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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
hegte ganz abenteuerliche Vorstellungen von dem Umfang der demagogi-
schen Umtriebe, wie der neu aufkommende amtliche Ausdruck lautete. Sie
hatte aus der Untersuchung einiges Halbwahre gelernt; sie glaubte zu
wissen, daß in der Burschenschaft ein geheimer Verein bestehe, "dessen
Hauptmotto Tyrannenmord sei, und der in der Nähe von Gießen bei
einem gewissen Follenius seinen Centralpunkt habe". Doch sie erfuhr
nicht, wie klein und machtlos die Schaar der Unbedingten war; sie wähnte,
die deutschen Landtage wollten mit einander in Verbindung treten, ein
deutsches Parlament neben den Bundestag stellen und dann die untheil-
bare deutsche Republik ausrufen. Mit inbrünstigem Danke empfing daher
Minister Berstett "die hochgefällige Mittheilung der höchstweisen Ansichten
Sr. Maj. des Kaisers", als Metternich ihm schrieb, der österreichische
Hof sei entschlossen, nunmehr mit Ernst gegen die Professoren und die
verworfenen Schriftsteller einzuschreiten, welche der Jugend ihre revolu-
tionären Grundsätze "in jeder Art und Form täglich bis zur Trunkenheit
einprägten". Sofort befahl er dem badischen Bundesgesandten, sich die Vor-
schläge Oesterreichs zur Richtschnur zu nehmen, und erklärte dem Peters-
burger Cabinet: "wir wollen bis an die Quelle jener höllischen Wühlerei
vordringen, die auf nichts Geringeres als auf den Umsturz aller gött-
lichen und menschlichen Einrichtungen ausgeht; wir wollen den Despo-
tismus unterdrücken, welchen die Herren Professoren unter der Aegide
einer unerfahrenen und allzu leicht erregbaren Jugend über die politischen
Meinungen Deutschlands auszuüben suchen." *)

Weit folgenreicher ward der Umschwung der Meinungen am Berliner
Hofe. Wie alle wichtigen Entschlüsse dieser Regierung, so ging auch die
reaktionäre Wendung des Jahres 1819 von dem Monarchen persönlich
aus. Jene Aachener Denkschrift Metternichs begann ihre Früchte zu
tragen. Der König ward täglich unzufriedener mit seinem Staatskanzler
und dessen "kurioser" Umgebung; er schloß aus den thörichten Artikeln
liberaler Blätter, welche ihm Wittgenstein geflissentlich zutrug, auf das
Dasein einer mächtigen Verschwörung und sprach dem Hofbischof Eylert
seinen Dank aus, als dieser beim Ordensfeste in einer donnernden Rede
den rebellischen Geist der Zeit brandmarkte. Als nun Sands That kund
wurde und der Mord so viele verblendete Vertheidiger fand, da fühlte
sich der gewissenhafte Monarch in seinen heiligsten Empfindungen verletzt;
er hielt es für Fürstenpflicht mit unnachsichtiger Strenge einzuschreiten,
gab den Polizeibehörden außerordentliche Vollmachten (4. Mai) und setzte
dann noch eine Ministerial-Commission ein zur Leitung der Untersuchungen
gegen die Demagogen. Den in Jena studirenden Preußen befahl er diese
Universität zu verlassen, und obgleich die jungen Leute anfangs viel von

*) Metternich an Berstett, 17. April; Berstett an Nesselrode, 9. Mai, an Metternich,
29. Mai 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
hegte ganz abenteuerliche Vorſtellungen von dem Umfang der demagogi-
ſchen Umtriebe, wie der neu aufkommende amtliche Ausdruck lautete. Sie
hatte aus der Unterſuchung einiges Halbwahre gelernt; ſie glaubte zu
wiſſen, daß in der Burſchenſchaft ein geheimer Verein beſtehe, „deſſen
Hauptmotto Tyrannenmord ſei, und der in der Nähe von Gießen bei
einem gewiſſen Follenius ſeinen Centralpunkt habe“. Doch ſie erfuhr
nicht, wie klein und machtlos die Schaar der Unbedingten war; ſie wähnte,
die deutſchen Landtage wollten mit einander in Verbindung treten, ein
deutſches Parlament neben den Bundestag ſtellen und dann die untheil-
bare deutſche Republik ausrufen. Mit inbrünſtigem Danke empfing daher
Miniſter Berſtett „die hochgefällige Mittheilung der höchſtweiſen Anſichten
Sr. Maj. des Kaiſers“, als Metternich ihm ſchrieb, der öſterreichiſche
Hof ſei entſchloſſen, nunmehr mit Ernſt gegen die Profeſſoren und die
verworfenen Schriftſteller einzuſchreiten, welche der Jugend ihre revolu-
tionären Grundſätze „in jeder Art und Form täglich bis zur Trunkenheit
einprägten“. Sofort befahl er dem badiſchen Bundesgeſandten, ſich die Vor-
ſchläge Oeſterreichs zur Richtſchnur zu nehmen, und erklärte dem Peters-
burger Cabinet: „wir wollen bis an die Quelle jener hölliſchen Wühlerei
vordringen, die auf nichts Geringeres als auf den Umſturz aller gött-
lichen und menſchlichen Einrichtungen ausgeht; wir wollen den Despo-
tismus unterdrücken, welchen die Herren Profeſſoren unter der Aegide
einer unerfahrenen und allzu leicht erregbaren Jugend über die politiſchen
Meinungen Deutſchlands auszuüben ſuchen.“ *)

Weit folgenreicher ward der Umſchwung der Meinungen am Berliner
Hofe. Wie alle wichtigen Entſchlüſſe dieſer Regierung, ſo ging auch die
reaktionäre Wendung des Jahres 1819 von dem Monarchen perſönlich
aus. Jene Aachener Denkſchrift Metternichs begann ihre Früchte zu
tragen. Der König ward täglich unzufriedener mit ſeinem Staatskanzler
und deſſen „kurioſer“ Umgebung; er ſchloß aus den thörichten Artikeln
liberaler Blätter, welche ihm Wittgenſtein gefliſſentlich zutrug, auf das
Daſein einer mächtigen Verſchwörung und ſprach dem Hofbiſchof Eylert
ſeinen Dank aus, als dieſer beim Ordensfeſte in einer donnernden Rede
den rebelliſchen Geiſt der Zeit brandmarkte. Als nun Sands That kund
wurde und der Mord ſo viele verblendete Vertheidiger fand, da fühlte
ſich der gewiſſenhafte Monarch in ſeinen heiligſten Empfindungen verletzt;
er hielt es für Fürſtenpflicht mit unnachſichtiger Strenge einzuſchreiten,
gab den Polizeibehörden außerordentliche Vollmachten (4. Mai) und ſetzte
dann noch eine Miniſterial-Commiſſion ein zur Leitung der Unterſuchungen
gegen die Demagogen. Den in Jena ſtudirenden Preußen befahl er dieſe
Univerſität zu verlaſſen, und obgleich die jungen Leute anfangs viel von

*) Metternich an Berſtett, 17. April; Berſtett an Neſſelrode, 9. Mai, an Metternich,
29. Mai 1819.
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[530/0544] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. hegte ganz abenteuerliche Vorſtellungen von dem Umfang der demagogi- ſchen Umtriebe, wie der neu aufkommende amtliche Ausdruck lautete. Sie hatte aus der Unterſuchung einiges Halbwahre gelernt; ſie glaubte zu wiſſen, daß in der Burſchenſchaft ein geheimer Verein beſtehe, „deſſen Hauptmotto Tyrannenmord ſei, und der in der Nähe von Gießen bei einem gewiſſen Follenius ſeinen Centralpunkt habe“. Doch ſie erfuhr nicht, wie klein und machtlos die Schaar der Unbedingten war; ſie wähnte, die deutſchen Landtage wollten mit einander in Verbindung treten, ein deutſches Parlament neben den Bundestag ſtellen und dann die untheil- bare deutſche Republik ausrufen. Mit inbrünſtigem Danke empfing daher Miniſter Berſtett „die hochgefällige Mittheilung der höchſtweiſen Anſichten Sr. Maj. des Kaiſers“, als Metternich ihm ſchrieb, der öſterreichiſche Hof ſei entſchloſſen, nunmehr mit Ernſt gegen die Profeſſoren und die verworfenen Schriftſteller einzuſchreiten, welche der Jugend ihre revolu- tionären Grundſätze „in jeder Art und Form täglich bis zur Trunkenheit einprägten“. Sofort befahl er dem badiſchen Bundesgeſandten, ſich die Vor- ſchläge Oeſterreichs zur Richtſchnur zu nehmen, und erklärte dem Peters- burger Cabinet: „wir wollen bis an die Quelle jener hölliſchen Wühlerei vordringen, die auf nichts Geringeres als auf den Umſturz aller gött- lichen und menſchlichen Einrichtungen ausgeht; wir wollen den Despo- tismus unterdrücken, welchen die Herren Profeſſoren unter der Aegide einer unerfahrenen und allzu leicht erregbaren Jugend über die politiſchen Meinungen Deutſchlands auszuüben ſuchen.“ *) Weit folgenreicher ward der Umſchwung der Meinungen am Berliner Hofe. Wie alle wichtigen Entſchlüſſe dieſer Regierung, ſo ging auch die reaktionäre Wendung des Jahres 1819 von dem Monarchen perſönlich aus. Jene Aachener Denkſchrift Metternichs begann ihre Früchte zu tragen. Der König ward täglich unzufriedener mit ſeinem Staatskanzler und deſſen „kurioſer“ Umgebung; er ſchloß aus den thörichten Artikeln liberaler Blätter, welche ihm Wittgenſtein gefliſſentlich zutrug, auf das Daſein einer mächtigen Verſchwörung und ſprach dem Hofbiſchof Eylert ſeinen Dank aus, als dieſer beim Ordensfeſte in einer donnernden Rede den rebelliſchen Geiſt der Zeit brandmarkte. Als nun Sands That kund wurde und der Mord ſo viele verblendete Vertheidiger fand, da fühlte ſich der gewiſſenhafte Monarch in ſeinen heiligſten Empfindungen verletzt; er hielt es für Fürſtenpflicht mit unnachſichtiger Strenge einzuſchreiten, gab den Polizeibehörden außerordentliche Vollmachten (4. Mai) und ſetzte dann noch eine Miniſterial-Commiſſion ein zur Leitung der Unterſuchungen gegen die Demagogen. Den in Jena ſtudirenden Preußen befahl er dieſe Univerſität zu verlaſſen, und obgleich die jungen Leute anfangs viel von *) Metternich an Berſtett, 17. April; Berſtett an Neſſelrode, 9. Mai, an Metternich, 29. Mai 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/544>, abgerufen am 09.05.2024.