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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
aber, die er nicht mehr hatte neugestalten können, blieb noch während
eines halben Jahrhunderts der Spielball wechselnder gesetzgeberischer Ver-
suche; nichts stand hier fest, nicht einmal die leitenden Grundsätze.

Durch das Gensdarmerie-Edikt hatte Hardenberg die Selbstverwaltung
der Kreise fast gänzlich zu zerstören versucht; und nunmehr, nachdem dieser
Mißgriff zurückgenommen war, begnügten sich Friese und seine Commission,
die Bildung von Kreisversammlungen vorzuschlagen, welche über Kreis-
angelegenheiten berathen, Mißbräuche und Mängel rügen, die Landesab-
gaben vertheilen und über gemeinnützige Anstalten beschließen, aber sich
jeder Einmischung in die Kreisverwaltung unbedingt enthalten sollten.
Ein solcher Kreistag ohne eigene verantwortliche Thätigkeit stand neben
dem allein handelnden Landrath ebenso machtlos wie der französische
Generalrath neben dem Präfekten. Und ganz nach französischer Weise
sollte auch der Landrath fortan nur noch ein Staatsbeamter sein. Bis-
her, so führte die Commission aus, habe Preußen noch "keine wirklichen
Volksvertreter" gekannt und daher den Landräthen etwas von den Rechten
einer Volksvertretung eingeräumt; jetzt aber, da die Regierung durch die
Verfassung "einen Theil der ihr bisher zugestandenen Gesammtgewalt
weggiebt", muß sie, nach dem Vorbilde aller anderen Verfassungsstaaten,
ihre Beamten allein ernennen. Demnach darf der Landrath auch nicht
mehr den Vorsitz im Kreistage führen, sondern nur ohne Stimmrecht den
Verhandlungen beiwohnen. Die scharfe Trennung von Aktion und Be-
rathung, der Grundgedanke des napoleonischen Verwaltungsrechts, sollte
also mit allen ihren Consequenzen nach Preußen hinübergenommen werden;
der Landrath war Alles, der Kreisversammlung blieb nur die Berathung.

Damit ward die lebendige Selbstverwaltung aufgegeben, und was
frommte es noch, daß die Zusammensetzung dieser ohnmächtigen Kreistage
allen Wünschen des Liberalismus entsprach? Neben der Grundherrschaft
hielt der Adel des Ostens keines seiner Standesrechte so hoch wie die alte
Kreisstandschaft. Er hatte es schon schwer genug verwunden, daß jetzt
auch Bürgerliche in die Ritterschaft eintraten; seine Virilstimmen auf den
Kreistagen wollte er sich aber nimmermehr nehmen lassen, darüber waren
alle Grundherren einig, in den alten Provinzen, in Sachsen und Vor-
pommern. Gegen dies alte Recht der Ritterschaft führte nun die Com-
mission einen verwegenen Schlag. Sie beseitigte die Virilstimmen der
Ritterschaft und gewährte den Großgrundbesitzern nur das Recht, ein
Drittel der Kreisverordneten zu wählen. Die übrigen zwei Drittel sollten
von sämmtlichen Gemeinden des Kreises nach der Kopfzahl erwählt werden.
Wählbar waren außer den Grundherren, den Staats- und Communal-
beamten alle Kreisinsassen von 500 Thlr. Einkommen, und da die Wähler
nicht verpflichtet wurden, Männer ihres Standes zu wählen, so konnten
auch die dem Adel besonders verhaßten "Bauern-Advokaten" leicht in
den Kreistag gelangen. Der Vorschlag war ebenso kühn als schlecht vor-

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
aber, die er nicht mehr hatte neugeſtalten können, blieb noch während
eines halben Jahrhunderts der Spielball wechſelnder geſetzgeberiſcher Ver-
ſuche; nichts ſtand hier feſt, nicht einmal die leitenden Grundſätze.

Durch das Gensdarmerie-Edikt hatte Hardenberg die Selbſtverwaltung
der Kreiſe faſt gänzlich zu zerſtören verſucht; und nunmehr, nachdem dieſer
Mißgriff zurückgenommen war, begnügten ſich Frieſe und ſeine Commiſſion,
die Bildung von Kreisverſammlungen vorzuſchlagen, welche über Kreis-
angelegenheiten berathen, Mißbräuche und Mängel rügen, die Landesab-
gaben vertheilen und über gemeinnützige Anſtalten beſchließen, aber ſich
jeder Einmiſchung in die Kreisverwaltung unbedingt enthalten ſollten.
Ein ſolcher Kreistag ohne eigene verantwortliche Thätigkeit ſtand neben
dem allein handelnden Landrath ebenſo machtlos wie der franzöſiſche
Generalrath neben dem Präfekten. Und ganz nach franzöſiſcher Weiſe
ſollte auch der Landrath fortan nur noch ein Staatsbeamter ſein. Bis-
her, ſo führte die Commiſſion aus, habe Preußen noch „keine wirklichen
Volksvertreter“ gekannt und daher den Landräthen etwas von den Rechten
einer Volksvertretung eingeräumt; jetzt aber, da die Regierung durch die
Verfaſſung „einen Theil der ihr bisher zugeſtandenen Geſammtgewalt
weggiebt“, muß ſie, nach dem Vorbilde aller anderen Verfaſſungsſtaaten,
ihre Beamten allein ernennen. Demnach darf der Landrath auch nicht
mehr den Vorſitz im Kreistage führen, ſondern nur ohne Stimmrecht den
Verhandlungen beiwohnen. Die ſcharfe Trennung von Aktion und Be-
rathung, der Grundgedanke des napoleoniſchen Verwaltungsrechts, ſollte
alſo mit allen ihren Conſequenzen nach Preußen hinübergenommen werden;
der Landrath war Alles, der Kreisverſammlung blieb nur die Berathung.

Damit ward die lebendige Selbſtverwaltung aufgegeben, und was
frommte es noch, daß die Zuſammenſetzung dieſer ohnmächtigen Kreistage
allen Wünſchen des Liberalismus entſprach? Neben der Grundherrſchaft
hielt der Adel des Oſtens keines ſeiner Standesrechte ſo hoch wie die alte
Kreisſtandſchaft. Er hatte es ſchon ſchwer genug verwunden, daß jetzt
auch Bürgerliche in die Ritterſchaft eintraten; ſeine Virilſtimmen auf den
Kreistagen wollte er ſich aber nimmermehr nehmen laſſen, darüber waren
alle Grundherren einig, in den alten Provinzen, in Sachſen und Vor-
pommern. Gegen dies alte Recht der Ritterſchaft führte nun die Com-
miſſion einen verwegenen Schlag. Sie beſeitigte die Virilſtimmen der
Ritterſchaft und gewährte den Großgrundbeſitzern nur das Recht, ein
Drittel der Kreisverordneten zu wählen. Die übrigen zwei Drittel ſollten
von ſämmtlichen Gemeinden des Kreiſes nach der Kopfzahl erwählt werden.
Wählbar waren außer den Grundherren, den Staats- und Communal-
beamten alle Kreisinſaſſen von 500 Thlr. Einkommen, und da die Wähler
nicht verpflichtet wurden, Männer ihres Standes zu wählen, ſo konnten
auch die dem Adel beſonders verhaßten „Bauern-Advokaten“ leicht in
den Kreistag gelangen. Der Vorſchlag war ebenſo kühn als ſchlecht vor-

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[112/0128] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. aber, die er nicht mehr hatte neugeſtalten können, blieb noch während eines halben Jahrhunderts der Spielball wechſelnder geſetzgeberiſcher Ver- ſuche; nichts ſtand hier feſt, nicht einmal die leitenden Grundſätze. Durch das Gensdarmerie-Edikt hatte Hardenberg die Selbſtverwaltung der Kreiſe faſt gänzlich zu zerſtören verſucht; und nunmehr, nachdem dieſer Mißgriff zurückgenommen war, begnügten ſich Frieſe und ſeine Commiſſion, die Bildung von Kreisverſammlungen vorzuſchlagen, welche über Kreis- angelegenheiten berathen, Mißbräuche und Mängel rügen, die Landesab- gaben vertheilen und über gemeinnützige Anſtalten beſchließen, aber ſich jeder Einmiſchung in die Kreisverwaltung unbedingt enthalten ſollten. Ein ſolcher Kreistag ohne eigene verantwortliche Thätigkeit ſtand neben dem allein handelnden Landrath ebenſo machtlos wie der franzöſiſche Generalrath neben dem Präfekten. Und ganz nach franzöſiſcher Weiſe ſollte auch der Landrath fortan nur noch ein Staatsbeamter ſein. Bis- her, ſo führte die Commiſſion aus, habe Preußen noch „keine wirklichen Volksvertreter“ gekannt und daher den Landräthen etwas von den Rechten einer Volksvertretung eingeräumt; jetzt aber, da die Regierung durch die Verfaſſung „einen Theil der ihr bisher zugeſtandenen Geſammtgewalt weggiebt“, muß ſie, nach dem Vorbilde aller anderen Verfaſſungsſtaaten, ihre Beamten allein ernennen. Demnach darf der Landrath auch nicht mehr den Vorſitz im Kreistage führen, ſondern nur ohne Stimmrecht den Verhandlungen beiwohnen. Die ſcharfe Trennung von Aktion und Be- rathung, der Grundgedanke des napoleoniſchen Verwaltungsrechts, ſollte alſo mit allen ihren Conſequenzen nach Preußen hinübergenommen werden; der Landrath war Alles, der Kreisverſammlung blieb nur die Berathung. Damit ward die lebendige Selbſtverwaltung aufgegeben, und was frommte es noch, daß die Zuſammenſetzung dieſer ohnmächtigen Kreistage allen Wünſchen des Liberalismus entſprach? Neben der Grundherrſchaft hielt der Adel des Oſtens keines ſeiner Standesrechte ſo hoch wie die alte Kreisſtandſchaft. Er hatte es ſchon ſchwer genug verwunden, daß jetzt auch Bürgerliche in die Ritterſchaft eintraten; ſeine Virilſtimmen auf den Kreistagen wollte er ſich aber nimmermehr nehmen laſſen, darüber waren alle Grundherren einig, in den alten Provinzen, in Sachſen und Vor- pommern. Gegen dies alte Recht der Ritterſchaft führte nun die Com- miſſion einen verwegenen Schlag. Sie beſeitigte die Virilſtimmen der Ritterſchaft und gewährte den Großgrundbeſitzern nur das Recht, ein Drittel der Kreisverordneten zu wählen. Die übrigen zwei Drittel ſollten von ſämmtlichen Gemeinden des Kreiſes nach der Kopfzahl erwählt werden. Wählbar waren außer den Grundherren, den Staats- und Communal- beamten alle Kreisinſaſſen von 500 Thlr. Einkommen, und da die Wähler nicht verpflichtet wurden, Männer ihres Standes zu wählen, ſo konnten auch die dem Adel beſonders verhaßten „Bauern-Advokaten“ leicht in den Kreistag gelangen. Der Vorſchlag war ebenſo kühn als ſchlecht vor-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/128>, abgerufen am 28.04.2024.