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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Executions-Ordnung. Universitäten.
Letzte, was sich den christlich-germanischen Hitzköpfen vorwerfen ließ. Auf
solche Erwägungen gestützt, verlangte das Gesetz an jeder deutschen Uni-
versität die Anstellung eines außerordentlichen Regierungs-Bevollmäch-
tigten, der die Ordnung zu überwachen, den Geist der Lehrer zu beobachten
und ihm "eine heilsame Richtung zu geben" hätte. Wer wegen Pflicht-
verletzung oder Verbreitung verderblicher Lehren vom Katheder entfernt
würde, sollte -- gemäß dem alten Lieblingsgedanken Metternichs -- in
keinem deutschen Staate jemals ein Lehramt erhalten. Endlich wurden
die alten Gesetze gegen die akademischen Verbindungen wieder eingeschärft
und insbesondere auf die Burschenschaft ausgedehnt, da "diesem Verein die
schlechterdings unzulässige Voraussetzung einer fortdauernden Gemeinschaft
und Correspondenz zwischen den verschiedenen Universitäten zum Grunde
liegt". Also ward der naturgemäße Verkehr zwischen den einzigen Staats-
anstalten Deutschlands, welche noch nicht gänzlich dem Partikularismus
anheimgefallen waren, jetzt von Bundeswegen verboten. Das Gesetz war
nach Form und Inhalt eine rohe Beleidigung der deutschen Universitäten
und würde die akademische Freiheit vernichtet haben, wenn ihm nicht die
meisten Regierungen, ihren guten alten Traditionen getreu, eine ziemlich
milde Auslegung gegeben hätten.

Bernstorff, neben Gentz der Bestgebildete unter den Karlsbader
Staatsmännern, wollte diese schwierige Frage nicht so über das Knie
gebrochen sehen; er beantragte, man solle hier nur einige allgemeine
disciplinarische Grundsätze vereinbaren und das Weitere den gründlicheren
Berathungen des Bundestags überlassen. Aber alle seine Genossen er-
widerten einstimmig, daß Gefahr im Verzuge sei, und da auch Harden-
berg, der jetzt ganz in Wittgensteins Fahrwasser segelte, die Ansicht der
Mehrheit theilte, so konnte Bernstorff nur noch die eine Milderung durch-
setzen, daß die Rechte des Regierungsbevollmächtigten unter Umständen
auch dem bisherigen Curator übertragen werden durften, also doch nicht
alle Universitäten förmlich unter polizeiliche Aufsicht gestellt wurden. Im
Uebrigen nahm man die österreichischen Vorschläge fast unverändert an;
der maßvolle und sachkundige Bericht der Bundestagscommission über die
Universitäten, der noch während der Conferenzen dem Fürsten Metternich
zuging, blieb unbeachtet liegen.*)

Die treibende Kraft der Conferenzen, die Angst des Kaisers Franz vor
jeder Beunruhigung seiner Erblande, verrieth sich am deutlichsten in dem
dritten Entwurfe, dem provisorischen Preßgesetze. Auch zu diesem Gesetze,
wie zu allen übrigen, hatte Gentz einen einleitenden Präsidialvortrag aus-
gearbeitet, der in grellen Farben schilderte, wie jeder Bundesstaat durch

*) Bernstorff an Hardenberg, 25. Aug.; Goltz's Bericht an Bernstorff, Frankfurt
28. August 1819.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 36

Executions-Ordnung. Univerſitäten.
Letzte, was ſich den chriſtlich-germaniſchen Hitzköpfen vorwerfen ließ. Auf
ſolche Erwägungen geſtützt, verlangte das Geſetz an jeder deutſchen Uni-
verſität die Anſtellung eines außerordentlichen Regierungs-Bevollmäch-
tigten, der die Ordnung zu überwachen, den Geiſt der Lehrer zu beobachten
und ihm „eine heilſame Richtung zu geben“ hätte. Wer wegen Pflicht-
verletzung oder Verbreitung verderblicher Lehren vom Katheder entfernt
würde, ſollte — gemäß dem alten Lieblingsgedanken Metternichs — in
keinem deutſchen Staate jemals ein Lehramt erhalten. Endlich wurden
die alten Geſetze gegen die akademiſchen Verbindungen wieder eingeſchärft
und insbeſondere auf die Burſchenſchaft ausgedehnt, da „dieſem Verein die
ſchlechterdings unzuläſſige Vorausſetzung einer fortdauernden Gemeinſchaft
und Correſpondenz zwiſchen den verſchiedenen Univerſitäten zum Grunde
liegt“. Alſo ward der naturgemäße Verkehr zwiſchen den einzigen Staats-
anſtalten Deutſchlands, welche noch nicht gänzlich dem Partikularismus
anheimgefallen waren, jetzt von Bundeswegen verboten. Das Geſetz war
nach Form und Inhalt eine rohe Beleidigung der deutſchen Univerſitäten
und würde die akademiſche Freiheit vernichtet haben, wenn ihm nicht die
meiſten Regierungen, ihren guten alten Traditionen getreu, eine ziemlich
milde Auslegung gegeben hätten.

Bernſtorff, neben Gentz der Beſtgebildete unter den Karlsbader
Staatsmännern, wollte dieſe ſchwierige Frage nicht ſo über das Knie
gebrochen ſehen; er beantragte, man ſolle hier nur einige allgemeine
disciplinariſche Grundſätze vereinbaren und das Weitere den gründlicheren
Berathungen des Bundestags überlaſſen. Aber alle ſeine Genoſſen er-
widerten einſtimmig, daß Gefahr im Verzuge ſei, und da auch Harden-
berg, der jetzt ganz in Wittgenſteins Fahrwaſſer ſegelte, die Anſicht der
Mehrheit theilte, ſo konnte Bernſtorff nur noch die eine Milderung durch-
ſetzen, daß die Rechte des Regierungsbevollmächtigten unter Umſtänden
auch dem bisherigen Curator übertragen werden durften, alſo doch nicht
alle Univerſitäten förmlich unter polizeiliche Aufſicht geſtellt wurden. Im
Uebrigen nahm man die öſterreichiſchen Vorſchläge faſt unverändert an;
der maßvolle und ſachkundige Bericht der Bundestagscommiſſion über die
Univerſitäten, der noch während der Conferenzen dem Fürſten Metternich
zuging, blieb unbeachtet liegen.*)

Die treibende Kraft der Conferenzen, die Angſt des Kaiſers Franz vor
jeder Beunruhigung ſeiner Erblande, verrieth ſich am deutlichſten in dem
dritten Entwurfe, dem proviſoriſchen Preßgeſetze. Auch zu dieſem Geſetze,
wie zu allen übrigen, hatte Gentz einen einleitenden Präſidialvortrag aus-
gearbeitet, der in grellen Farben ſchilderte, wie jeder Bundesſtaat durch

*) Bernſtorff an Hardenberg, 25. Aug.; Goltz’s Bericht an Bernſtorff, Frankfurt
28. Auguſt 1819.
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[561/0575] Executions-Ordnung. Univerſitäten. Letzte, was ſich den chriſtlich-germaniſchen Hitzköpfen vorwerfen ließ. Auf ſolche Erwägungen geſtützt, verlangte das Geſetz an jeder deutſchen Uni- verſität die Anſtellung eines außerordentlichen Regierungs-Bevollmäch- tigten, der die Ordnung zu überwachen, den Geiſt der Lehrer zu beobachten und ihm „eine heilſame Richtung zu geben“ hätte. Wer wegen Pflicht- verletzung oder Verbreitung verderblicher Lehren vom Katheder entfernt würde, ſollte — gemäß dem alten Lieblingsgedanken Metternichs — in keinem deutſchen Staate jemals ein Lehramt erhalten. Endlich wurden die alten Geſetze gegen die akademiſchen Verbindungen wieder eingeſchärft und insbeſondere auf die Burſchenſchaft ausgedehnt, da „dieſem Verein die ſchlechterdings unzuläſſige Vorausſetzung einer fortdauernden Gemeinſchaft und Correſpondenz zwiſchen den verſchiedenen Univerſitäten zum Grunde liegt“. Alſo ward der naturgemäße Verkehr zwiſchen den einzigen Staats- anſtalten Deutſchlands, welche noch nicht gänzlich dem Partikularismus anheimgefallen waren, jetzt von Bundeswegen verboten. Das Geſetz war nach Form und Inhalt eine rohe Beleidigung der deutſchen Univerſitäten und würde die akademiſche Freiheit vernichtet haben, wenn ihm nicht die meiſten Regierungen, ihren guten alten Traditionen getreu, eine ziemlich milde Auslegung gegeben hätten. Bernſtorff, neben Gentz der Beſtgebildete unter den Karlsbader Staatsmännern, wollte dieſe ſchwierige Frage nicht ſo über das Knie gebrochen ſehen; er beantragte, man ſolle hier nur einige allgemeine disciplinariſche Grundſätze vereinbaren und das Weitere den gründlicheren Berathungen des Bundestags überlaſſen. Aber alle ſeine Genoſſen er- widerten einſtimmig, daß Gefahr im Verzuge ſei, und da auch Harden- berg, der jetzt ganz in Wittgenſteins Fahrwaſſer ſegelte, die Anſicht der Mehrheit theilte, ſo konnte Bernſtorff nur noch die eine Milderung durch- ſetzen, daß die Rechte des Regierungsbevollmächtigten unter Umſtänden auch dem bisherigen Curator übertragen werden durften, alſo doch nicht alle Univerſitäten förmlich unter polizeiliche Aufſicht geſtellt wurden. Im Uebrigen nahm man die öſterreichiſchen Vorſchläge faſt unverändert an; der maßvolle und ſachkundige Bericht der Bundestagscommiſſion über die Univerſitäten, der noch während der Conferenzen dem Fürſten Metternich zuging, blieb unbeachtet liegen. *) Die treibende Kraft der Conferenzen, die Angſt des Kaiſers Franz vor jeder Beunruhigung ſeiner Erblande, verrieth ſich am deutlichſten in dem dritten Entwurfe, dem proviſoriſchen Preßgeſetze. Auch zu dieſem Geſetze, wie zu allen übrigen, hatte Gentz einen einleitenden Präſidialvortrag aus- gearbeitet, der in grellen Farben ſchilderte, wie jeder Bundesſtaat durch *) Bernſtorff an Hardenberg, 25. Aug.; Goltz’s Bericht an Bernſtorff, Frankfurt 28. Auguſt 1819. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 36

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/575>, abgerufen am 22.11.2024.