die von den gekränkten Kleinfürsten oft wiederholte Anklage, Preußens Enclavensystem verletze das Völkerrecht. Alle nach den Enclaven bestimmten Waaren unterlagen von Rechtswegen den preußischen Durchfuhrzöllen; und wenn der Berliner Hof für gut fand, die Transitabgaben auf gewissen Straßen bis zur Höhe der Einfuhrzölle hinaufzuschrauben, so ließ sich recht- lich dawider nichts einwenden.
Indem Eichhorn die Kleinstaaten einlud zu freundnachbarlichen Ver- trägen über die Behandlung der Enclaven, erklärte er zugleich die Bereit- willigkeit des Königs, auch über den Anschluß nicht-enclavirter Gebiete zu verhandeln. Er betonte den nationalen Charakter des Zollgesetzes, er hob hervor, dies Gesetz sei im Sinne des Art. 19 der Bundesacte gedacht, sei bestimmt, zunächst in einem Theile von Deutschland die Binnenmauthen aufzuheben, sodann auch anderen Bundesstaaten den Anschluß zu erleichtern; der König verdiene den Dank der Bundesgenossen, da er begonnen habe, den deutschen Markt von der Herrschaft des Auslandes zu befreien. An dieser nationalen Richtung hat Preußens Handelspolitik seitdem unerschüt- terlich festgehalten; die in späteren Jahren oft auftauchenden Vorschläge, etwa Belgien oder die Schweiz in den Zollverein aufzunehmen, wurden in Berlin stets kurzerhand zurückgewiesen. Nicht kosmopolitische Verkehrsfrei- heit war Preußens Ziel, sondern die Handelseinheit des Vaterlandes. Der König, sagt eine von Bernstorff unterzeichnete Note an das Collegium der Geheimen Räthe zu Gotha (v. 13. Juni 1819), beabsichtige durch das Gesetz vom 26. Mai "hauptsächlich den Handel mit außerdeutschen Landeserzeug- nissen zu besteuern und die Mitbewerbung außerdeutscher Fabriken von Ihren Staaten und von denjenigen Ländern abzuwehren, welche sich hierin an Ihre Maßregeln anschließen wollen." Er hege "den lebhaften Wunsch, die nur zur Besteuerung außerdeutscher Verbrauchsartikel und zum Schutze der preußischen Landesindustrie gegen die außerdeutschen Fabriken ergriffenen Maßregeln bundesverwandten deutschen Staaten, soweit es ihre Lage irgend gestattet, nicht zum Nachtheil gereichen zu lassen." Hierauf räth die Note, einen thüringischen Handelsverein zu bilden, der alsdann mit Preußen in Zollverbindung treten solle; sie zeichnet also genau den Weg vor, welcher vierzehn Jahre später zu der handelspolitischen Vereinigung Preußens und Thüringens geführt hat.
Im selben Sinne versicherte die Staatszeitung amtlich, "daß Preußen schon seiner Lage wegen, mehr aber noch, weil die Vereinigung des Einzel- Interesses der deutschen Bundesstaaten zu einem Gesammt-Interesse für Preußen vorzüglich wünschenswerth sei, zu dem Plane einer völligen Han- delsfreiheit zwischen den Bundesstaaten die Hand zu bieten am ehesten geneigt sei, und daß es am liebsten die Schwierigkeiten gehoben sehen werde, die sich der Ausführung entgegenzustellen schienen." Und als gegen Weihnachten 1819 Abgeordnete des List'schen Vereins nach Berlin kamen, um die Regierung für einen deutschen Mauthverband zu gewinnen, da er-
Das Enclavenſyſtem.
die von den gekränkten Kleinfürſten oft wiederholte Anklage, Preußens Enclavenſyſtem verletze das Völkerrecht. Alle nach den Enclaven beſtimmten Waaren unterlagen von Rechtswegen den preußiſchen Durchfuhrzöllen; und wenn der Berliner Hof für gut fand, die Tranſitabgaben auf gewiſſen Straßen bis zur Höhe der Einfuhrzölle hinaufzuſchrauben, ſo ließ ſich recht- lich dawider nichts einwenden.
Indem Eichhorn die Kleinſtaaten einlud zu freundnachbarlichen Ver- trägen über die Behandlung der Enclaven, erklärte er zugleich die Bereit- willigkeit des Königs, auch über den Anſchluß nicht-enclavirter Gebiete zu verhandeln. Er betonte den nationalen Charakter des Zollgeſetzes, er hob hervor, dies Geſetz ſei im Sinne des Art. 19 der Bundesacte gedacht, ſei beſtimmt, zunächſt in einem Theile von Deutſchland die Binnenmauthen aufzuheben, ſodann auch anderen Bundesſtaaten den Anſchluß zu erleichtern; der König verdiene den Dank der Bundesgenoſſen, da er begonnen habe, den deutſchen Markt von der Herrſchaft des Auslandes zu befreien. An dieſer nationalen Richtung hat Preußens Handelspolitik ſeitdem unerſchüt- terlich feſtgehalten; die in ſpäteren Jahren oft auftauchenden Vorſchläge, etwa Belgien oder die Schweiz in den Zollverein aufzunehmen, wurden in Berlin ſtets kurzerhand zurückgewieſen. Nicht kosmopolitiſche Verkehrsfrei- heit war Preußens Ziel, ſondern die Handelseinheit des Vaterlandes. Der König, ſagt eine von Bernſtorff unterzeichnete Note an das Collegium der Geheimen Räthe zu Gotha (v. 13. Juni 1819), beabſichtige durch das Geſetz vom 26. Mai „hauptſächlich den Handel mit außerdeutſchen Landeserzeug- niſſen zu beſteuern und die Mitbewerbung außerdeutſcher Fabriken von Ihren Staaten und von denjenigen Ländern abzuwehren, welche ſich hierin an Ihre Maßregeln anſchließen wollen.“ Er hege „den lebhaften Wunſch, die nur zur Beſteuerung außerdeutſcher Verbrauchsartikel und zum Schutze der preußiſchen Landesinduſtrie gegen die außerdeutſchen Fabriken ergriffenen Maßregeln bundesverwandten deutſchen Staaten, ſoweit es ihre Lage irgend geſtattet, nicht zum Nachtheil gereichen zu laſſen.“ Hierauf räth die Note, einen thüringiſchen Handelsverein zu bilden, der alsdann mit Preußen in Zollverbindung treten ſolle; ſie zeichnet alſo genau den Weg vor, welcher vierzehn Jahre ſpäter zu der handelspolitiſchen Vereinigung Preußens und Thüringens geführt hat.
Im ſelben Sinne verſicherte die Staatszeitung amtlich, „daß Preußen ſchon ſeiner Lage wegen, mehr aber noch, weil die Vereinigung des Einzel- Intereſſes der deutſchen Bundesſtaaten zu einem Geſammt-Intereſſe für Preußen vorzüglich wünſchenswerth ſei, zu dem Plane einer völligen Han- delsfreiheit zwiſchen den Bundesſtaaten die Hand zu bieten am eheſten geneigt ſei, und daß es am liebſten die Schwierigkeiten gehoben ſehen werde, die ſich der Ausführung entgegenzuſtellen ſchienen.“ Und als gegen Weihnachten 1819 Abgeordnete des Liſt’ſchen Vereins nach Berlin kamen, um die Regierung für einen deutſchen Mauthverband zu gewinnen, da er-
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Das Enclavenſyſtem.
die von den gekränkten Kleinfürſten oft wiederholte Anklage, Preußens
Enclavenſyſtem verletze das Völkerrecht. Alle nach den Enclaven beſtimmten
Waaren unterlagen von Rechtswegen den preußiſchen Durchfuhrzöllen; und
wenn der Berliner Hof für gut fand, die Tranſitabgaben auf gewiſſen
Straßen bis zur Höhe der Einfuhrzölle hinaufzuſchrauben, ſo ließ ſich recht-
lich dawider nichts einwenden.
Indem Eichhorn die Kleinſtaaten einlud zu freundnachbarlichen Ver-
trägen über die Behandlung der Enclaven, erklärte er zugleich die Bereit-
willigkeit des Königs, auch über den Anſchluß nicht-enclavirter Gebiete zu
verhandeln. Er betonte den nationalen Charakter des Zollgeſetzes, er hob
hervor, dies Geſetz ſei im Sinne des Art. 19 der Bundesacte gedacht, ſei
beſtimmt, zunächſt in einem Theile von Deutſchland die Binnenmauthen
aufzuheben, ſodann auch anderen Bundesſtaaten den Anſchluß zu erleichtern;
der König verdiene den Dank der Bundesgenoſſen, da er begonnen habe,
den deutſchen Markt von der Herrſchaft des Auslandes zu befreien. An
dieſer nationalen Richtung hat Preußens Handelspolitik ſeitdem unerſchüt-
terlich feſtgehalten; die in ſpäteren Jahren oft auftauchenden Vorſchläge,
etwa Belgien oder die Schweiz in den Zollverein aufzunehmen, wurden in
Berlin ſtets kurzerhand zurückgewieſen. Nicht kosmopolitiſche Verkehrsfrei-
heit war Preußens Ziel, ſondern die Handelseinheit des Vaterlandes. Der
König, ſagt eine von Bernſtorff unterzeichnete Note an das Collegium der
Geheimen Räthe zu Gotha (v. 13. Juni 1819), beabſichtige durch das Geſetz
vom 26. Mai „hauptſächlich den Handel mit außerdeutſchen Landeserzeug-
niſſen zu beſteuern und die Mitbewerbung außerdeutſcher Fabriken von Ihren
Staaten und von denjenigen Ländern abzuwehren, welche ſich hierin an
Ihre Maßregeln anſchließen wollen.“ Er hege „den lebhaften Wunſch, die
nur zur Beſteuerung außerdeutſcher Verbrauchsartikel und zum Schutze der
preußiſchen Landesinduſtrie gegen die außerdeutſchen Fabriken ergriffenen
Maßregeln bundesverwandten deutſchen Staaten, ſoweit es ihre Lage irgend
geſtattet, nicht zum Nachtheil gereichen zu laſſen.“ Hierauf räth die Note,
einen thüringiſchen Handelsverein zu bilden, der alsdann mit Preußen in
Zollverbindung treten ſolle; ſie zeichnet alſo genau den Weg vor, welcher
vierzehn Jahre ſpäter zu der handelspolitiſchen Vereinigung Preußens und
Thüringens geführt hat.
Im ſelben Sinne verſicherte die Staatszeitung amtlich, „daß Preußen
ſchon ſeiner Lage wegen, mehr aber noch, weil die Vereinigung des Einzel-
Intereſſes der deutſchen Bundesſtaaten zu einem Geſammt-Intereſſe für
Preußen vorzüglich wünſchenswerth ſei, zu dem Plane einer völligen Han-
delsfreiheit zwiſchen den Bundesſtaaten die Hand zu bieten am eheſten
geneigt ſei, und daß es am liebſten die Schwierigkeiten gehoben ſehen
werde, die ſich der Ausführung entgegenzuſtellen ſchienen.“ Und als gegen
Weihnachten 1819 Abgeordnete des Liſt’ſchen Vereins nach Berlin kamen,
um die Regierung für einen deutſchen Mauthverband zu gewinnen, da er-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/635>, abgerufen am 22.11.2024.
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