Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
nicht ohne Grund, aber doch nur wegen unbedachter Worte und unter
Verletzung der Rechtsformen -- von dem preußischen Staate ausgestoßen
und von seinen alten Todfeinden, den Franzosen, denen er jetzt freilich
nicht mehr schaden konnte, mit unverhohlener Schadenfreude großmüthig
beschützt wurde. Im Verkehr mit den Straßburger Jesuiten ward Görres
bald gänzlich für jene clericalen Bestrebungen gewonnen, denen er sich
schon in Coblenz genähert hatte; der unstete Romantiker, der einst in
mächtigen Dithyramben die Siegesflüge des schwarzen Adlers gefeiert, ent-
warf sich jetzt, durch kirchlichen und politischen Haß verblendet, ein gräß-
liches Zerrbild von der preußischen Monarchie, dem Staate der protestan-
tischen Verstandesdürre und der todten bureaukratischen Regel. Diesen
"ungestalten starren Knochenmann" im Namen deutscher und katholischer
Freiheit zu bekämpfen blieb fortan sein Stolz.

Außer Görres hatten sich auch C. Th. Welcker und gegen fünfzig von
der Demagogenverfolgung bedrohte Schriftsteller, Studenten, Buchdrucker
in Straßburg eingefunden. Dies Elsaß, das die Deutschen vor vier Jahren
vom wälschen Joche hatten befreien wollen, bot jetzt den deutschen Unzu-
friedenen ein Asyl, und mancher der Vertriebenen gestand seinen radikalen
Straßburger Freunden, sie hätten doch recht gethan bei dem freien Frank-
reich auszuhalten! Es war im Plane, dort an der Grenze eine freie
deutsche Zeitung zu gründen, jedoch die hilflose Armuth der Flüchtlinge
und ein strenges von Berlin ausgehendes Verbot aller im Auslande er-
scheinenden deutschen Zeitschriften vereitelten die Absicht. Die Central-
Untersuchungscommission erstattete dem Bundestage sofort Bericht über die
gefährlichen Straßburger Umtriebe, und beide Großmächte forderten den
Karlsruher Nachbarhof zu scharfer Wachsamkeit auf. Mit Feuereifer ent-
ledigte sich Minister Berstett seines Auftrags; er trat mit dem legiti-
mistischen Maire von Straßburg in Verbindung, ließ auch de Wette, der
soeben nach Heidelberg kam, polizeilich überwachen, betheuerte mit unter-
thänigster Begeisterung, Baden betrachte sich als den Vorposten Deutsch-
lands und setze seine Ehre darein, das Vaterland vor den schwarzen An-
schlägen "unserer teutonischen Jakobiner" auf dem linken Rheinufer zu be-
hüten.*) --

Nur zwei deutsche Staaten, Baiern und Württemberg versuchten eine
schwächliche Opposition gegen die Bundesgesetze; aber da beide Regierungen
Allem was geschehen schon unbedingt zugestimmt hatten, so waren ihre
nachträglichen Widerstandsversuche von Haus aus unredlich, kleinlich, aus-
sichtslos. In München offenbarte sich wieder jene schimpfliche Schwäche,
welche diesen Hof seit Montgelas' Fall auszeichnete. Graf Rechberg wurde,
als er aus Böhmen heimkehrte, von seinen Amtsgenossen Lerchenfeld und

*) Berstett an Metternich 2., 22. Okt., an Schuckmann 26. Nov.; Metternich an
Berstett 30. Okt.; Schuckmann an Berstett 1. Nov. 1819.

II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
nicht ohne Grund, aber doch nur wegen unbedachter Worte und unter
Verletzung der Rechtsformen — von dem preußiſchen Staate ausgeſtoßen
und von ſeinen alten Todfeinden, den Franzoſen, denen er jetzt freilich
nicht mehr ſchaden konnte, mit unverhohlener Schadenfreude großmüthig
beſchützt wurde. Im Verkehr mit den Straßburger Jeſuiten ward Görres
bald gänzlich für jene clericalen Beſtrebungen gewonnen, denen er ſich
ſchon in Coblenz genähert hatte; der unſtete Romantiker, der einſt in
mächtigen Dithyramben die Siegesflüge des ſchwarzen Adlers gefeiert, ent-
warf ſich jetzt, durch kirchlichen und politiſchen Haß verblendet, ein gräß-
liches Zerrbild von der preußiſchen Monarchie, dem Staate der proteſtan-
tiſchen Verſtandesdürre und der todten bureaukratiſchen Regel. Dieſen
„ungeſtalten ſtarren Knochenmann“ im Namen deutſcher und katholiſcher
Freiheit zu bekämpfen blieb fortan ſein Stolz.

Außer Görres hatten ſich auch C. Th. Welcker und gegen fünfzig von
der Demagogenverfolgung bedrohte Schriftſteller, Studenten, Buchdrucker
in Straßburg eingefunden. Dies Elſaß, das die Deutſchen vor vier Jahren
vom wälſchen Joche hatten befreien wollen, bot jetzt den deutſchen Unzu-
friedenen ein Aſyl, und mancher der Vertriebenen geſtand ſeinen radikalen
Straßburger Freunden, ſie hätten doch recht gethan bei dem freien Frank-
reich auszuhalten! Es war im Plane, dort an der Grenze eine freie
deutſche Zeitung zu gründen, jedoch die hilfloſe Armuth der Flüchtlinge
und ein ſtrenges von Berlin ausgehendes Verbot aller im Auslande er-
ſcheinenden deutſchen Zeitſchriften vereitelten die Abſicht. Die Central-
Unterſuchungscommiſſion erſtattete dem Bundestage ſofort Bericht über die
gefährlichen Straßburger Umtriebe, und beide Großmächte forderten den
Karlsruher Nachbarhof zu ſcharfer Wachſamkeit auf. Mit Feuereifer ent-
ledigte ſich Miniſter Berſtett ſeines Auftrags; er trat mit dem legiti-
miſtiſchen Maire von Straßburg in Verbindung, ließ auch de Wette, der
ſoeben nach Heidelberg kam, polizeilich überwachen, betheuerte mit unter-
thänigſter Begeiſterung, Baden betrachte ſich als den Vorpoſten Deutſch-
lands und ſetze ſeine Ehre darein, das Vaterland vor den ſchwarzen An-
ſchlägen „unſerer teutoniſchen Jakobiner“ auf dem linken Rheinufer zu be-
hüten.*)

Nur zwei deutſche Staaten, Baiern und Württemberg verſuchten eine
ſchwächliche Oppoſition gegen die Bundesgeſetze; aber da beide Regierungen
Allem was geſchehen ſchon unbedingt zugeſtimmt hatten, ſo waren ihre
nachträglichen Widerſtandsverſuche von Haus aus unredlich, kleinlich, aus-
ſichtslos. In München offenbarte ſich wieder jene ſchimpfliche Schwäche,
welche dieſen Hof ſeit Montgelas’ Fall auszeichnete. Graf Rechberg wurde,
als er aus Böhmen heimkehrte, von ſeinen Amtsgenoſſen Lerchenfeld und

*) Berſtett an Metternich 2., 22. Okt., an Schuckmann 26. Nov.; Metternich an
Berſtett 30. Okt.; Schuckmann an Berſtett 1. Nov. 1819.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0594" n="580"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 10. Der Um&#x017F;chwung am preußi&#x017F;chen Hofe.</fw><lb/>
nicht ohne Grund, aber doch nur wegen unbedachter Worte und unter<lb/>
Verletzung der Rechtsformen &#x2014; von dem preußi&#x017F;chen Staate ausge&#x017F;toßen<lb/>
und von &#x017F;einen alten Todfeinden, den Franzo&#x017F;en, denen er jetzt freilich<lb/>
nicht mehr &#x017F;chaden konnte, mit unverhohlener Schadenfreude großmüthig<lb/>
be&#x017F;chützt wurde. Im Verkehr mit den Straßburger Je&#x017F;uiten ward Görres<lb/>
bald gänzlich für jene clericalen Be&#x017F;trebungen gewonnen, denen er &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chon in Coblenz genähert hatte; der un&#x017F;tete Romantiker, der ein&#x017F;t in<lb/>
mächtigen Dithyramben die Siegesflüge des &#x017F;chwarzen Adlers gefeiert, ent-<lb/>
warf &#x017F;ich jetzt, durch kirchlichen und politi&#x017F;chen Haß verblendet, ein gräß-<lb/>
liches Zerrbild von der preußi&#x017F;chen Monarchie, dem Staate der prote&#x017F;tan-<lb/>
ti&#x017F;chen Ver&#x017F;tandesdürre und der todten bureaukrati&#x017F;chen Regel. Die&#x017F;en<lb/>
&#x201E;unge&#x017F;talten &#x017F;tarren Knochenmann&#x201C; im Namen deut&#x017F;cher und katholi&#x017F;cher<lb/>
Freiheit zu bekämpfen blieb fortan &#x017F;ein Stolz.</p><lb/>
          <p>Außer Görres hatten &#x017F;ich auch C. Th. Welcker und gegen fünfzig von<lb/>
der Demagogenverfolgung bedrohte Schrift&#x017F;teller, Studenten, Buchdrucker<lb/>
in Straßburg eingefunden. Dies El&#x017F;aß, das die Deut&#x017F;chen vor vier Jahren<lb/>
vom wäl&#x017F;chen Joche hatten befreien wollen, bot jetzt den deut&#x017F;chen Unzu-<lb/>
friedenen ein A&#x017F;yl, und mancher der Vertriebenen ge&#x017F;tand &#x017F;einen radikalen<lb/>
Straßburger Freunden, &#x017F;ie hätten doch recht gethan bei dem freien Frank-<lb/>
reich auszuhalten! Es war im Plane, dort an der Grenze eine freie<lb/>
deut&#x017F;che Zeitung zu gründen, jedoch die hilflo&#x017F;e Armuth der Flüchtlinge<lb/>
und ein &#x017F;trenges von Berlin ausgehendes Verbot aller im Auslande er-<lb/>
&#x017F;cheinenden deut&#x017F;chen Zeit&#x017F;chriften vereitelten die Ab&#x017F;icht. Die Central-<lb/>
Unter&#x017F;uchungscommi&#x017F;&#x017F;ion er&#x017F;tattete dem Bundestage &#x017F;ofort Bericht über die<lb/>
gefährlichen Straßburger Umtriebe, und beide Großmächte forderten den<lb/>
Karlsruher Nachbarhof zu &#x017F;charfer Wach&#x017F;amkeit auf. Mit Feuereifer ent-<lb/>
ledigte &#x017F;ich Mini&#x017F;ter Ber&#x017F;tett &#x017F;eines Auftrags; er trat mit dem legiti-<lb/>
mi&#x017F;ti&#x017F;chen Maire von Straßburg in Verbindung, ließ auch de Wette, der<lb/>
&#x017F;oeben nach Heidelberg kam, polizeilich überwachen, betheuerte mit unter-<lb/>
thänig&#x017F;ter Begei&#x017F;terung, Baden betrachte &#x017F;ich als den Vorpo&#x017F;ten Deut&#x017F;ch-<lb/>
lands und &#x017F;etze &#x017F;eine Ehre darein, das Vaterland vor den &#x017F;chwarzen An-<lb/>
&#x017F;chlägen &#x201E;un&#x017F;erer teutoni&#x017F;chen Jakobiner&#x201C; auf dem linken Rheinufer zu be-<lb/>
hüten.<note place="foot" n="*)">Ber&#x017F;tett an Metternich 2., 22. Okt., an Schuckmann 26. Nov.; Metternich an<lb/>
Ber&#x017F;tett 30. Okt.; Schuckmann an Ber&#x017F;tett 1. Nov. 1819.</note> &#x2014;</p><lb/>
          <p>Nur zwei deut&#x017F;che Staaten, Baiern und Württemberg ver&#x017F;uchten eine<lb/>
&#x017F;chwächliche Oppo&#x017F;ition gegen die Bundesge&#x017F;etze; aber da beide Regierungen<lb/>
Allem was ge&#x017F;chehen &#x017F;chon unbedingt zuge&#x017F;timmt hatten, &#x017F;o waren ihre<lb/>
nachträglichen Wider&#x017F;tandsver&#x017F;uche von Haus aus unredlich, kleinlich, aus-<lb/>
&#x017F;ichtslos. In München offenbarte &#x017F;ich wieder jene &#x017F;chimpfliche Schwäche,<lb/>
welche die&#x017F;en Hof &#x017F;eit Montgelas&#x2019; Fall auszeichnete. Graf Rechberg wurde,<lb/>
als er aus Böhmen heimkehrte, von &#x017F;einen Amtsgeno&#x017F;&#x017F;en Lerchenfeld und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[580/0594] II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe. nicht ohne Grund, aber doch nur wegen unbedachter Worte und unter Verletzung der Rechtsformen — von dem preußiſchen Staate ausgeſtoßen und von ſeinen alten Todfeinden, den Franzoſen, denen er jetzt freilich nicht mehr ſchaden konnte, mit unverhohlener Schadenfreude großmüthig beſchützt wurde. Im Verkehr mit den Straßburger Jeſuiten ward Görres bald gänzlich für jene clericalen Beſtrebungen gewonnen, denen er ſich ſchon in Coblenz genähert hatte; der unſtete Romantiker, der einſt in mächtigen Dithyramben die Siegesflüge des ſchwarzen Adlers gefeiert, ent- warf ſich jetzt, durch kirchlichen und politiſchen Haß verblendet, ein gräß- liches Zerrbild von der preußiſchen Monarchie, dem Staate der proteſtan- tiſchen Verſtandesdürre und der todten bureaukratiſchen Regel. Dieſen „ungeſtalten ſtarren Knochenmann“ im Namen deutſcher und katholiſcher Freiheit zu bekämpfen blieb fortan ſein Stolz. Außer Görres hatten ſich auch C. Th. Welcker und gegen fünfzig von der Demagogenverfolgung bedrohte Schriftſteller, Studenten, Buchdrucker in Straßburg eingefunden. Dies Elſaß, das die Deutſchen vor vier Jahren vom wälſchen Joche hatten befreien wollen, bot jetzt den deutſchen Unzu- friedenen ein Aſyl, und mancher der Vertriebenen geſtand ſeinen radikalen Straßburger Freunden, ſie hätten doch recht gethan bei dem freien Frank- reich auszuhalten! Es war im Plane, dort an der Grenze eine freie deutſche Zeitung zu gründen, jedoch die hilfloſe Armuth der Flüchtlinge und ein ſtrenges von Berlin ausgehendes Verbot aller im Auslande er- ſcheinenden deutſchen Zeitſchriften vereitelten die Abſicht. Die Central- Unterſuchungscommiſſion erſtattete dem Bundestage ſofort Bericht über die gefährlichen Straßburger Umtriebe, und beide Großmächte forderten den Karlsruher Nachbarhof zu ſcharfer Wachſamkeit auf. Mit Feuereifer ent- ledigte ſich Miniſter Berſtett ſeines Auftrags; er trat mit dem legiti- miſtiſchen Maire von Straßburg in Verbindung, ließ auch de Wette, der ſoeben nach Heidelberg kam, polizeilich überwachen, betheuerte mit unter- thänigſter Begeiſterung, Baden betrachte ſich als den Vorpoſten Deutſch- lands und ſetze ſeine Ehre darein, das Vaterland vor den ſchwarzen An- ſchlägen „unſerer teutoniſchen Jakobiner“ auf dem linken Rheinufer zu be- hüten. *) — Nur zwei deutſche Staaten, Baiern und Württemberg verſuchten eine ſchwächliche Oppoſition gegen die Bundesgeſetze; aber da beide Regierungen Allem was geſchehen ſchon unbedingt zugeſtimmt hatten, ſo waren ihre nachträglichen Widerſtandsverſuche von Haus aus unredlich, kleinlich, aus- ſichtslos. In München offenbarte ſich wieder jene ſchimpfliche Schwäche, welche dieſen Hof ſeit Montgelas’ Fall auszeichnete. Graf Rechberg wurde, als er aus Böhmen heimkehrte, von ſeinen Amtsgenoſſen Lerchenfeld und *) Berſtett an Metternich 2., 22. Okt., an Schuckmann 26. Nov.; Metternich an Berſtett 30. Okt.; Schuckmann an Berſtett 1. Nov. 1819.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/594
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/594>, abgerufen am 09.05.2024.