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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
Wahrheit, daß jede Steuer von einem Theile der Pflichtigen auf die
Schultern Anderer abgewälzt wird und jede gewohnte Abgabe in ihrem
Bestande selbst einen gewissen Vorzug besitzt, war so recht nach seinem
Herzen. Er wußte, daß jede Steuer, wirthschaftlich betrachtet, ein Uebel ist,
und nichts schien ihm vorwitziger als der Versuch, einer unerreichbaren
Gerechtigkeit zu Liebe allzu tief in hergebrachte Lebensverhältnisse einzu-
greifen. In diesem Geiste behutsamer Vermittelung waren auch seine
Gesetzentwürfe gehalten.

Das neue Budget schloß mit einem Deficit von mehr als 4 Millionen,
und da Hardenberg außerdem noch reichlich 6 Millionen unhaltbarer alter
Abgaben in den einzelnen Landestheilen aufzuheben dachte, so mußten
101/2 Mill. Thlr. durch neue Steuern aufgebracht werden. Um diesen
Ausfall zu decken, erneuerte Hoffmann den Vorschlag einer allgemeinen,
nach Klassen abgestuften Personensteuer, den er schon 1817, im Anschluß
an die Wünsche der Notablenversammlungen, aufgestellt hatte.*) Aber er
wagte nicht die Einführung dieser Steuer für das ganze Staatsgebiet zu
beantragen. Seit den Tagen des großen Kurfürsten war das Abgaben-
wesen des flachen Landes von dem der Städte immer getrennt geblieben,
indem dort die Grundsteuer, hier die Accise als Hauptsteuer erhoben
wurde; erst in dem Jahre der großen Hardenbergischen Versprechungen
1810 hatte man gewagt, diesen tief eingewurzelten Dualismus aufzuheben,
aber den verfrühten Versuch schon nach einem Jahre wieder fallen lassen,
und seit 1811 bestanden in den Städten der alten Provinzen wieder
mehrere Consumtionssteuern, auf dem Lande eine rohe Kopfsteuer.**) An
diesen gewohnten Zuständen wollte Hoffmann so wenig wie möglich ändern
und schlug daher vor, die neue Klassensteuer auf das flache Land und die
kleinen Städte zu beschränken, in den größeren Städten dagegen eine un-
gleich ergiebigere Mahl- und Schlachtsteuer einzuführen. Zur Ergänzung
der beiden Hauptsteuern sollte eine mäßig bemessene Gewerbesteuer auf
einige der einträglichsten Gewerbe gelegt werden.

Das schwerste Hinderniß der Reform lag in der allgemein beklagten
Ungleichheit der alten Grundsteuern; sie zeigte sich besonders gehässig in
Posen, wo noch von den Tagen der sarmatischen Adelsherrschaft her die
Podymna bestand, eine nach der Zahl der Rauchfänge erhobene Abgabe,
die den kleinen Besitzer ganz unverhältnißmäßig drückte. Indeß die Aus-
gleichung der Grundsteuer war unmöglich ohne die Katastrirung des ge-
sammten Gebietes, und so lange konnte der erschöpfte Staat auf seine
neuen Einnahmen nicht warten. In solcher Verlegenheit kam Hoffmann
wieder auf den unglücklichen Gedanken der Quotisirung zurück, der im
Staatsrath schon vor drei Jahren verworfen, gleichwohl unter den unzu-
friedenen Rheinländern und Westphalen noch immer warme Vertheidiger

*) S. o. II. 208.
**) S. o. I. 35, 371, 375. (3. Aufl.)

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
Wahrheit, daß jede Steuer von einem Theile der Pflichtigen auf die
Schultern Anderer abgewälzt wird und jede gewohnte Abgabe in ihrem
Beſtande ſelbſt einen gewiſſen Vorzug beſitzt, war ſo recht nach ſeinem
Herzen. Er wußte, daß jede Steuer, wirthſchaftlich betrachtet, ein Uebel iſt,
und nichts ſchien ihm vorwitziger als der Verſuch, einer unerreichbaren
Gerechtigkeit zu Liebe allzu tief in hergebrachte Lebensverhältniſſe einzu-
greifen. In dieſem Geiſte behutſamer Vermittelung waren auch ſeine
Geſetzentwürfe gehalten.

Das neue Budget ſchloß mit einem Deficit von mehr als 4 Millionen,
und da Hardenberg außerdem noch reichlich 6 Millionen unhaltbarer alter
Abgaben in den einzelnen Landestheilen aufzuheben dachte, ſo mußten
10½ Mill. Thlr. durch neue Steuern aufgebracht werden. Um dieſen
Ausfall zu decken, erneuerte Hoffmann den Vorſchlag einer allgemeinen,
nach Klaſſen abgeſtuften Perſonenſteuer, den er ſchon 1817, im Anſchluß
an die Wünſche der Notablenverſammlungen, aufgeſtellt hatte.*) Aber er
wagte nicht die Einführung dieſer Steuer für das ganze Staatsgebiet zu
beantragen. Seit den Tagen des großen Kurfürſten war das Abgaben-
weſen des flachen Landes von dem der Städte immer getrennt geblieben,
indem dort die Grundſteuer, hier die Acciſe als Hauptſteuer erhoben
wurde; erſt in dem Jahre der großen Hardenbergiſchen Verſprechungen
1810 hatte man gewagt, dieſen tief eingewurzelten Dualismus aufzuheben,
aber den verfrühten Verſuch ſchon nach einem Jahre wieder fallen laſſen,
und ſeit 1811 beſtanden in den Städten der alten Provinzen wieder
mehrere Conſumtionsſteuern, auf dem Lande eine rohe Kopfſteuer.**) An
dieſen gewohnten Zuſtänden wollte Hoffmann ſo wenig wie möglich ändern
und ſchlug daher vor, die neue Klaſſenſteuer auf das flache Land und die
kleinen Städte zu beſchränken, in den größeren Städten dagegen eine un-
gleich ergiebigere Mahl- und Schlachtſteuer einzuführen. Zur Ergänzung
der beiden Hauptſteuern ſollte eine mäßig bemeſſene Gewerbeſteuer auf
einige der einträglichſten Gewerbe gelegt werden.

Das ſchwerſte Hinderniß der Reform lag in der allgemein beklagten
Ungleichheit der alten Grundſteuern; ſie zeigte ſich beſonders gehäſſig in
Poſen, wo noch von den Tagen der ſarmatiſchen Adelsherrſchaft her die
Podymna beſtand, eine nach der Zahl der Rauchfänge erhobene Abgabe,
die den kleinen Beſitzer ganz unverhältnißmäßig drückte. Indeß die Aus-
gleichung der Grundſteuer war unmöglich ohne die Kataſtrirung des ge-
ſammten Gebietes, und ſo lange konnte der erſchöpfte Staat auf ſeine
neuen Einnahmen nicht warten. In ſolcher Verlegenheit kam Hoffmann
wieder auf den unglücklichen Gedanken der Quotiſirung zurück, der im
Staatsrath ſchon vor drei Jahren verworfen, gleichwohl unter den unzu-
friedenen Rheinländern und Weſtphalen noch immer warme Vertheidiger

*) S. o. II. 208.
**) S. o. I. 35, 371, 375. (3. Aufl.)
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[86/0102] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. Wahrheit, daß jede Steuer von einem Theile der Pflichtigen auf die Schultern Anderer abgewälzt wird und jede gewohnte Abgabe in ihrem Beſtande ſelbſt einen gewiſſen Vorzug beſitzt, war ſo recht nach ſeinem Herzen. Er wußte, daß jede Steuer, wirthſchaftlich betrachtet, ein Uebel iſt, und nichts ſchien ihm vorwitziger als der Verſuch, einer unerreichbaren Gerechtigkeit zu Liebe allzu tief in hergebrachte Lebensverhältniſſe einzu- greifen. In dieſem Geiſte behutſamer Vermittelung waren auch ſeine Geſetzentwürfe gehalten. Das neue Budget ſchloß mit einem Deficit von mehr als 4 Millionen, und da Hardenberg außerdem noch reichlich 6 Millionen unhaltbarer alter Abgaben in den einzelnen Landestheilen aufzuheben dachte, ſo mußten 10½ Mill. Thlr. durch neue Steuern aufgebracht werden. Um dieſen Ausfall zu decken, erneuerte Hoffmann den Vorſchlag einer allgemeinen, nach Klaſſen abgeſtuften Perſonenſteuer, den er ſchon 1817, im Anſchluß an die Wünſche der Notablenverſammlungen, aufgeſtellt hatte. *) Aber er wagte nicht die Einführung dieſer Steuer für das ganze Staatsgebiet zu beantragen. Seit den Tagen des großen Kurfürſten war das Abgaben- weſen des flachen Landes von dem der Städte immer getrennt geblieben, indem dort die Grundſteuer, hier die Acciſe als Hauptſteuer erhoben wurde; erſt in dem Jahre der großen Hardenbergiſchen Verſprechungen 1810 hatte man gewagt, dieſen tief eingewurzelten Dualismus aufzuheben, aber den verfrühten Verſuch ſchon nach einem Jahre wieder fallen laſſen, und ſeit 1811 beſtanden in den Städten der alten Provinzen wieder mehrere Conſumtionsſteuern, auf dem Lande eine rohe Kopfſteuer. **) An dieſen gewohnten Zuſtänden wollte Hoffmann ſo wenig wie möglich ändern und ſchlug daher vor, die neue Klaſſenſteuer auf das flache Land und die kleinen Städte zu beſchränken, in den größeren Städten dagegen eine un- gleich ergiebigere Mahl- und Schlachtſteuer einzuführen. Zur Ergänzung der beiden Hauptſteuern ſollte eine mäßig bemeſſene Gewerbeſteuer auf einige der einträglichſten Gewerbe gelegt werden. Das ſchwerſte Hinderniß der Reform lag in der allgemein beklagten Ungleichheit der alten Grundſteuern; ſie zeigte ſich beſonders gehäſſig in Poſen, wo noch von den Tagen der ſarmatiſchen Adelsherrſchaft her die Podymna beſtand, eine nach der Zahl der Rauchfänge erhobene Abgabe, die den kleinen Beſitzer ganz unverhältnißmäßig drückte. Indeß die Aus- gleichung der Grundſteuer war unmöglich ohne die Kataſtrirung des ge- ſammten Gebietes, und ſo lange konnte der erſchöpfte Staat auf ſeine neuen Einnahmen nicht warten. In ſolcher Verlegenheit kam Hoffmann wieder auf den unglücklichen Gedanken der Quotiſirung zurück, der im Staatsrath ſchon vor drei Jahren verworfen, gleichwohl unter den unzu- friedenen Rheinländern und Weſtphalen noch immer warme Vertheidiger *) S. o. II. 208. **) S. o. I. 35, 371, 375. (3. Aufl.)

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/102>, abgerufen am 27.04.2024.