Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. nicht ohne Grund, aber doch nur wegen unbedachter Worte und unterVerletzung der Rechtsformen -- von dem preußischen Staate ausgestoßen und von seinen alten Todfeinden, den Franzosen, denen er jetzt freilich nicht mehr schaden konnte, mit unverhohlener Schadenfreude großmüthig beschützt wurde. Im Verkehr mit den Straßburger Jesuiten ward Görres bald gänzlich für jene clericalen Bestrebungen gewonnen, denen er sich schon in Coblenz genähert hatte; der unstete Romantiker, der einst in mächtigen Dithyramben die Siegesflüge des schwarzen Adlers gefeiert, ent- warf sich jetzt, durch kirchlichen und politischen Haß verblendet, ein gräß- liches Zerrbild von der preußischen Monarchie, dem Staate der protestan- tischen Verstandesdürre und der todten bureaukratischen Regel. Diesen "ungestalten starren Knochenmann" im Namen deutscher und katholischer Freiheit zu bekämpfen blieb fortan sein Stolz. Außer Görres hatten sich auch C. Th. Welcker und gegen fünfzig von Nur zwei deutsche Staaten, Baiern und Württemberg versuchten eine *) Berstett an Metternich 2., 22. Okt., an Schuckmann 26. Nov.; Metternich an
Berstett 30. Okt.; Schuckmann an Berstett 1. Nov. 1819. II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe. nicht ohne Grund, aber doch nur wegen unbedachter Worte und unterVerletzung der Rechtsformen — von dem preußiſchen Staate ausgeſtoßen und von ſeinen alten Todfeinden, den Franzoſen, denen er jetzt freilich nicht mehr ſchaden konnte, mit unverhohlener Schadenfreude großmüthig beſchützt wurde. Im Verkehr mit den Straßburger Jeſuiten ward Görres bald gänzlich für jene clericalen Beſtrebungen gewonnen, denen er ſich ſchon in Coblenz genähert hatte; der unſtete Romantiker, der einſt in mächtigen Dithyramben die Siegesflüge des ſchwarzen Adlers gefeiert, ent- warf ſich jetzt, durch kirchlichen und politiſchen Haß verblendet, ein gräß- liches Zerrbild von der preußiſchen Monarchie, dem Staate der proteſtan- tiſchen Verſtandesdürre und der todten bureaukratiſchen Regel. Dieſen „ungeſtalten ſtarren Knochenmann“ im Namen deutſcher und katholiſcher Freiheit zu bekämpfen blieb fortan ſein Stolz. Außer Görres hatten ſich auch C. Th. Welcker und gegen fünfzig von Nur zwei deutſche Staaten, Baiern und Württemberg verſuchten eine *) Berſtett an Metternich 2., 22. Okt., an Schuckmann 26. Nov.; Metternich an
Berſtett 30. Okt.; Schuckmann an Berſtett 1. Nov. 1819. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0594" n="580"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.</fw><lb/> nicht ohne Grund, aber doch nur wegen unbedachter Worte und unter<lb/> Verletzung der Rechtsformen — von dem preußiſchen Staate ausgeſtoßen<lb/> und von ſeinen alten Todfeinden, den Franzoſen, denen er jetzt freilich<lb/> nicht mehr ſchaden konnte, mit unverhohlener Schadenfreude großmüthig<lb/> beſchützt wurde. Im Verkehr mit den Straßburger Jeſuiten ward Görres<lb/> bald gänzlich für jene clericalen Beſtrebungen gewonnen, denen er ſich<lb/> ſchon in Coblenz genähert hatte; der unſtete Romantiker, der einſt in<lb/> mächtigen Dithyramben die Siegesflüge des ſchwarzen Adlers gefeiert, ent-<lb/> warf ſich jetzt, durch kirchlichen und politiſchen Haß verblendet, ein gräß-<lb/> liches Zerrbild von der preußiſchen Monarchie, dem Staate der proteſtan-<lb/> tiſchen Verſtandesdürre und der todten bureaukratiſchen Regel. Dieſen<lb/> „ungeſtalten ſtarren Knochenmann“ im Namen deutſcher und katholiſcher<lb/> Freiheit zu bekämpfen blieb fortan ſein Stolz.</p><lb/> <p>Außer Görres hatten ſich auch C. Th. Welcker und gegen fünfzig von<lb/> der Demagogenverfolgung bedrohte Schriftſteller, Studenten, Buchdrucker<lb/> in Straßburg eingefunden. Dies Elſaß, das die Deutſchen vor vier Jahren<lb/> vom wälſchen Joche hatten befreien wollen, bot jetzt den deutſchen Unzu-<lb/> friedenen ein Aſyl, und mancher der Vertriebenen geſtand ſeinen radikalen<lb/> Straßburger Freunden, ſie hätten doch recht gethan bei dem freien Frank-<lb/> reich auszuhalten! Es war im Plane, dort an der Grenze eine freie<lb/> deutſche Zeitung zu gründen, jedoch die hilfloſe Armuth der Flüchtlinge<lb/> und ein ſtrenges von Berlin ausgehendes Verbot aller im Auslande er-<lb/> ſcheinenden deutſchen Zeitſchriften vereitelten die Abſicht. Die Central-<lb/> Unterſuchungscommiſſion erſtattete dem Bundestage ſofort Bericht über die<lb/> gefährlichen Straßburger Umtriebe, und beide Großmächte forderten den<lb/> Karlsruher Nachbarhof zu ſcharfer Wachſamkeit auf. Mit Feuereifer ent-<lb/> ledigte ſich Miniſter Berſtett ſeines Auftrags; er trat mit dem legiti-<lb/> miſtiſchen Maire von Straßburg in Verbindung, ließ auch de Wette, der<lb/> ſoeben nach Heidelberg kam, polizeilich überwachen, betheuerte mit unter-<lb/> thänigſter Begeiſterung, Baden betrachte ſich als den Vorpoſten Deutſch-<lb/> lands und ſetze ſeine Ehre darein, das Vaterland vor den ſchwarzen An-<lb/> ſchlägen „unſerer teutoniſchen Jakobiner“ auf dem linken Rheinufer zu be-<lb/> hüten.<note place="foot" n="*)">Berſtett an Metternich 2., 22. Okt., an Schuckmann 26. Nov.; Metternich an<lb/> Berſtett 30. Okt.; Schuckmann an Berſtett 1. Nov. 1819.</note> —</p><lb/> <p>Nur zwei deutſche Staaten, Baiern und Württemberg verſuchten eine<lb/> ſchwächliche Oppoſition gegen die Bundesgeſetze; aber da beide Regierungen<lb/> Allem was geſchehen ſchon unbedingt zugeſtimmt hatten, ſo waren ihre<lb/> nachträglichen Widerſtandsverſuche von Haus aus unredlich, kleinlich, aus-<lb/> ſichtslos. In München offenbarte ſich wieder jene ſchimpfliche Schwäche,<lb/> welche dieſen Hof ſeit Montgelas’ Fall auszeichnete. Graf Rechberg wurde,<lb/> als er aus Böhmen heimkehrte, von ſeinen Amtsgenoſſen Lerchenfeld und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [580/0594]
II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
nicht ohne Grund, aber doch nur wegen unbedachter Worte und unter
Verletzung der Rechtsformen — von dem preußiſchen Staate ausgeſtoßen
und von ſeinen alten Todfeinden, den Franzoſen, denen er jetzt freilich
nicht mehr ſchaden konnte, mit unverhohlener Schadenfreude großmüthig
beſchützt wurde. Im Verkehr mit den Straßburger Jeſuiten ward Görres
bald gänzlich für jene clericalen Beſtrebungen gewonnen, denen er ſich
ſchon in Coblenz genähert hatte; der unſtete Romantiker, der einſt in
mächtigen Dithyramben die Siegesflüge des ſchwarzen Adlers gefeiert, ent-
warf ſich jetzt, durch kirchlichen und politiſchen Haß verblendet, ein gräß-
liches Zerrbild von der preußiſchen Monarchie, dem Staate der proteſtan-
tiſchen Verſtandesdürre und der todten bureaukratiſchen Regel. Dieſen
„ungeſtalten ſtarren Knochenmann“ im Namen deutſcher und katholiſcher
Freiheit zu bekämpfen blieb fortan ſein Stolz.
Außer Görres hatten ſich auch C. Th. Welcker und gegen fünfzig von
der Demagogenverfolgung bedrohte Schriftſteller, Studenten, Buchdrucker
in Straßburg eingefunden. Dies Elſaß, das die Deutſchen vor vier Jahren
vom wälſchen Joche hatten befreien wollen, bot jetzt den deutſchen Unzu-
friedenen ein Aſyl, und mancher der Vertriebenen geſtand ſeinen radikalen
Straßburger Freunden, ſie hätten doch recht gethan bei dem freien Frank-
reich auszuhalten! Es war im Plane, dort an der Grenze eine freie
deutſche Zeitung zu gründen, jedoch die hilfloſe Armuth der Flüchtlinge
und ein ſtrenges von Berlin ausgehendes Verbot aller im Auslande er-
ſcheinenden deutſchen Zeitſchriften vereitelten die Abſicht. Die Central-
Unterſuchungscommiſſion erſtattete dem Bundestage ſofort Bericht über die
gefährlichen Straßburger Umtriebe, und beide Großmächte forderten den
Karlsruher Nachbarhof zu ſcharfer Wachſamkeit auf. Mit Feuereifer ent-
ledigte ſich Miniſter Berſtett ſeines Auftrags; er trat mit dem legiti-
miſtiſchen Maire von Straßburg in Verbindung, ließ auch de Wette, der
ſoeben nach Heidelberg kam, polizeilich überwachen, betheuerte mit unter-
thänigſter Begeiſterung, Baden betrachte ſich als den Vorpoſten Deutſch-
lands und ſetze ſeine Ehre darein, das Vaterland vor den ſchwarzen An-
ſchlägen „unſerer teutoniſchen Jakobiner“ auf dem linken Rheinufer zu be-
hüten. *) —
Nur zwei deutſche Staaten, Baiern und Württemberg verſuchten eine
ſchwächliche Oppoſition gegen die Bundesgeſetze; aber da beide Regierungen
Allem was geſchehen ſchon unbedingt zugeſtimmt hatten, ſo waren ihre
nachträglichen Widerſtandsverſuche von Haus aus unredlich, kleinlich, aus-
ſichtslos. In München offenbarte ſich wieder jene ſchimpfliche Schwäche,
welche dieſen Hof ſeit Montgelas’ Fall auszeichnete. Graf Rechberg wurde,
als er aus Böhmen heimkehrte, von ſeinen Amtsgenoſſen Lerchenfeld und
*) Berſtett an Metternich 2., 22. Okt., an Schuckmann 26. Nov.; Metternich an
Berſtett 30. Okt.; Schuckmann an Berſtett 1. Nov. 1819.
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