Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. und ließ den größeren Bundesstaaten mittheilen, daß er fest auf ihre thätigeMitwirkung zähle. Nur das treu verbündete England-Hannover bedurfte keiner solchen Mahnung. Die verdächtigen thüringischen Höfe dagegen wurden gleich den Hansestädten blos auf die ernste Willensmeinung des Königs verwiesen, aber ausdrücklich keines vertrauensvollen Wortes ge- würdigt.*) An die Gesandten im Auslande erging (28. September) ein von Ancillon verfaßtes Circularschreiben, das mit theologischer Salbung schilderte, wie die vier Mächte die Legitimität und das Eigenthum wieder hergestellt, Deutschland aber diese Politik jetzt von Neuem befestigt hätte: "durch seine geographische Lage ist Deutschland der Mittelpunkt oder, besser gesagt, das Herz Europas, und das Herz kann nicht schadhaft oder krank sein, ohne daß man dies bald bis in die äußersten Glieder des politischen Körpers fühlen müßte." Als dies Aktenstück von Paris aus widerrechtlich veröffentlicht wurde, erscholl durch die gesammte liberale Presse Europas ein Weheruf über Preußen. Bald nachher, am Jahrestage der Leipziger Schlacht, befahl der König *) Weisung an die Gesandten in Dresden, München, Stuttgart, Darmstadt 2. Okt.; desgleichen an Gf. Keller in Erfurt und die Geschäftsträger in Hamburg und Frankfurt, 2. Okt. 1819. **) Hardenbergs Tagebuch, 4. Okt. 1819. ***) Veröffentlicht von F. Kapp, die preuß. Preßgesetzgebung unter Fr. Wilhelm III.
(Archiv f. Gesch. d. d. Buchhandels VI. 185). II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe. und ließ den größeren Bundesſtaaten mittheilen, daß er feſt auf ihre thätigeMitwirkung zähle. Nur das treu verbündete England-Hannover bedurfte keiner ſolchen Mahnung. Die verdächtigen thüringiſchen Höfe dagegen wurden gleich den Hanſeſtädten blos auf die ernſte Willensmeinung des Königs verwieſen, aber ausdrücklich keines vertrauensvollen Wortes ge- würdigt.*) An die Geſandten im Auslande erging (28. September) ein von Ancillon verfaßtes Circularſchreiben, das mit theologiſcher Salbung ſchilderte, wie die vier Mächte die Legitimität und das Eigenthum wieder hergeſtellt, Deutſchland aber dieſe Politik jetzt von Neuem befeſtigt hätte: „durch ſeine geographiſche Lage iſt Deutſchland der Mittelpunkt oder, beſſer geſagt, das Herz Europas, und das Herz kann nicht ſchadhaft oder krank ſein, ohne daß man dies bald bis in die äußerſten Glieder des politiſchen Körpers fühlen müßte.“ Als dies Aktenſtück von Paris aus widerrechtlich veröffentlicht wurde, erſcholl durch die geſammte liberale Preſſe Europas ein Weheruf über Preußen. Bald nachher, am Jahrestage der Leipziger Schlacht, befahl der König *) Weiſung an die Geſandten in Dresden, München, Stuttgart, Darmſtadt 2. Okt.; desgleichen an Gf. Keller in Erfurt und die Geſchäftsträger in Hamburg und Frankfurt, 2. Okt. 1819. **) Hardenbergs Tagebuch, 4. Okt. 1819. ***) Veröffentlicht von F. Kapp, die preuß. Preßgeſetzgebung unter Fr. Wilhelm III.
(Archiv f. Geſch. d. d. Buchhandels VI. 185). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0592" n="578"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.</fw><lb/> und ließ den größeren Bundesſtaaten mittheilen, daß er feſt auf ihre thätige<lb/> Mitwirkung zähle. Nur das treu verbündete England-Hannover bedurfte<lb/> keiner ſolchen Mahnung. Die verdächtigen thüringiſchen Höfe dagegen<lb/> wurden gleich den Hanſeſtädten blos auf die ernſte Willensmeinung des<lb/> Königs verwieſen, aber ausdrücklich keines vertrauensvollen Wortes ge-<lb/> würdigt.<note place="foot" n="*)">Weiſung an die Geſandten in Dresden, München, Stuttgart, Darmſtadt 2. Okt.;<lb/> desgleichen an Gf. Keller in Erfurt und die Geſchäftsträger in Hamburg und Frankfurt,<lb/> 2. Okt. 1819.</note> An die Geſandten im Auslande erging (28. September) ein<lb/> von Ancillon verfaßtes Circularſchreiben, das mit theologiſcher Salbung<lb/> ſchilderte, wie die vier Mächte die Legitimität und das Eigenthum wieder<lb/> hergeſtellt, Deutſchland aber dieſe Politik jetzt von Neuem befeſtigt hätte:<lb/> „durch ſeine geographiſche Lage iſt Deutſchland der Mittelpunkt oder, beſſer<lb/> geſagt, das Herz Europas, und das Herz kann nicht ſchadhaft oder krank<lb/> ſein, ohne daß man dies bald bis in die äußerſten Glieder des politiſchen<lb/> Körpers fühlen müßte.“ Als dies Aktenſtück von Paris aus widerrechtlich<lb/> veröffentlicht wurde, erſcholl durch die geſammte liberale Preſſe Europas<lb/> ein Weheruf über Preußen.</p><lb/> <p>Bald nachher, am Jahrestage der Leipziger Schlacht, befahl der König<lb/> die Bekanntmachung der Karlsbader Beſchlüſſe. Am nämlichen Tage ge-<lb/> nehmigte er das Cenſur-Edikt, das der Staatskanzler in höchſter Eile hatte<lb/> ausarbeiten laſſen. Die beiden magnetiſchen Zauberer Schöll und Koreff,<lb/> dieſelben nichtigen Geſellen, welche Wittgenſtein als Hardenbergs liberale<lb/> Verführer zu verdächtigen pflegte, waren ihrem Gönner dabei dienſtwillig<lb/> zur Hand gegangen;<note place="foot" n="**)">Hardenbergs Tagebuch, 4. Okt. 1819.</note> die im Frühjahr zur Ausarbeitung des Preßgeſetzes<lb/> berufene Commiſſion wurde nicht einmal befragt. Das neue Edikt, im<lb/> Weſentlichen eine Umarbeitung der Wöllner’ſchen Cenſurordnung vom Jahre<lb/> 1786, ging noch weit über die Karlsbader Vorſchriften hinaus und be-<lb/> ſtimmte gleich im Eingang, daß alle Druckſchriften ohne Ausnahme, wie<lb/> bisher, der Cenſur unterliegen ſollten; ſogar die alte Cenſurfreiheit der<lb/> Akademie und der Univerſitäten ward für die fünfjährige Dauer des Edikts<lb/> aufgehoben. Einige Gewähr gegen die Willkür bot nur das neu errichtete<lb/> Ober-Cenſur-Collegium; aber dieſe Recurs-Inſtanz erlangte unter der<lb/> ſchlaffen Leitung des Legationsraths v. Raumer niemals eine kräftige Wirk-<lb/> ſamkeit. Unterdeſſen arbeiteten Ancillon, Nicolovius und Köhler, die Mit-<lb/> glieder der alten Preßgeſetz-Commiſſion, unverdroſſen weiter; ſie hielten an<lb/> den Grundſätzen ihres mittlerweile verſtorbenen Berichterſtatters Hagemeiſter<lb/> feſt und überreichten am 9. November dem Staatsminiſterium einen Ent-<lb/> wurf, der, im ſchärfſten Gegenſatze zu dem Cenſur-Edikt, die Preßfreiheit als<lb/> Regel ausſprach, nur für politiſche Zeitſchriften die Cenſur vorbehielt.<note place="foot" n="***)">Veröffentlicht von F. Kapp, die preuß. Preßgeſetzgebung unter Fr. Wilhelm <hi rendition="#aq">III.</hi><lb/> (Archiv f. Geſch. d. d. Buchhandels <hi rendition="#aq">VI.</hi> 185).</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [578/0592]
II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
und ließ den größeren Bundesſtaaten mittheilen, daß er feſt auf ihre thätige
Mitwirkung zähle. Nur das treu verbündete England-Hannover bedurfte
keiner ſolchen Mahnung. Die verdächtigen thüringiſchen Höfe dagegen
wurden gleich den Hanſeſtädten blos auf die ernſte Willensmeinung des
Königs verwieſen, aber ausdrücklich keines vertrauensvollen Wortes ge-
würdigt. *) An die Geſandten im Auslande erging (28. September) ein
von Ancillon verfaßtes Circularſchreiben, das mit theologiſcher Salbung
ſchilderte, wie die vier Mächte die Legitimität und das Eigenthum wieder
hergeſtellt, Deutſchland aber dieſe Politik jetzt von Neuem befeſtigt hätte:
„durch ſeine geographiſche Lage iſt Deutſchland der Mittelpunkt oder, beſſer
geſagt, das Herz Europas, und das Herz kann nicht ſchadhaft oder krank
ſein, ohne daß man dies bald bis in die äußerſten Glieder des politiſchen
Körpers fühlen müßte.“ Als dies Aktenſtück von Paris aus widerrechtlich
veröffentlicht wurde, erſcholl durch die geſammte liberale Preſſe Europas
ein Weheruf über Preußen.
Bald nachher, am Jahrestage der Leipziger Schlacht, befahl der König
die Bekanntmachung der Karlsbader Beſchlüſſe. Am nämlichen Tage ge-
nehmigte er das Cenſur-Edikt, das der Staatskanzler in höchſter Eile hatte
ausarbeiten laſſen. Die beiden magnetiſchen Zauberer Schöll und Koreff,
dieſelben nichtigen Geſellen, welche Wittgenſtein als Hardenbergs liberale
Verführer zu verdächtigen pflegte, waren ihrem Gönner dabei dienſtwillig
zur Hand gegangen; **) die im Frühjahr zur Ausarbeitung des Preßgeſetzes
berufene Commiſſion wurde nicht einmal befragt. Das neue Edikt, im
Weſentlichen eine Umarbeitung der Wöllner’ſchen Cenſurordnung vom Jahre
1786, ging noch weit über die Karlsbader Vorſchriften hinaus und be-
ſtimmte gleich im Eingang, daß alle Druckſchriften ohne Ausnahme, wie
bisher, der Cenſur unterliegen ſollten; ſogar die alte Cenſurfreiheit der
Akademie und der Univerſitäten ward für die fünfjährige Dauer des Edikts
aufgehoben. Einige Gewähr gegen die Willkür bot nur das neu errichtete
Ober-Cenſur-Collegium; aber dieſe Recurs-Inſtanz erlangte unter der
ſchlaffen Leitung des Legationsraths v. Raumer niemals eine kräftige Wirk-
ſamkeit. Unterdeſſen arbeiteten Ancillon, Nicolovius und Köhler, die Mit-
glieder der alten Preßgeſetz-Commiſſion, unverdroſſen weiter; ſie hielten an
den Grundſätzen ihres mittlerweile verſtorbenen Berichterſtatters Hagemeiſter
feſt und überreichten am 9. November dem Staatsminiſterium einen Ent-
wurf, der, im ſchärfſten Gegenſatze zu dem Cenſur-Edikt, die Preßfreiheit als
Regel ausſprach, nur für politiſche Zeitſchriften die Cenſur vorbehielt. ***)
*) Weiſung an die Geſandten in Dresden, München, Stuttgart, Darmſtadt 2. Okt.;
desgleichen an Gf. Keller in Erfurt und die Geſchäftsträger in Hamburg und Frankfurt,
2. Okt. 1819.
**) Hardenbergs Tagebuch, 4. Okt. 1819.
***) Veröffentlicht von F. Kapp, die preuß. Preßgeſetzgebung unter Fr. Wilhelm III.
(Archiv f. Geſch. d. d. Buchhandels VI. 185).
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |