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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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E. M. Arndt und Wrede.
that nur was sich von selbst verstand; denn wer für eine ehrenrührige Behauptung nicht
selber vor Gericht den Beweis der Wahrheit erbringt, muß ohne Weiteres der Verleum-
dung schuldig erklärt werden. Für den Historiker aber, den die Formen des Strafpro-
cesses nicht binden, war dies Urtheil werthlos.

Arndt selbst hielt die Wahrheit seiner Erzählung unerschütterlich aufrecht und stellte
im Verlaufe des langen Zeitungsstreites, der sich an jenen Proceß anknüpfte, einmal die
Vermuthung auf: die That Wredes möge vielleicht gegen Ende Februar 1807 geschehen
sein, da um diese Zeit, nach neueren Mittheilungen aus Schlesien, bairische Truppen in
Oels arg gehaust hätten. Diese hingeworfene Vermuthung benutzte nun ein bairischer
Offizier (angeblich Major Ehrhard) um in einer anonymen Schrift (Die Beschuldigung
Wredes durch E. M. Arndt. München 1860) die Schuldlosigkeit seines Helden zu erweisen.
Er wies nach, daß allerdings die Division Wrede am 23. Februar 1807, auf dem Durch-
marsch nach Polen, durch Oels gekommen ist, Wrede selbst aber zur selben Zeit noch
krank in Baiern lag. Auch hiermit war die Erzählung Arndts offenbar noch nicht
widerlegt. Denn da über den Zeitpunkt des Raubes nur unerwiesene Vermuthungen
aufgestellt wurden, so blieb die Möglichkeit offen, daß Wrede die That etwas später im
Jahre 1807 begangen hätte. Wrede hat sich nachweislich zweimal während jenes Jahres
in Schlesien aufgehalten. Zuerst zu Ende März, als er, von seiner Krankheit genesen,
der Armee nachreiste; nach den Aufzeichnungen eines Zeitgenossen, die sich in der Breslauer
Stadtbibliothek befinden, ist er am 26. März in Breslau eingetroffen. Sodann lag er
nach dem Tilsiter Frieden bis zum 2. Decbr. mehrere Monate lang mit seinen Truppen
in Schlesien, und da die Franzosen und ihre Bundesgenossen während jener friedlichen
Occupation bekanntlich fast eben so übermüthig auftraten, wie vorher im Kriege, so konnte
der Raub auch wohl in dieser Zeit sich ereignet haben. Arndt ließ sich daher durch die
mangelhaften Argumente der Ehrhard'schen Schrift nicht beirren; er meinte auf sein
gutes Gedächtniß bauen zu können und wiederholte seine Erzählung in den späteren Auf-
lagen der "Wanderungen" unverändert. Wie ich meinen geliebten alten Lehrer kannte,
hielt ich es für unzweifelhaft, daß er seine guten Gründe gehabt haben mußte, einen so
lebhaft bestrittenen Bericht so entschieden festzuhalten, und trug mithin kein Bedenken,
in einer beiläufigen Bemerkung dieses Buches die Erzählung Arndts als unanfechtbar
zu erwähnen.

Inzwischen hat der bairische Generalmajor Heilmann eine Biographie Wredes
herausgegeben, ein lehrreiches, dankenswerthes Buch, das freilich einen erfreulicheren
Eindruck hinterlassen würde, wenn der Verfasser nicht versucht hätte, einen vaterlandslosen
tapferen Landsknecht mit unseren nationalen Helden, mit Scharnhorst, Blücher, Gneisenau
in eine Reihe zu stellen. General Heilmann geht auch auf diese Episode aus dem Leben
seines Helden ausführlich ein, bringt aber nichts Neues bei, sondern wiederholt einfach
die Behauptungen Ehrhards; er nimmt, ohne irgend einen Grund dafür aufzuführen,
kurzweg an, daß der Raub zwischen dem 23. Februar und dem 8. März geschehen sein
müsse, und erweist dann ohne Mühe das Alibi Wredes. Die Lücken dieser seltsamen
Beweisführung verdeckt er sodann, indem er über den alten Arndt eine Fülle schmückender
Beiwörter ausschüttet, welche mit den landesüblichen Formen wissenschaftlicher Polemik
wenig gemein haben. Wenn Arndt ein in Fragen der historischen Wahrheit sorgloser,
in seinen Vorurtheilen leichtgläubiger, eigensinniger alter Mann genannt wird, dem
"seine politischen Gehilfen noch vollends den Kopf verdreht" hätten, so habe ich nichts da-
wider einzuwenden, daß auch ich mit einigen mehr kräftigen als anmuthigen Ausdrücken
beehrt werde.

Als ich kürzlich eine neue Ausgabe des ersten Bandes vorbereitete, unterwarf ich
natürlich alle von der Kritik angefochtenen Stellen einer neuen Prüfung, so auch jene
Bemerkung über Wrede. Das Heilmann'sche Buch gab mir keine genügende Auskunft;
ich entschloß mich daher selber zu thun, was der Biograph Wredes leider unterlassen
hatte, und hielt in Schlesien Nachfrage. Nachdem ich an verschiedenen Stellen vergeblich

E. M. Arndt und Wrede.
that nur was ſich von ſelbſt verſtand; denn wer für eine ehrenrührige Behauptung nicht
ſelber vor Gericht den Beweis der Wahrheit erbringt, muß ohne Weiteres der Verleum-
dung ſchuldig erklärt werden. Für den Hiſtoriker aber, den die Formen des Strafpro-
ceſſes nicht binden, war dies Urtheil werthlos.

Arndt ſelbſt hielt die Wahrheit ſeiner Erzählung unerſchütterlich aufrecht und ſtellte
im Verlaufe des langen Zeitungsſtreites, der ſich an jenen Proceß anknüpfte, einmal die
Vermuthung auf: die That Wredes möge vielleicht gegen Ende Februar 1807 geſchehen
ſein, da um dieſe Zeit, nach neueren Mittheilungen aus Schleſien, bairiſche Truppen in
Oels arg gehauſt hätten. Dieſe hingeworfene Vermuthung benutzte nun ein bairiſcher
Offizier (angeblich Major Ehrhard) um in einer anonymen Schrift (Die Beſchuldigung
Wredes durch E. M. Arndt. München 1860) die Schuldloſigkeit ſeines Helden zu erweiſen.
Er wies nach, daß allerdings die Diviſion Wrede am 23. Februar 1807, auf dem Durch-
marſch nach Polen, durch Oels gekommen iſt, Wrede ſelbſt aber zur ſelben Zeit noch
krank in Baiern lag. Auch hiermit war die Erzählung Arndts offenbar noch nicht
widerlegt. Denn da über den Zeitpunkt des Raubes nur unerwieſene Vermuthungen
aufgeſtellt wurden, ſo blieb die Möglichkeit offen, daß Wrede die That etwas ſpäter im
Jahre 1807 begangen hätte. Wrede hat ſich nachweislich zweimal während jenes Jahres
in Schleſien aufgehalten. Zuerſt zu Ende März, als er, von ſeiner Krankheit geneſen,
der Armee nachreiſte; nach den Aufzeichnungen eines Zeitgenoſſen, die ſich in der Breslauer
Stadtbibliothek befinden, iſt er am 26. März in Breslau eingetroffen. Sodann lag er
nach dem Tilſiter Frieden bis zum 2. Decbr. mehrere Monate lang mit ſeinen Truppen
in Schleſien, und da die Franzoſen und ihre Bundesgenoſſen während jener friedlichen
Occupation bekanntlich faſt eben ſo übermüthig auftraten, wie vorher im Kriege, ſo konnte
der Raub auch wohl in dieſer Zeit ſich ereignet haben. Arndt ließ ſich daher durch die
mangelhaften Argumente der Ehrhard’ſchen Schrift nicht beirren; er meinte auf ſein
gutes Gedächtniß bauen zu können und wiederholte ſeine Erzählung in den ſpäteren Auf-
lagen der „Wanderungen“ unverändert. Wie ich meinen geliebten alten Lehrer kannte,
hielt ich es für unzweifelhaft, daß er ſeine guten Gründe gehabt haben mußte, einen ſo
lebhaft beſtrittenen Bericht ſo entſchieden feſtzuhalten, und trug mithin kein Bedenken,
in einer beiläufigen Bemerkung dieſes Buches die Erzählung Arndts als unanfechtbar
zu erwähnen.

Inzwiſchen hat der bairiſche Generalmajor Heilmann eine Biographie Wredes
herausgegeben, ein lehrreiches, dankenswerthes Buch, das freilich einen erfreulicheren
Eindruck hinterlaſſen würde, wenn der Verfaſſer nicht verſucht hätte, einen vaterlandsloſen
tapferen Landsknecht mit unſeren nationalen Helden, mit Scharnhorſt, Blücher, Gneiſenau
in eine Reihe zu ſtellen. General Heilmann geht auch auf dieſe Epiſode aus dem Leben
ſeines Helden ausführlich ein, bringt aber nichts Neues bei, ſondern wiederholt einfach
die Behauptungen Ehrhards; er nimmt, ohne irgend einen Grund dafür aufzuführen,
kurzweg an, daß der Raub zwiſchen dem 23. Februar und dem 8. März geſchehen ſein
müſſe, und erweiſt dann ohne Mühe das Alibi Wredes. Die Lücken dieſer ſeltſamen
Beweisführung verdeckt er ſodann, indem er über den alten Arndt eine Fülle ſchmückender
Beiwörter ausſchüttet, welche mit den landesüblichen Formen wiſſenſchaftlicher Polemik
wenig gemein haben. Wenn Arndt ein in Fragen der hiſtoriſchen Wahrheit ſorgloſer,
in ſeinen Vorurtheilen leichtgläubiger, eigenſinniger alter Mann genannt wird, dem
„ſeine politiſchen Gehilfen noch vollends den Kopf verdreht“ hätten, ſo habe ich nichts da-
wider einzuwenden, daß auch ich mit einigen mehr kräftigen als anmuthigen Ausdrücken
beehrt werde.

Als ich kürzlich eine neue Ausgabe des erſten Bandes vorbereitete, unterwarf ich
natürlich alle von der Kritik angefochtenen Stellen einer neuen Prüfung, ſo auch jene
Bemerkung über Wrede. Das Heilmann’ſche Buch gab mir keine genügende Auskunft;
ich entſchloß mich daher ſelber zu thun, was der Biograph Wredes leider unterlaſſen
hatte, und hielt in Schleſien Nachfrage. Nachdem ich an verſchiedenen Stellen vergeblich

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[630/0644] E. M. Arndt und Wrede. that nur was ſich von ſelbſt verſtand; denn wer für eine ehrenrührige Behauptung nicht ſelber vor Gericht den Beweis der Wahrheit erbringt, muß ohne Weiteres der Verleum- dung ſchuldig erklärt werden. Für den Hiſtoriker aber, den die Formen des Strafpro- ceſſes nicht binden, war dies Urtheil werthlos. Arndt ſelbſt hielt die Wahrheit ſeiner Erzählung unerſchütterlich aufrecht und ſtellte im Verlaufe des langen Zeitungsſtreites, der ſich an jenen Proceß anknüpfte, einmal die Vermuthung auf: die That Wredes möge vielleicht gegen Ende Februar 1807 geſchehen ſein, da um dieſe Zeit, nach neueren Mittheilungen aus Schleſien, bairiſche Truppen in Oels arg gehauſt hätten. Dieſe hingeworfene Vermuthung benutzte nun ein bairiſcher Offizier (angeblich Major Ehrhard) um in einer anonymen Schrift (Die Beſchuldigung Wredes durch E. M. Arndt. München 1860) die Schuldloſigkeit ſeines Helden zu erweiſen. Er wies nach, daß allerdings die Diviſion Wrede am 23. Februar 1807, auf dem Durch- marſch nach Polen, durch Oels gekommen iſt, Wrede ſelbſt aber zur ſelben Zeit noch krank in Baiern lag. Auch hiermit war die Erzählung Arndts offenbar noch nicht widerlegt. Denn da über den Zeitpunkt des Raubes nur unerwieſene Vermuthungen aufgeſtellt wurden, ſo blieb die Möglichkeit offen, daß Wrede die That etwas ſpäter im Jahre 1807 begangen hätte. Wrede hat ſich nachweislich zweimal während jenes Jahres in Schleſien aufgehalten. Zuerſt zu Ende März, als er, von ſeiner Krankheit geneſen, der Armee nachreiſte; nach den Aufzeichnungen eines Zeitgenoſſen, die ſich in der Breslauer Stadtbibliothek befinden, iſt er am 26. März in Breslau eingetroffen. Sodann lag er nach dem Tilſiter Frieden bis zum 2. Decbr. mehrere Monate lang mit ſeinen Truppen in Schleſien, und da die Franzoſen und ihre Bundesgenoſſen während jener friedlichen Occupation bekanntlich faſt eben ſo übermüthig auftraten, wie vorher im Kriege, ſo konnte der Raub auch wohl in dieſer Zeit ſich ereignet haben. Arndt ließ ſich daher durch die mangelhaften Argumente der Ehrhard’ſchen Schrift nicht beirren; er meinte auf ſein gutes Gedächtniß bauen zu können und wiederholte ſeine Erzählung in den ſpäteren Auf- lagen der „Wanderungen“ unverändert. Wie ich meinen geliebten alten Lehrer kannte, hielt ich es für unzweifelhaft, daß er ſeine guten Gründe gehabt haben mußte, einen ſo lebhaft beſtrittenen Bericht ſo entſchieden feſtzuhalten, und trug mithin kein Bedenken, in einer beiläufigen Bemerkung dieſes Buches die Erzählung Arndts als unanfechtbar zu erwähnen. Inzwiſchen hat der bairiſche Generalmajor Heilmann eine Biographie Wredes herausgegeben, ein lehrreiches, dankenswerthes Buch, das freilich einen erfreulicheren Eindruck hinterlaſſen würde, wenn der Verfaſſer nicht verſucht hätte, einen vaterlandsloſen tapferen Landsknecht mit unſeren nationalen Helden, mit Scharnhorſt, Blücher, Gneiſenau in eine Reihe zu ſtellen. General Heilmann geht auch auf dieſe Epiſode aus dem Leben ſeines Helden ausführlich ein, bringt aber nichts Neues bei, ſondern wiederholt einfach die Behauptungen Ehrhards; er nimmt, ohne irgend einen Grund dafür aufzuführen, kurzweg an, daß der Raub zwiſchen dem 23. Februar und dem 8. März geſchehen ſein müſſe, und erweiſt dann ohne Mühe das Alibi Wredes. Die Lücken dieſer ſeltſamen Beweisführung verdeckt er ſodann, indem er über den alten Arndt eine Fülle ſchmückender Beiwörter ausſchüttet, welche mit den landesüblichen Formen wiſſenſchaftlicher Polemik wenig gemein haben. Wenn Arndt ein in Fragen der hiſtoriſchen Wahrheit ſorgloſer, in ſeinen Vorurtheilen leichtgläubiger, eigenſinniger alter Mann genannt wird, dem „ſeine politiſchen Gehilfen noch vollends den Kopf verdreht“ hätten, ſo habe ich nichts da- wider einzuwenden, daß auch ich mit einigen mehr kräftigen als anmuthigen Ausdrücken beehrt werde. Als ich kürzlich eine neue Ausgabe des erſten Bandes vorbereitete, unterwarf ich natürlich alle von der Kritik angefochtenen Stellen einer neuen Prüfung, ſo auch jene Bemerkung über Wrede. Das Heilmann’ſche Buch gab mir keine genügende Auskunft; ich entſchloß mich daher ſelber zu thun, was der Biograph Wredes leider unterlaſſen hatte, und hielt in Schleſien Nachfrage. Nachdem ich an verſchiedenen Stellen vergeblich

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 630. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/644>, abgerufen am 22.11.2024.