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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Symboliker.
und Junkern bedroht war, die beiden rothhaarigen Schurken Görres und
Creuzer das Volk Luthers nach Rom zurückführen wollten. Alles, was
sich aufgeklärt und liberal nannte, jubelte dem Zornmuthigen zu, als er
seine groben Streitschriften wider die Symboliker hinaussandte; Voß ge-
wöhnte die Liberalen zuerst an den gehässigen Ton eines Gesinnungs-
terrorismus, der hinter abweichenden Meinungen stets verworfene Absichten
suchte. Recht und Unrecht erschienen in diesem Streite ebenso seltsam ge-
mischt, wie in den gleichzeitigen Kämpfen der politischen Parteien. Wenn
Voß und Hermann sich der Klarheit und Bestimmtheit rühmen durften,
so zeigte Creuzer unzweifelhaft mehr Geist; wenn jene sich als die schär-
feren Kritiker erwiesen, so bewährte dieser ein ungleich tieferes Verständ-
niß für die Religion, für das verborgene Gemüthsleben der Völker. Auf
manchem der Wege, welche der Symboliker zuerst in phantastischen Sprüngen
durcheilte, wandelt heute die besser ausgerüstete Wissenschaft mit sicherem
Schritt.

So haderten die Philologen unter einander und bemerkten noch kaum,
wie ihnen allen ein gemeinsamer Feind heranwuchs, die banausische
Gesinnung der Geschäftswelt. Da der ausschließlich classische Unterricht
der Gymnasien den wachsenden Ansprüchen des wirthschaftlichen Lebens
allerdings nicht mehr genügen konnte, so erhob sich schon bald nach den
Kriegen der Ruf nach Reformen. Den Fanatikern der Nützlichkeit erschien
nur lernenswerth was sich in Geschäft und Unterhaltung unmittelbar
gebrauchen ließ; die moderne Vorliebe für oberflächliche Vielwisserei und
der Haß der Aufklärung gegen alles Altüberlieferte thaten das Ihre hinzu.
In Baden wurde das Verlangen nach Beschränkung des classischen Un-
terrichts bald unter die Hauptsätze des liberalen Parteiprogramms auf-
genommen; in Preußen war Schön der eifrige Gönner dieser Bestre-
bungen, welche den tiefsten Grund der deutschen Bildung bedrohten und
erst nach langen Jahren sich etwas abklären sollten.

Die Fruchtbarkeit der neuen Gelehrtengeneration schien unerschöpflich;
fast im nämlichen Augenblicke, da die historische Rechtslehre, die historische
Grammatik und die vergleichende Sprachforschung entstanden, schuf Karl
Ritter die neue Wissenschaft der vergleichenden Erdkunde. Trotz der großen
Entdeckungen des sechzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts war die
Geographie bisher doch nur eine reichhaltige Sammlung von statistischen,
historischen, physikalischen Notizen ohne innere Einheit geblieben. Niemand
fragte mehr, was wohl einst Strabo gemeint haben mochte als er für die
Geographie eine philosophische Behandlung forderte und das "vielgestaltige"
Europa glücklich pries neben Asiens einförmiger Küstenbildung. Erst in
diesen Tagen des erstarkenden historischen Sinnes erwachte auch die Ein-
sicht, daß die Erde das Erziehungshaus der Menschheit und der Schau-
platz ihrer Thaten ist, und die Erdkunde mithin zunächst zu erforschen
hat, wie die Gestaltung der Erde bedingend und bestimmend auf die

Die Symboliker.
und Junkern bedroht war, die beiden rothhaarigen Schurken Görres und
Creuzer das Volk Luthers nach Rom zurückführen wollten. Alles, was
ſich aufgeklärt und liberal nannte, jubelte dem Zornmuthigen zu, als er
ſeine groben Streitſchriften wider die Symboliker hinausſandte; Voß ge-
wöhnte die Liberalen zuerſt an den gehäſſigen Ton eines Geſinnungs-
terrorismus, der hinter abweichenden Meinungen ſtets verworfene Abſichten
ſuchte. Recht und Unrecht erſchienen in dieſem Streite ebenſo ſeltſam ge-
miſcht, wie in den gleichzeitigen Kämpfen der politiſchen Parteien. Wenn
Voß und Hermann ſich der Klarheit und Beſtimmtheit rühmen durften,
ſo zeigte Creuzer unzweifelhaft mehr Geiſt; wenn jene ſich als die ſchär-
feren Kritiker erwieſen, ſo bewährte dieſer ein ungleich tieferes Verſtänd-
niß für die Religion, für das verborgene Gemüthsleben der Völker. Auf
manchem der Wege, welche der Symboliker zuerſt in phantaſtiſchen Sprüngen
durcheilte, wandelt heute die beſſer ausgerüſtete Wiſſenſchaft mit ſicherem
Schritt.

So haderten die Philologen unter einander und bemerkten noch kaum,
wie ihnen allen ein gemeinſamer Feind heranwuchs, die banauſiſche
Geſinnung der Geſchäftswelt. Da der ausſchließlich claſſiſche Unterricht
der Gymnaſien den wachſenden Anſprüchen des wirthſchaftlichen Lebens
allerdings nicht mehr genügen konnte, ſo erhob ſich ſchon bald nach den
Kriegen der Ruf nach Reformen. Den Fanatikern der Nützlichkeit erſchien
nur lernenswerth was ſich in Geſchäft und Unterhaltung unmittelbar
gebrauchen ließ; die moderne Vorliebe für oberflächliche Vielwiſſerei und
der Haß der Aufklärung gegen alles Altüberlieferte thaten das Ihre hinzu.
In Baden wurde das Verlangen nach Beſchränkung des claſſiſchen Un-
terrichts bald unter die Hauptſätze des liberalen Parteiprogramms auf-
genommen; in Preußen war Schön der eifrige Gönner dieſer Beſtre-
bungen, welche den tiefſten Grund der deutſchen Bildung bedrohten und
erſt nach langen Jahren ſich etwas abklären ſollten.

Die Fruchtbarkeit der neuen Gelehrtengeneration ſchien unerſchöpflich;
faſt im nämlichen Augenblicke, da die hiſtoriſche Rechtslehre, die hiſtoriſche
Grammatik und die vergleichende Sprachforſchung entſtanden, ſchuf Karl
Ritter die neue Wiſſenſchaft der vergleichenden Erdkunde. Trotz der großen
Entdeckungen des ſechzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts war die
Geographie bisher doch nur eine reichhaltige Sammlung von ſtatiſtiſchen,
hiſtoriſchen, phyſikaliſchen Notizen ohne innere Einheit geblieben. Niemand
fragte mehr, was wohl einſt Strabo gemeint haben mochte als er für die
Geographie eine philoſophiſche Behandlung forderte und das „vielgeſtaltige“
Europa glücklich pries neben Aſiens einförmiger Küſtenbildung. Erſt in
dieſen Tagen des erſtarkenden hiſtoriſchen Sinnes erwachte auch die Ein-
ſicht, daß die Erde das Erziehungshaus der Menſchheit und der Schau-
platz ihrer Thaten iſt, und die Erdkunde mithin zunächſt zu erforſchen
hat, wie die Geſtaltung der Erde bedingend und beſtimmend auf die

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[75/0089] Die Symboliker. und Junkern bedroht war, die beiden rothhaarigen Schurken Görres und Creuzer das Volk Luthers nach Rom zurückführen wollten. Alles, was ſich aufgeklärt und liberal nannte, jubelte dem Zornmuthigen zu, als er ſeine groben Streitſchriften wider die Symboliker hinausſandte; Voß ge- wöhnte die Liberalen zuerſt an den gehäſſigen Ton eines Geſinnungs- terrorismus, der hinter abweichenden Meinungen ſtets verworfene Abſichten ſuchte. Recht und Unrecht erſchienen in dieſem Streite ebenſo ſeltſam ge- miſcht, wie in den gleichzeitigen Kämpfen der politiſchen Parteien. Wenn Voß und Hermann ſich der Klarheit und Beſtimmtheit rühmen durften, ſo zeigte Creuzer unzweifelhaft mehr Geiſt; wenn jene ſich als die ſchär- feren Kritiker erwieſen, ſo bewährte dieſer ein ungleich tieferes Verſtänd- niß für die Religion, für das verborgene Gemüthsleben der Völker. Auf manchem der Wege, welche der Symboliker zuerſt in phantaſtiſchen Sprüngen durcheilte, wandelt heute die beſſer ausgerüſtete Wiſſenſchaft mit ſicherem Schritt. So haderten die Philologen unter einander und bemerkten noch kaum, wie ihnen allen ein gemeinſamer Feind heranwuchs, die banauſiſche Geſinnung der Geſchäftswelt. Da der ausſchließlich claſſiſche Unterricht der Gymnaſien den wachſenden Anſprüchen des wirthſchaftlichen Lebens allerdings nicht mehr genügen konnte, ſo erhob ſich ſchon bald nach den Kriegen der Ruf nach Reformen. Den Fanatikern der Nützlichkeit erſchien nur lernenswerth was ſich in Geſchäft und Unterhaltung unmittelbar gebrauchen ließ; die moderne Vorliebe für oberflächliche Vielwiſſerei und der Haß der Aufklärung gegen alles Altüberlieferte thaten das Ihre hinzu. In Baden wurde das Verlangen nach Beſchränkung des claſſiſchen Un- terrichts bald unter die Hauptſätze des liberalen Parteiprogramms auf- genommen; in Preußen war Schön der eifrige Gönner dieſer Beſtre- bungen, welche den tiefſten Grund der deutſchen Bildung bedrohten und erſt nach langen Jahren ſich etwas abklären ſollten. Die Fruchtbarkeit der neuen Gelehrtengeneration ſchien unerſchöpflich; faſt im nämlichen Augenblicke, da die hiſtoriſche Rechtslehre, die hiſtoriſche Grammatik und die vergleichende Sprachforſchung entſtanden, ſchuf Karl Ritter die neue Wiſſenſchaft der vergleichenden Erdkunde. Trotz der großen Entdeckungen des ſechzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts war die Geographie bisher doch nur eine reichhaltige Sammlung von ſtatiſtiſchen, hiſtoriſchen, phyſikaliſchen Notizen ohne innere Einheit geblieben. Niemand fragte mehr, was wohl einſt Strabo gemeint haben mochte als er für die Geographie eine philoſophiſche Behandlung forderte und das „vielgeſtaltige“ Europa glücklich pries neben Aſiens einförmiger Küſtenbildung. Erſt in dieſen Tagen des erſtarkenden hiſtoriſchen Sinnes erwachte auch die Ein- ſicht, daß die Erde das Erziehungshaus der Menſchheit und der Schau- platz ihrer Thaten iſt, und die Erdkunde mithin zunächſt zu erforſchen hat, wie die Geſtaltung der Erde bedingend und beſtimmend auf die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/89>, abgerufen am 27.04.2024.