zwungen zu rüsten, auf der Wacht zu stehen; das will sagen: er mußte brechen mit jener Politik des Sparens, der stillen Sammlung der Kräfte, die ihn allein wieder erheben konnte, undsich bereit halten, die große Macht- frage der deutschen Zukunft vor der Zeit zu lösen. Und durfte die so lange geplante Wiederherstellung der Ordnung im Finanzwesen jetzt nochmals verschoben werden -- aus Rücksicht auf eine Opposition, welche den vor- handenen Nothstand einfach ableugnete und bisher nichts vorgebracht hatte als unfruchtbare Verneinungen?
Der König that nur das Nothwendige, als er am 31. December die beiden Minister mit kurzen Worten von den Geschäften des Staatsraths und des Staatsministeriums dispensirte. Schuckmann und Kircheisen er- hielten wieder die ungetheilte Leitung der Ministerien des Innern und der Justiz. Zugleich wurde General Pirch zum Direktor der Militär-Erziehungs- anstalten ernannt.*) Beyme war schmerzlich überrascht und unterwarf sich "mit zerrissenem Herzen". Humboldt ertrug den Schlag mit seiner ge- wohnten philosophischen Ruhe, und da er nach dem Kriege eine Dotation erhalten hatte, so verzichtete er auf seinen Ruhegehalt, was der König dankbar anerkannte. Er schied, wie er dem Monarchen schrieb, "mit dem Bewußtsein, immer nur des Königs und des Staates Wohl vor Augen gehabt zu haben".**) Und gewiß ward der Mann, der politische Macht und politischen Ruhm so niedrig schätzte, nicht allein durch persönlichen Ehrgeiz geleitet, wie ihm Hardenberg und Gneisenau vorwarfen. Er hielt die Macht des Staatskanzlers für verderblich und durchschaute die Sünden der Karlsbader Politik; aber einfach, groß und kühn hat er sich in diesem Kampfe nicht gezeigt.
Der Staatskanzler frohlockte über das gewonnene Spiel. Humboldts Uebermuth hatte nach dem Staatskanzleramte getrachtet und war dabei zu Falle gekommen -- in dieser Färbung wurde der Ministerwechsel den aus- wärtigen Diplomaten geschildert. Die Bahn schien frei. Sofort legte Hardenberg dem Könige seine Steuer-Entwürfe vor und nach dem ersten Vortrage schrieb er stolz in sein Tagebuch: Nascitur novus ordo.***) War der Staatshaushalt erst wieder in Ordnung, dann fiel das schwerste Be- denken gegen die Verfassung hinweg, und der Staatskanzler schloß eine Laufbahn, die in der Geschichte Preußens ohne Gleichen war, mit der Eröffnung der preußischen Reichsstände. Erstaunlich, welche weitaussehenden Entwürfe der Greis noch in Angriff nahm. Und doch, wie voreilig war seine Siegesfreude. Mit dem Sturze der drei Minister verlor der Ver-
*) Drei Cabinets-Ordres v. 31. Dec. 1819 an das Staatsministerium, an Beyme, an Humboldt.
**) Beyme an den König 1. Jan., Humboldt an den König 1. Jan., Cabinetsordre an Humboldt 6. Jan. 1820.
***) Stockhorns Bericht, 19. Febr., Bernstorff an Hardenberg, Wien 12. Jan., Har- denbergs Tagebuch, 10. Jan. 1820.
II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
zwungen zu rüſten, auf der Wacht zu ſtehen; das will ſagen: er mußte brechen mit jener Politik des Sparens, der ſtillen Sammlung der Kräfte, die ihn allein wieder erheben konnte, undſich bereit halten, die große Macht- frage der deutſchen Zukunft vor der Zeit zu löſen. Und durfte die ſo lange geplante Wiederherſtellung der Ordnung im Finanzweſen jetzt nochmals verſchoben werden — aus Rückſicht auf eine Oppoſition, welche den vor- handenen Nothſtand einfach ableugnete und bisher nichts vorgebracht hatte als unfruchtbare Verneinungen?
Der König that nur das Nothwendige, als er am 31. December die beiden Miniſter mit kurzen Worten von den Geſchäften des Staatsraths und des Staatsminiſteriums dispenſirte. Schuckmann und Kircheiſen er- hielten wieder die ungetheilte Leitung der Miniſterien des Innern und der Juſtiz. Zugleich wurde General Pirch zum Direktor der Militär-Erziehungs- anſtalten ernannt.*) Beyme war ſchmerzlich überraſcht und unterwarf ſich „mit zerriſſenem Herzen“. Humboldt ertrug den Schlag mit ſeiner ge- wohnten philoſophiſchen Ruhe, und da er nach dem Kriege eine Dotation erhalten hatte, ſo verzichtete er auf ſeinen Ruhegehalt, was der König dankbar anerkannte. Er ſchied, wie er dem Monarchen ſchrieb, „mit dem Bewußtſein, immer nur des Königs und des Staates Wohl vor Augen gehabt zu haben“.**) Und gewiß ward der Mann, der politiſche Macht und politiſchen Ruhm ſo niedrig ſchätzte, nicht allein durch perſönlichen Ehrgeiz geleitet, wie ihm Hardenberg und Gneiſenau vorwarfen. Er hielt die Macht des Staatskanzlers für verderblich und durchſchaute die Sünden der Karlsbader Politik; aber einfach, groß und kühn hat er ſich in dieſem Kampfe nicht gezeigt.
Der Staatskanzler frohlockte über das gewonnene Spiel. Humboldts Uebermuth hatte nach dem Staatskanzleramte getrachtet und war dabei zu Falle gekommen — in dieſer Färbung wurde der Miniſterwechſel den aus- wärtigen Diplomaten geſchildert. Die Bahn ſchien frei. Sofort legte Hardenberg dem Könige ſeine Steuer-Entwürfe vor und nach dem erſten Vortrage ſchrieb er ſtolz in ſein Tagebuch: Nascitur novus ordo.***) War der Staatshaushalt erſt wieder in Ordnung, dann fiel das ſchwerſte Be- denken gegen die Verfaſſung hinweg, und der Staatskanzler ſchloß eine Laufbahn, die in der Geſchichte Preußens ohne Gleichen war, mit der Eröffnung der preußiſchen Reichsſtände. Erſtaunlich, welche weitausſehenden Entwürfe der Greis noch in Angriff nahm. Und doch, wie voreilig war ſeine Siegesfreude. Mit dem Sturze der drei Miniſter verlor der Ver-
*) Drei Cabinets-Ordres v. 31. Dec. 1819 an das Staatsminiſterium, an Beyme, an Humboldt.
**) Beyme an den König 1. Jan., Humboldt an den König 1. Jan., Cabinetsordre an Humboldt 6. Jan. 1820.
***) Stockhorns Bericht, 19. Febr., Bernſtorff an Hardenberg, Wien 12. Jan., Har- denbergs Tagebuch, 10. Jan. 1820.
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zwungen zu rüſten, auf der Wacht zu ſtehen; das will ſagen: er mußte
brechen mit jener Politik des Sparens, der ſtillen Sammlung der Kräfte,
die ihn allein wieder erheben konnte, undſich bereit halten, die große Macht-
frage der deutſchen Zukunft vor der Zeit zu löſen. Und durfte die ſo lange
geplante Wiederherſtellung der Ordnung im Finanzweſen jetzt nochmals
verſchoben werden — aus Rückſicht auf eine Oppoſition, welche den vor-
handenen Nothſtand einfach ableugnete und bisher nichts vorgebracht hatte
als unfruchtbare Verneinungen?
Der König that nur das Nothwendige, als er am 31. December die
beiden Miniſter mit kurzen Worten von den Geſchäften des Staatsraths
und des Staatsminiſteriums dispenſirte. Schuckmann und Kircheiſen er-
hielten wieder die ungetheilte Leitung der Miniſterien des Innern und der
Juſtiz. Zugleich wurde General Pirch zum Direktor der Militär-Erziehungs-
anſtalten ernannt. *) Beyme war ſchmerzlich überraſcht und unterwarf ſich
„mit zerriſſenem Herzen“. Humboldt ertrug den Schlag mit ſeiner ge-
wohnten philoſophiſchen Ruhe, und da er nach dem Kriege eine Dotation
erhalten hatte, ſo verzichtete er auf ſeinen Ruhegehalt, was der König
dankbar anerkannte. Er ſchied, wie er dem Monarchen ſchrieb, „mit dem
Bewußtſein, immer nur des Königs und des Staates Wohl vor Augen
gehabt zu haben“. **) Und gewiß ward der Mann, der politiſche Macht
und politiſchen Ruhm ſo niedrig ſchätzte, nicht allein durch perſönlichen
Ehrgeiz geleitet, wie ihm Hardenberg und Gneiſenau vorwarfen. Er hielt
die Macht des Staatskanzlers für verderblich und durchſchaute die Sünden
der Karlsbader Politik; aber einfach, groß und kühn hat er ſich in dieſem
Kampfe nicht gezeigt.
Der Staatskanzler frohlockte über das gewonnene Spiel. Humboldts
Uebermuth hatte nach dem Staatskanzleramte getrachtet und war dabei zu
Falle gekommen — in dieſer Färbung wurde der Miniſterwechſel den aus-
wärtigen Diplomaten geſchildert. Die Bahn ſchien frei. Sofort legte
Hardenberg dem Könige ſeine Steuer-Entwürfe vor und nach dem erſten
Vortrage ſchrieb er ſtolz in ſein Tagebuch: Nascitur novus ordo. ***) War
der Staatshaushalt erſt wieder in Ordnung, dann fiel das ſchwerſte Be-
denken gegen die Verfaſſung hinweg, und der Staatskanzler ſchloß eine
Laufbahn, die in der Geſchichte Preußens ohne Gleichen war, mit der
Eröffnung der preußiſchen Reichsſtände. Erſtaunlich, welche weitausſehenden
Entwürfe der Greis noch in Angriff nahm. Und doch, wie voreilig war
ſeine Siegesfreude. Mit dem Sturze der drei Miniſter verlor der Ver-
*) Drei Cabinets-Ordres v. 31. Dec. 1819 an das Staatsminiſterium, an Beyme,
an Humboldt.
**) Beyme an den König 1. Jan., Humboldt an den König 1. Jan., Cabinetsordre
an Humboldt 6. Jan. 1820.
***) Stockhorns Bericht, 19. Febr., Bernſtorff an Hardenberg, Wien 12. Jan., Har-
denbergs Tagebuch, 10. Jan. 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/620>, abgerufen am 16.07.2024.
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