Der Gedanke der italienischen Einheit war diesem Süden der Halb- insel, der seit Jahrhunderten ein selbstgenügsames Sonderleben führte, noch fast fremd; nicht die nationale Tricolore des Königreichs Italien, sondern die schwarzblaurothe Parteifahne der Carbonari wehte jetzt von den Wällen von S. Elmo. Nur die beiden hochherzigen Brüder Pepe und vielleicht noch einige andere napoleonische Veteranen hofften im Stillen auf den Bundesstaat Ausonien, das alte Traumbild der patrio- tischen Schwärmer. Gleichwohl konnte ein scharfer Beobachter wie Graf Adam Moltke aus dem phantastischen Treiben schon den ersten Wiegen- schrei einer erwachenden großen Nation heraushören; er wollte die Wäl- schen nicht tadeln, weil sie jetzt um dieselben Güter kämpften wie einst die Deutschen in den Jahren 1806--1815. Ueberall auf der Halbinsel trieben die Geheimbünde ihre unterirdische Arbeit. Noch war die Zahl ihrer Genossen gering; aber sie wirkten mit der ganzen fieberischen Rast- losigkeit südländischer Verschwörer, und das feine Machtgefühl, das diesem Volke selbst in den Zeiten seiner politischen Versunkenheit immer eigen blieb, hatte längst errathen, wo der Thränenquell Italiens floß. Die Fremdherrschaft lastete auf dem zerrissenen Lande; auf Oesterreichs Waffen stützten sich alle seine kleinen Despoten. Das schwarzgelbe Banner war der unglücklichen Nation das Symbol ihrer Knechtschaft, obgleich Oesterreich in Italien nicht willkürlicher schaltete als die einheimischen Fürsten; unum- wunden erklärte der conservative Piemontese d'Aglie jetzt schon den franzö- sischen Staatsmännern: der Sitz des Aufruhrs in Oberitalien sind die öster- reichischen Provinzen. In der Hofburg selbst ward dies dunkel empfunden. Bald nach dem Ausbruch des neapolitanischen Aufruhrs ließ Kaiser Franz in der Lombardei eine Treibjagd auf wirkliche und vermeintliche Verschwörer veranstalten. Giorgio Pallavicino, der Dichter Silvio Pellico und viele andere treue Patrioten wurden aufgegriffen um dann jahrelang im Sonnenbrande der Bleidächer Venedigs oder in den scheußlichen Kerkern des Spielbergs über die Menschenfreundlichkeit ihres guten Kaisers nachzu- denken. Wollte die Fremdherrschaft sich behaupten, so durfte sie den bleiernen Schlummer, der einst unter der Herrschaft der spanischen Vicekönige auf der Halbinsel gelegen hatte, nicht stören lassen; der Wiener Hof konnte in seinen Vasallenstaaten niemals constitutionelle Formen dulden, die in Mai- land und Venedig unmöglich waren. Jede revolutionäre Bewegung in Italien war eine Kriegserklärung gegen Oesterreich, auch wenn sie selber ihre nationalen Ziele noch nicht klar erkannte. --
Die Gefahr schien um so ernster, da es auch auf dem alten Heerde der europäischen Revolution wieder zu schwälen begann. In Frankreich war das Jahr 1819 leidlich ruhig verlaufen. Als der Minister Decazes den König bewogen hatte, sechzig neue Pairs, zumeist Würdenträger des Kaiserreichs, in das Oberhaus zu berufen, da konnte man einen Augen- blick hoffen, daß die alte mit der neuen Zeit sich endlich vertragen und
Italien und Oeſterreich.
Der Gedanke der italieniſchen Einheit war dieſem Süden der Halb- inſel, der ſeit Jahrhunderten ein ſelbſtgenügſames Sonderleben führte, noch faſt fremd; nicht die nationale Tricolore des Königreichs Italien, ſondern die ſchwarzblaurothe Parteifahne der Carbonari wehte jetzt von den Wällen von S. Elmo. Nur die beiden hochherzigen Brüder Pepe und vielleicht noch einige andere napoleoniſche Veteranen hofften im Stillen auf den Bundesſtaat Auſonien, das alte Traumbild der patrio- tiſchen Schwärmer. Gleichwohl konnte ein ſcharfer Beobachter wie Graf Adam Moltke aus dem phantaſtiſchen Treiben ſchon den erſten Wiegen- ſchrei einer erwachenden großen Nation heraushören; er wollte die Wäl- ſchen nicht tadeln, weil ſie jetzt um dieſelben Güter kämpften wie einſt die Deutſchen in den Jahren 1806—1815. Ueberall auf der Halbinſel trieben die Geheimbünde ihre unterirdiſche Arbeit. Noch war die Zahl ihrer Genoſſen gering; aber ſie wirkten mit der ganzen fieberiſchen Raſt- loſigkeit ſüdländiſcher Verſchwörer, und das feine Machtgefühl, das dieſem Volke ſelbſt in den Zeiten ſeiner politiſchen Verſunkenheit immer eigen blieb, hatte längſt errathen, wo der Thränenquell Italiens floß. Die Fremdherrſchaft laſtete auf dem zerriſſenen Lande; auf Oeſterreichs Waffen ſtützten ſich alle ſeine kleinen Despoten. Das ſchwarzgelbe Banner war der unglücklichen Nation das Symbol ihrer Knechtſchaft, obgleich Oeſterreich in Italien nicht willkürlicher ſchaltete als die einheimiſchen Fürſten; unum- wunden erklärte der conſervative Piemonteſe d’Aglié jetzt ſchon den franzö- ſiſchen Staatsmännern: der Sitz des Aufruhrs in Oberitalien ſind die öſter- reichiſchen Provinzen. In der Hofburg ſelbſt ward dies dunkel empfunden. Bald nach dem Ausbruch des neapolitaniſchen Aufruhrs ließ Kaiſer Franz in der Lombardei eine Treibjagd auf wirkliche und vermeintliche Verſchwörer veranſtalten. Giorgio Pallavicino, der Dichter Silvio Pellico und viele andere treue Patrioten wurden aufgegriffen um dann jahrelang im Sonnenbrande der Bleidächer Venedigs oder in den ſcheußlichen Kerkern des Spielbergs über die Menſchenfreundlichkeit ihres guten Kaiſers nachzu- denken. Wollte die Fremdherrſchaft ſich behaupten, ſo durfte ſie den bleiernen Schlummer, der einſt unter der Herrſchaft der ſpaniſchen Vicekönige auf der Halbinſel gelegen hatte, nicht ſtören laſſen; der Wiener Hof konnte in ſeinen Vaſallenſtaaten niemals conſtitutionelle Formen dulden, die in Mai- land und Venedig unmöglich waren. Jede revolutionäre Bewegung in Italien war eine Kriegserklärung gegen Oeſterreich, auch wenn ſie ſelber ihre nationalen Ziele noch nicht klar erkannte. —
Die Gefahr ſchien um ſo ernſter, da es auch auf dem alten Heerde der europäiſchen Revolution wieder zu ſchwälen begann. In Frankreich war das Jahr 1819 leidlich ruhig verlaufen. Als der Miniſter Decazes den König bewogen hatte, ſechzig neue Pairs, zumeiſt Würdenträger des Kaiſerreichs, in das Oberhaus zu berufen, da konnte man einen Augen- blick hoffen, daß die alte mit der neuen Zeit ſich endlich vertragen und
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Italien und Oeſterreich.
Der Gedanke der italieniſchen Einheit war dieſem Süden der Halb-
inſel, der ſeit Jahrhunderten ein ſelbſtgenügſames Sonderleben führte,
noch faſt fremd; nicht die nationale Tricolore des Königreichs Italien,
ſondern die ſchwarzblaurothe Parteifahne der Carbonari wehte jetzt von
den Wällen von S. Elmo. Nur die beiden hochherzigen Brüder Pepe
und vielleicht noch einige andere napoleoniſche Veteranen hofften im
Stillen auf den Bundesſtaat Auſonien, das alte Traumbild der patrio-
tiſchen Schwärmer. Gleichwohl konnte ein ſcharfer Beobachter wie Graf
Adam Moltke aus dem phantaſtiſchen Treiben ſchon den erſten Wiegen-
ſchrei einer erwachenden großen Nation heraushören; er wollte die Wäl-
ſchen nicht tadeln, weil ſie jetzt um dieſelben Güter kämpften wie einſt
die Deutſchen in den Jahren 1806—1815. Ueberall auf der Halbinſel
trieben die Geheimbünde ihre unterirdiſche Arbeit. Noch war die Zahl
ihrer Genoſſen gering; aber ſie wirkten mit der ganzen fieberiſchen Raſt-
loſigkeit ſüdländiſcher Verſchwörer, und das feine Machtgefühl, das dieſem
Volke ſelbſt in den Zeiten ſeiner politiſchen Verſunkenheit immer eigen
blieb, hatte längſt errathen, wo der Thränenquell Italiens floß. Die
Fremdherrſchaft laſtete auf dem zerriſſenen Lande; auf Oeſterreichs Waffen
ſtützten ſich alle ſeine kleinen Despoten. Das ſchwarzgelbe Banner war
der unglücklichen Nation das Symbol ihrer Knechtſchaft, obgleich Oeſterreich
in Italien nicht willkürlicher ſchaltete als die einheimiſchen Fürſten; unum-
wunden erklärte der conſervative Piemonteſe d’Aglié jetzt ſchon den franzö-
ſiſchen Staatsmännern: der Sitz des Aufruhrs in Oberitalien ſind die öſter-
reichiſchen Provinzen. In der Hofburg ſelbſt ward dies dunkel empfunden.
Bald nach dem Ausbruch des neapolitaniſchen Aufruhrs ließ Kaiſer Franz
in der Lombardei eine Treibjagd auf wirkliche und vermeintliche Verſchwörer
veranſtalten. Giorgio Pallavicino, der Dichter Silvio Pellico und viele
andere treue Patrioten wurden aufgegriffen um dann jahrelang im
Sonnenbrande der Bleidächer Venedigs oder in den ſcheußlichen Kerkern
des Spielbergs über die Menſchenfreundlichkeit ihres guten Kaiſers nachzu-
denken. Wollte die Fremdherrſchaft ſich behaupten, ſo durfte ſie den bleiernen
Schlummer, der einſt unter der Herrſchaft der ſpaniſchen Vicekönige auf
der Halbinſel gelegen hatte, nicht ſtören laſſen; der Wiener Hof konnte in
ſeinen Vaſallenſtaaten niemals conſtitutionelle Formen dulden, die in Mai-
land und Venedig unmöglich waren. Jede revolutionäre Bewegung in
Italien war eine Kriegserklärung gegen Oeſterreich, auch wenn ſie ſelber
ihre nationalen Ziele noch nicht klar erkannte. —
Die Gefahr ſchien um ſo ernſter, da es auch auf dem alten Heerde
der europäiſchen Revolution wieder zu ſchwälen begann. In Frankreich
war das Jahr 1819 leidlich ruhig verlaufen. Als der Miniſter Decazes
den König bewogen hatte, ſechzig neue Pairs, zumeiſt Würdenträger des
Kaiſerreichs, in das Oberhaus zu berufen, da konnte man einen Augen-
blick hoffen, daß die alte mit der neuen Zeit ſich endlich vertragen und
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/157>, abgerufen am 27.11.2024.
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