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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
Ueberstürzung bewältigt, und am 7. August konnte sie ihre Pläne für die
Verfassung der Kreise, Städte und Landgemeinden vorlegen.*) Die Arbeit
war wesentlich das Werk des Vorsitzenden Friese; manche seiner Vor-
schläge von 1811 kehrten in den neuen Entwürfen fast wörtlich wieder.
Schon damals hatte er sich gegen die Ortsobrigkeit der Gutsherren aus-
gesprochen. Liberal durch und durch, erkannte er in dem schroffen Gegen-
satze der Stände einen Hauptgrund des Unglücks von 1806, in der Be-
seitigung aller wirthschaftlichen und politischen Privilegien des Grund-
adels die Vorbedingung eines freien Gemeindewesens.

In der That hatte der Staatsrath mittlerweile die Agrargesetzgebung
von 1811 rüstig weiter geführt. Am 25. Sept. 1820 erschien ein in ein-
zelnen Bestimmungen fast allzu radikales Edikt, das die Ablösung der
bäuerlichen Lasten für die Länder zwischen Elbe und Rhein regelte. Darauf
folgte am 7. Juni 1821 nach langen und schwierigen Berathungen**)
das tief einschneidende Gesetz über die Gemeinheitstheilungen, die letzte
große Reform der Hardenbergischen Epoche. Seit Friedrich der Große
die Aufhebung der Gemeinheiten begonnen hatte, waren schon über 21/2
Mill. Morgen Gemeindeländereien aufgetheilt; jetzt wurden die Ausein-
andersetzungen in größerem Umfang weiter geführt und unter die Auf-
sicht der Generalcommissionen gestellt, die bereits seit 1811 mit der Lei-
tung der Ablösungen betraut waren. Die neue Gesetzgebung ging von
dem verwegenen Satze aus, daß jede Gemeinheitstheilung bis auf er-
brachten Gegenbeweis als förderlich für die Landescultur angesehen wer-
den müsse, andererseits bot sie volle Gewähr für ein streng rechtliches
Verfahren, da die Generalcommissionen richterliche Beisassen erhielten und
mit den Befugnissen der Gerichtscollegien ausgestattet wurden. Es war
ein kühner Gewaltstreich, doch er ergab sich so nothwendig aus den Be-
dürfnissen des Landbaus, daß nach und nach fast alle deutsche Staaten,
Württemberg erst im Jahre 1854, dem Beispiele Preußens folgten. Und
auch diesmal ward offenbar, wie hoch das Beamtenthum noch über der
wirthschaftlichen Bildung des Volkes stand.

Von allen Seiten regte sich der Unwille. Nicht blos Marwitz und
seine Freunde wetterten wider die buchgelehrten Generalcommissionen und
beschuldigten den Staat der Volksverführung, wenn einmal ein schlaues
Bäuerlein, das seinen Acker weit vom Dorfe angewiesen erhielt, sich den
Segen der neuen Feuerversicherung zu nutze machte und sein Haus an-
zündete. Auch die Bauern selbst, die früher so oft geklagt hatten, "viel
Hirten, übel gehütet!", widersetzten sich häufig der Auftheilung der Ge-
meindeweiden und erschwerten den Behörden die Arbeit durch mißtrauischen

*) Entwürfe der Landgemeinde-, Städte- und Kreisordnung, nebst Erläuterungen;
Begleitschreiben vom 7. Aug. 1820. S. Beilage 10.
**) Protokolle des Staatsraths, 22. Mai 1821.

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
Ueberſtürzung bewältigt, und am 7. Auguſt konnte ſie ihre Pläne für die
Verfaſſung der Kreiſe, Städte und Landgemeinden vorlegen.*) Die Arbeit
war weſentlich das Werk des Vorſitzenden Frieſe; manche ſeiner Vor-
ſchläge von 1811 kehrten in den neuen Entwürfen faſt wörtlich wieder.
Schon damals hatte er ſich gegen die Ortsobrigkeit der Gutsherren aus-
geſprochen. Liberal durch und durch, erkannte er in dem ſchroffen Gegen-
ſatze der Stände einen Hauptgrund des Unglücks von 1806, in der Be-
ſeitigung aller wirthſchaftlichen und politiſchen Privilegien des Grund-
adels die Vorbedingung eines freien Gemeindeweſens.

In der That hatte der Staatsrath mittlerweile die Agrargeſetzgebung
von 1811 rüſtig weiter geführt. Am 25. Sept. 1820 erſchien ein in ein-
zelnen Beſtimmungen faſt allzu radikales Edikt, das die Ablöſung der
bäuerlichen Laſten für die Länder zwiſchen Elbe und Rhein regelte. Darauf
folgte am 7. Juni 1821 nach langen und ſchwierigen Berathungen**)
das tief einſchneidende Geſetz über die Gemeinheitstheilungen, die letzte
große Reform der Hardenbergiſchen Epoche. Seit Friedrich der Große
die Aufhebung der Gemeinheiten begonnen hatte, waren ſchon über 2½
Mill. Morgen Gemeindeländereien aufgetheilt; jetzt wurden die Ausein-
anderſetzungen in größerem Umfang weiter geführt und unter die Auf-
ſicht der Generalcommiſſionen geſtellt, die bereits ſeit 1811 mit der Lei-
tung der Ablöſungen betraut waren. Die neue Geſetzgebung ging von
dem verwegenen Satze aus, daß jede Gemeinheitstheilung bis auf er-
brachten Gegenbeweis als förderlich für die Landescultur angeſehen wer-
den müſſe, andererſeits bot ſie volle Gewähr für ein ſtreng rechtliches
Verfahren, da die Generalcommiſſionen richterliche Beiſaſſen erhielten und
mit den Befugniſſen der Gerichtscollegien ausgeſtattet wurden. Es war
ein kühner Gewaltſtreich, doch er ergab ſich ſo nothwendig aus den Be-
dürfniſſen des Landbaus, daß nach und nach faſt alle deutſche Staaten,
Württemberg erſt im Jahre 1854, dem Beiſpiele Preußens folgten. Und
auch diesmal ward offenbar, wie hoch das Beamtenthum noch über der
wirthſchaftlichen Bildung des Volkes ſtand.

Von allen Seiten regte ſich der Unwille. Nicht blos Marwitz und
ſeine Freunde wetterten wider die buchgelehrten Generalcommiſſionen und
beſchuldigten den Staat der Volksverführung, wenn einmal ein ſchlaues
Bäuerlein, das ſeinen Acker weit vom Dorfe angewieſen erhielt, ſich den
Segen der neuen Feuerverſicherung zu nutze machte und ſein Haus an-
zündete. Auch die Bauern ſelbſt, die früher ſo oft geklagt hatten, „viel
Hirten, übel gehütet!“, widerſetzten ſich häufig der Auftheilung der Ge-
meindeweiden und erſchwerten den Behörden die Arbeit durch mißtrauiſchen

*) Entwürfe der Landgemeinde-, Städte- und Kreisordnung, nebſt Erläuterungen;
Begleitſchreiben vom 7. Aug. 1820. S. Beilage 10.
**) Protokolle des Staatsraths, 22. Mai 1821.
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[106/0122] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. Ueberſtürzung bewältigt, und am 7. Auguſt konnte ſie ihre Pläne für die Verfaſſung der Kreiſe, Städte und Landgemeinden vorlegen. *) Die Arbeit war weſentlich das Werk des Vorſitzenden Frieſe; manche ſeiner Vor- ſchläge von 1811 kehrten in den neuen Entwürfen faſt wörtlich wieder. Schon damals hatte er ſich gegen die Ortsobrigkeit der Gutsherren aus- geſprochen. Liberal durch und durch, erkannte er in dem ſchroffen Gegen- ſatze der Stände einen Hauptgrund des Unglücks von 1806, in der Be- ſeitigung aller wirthſchaftlichen und politiſchen Privilegien des Grund- adels die Vorbedingung eines freien Gemeindeweſens. In der That hatte der Staatsrath mittlerweile die Agrargeſetzgebung von 1811 rüſtig weiter geführt. Am 25. Sept. 1820 erſchien ein in ein- zelnen Beſtimmungen faſt allzu radikales Edikt, das die Ablöſung der bäuerlichen Laſten für die Länder zwiſchen Elbe und Rhein regelte. Darauf folgte am 7. Juni 1821 nach langen und ſchwierigen Berathungen **) das tief einſchneidende Geſetz über die Gemeinheitstheilungen, die letzte große Reform der Hardenbergiſchen Epoche. Seit Friedrich der Große die Aufhebung der Gemeinheiten begonnen hatte, waren ſchon über 2½ Mill. Morgen Gemeindeländereien aufgetheilt; jetzt wurden die Ausein- anderſetzungen in größerem Umfang weiter geführt und unter die Auf- ſicht der Generalcommiſſionen geſtellt, die bereits ſeit 1811 mit der Lei- tung der Ablöſungen betraut waren. Die neue Geſetzgebung ging von dem verwegenen Satze aus, daß jede Gemeinheitstheilung bis auf er- brachten Gegenbeweis als förderlich für die Landescultur angeſehen wer- den müſſe, andererſeits bot ſie volle Gewähr für ein ſtreng rechtliches Verfahren, da die Generalcommiſſionen richterliche Beiſaſſen erhielten und mit den Befugniſſen der Gerichtscollegien ausgeſtattet wurden. Es war ein kühner Gewaltſtreich, doch er ergab ſich ſo nothwendig aus den Be- dürfniſſen des Landbaus, daß nach und nach faſt alle deutſche Staaten, Württemberg erſt im Jahre 1854, dem Beiſpiele Preußens folgten. Und auch diesmal ward offenbar, wie hoch das Beamtenthum noch über der wirthſchaftlichen Bildung des Volkes ſtand. Von allen Seiten regte ſich der Unwille. Nicht blos Marwitz und ſeine Freunde wetterten wider die buchgelehrten Generalcommiſſionen und beſchuldigten den Staat der Volksverführung, wenn einmal ein ſchlaues Bäuerlein, das ſeinen Acker weit vom Dorfe angewieſen erhielt, ſich den Segen der neuen Feuerverſicherung zu nutze machte und ſein Haus an- zündete. Auch die Bauern ſelbſt, die früher ſo oft geklagt hatten, „viel Hirten, übel gehütet!“, widerſetzten ſich häufig der Auftheilung der Ge- meindeweiden und erſchwerten den Behörden die Arbeit durch mißtrauiſchen *) Entwürfe der Landgemeinde-, Städte- und Kreisordnung, nebſt Erläuterungen; Begleitſchreiben vom 7. Aug. 1820. S. Beilage 10. **) Protokolle des Staatsraths, 22. Mai 1821.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/122>, abgerufen am 28.04.2024.