterdings nicht durchzusehen; bald
versicherte ihm ein Minister, der Hof sei im Grunde mit den Karlsbader
Beschlüssen ganz einverstanden, bald erging sich der König vor dem rus-
sischen Gesandten in hochliberalen Aeußerungen.*) Die nämliche Unsicher-
heit verrieth sich auch bei der Wahl der Bevollmächtigten für die Conferenz.
Wintzingerode blieb in Stuttgart, aus denselben Gründen, welche Rech-
berg in München zurückhielten: er wollte seinen Monarchen nicht aus den
Augen lassen und in den Sitzungen des Geheimen Raths den Ausschlag
geben.**) Statt seiner wurde Graf Mandelsloh bevollmächtigt, ein gut-
müthiger, bequemer, urtheilsloser alter Herr, dessen politische Unschuld
über jeder Anfechtung erhaben war. Doch ganz ohne Hintergedanken ver-

*) Küster's Berichte, 21. Sept., 23. Okt., 29. Nov. ff. 1819.
**) Küster's Bericht, 26. Okt. 1819.

Haltung Baierns und Württembergs.
nügen und ſchlug eine mittlere Richtung ein, welche, wie die Dinge lagen,
für ſeinen Staat die einzig richtige Politik war. Er bekannte unverhohlen
ſeine Verfaſſungstreue und verfocht mit juriſtiſchem Scharfſinn jene ſtreng
partikulariſtiſche Anſicht des Bundesrechts, welche das Haus Wittelsbach
ſchon auf dem Wiener Congreſſe und ſeitdem am Bundestage beharrlich ver-
treten hatte: nach der bairiſchen Doctrin war das Grundgeſetz des Bun-
des allein in den elf erſten Artikeln der Bundesakte enthalten, die „be-
ſonderen Beſtimmungen“ der neun letzten Artikel über die inneren Ver-
hältniſſe der Bundesſtaaten galten in München nur als eine freiwillige,
nicht unbedingt verbindliche Verabredung zwiſchen ſouveränen Mächten.
Aber man wußte ſtets woran man mit dem Baiern war. Von den libe-
ralen Neigungen, die man ihm fälſchlich zugetraut, zeigte er gar nichts;
er vermied jedes Wort, das ihn in dieſem Kreiſe verdächtigen konnte, um
ſo vorſichtiger, da ihm ſeine Genoſſen nachdrücklich vorhielten, daß der
Münchener Hof ſelber durch ſeine Hilferufe die Karlsbader Beſchlüſſe mit
veranlaßt hatte. Blieb nur die Souveränität der Wittelsbacher und ihre
Landesverfaſſung unangetaſtet, ſo bot er willig ſeine Hand zu jedem An-
trage, der die „Ordnung“ ſichern ſollte; und da er in den Verhandlungen
ſich als ein ausgezeichneter Geſchäftsmann bewährte, immer gelaſſen und
höflich, arbeitſam und unterrichtet, ganz frei von Argliſt, ſo kam er ſelbſt
mit Metternich, wie Rechberg vorausgeſagt, auf einen guten Fuß. Mit
Bernſtorff verband ihn bald eine vertrauensvolle Freundſchaft, und wie-
der einmal erwies ſich die Verſtändigung zwiſchen den beiden größten rein
deutſchen Staaten als naturgemäß und heilſam: ſie konnte zwar, wie
hier die Parteien ſtanden, nur wenig Gutes ſchaffen, doch manche Thor-
heit reaktionärer Parteipolitik verhindern.

Minder freundlich, aber faſt noch ungefährlicher erſchien die Haltung
Württembergs. Ueber den Plänen des Stuttgarter Hofes lag noch immer
jenes ſeltſame Zwielicht, das dem Charakter König Wilhelms zuſagte.
Der preußiſche Geſandte vermochte ſchlechterdings nicht durchzuſehen; bald
verſicherte ihm ein Miniſter, der Hof ſei im Grunde mit den Karlsbader
Beſchlüſſen ganz einverſtanden, bald erging ſich der König vor dem ruſ-
ſiſchen Geſandten in hochliberalen Aeußerungen.*) Die nämliche Unſicher-
heit verrieth ſich auch bei der Wahl der Bevollmächtigten für die Conferenz.
Wintzingerode blieb in Stuttgart, aus denſelben Gründen, welche Rech-
berg in München zurückhielten: er wollte ſeinen Monarchen nicht aus den
Augen laſſen und in den Sitzungen des Geheimen Raths den Ausſchlag
geben.**) Statt ſeiner wurde Graf Mandelsloh bevollmächtigt, ein gut-
müthiger, bequemer, urtheilsloſer alter Herr, deſſen politiſche Unſchuld
über jeder Anfechtung erhaben war. Doch ganz ohne Hintergedanken ver-

*) Küſter’s Berichte, 21. Sept., 23. Okt., 29. Nov. ff. 1819.
**) Küſter’s Bericht, 26. Okt. 1819.
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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/23>, abgerufen am 25.11.2024.