Preßverhandlungen folgenreich. Unter den Gründen nämlich, welche die Nothwendigkeit der Censur erweisen sollten, hob Metternich mit besonderem Nachdruck hervor, daß die Demagogen die Aburtheilung der Preßvergehen ganz folgerichtig den Geschworenen anheimzugeben hofften. Das Schwur- gericht aber, sammt dem öffentlichen und mündlichen Verfahren, ward von sämmtlichen Mitgliedern der Conferenzen als ein Axiom der Revo- lution, wie Gentz sich ausdrückte, unbedingt verworfen. Die thörichten Lob- preisungen, welche der badische Landtag dm Palladium der Volksfreiheit gespendet hatte, fanden jetzt die unvermeidliche Antwort. Es war der Fluch dieser Tage des Hasses und des Argwohns, daß beide Parteien sich nun- mehr einen Katechismus starrer politischer Dogmen bildeten, die von beiden Seiten mit der ganzen Verbissenheit deutschen Parteihasses festge- halten, auf Jahrzehnte hinaus jede Verständigung verhinderten. Das ge- heime Gerichtsverfahren, das doch nur dazu diente, den im Ganzen höchst achtungswerthen deutschen Richterstand unverdienten Verdächtigungen aus- zusetzen, erschien den Doktrinären der Reaktion als eine Stütze des "mon- archischen Princips".
Etwas lebhafter, aber auch keineswegs unfriedlich verliefen die Ver- handlungen über das vierte Gesetz, das die Unterdrückung der demago- gischen Umtriebe bezweckte. Obwohl bisher noch kein Anzeichen einer revolutionären Bewegung entdeckt worden war, zu deren Bändigung die bestehenden Gerichte nicht ausgereicht hätten, so stimmten doch alle Theil- nehmer der Conferenzen überein in der Ansicht, daß die ungeheuere über ganz Deutschland verzweigte Verschwörung nur durch eine außerordentliche Bundes-Centralbehörde bewältigt werden könne. Zweifelhaft blieb nur, ob der Bund blos die Untersuchungen leiten oder auch richten solle. Durch die Einsetzung eines außerordentlichen Bundesgerichts wäre die be- stehende Gerichtsverfassung aller Bundesstaaten schwer verletzt und der allgemein anerkannte Grundsatz, daß Niemand seinem natürlichen Richter entzogen werden dürfe, gebrochen worden. Daher wünschte Bernstorff, daß man sich mit einer Central-Untersuchungscommission begnüge.*) Der Staatskanzler aber fragte Kircheisen und Kamptz um Rath, und dieser, noch im ersten wilden Eifer der Demagogenjagd, fürchtete nichts so sehr wie eine mögliche Freisprechung der Bonner Demagogen durch die rhei- nischen Schwurgerichte, von denen in diesem Falle allerdings kein unpar- teiischer Wahrspruch zu erwarten stand. Als tüchtiger Jurist wußte Kamptz aber auch bessere Gründe für seine Ansicht anzuführen. Glaubte man im Ernst an eine schwere den ganzen Bund bedrohende Gefahr -- und dieser Wahn bestand leider am preußischen Hofe -- so war die Ein- setzung einer Bundes-Untersuchungscommission unbestreitbar eine gefähr- liche halbe Maßregel; denn bei der Mannichfaltigkeit der deutschen Ge-
*) Bernstorff an Hardenberg, 8. Aug. 1819.
36*
Bundes-Preßgeſetz.
Preßverhandlungen folgenreich. Unter den Gründen nämlich, welche die Nothwendigkeit der Cenſur erweiſen ſollten, hob Metternich mit beſonderem Nachdruck hervor, daß die Demagogen die Aburtheilung der Preßvergehen ganz folgerichtig den Geſchworenen anheimzugeben hofften. Das Schwur- gericht aber, ſammt dem öffentlichen und mündlichen Verfahren, ward von ſämmtlichen Mitgliedern der Conferenzen als ein Axiom der Revo- lution, wie Gentz ſich ausdrückte, unbedingt verworfen. Die thörichten Lob- preiſungen, welche der badiſche Landtag dm Palladium der Volksfreiheit geſpendet hatte, fanden jetzt die unvermeidliche Antwort. Es war der Fluch dieſer Tage des Haſſes und des Argwohns, daß beide Parteien ſich nun- mehr einen Katechismus ſtarrer politiſcher Dogmen bildeten, die von beiden Seiten mit der ganzen Verbiſſenheit deutſchen Parteihaſſes feſtge- halten, auf Jahrzehnte hinaus jede Verſtändigung verhinderten. Das ge- heime Gerichtsverfahren, das doch nur dazu diente, den im Ganzen höchſt achtungswerthen deutſchen Richterſtand unverdienten Verdächtigungen aus- zuſetzen, erſchien den Doktrinären der Reaktion als eine Stütze des „mon- archiſchen Princips“.
Etwas lebhafter, aber auch keineswegs unfriedlich verliefen die Ver- handlungen über das vierte Geſetz, das die Unterdrückung der demago- giſchen Umtriebe bezweckte. Obwohl bisher noch kein Anzeichen einer revolutionären Bewegung entdeckt worden war, zu deren Bändigung die beſtehenden Gerichte nicht ausgereicht hätten, ſo ſtimmten doch alle Theil- nehmer der Conferenzen überein in der Anſicht, daß die ungeheuere über ganz Deutſchland verzweigte Verſchwörung nur durch eine außerordentliche Bundes-Centralbehörde bewältigt werden könne. Zweifelhaft blieb nur, ob der Bund blos die Unterſuchungen leiten oder auch richten ſolle. Durch die Einſetzung eines außerordentlichen Bundesgerichts wäre die be- ſtehende Gerichtsverfaſſung aller Bundesſtaaten ſchwer verletzt und der allgemein anerkannte Grundſatz, daß Niemand ſeinem natürlichen Richter entzogen werden dürfe, gebrochen worden. Daher wünſchte Bernſtorff, daß man ſich mit einer Central-Unterſuchungscommiſſion begnüge.*) Der Staatskanzler aber fragte Kircheiſen und Kamptz um Rath, und dieſer, noch im erſten wilden Eifer der Demagogenjagd, fürchtete nichts ſo ſehr wie eine mögliche Freiſprechung der Bonner Demagogen durch die rhei- niſchen Schwurgerichte, von denen in dieſem Falle allerdings kein unpar- teiiſcher Wahrſpruch zu erwarten ſtand. Als tüchtiger Juriſt wußte Kamptz aber auch beſſere Gründe für ſeine Anſicht anzuführen. Glaubte man im Ernſt an eine ſchwere den ganzen Bund bedrohende Gefahr — und dieſer Wahn beſtand leider am preußiſchen Hofe — ſo war die Ein- ſetzung einer Bundes-Unterſuchungscommiſſion unbeſtreitbar eine gefähr- liche halbe Maßregel; denn bei der Mannichfaltigkeit der deutſchen Ge-
*) Bernſtorff an Hardenberg, 8. Aug. 1819.
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Bundes-Preßgeſetz.
Preßverhandlungen folgenreich. Unter den Gründen nämlich, welche die
Nothwendigkeit der Cenſur erweiſen ſollten, hob Metternich mit beſonderem
Nachdruck hervor, daß die Demagogen die Aburtheilung der Preßvergehen
ganz folgerichtig den Geſchworenen anheimzugeben hofften. Das Schwur-
gericht aber, ſammt dem öffentlichen und mündlichen Verfahren, ward
von ſämmtlichen Mitgliedern der Conferenzen als ein Axiom der Revo-
lution, wie Gentz ſich ausdrückte, unbedingt verworfen. Die thörichten Lob-
preiſungen, welche der badiſche Landtag dm Palladium der Volksfreiheit
geſpendet hatte, fanden jetzt die unvermeidliche Antwort. Es war der Fluch
dieſer Tage des Haſſes und des Argwohns, daß beide Parteien ſich nun-
mehr einen Katechismus ſtarrer politiſcher Dogmen bildeten, die von
beiden Seiten mit der ganzen Verbiſſenheit deutſchen Parteihaſſes feſtge-
halten, auf Jahrzehnte hinaus jede Verſtändigung verhinderten. Das ge-
heime Gerichtsverfahren, das doch nur dazu diente, den im Ganzen höchſt
achtungswerthen deutſchen Richterſtand unverdienten Verdächtigungen aus-
zuſetzen, erſchien den Doktrinären der Reaktion als eine Stütze des „mon-
archiſchen Princips“.
Etwas lebhafter, aber auch keineswegs unfriedlich verliefen die Ver-
handlungen über das vierte Geſetz, das die Unterdrückung der demago-
giſchen Umtriebe bezweckte. Obwohl bisher noch kein Anzeichen einer
revolutionären Bewegung entdeckt worden war, zu deren Bändigung die
beſtehenden Gerichte nicht ausgereicht hätten, ſo ſtimmten doch alle Theil-
nehmer der Conferenzen überein in der Anſicht, daß die ungeheuere über
ganz Deutſchland verzweigte Verſchwörung nur durch eine außerordentliche
Bundes-Centralbehörde bewältigt werden könne. Zweifelhaft blieb nur,
ob der Bund blos die Unterſuchungen leiten oder auch richten ſolle.
Durch die Einſetzung eines außerordentlichen Bundesgerichts wäre die be-
ſtehende Gerichtsverfaſſung aller Bundesſtaaten ſchwer verletzt und der
allgemein anerkannte Grundſatz, daß Niemand ſeinem natürlichen Richter
entzogen werden dürfe, gebrochen worden. Daher wünſchte Bernſtorff,
daß man ſich mit einer Central-Unterſuchungscommiſſion begnüge. *) Der
Staatskanzler aber fragte Kircheiſen und Kamptz um Rath, und dieſer,
noch im erſten wilden Eifer der Demagogenjagd, fürchtete nichts ſo ſehr
wie eine mögliche Freiſprechung der Bonner Demagogen durch die rhei-
niſchen Schwurgerichte, von denen in dieſem Falle allerdings kein unpar-
teiiſcher Wahrſpruch zu erwarten ſtand. Als tüchtiger Juriſt wußte Kamptz
aber auch beſſere Gründe für ſeine Anſicht anzuführen. Glaubte man
im Ernſt an eine ſchwere den ganzen Bund bedrohende Gefahr — und
dieſer Wahn beſtand leider am preußiſchen Hofe — ſo war die Ein-
ſetzung einer Bundes-Unterſuchungscommiſſion unbeſtreitbar eine gefähr-
liche halbe Maßregel; denn bei der Mannichfaltigkeit der deutſchen Ge-
*) Bernſtorff an Hardenberg, 8. Aug. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/577>, abgerufen am 16.07.2024.
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