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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Smidt über die Bundespolitik.
Bundesgesandten Smidt, der zwar für die Bundesverfassung und das
Haus Oesterreich eine aufrichtige Bewunderung hegte, doch immerhin die
Ausführung der Versprechen der Bundesakte ernstlich wünschte und durch
seinen bürgerlichen Freimuth zuweilen Anstoß gab.

Gleich den kleinen Höfen blieb auch der Bundestag selbst ohne jede
Nachricht von dem Karlsbader Unternehmen; er war, seit den Berathungen
über die Universitäten, bei der Hofburg ganz in Ungnade gefallen, und
Gentz sagte jetzt selber was vor Kurzem noch als Hochverrath gegolten
hatte: diese Versammlung sei um nichts besser als der Regensburger
Reichstag. Sogar Graf Buol durfte nichts erfahren, und der unglück-
liche Goltz mußte wieder dieselbe Rolle spielen, wie einst im Frühjahr
1813, als er mit seiner Regierungscommission in Berlin unter den fran-
zösischen Truppen saß, derweil der König in Breslau den Krieg gegen
Frankreich vorbereitete. Nur gerüchtweise verlautete in Frankfurt, die
Badekur, welche heuer so viele deutsche Minister nach Karlsbad führte,
könne vielleicht auch politische Besprechungen veranlassen.

Noch am 31. Juli sendete Smidt seinem Senate eine unschuldige
Denkschrift über die Aufgabe, welche sich Deutschlands Staatsmänner auf
den Karlsbader Besprechungen stellen sollten. Auch er hielt es für geboten,
die aufgeregte öffentliche Meinung zu beschwichtigen, doch er wollte "die
deutschen Völker" mit den bestehenden Zuständen versöhnen, damit sie nicht
immer von Neuem durch den Anblick der politischen und wirthschaftlichen
Wohlfahrt des besiegten Frankreichs erbittert würden, und empfahl daher
dem Bundestage eine rege gemeinnützige Thätigkeit, wie der Bund sie bereits
bei der Organisation des Bundesheeres, das nur leider noch gar nicht
bestand, bewährt habe. Smidt hoffte, daß der Bundestag sich der Auf-
hebung der deutschen Binnenmauthen schrittweise nähern werde, warnte aber
sorglich vor übertriebenen Hoffnungen, damit Oesterreich, das des deutschen
Marktes kaum bedürfe, sich uns ja nicht entfremde; er hoffte auf ein Bun-
desgericht, auf eine gemeinsame, durch eine diplomatische Commission des
Bundestags geleitete auswärtige Politik, und was der frommen Wünsche
mehr war. So wenig ahnte er, was Metternich im Schilde führte.

Welch ein bedeutsamer Gegensatz! Hier die gestaltlosen foederalisti-
schen Träume eines redlichen Patrioten, der, in allen bremischen Ange-
legenheiten das Muster eines umsichtigen praktischen Staatsmannes, von
der unverbesserlichen Nichtigkeit des deutschen Bundes mit kindlichem Ver-
trauen das Unmögliche erwartete; dort der Cynismus einer undeutschen
Politik, welche die Ruhe der Völker durch polizeilichen Druck zu erzwingen
dachte, aber ihr gemeines Ziel mit durchtriebener Schlauheit und klarer
Berechnung verfolgte. In einem solchen Wettstreit konnte der Sieg nicht
zweifelhaft sein, selbst wenn die Ungleichheit der Macht weniger lächerlich
gewesen wäre. Der hanseatische Staatsmann ließ sich's nicht träumen,
daß seine harmlose Denkschrift dem Wiener Hofe verrathen und dort,

Smidt über die Bundespolitik.
Bundesgeſandten Smidt, der zwar für die Bundesverfaſſung und das
Haus Oeſterreich eine aufrichtige Bewunderung hegte, doch immerhin die
Ausführung der Verſprechen der Bundesakte ernſtlich wünſchte und durch
ſeinen bürgerlichen Freimuth zuweilen Anſtoß gab.

Gleich den kleinen Höfen blieb auch der Bundestag ſelbſt ohne jede
Nachricht von dem Karlsbader Unternehmen; er war, ſeit den Berathungen
über die Univerſitäten, bei der Hofburg ganz in Ungnade gefallen, und
Gentz ſagte jetzt ſelber was vor Kurzem noch als Hochverrath gegolten
hatte: dieſe Verſammlung ſei um nichts beſſer als der Regensburger
Reichstag. Sogar Graf Buol durfte nichts erfahren, und der unglück-
liche Goltz mußte wieder dieſelbe Rolle ſpielen, wie einſt im Frühjahr
1813, als er mit ſeiner Regierungscommiſſion in Berlin unter den fran-
zöſiſchen Truppen ſaß, derweil der König in Breslau den Krieg gegen
Frankreich vorbereitete. Nur gerüchtweiſe verlautete in Frankfurt, die
Badekur, welche heuer ſo viele deutſche Miniſter nach Karlsbad führte,
könne vielleicht auch politiſche Beſprechungen veranlaſſen.

Noch am 31. Juli ſendete Smidt ſeinem Senate eine unſchuldige
Denkſchrift über die Aufgabe, welche ſich Deutſchlands Staatsmänner auf
den Karlsbader Beſprechungen ſtellen ſollten. Auch er hielt es für geboten,
die aufgeregte öffentliche Meinung zu beſchwichtigen, doch er wollte „die
deutſchen Völker“ mit den beſtehenden Zuſtänden verſöhnen, damit ſie nicht
immer von Neuem durch den Anblick der politiſchen und wirthſchaftlichen
Wohlfahrt des beſiegten Frankreichs erbittert würden, und empfahl daher
dem Bundestage eine rege gemeinnützige Thätigkeit, wie der Bund ſie bereits
bei der Organiſation des Bundesheeres, das nur leider noch gar nicht
beſtand, bewährt habe. Smidt hoffte, daß der Bundestag ſich der Auf-
hebung der deutſchen Binnenmauthen ſchrittweiſe nähern werde, warnte aber
ſorglich vor übertriebenen Hoffnungen, damit Oeſterreich, das des deutſchen
Marktes kaum bedürfe, ſich uns ja nicht entfremde; er hoffte auf ein Bun-
desgericht, auf eine gemeinſame, durch eine diplomatiſche Commiſſion des
Bundestags geleitete auswärtige Politik, und was der frommen Wünſche
mehr war. So wenig ahnte er, was Metternich im Schilde führte.

Welch ein bedeutſamer Gegenſatz! Hier die geſtaltloſen foederaliſti-
ſchen Träume eines redlichen Patrioten, der, in allen bremiſchen Ange-
legenheiten das Muſter eines umſichtigen praktiſchen Staatsmannes, von
der unverbeſſerlichen Nichtigkeit des deutſchen Bundes mit kindlichem Ver-
trauen das Unmögliche erwartete; dort der Cynismus einer undeutſchen
Politik, welche die Ruhe der Völker durch polizeilichen Druck zu erzwingen
dachte, aber ihr gemeines Ziel mit durchtriebener Schlauheit und klarer
Berechnung verfolgte. In einem ſolchen Wettſtreit konnte der Sieg nicht
zweifelhaft ſein, ſelbſt wenn die Ungleichheit der Macht weniger lächerlich
geweſen wäre. Der hanſeatiſche Staatsmann ließ ſich’s nicht träumen,
daß ſeine harmloſe Denkſchrift dem Wiener Hofe verrathen und dort,

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[539/0553] Smidt über die Bundespolitik. Bundesgeſandten Smidt, der zwar für die Bundesverfaſſung und das Haus Oeſterreich eine aufrichtige Bewunderung hegte, doch immerhin die Ausführung der Verſprechen der Bundesakte ernſtlich wünſchte und durch ſeinen bürgerlichen Freimuth zuweilen Anſtoß gab. Gleich den kleinen Höfen blieb auch der Bundestag ſelbſt ohne jede Nachricht von dem Karlsbader Unternehmen; er war, ſeit den Berathungen über die Univerſitäten, bei der Hofburg ganz in Ungnade gefallen, und Gentz ſagte jetzt ſelber was vor Kurzem noch als Hochverrath gegolten hatte: dieſe Verſammlung ſei um nichts beſſer als der Regensburger Reichstag. Sogar Graf Buol durfte nichts erfahren, und der unglück- liche Goltz mußte wieder dieſelbe Rolle ſpielen, wie einſt im Frühjahr 1813, als er mit ſeiner Regierungscommiſſion in Berlin unter den fran- zöſiſchen Truppen ſaß, derweil der König in Breslau den Krieg gegen Frankreich vorbereitete. Nur gerüchtweiſe verlautete in Frankfurt, die Badekur, welche heuer ſo viele deutſche Miniſter nach Karlsbad führte, könne vielleicht auch politiſche Beſprechungen veranlaſſen. Noch am 31. Juli ſendete Smidt ſeinem Senate eine unſchuldige Denkſchrift über die Aufgabe, welche ſich Deutſchlands Staatsmänner auf den Karlsbader Beſprechungen ſtellen ſollten. Auch er hielt es für geboten, die aufgeregte öffentliche Meinung zu beſchwichtigen, doch er wollte „die deutſchen Völker“ mit den beſtehenden Zuſtänden verſöhnen, damit ſie nicht immer von Neuem durch den Anblick der politiſchen und wirthſchaftlichen Wohlfahrt des beſiegten Frankreichs erbittert würden, und empfahl daher dem Bundestage eine rege gemeinnützige Thätigkeit, wie der Bund ſie bereits bei der Organiſation des Bundesheeres, das nur leider noch gar nicht beſtand, bewährt habe. Smidt hoffte, daß der Bundestag ſich der Auf- hebung der deutſchen Binnenmauthen ſchrittweiſe nähern werde, warnte aber ſorglich vor übertriebenen Hoffnungen, damit Oeſterreich, das des deutſchen Marktes kaum bedürfe, ſich uns ja nicht entfremde; er hoffte auf ein Bun- desgericht, auf eine gemeinſame, durch eine diplomatiſche Commiſſion des Bundestags geleitete auswärtige Politik, und was der frommen Wünſche mehr war. So wenig ahnte er, was Metternich im Schilde führte. Welch ein bedeutſamer Gegenſatz! Hier die geſtaltloſen foederaliſti- ſchen Träume eines redlichen Patrioten, der, in allen bremiſchen Ange- legenheiten das Muſter eines umſichtigen praktiſchen Staatsmannes, von der unverbeſſerlichen Nichtigkeit des deutſchen Bundes mit kindlichem Ver- trauen das Unmögliche erwartete; dort der Cynismus einer undeutſchen Politik, welche die Ruhe der Völker durch polizeilichen Druck zu erzwingen dachte, aber ihr gemeines Ziel mit durchtriebener Schlauheit und klarer Berechnung verfolgte. In einem ſolchen Wettſtreit konnte der Sieg nicht zweifelhaft ſein, ſelbſt wenn die Ungleichheit der Macht weniger lächerlich geweſen wäre. Der hanſeatiſche Staatsmann ließ ſich’s nicht träumen, daß ſeine harmloſe Denkſchrift dem Wiener Hofe verrathen und dort,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/553>, abgerufen am 22.11.2024.