stattung seiner unnützen literarischen Berichte freiwillig angeboten hatte. *) So erschien Sand wie der Wahrer des deutschen Hausrechts, seine That wie ein feierlicher Protest der Nation gegen eine eingebildete Fremdherr- schaft. Dann steigerte noch die unvermeidliche humane Grausamkeit der modernen Rechtspflege das menschliche Mitleid mit dem Gefangenen. Unter furchtbaren Schmerzen wurde ihm durch die Kunst der Aerzte das Leben noch über ein Jahr lang gefristet, bis endlich der berühmte Heidel- berger Mediciner Chelius, nach seiner Pflicht, aber unter den Zornrufen der teutonischen Jugend, den Ausspruch that, daß Sand die Hinrichtung aushalten könne. Schon in den ersten Wochen war das Gefängniß von aufgeregten Volkshaufen umringt. **) Je länger die Untersuchung währte, um so lauter äußerte sich die Theilnahme für den frommen Dulder, der unbeugsam in seinem Wahne, alle Qualen mit stoischer Ruhe ertrug.
Selbst der Scharfrichter, ein warmherziger pfälzischer Patriot, ver ehrte Sand als einen Helden der nationalen Idee, bat ihn im Voraus um Verzeihung, empfing seine letzten Aufträge und schenkte dann den Stuhl, der zur Hinrichtung gedient, einem Heidelberger Gesinnungsgenossen ins Haus, wo das Heiligthum als ein theueres Vermächtniß von Kindern und Kindes- kindern bewahrt wurde. Aus den Balken des Schaffots aber baute er sich ein Weinbergshäuschen in seinem Rebgarten, an der sonnigen Ecke des Rhein- und Neckarthals bei Heidelberg; noch lange Jahre nachher haben dort die Heidelberger Burschenschafter in Sands Schaffot, als Gäste seines Henkers, ihre geheimen Zusammenkünfte gehalten. ***) Am 20. Mai 1820 wurde die Hinrichtung auf einer Wiese vor den Thoren Mannheims vollzogen; die Burschen aus Heidelberg waren in Schaaren herübergekommen und ließen abends in ihrer Musenstadt manch kräftiges Pereat auf König Friedrich Wilhelm erschallen. Die mit dem Blute des heiligen Sand bespritzten Späne wurden eifrig gekauft, und die Stätte seines Todes hieß im Volke "Sands Himmelfahrtswiese".
Was die liberale Presse über die beiden Mordthaten sagte, lief auf mehr oder minder versteckte Anklagen gegen die Regierungen hinaus. Eine anonyme Schrift "Betrachtungen über die Ermordung Kotzebues" pries gradezu die heilsame Wirkung der That Sands und schrieb alle Schuld den Kronen zu. Görres schilderte in Börnes "Wage" mit mystischem Wortschwall die göttliche Fügung, welche die alte und die neue Zeit ein- ander habe blutig begegnen lassen, und legte dann im Sommer, als die Demagogenverfolgung bereits begonnen hatte, die neuesten Einfälle seines beweglichen Kopfes in einem Buche "Deutschland und die Revolution" nieder, einer Schrift, die auf die Masse der Leser nur aufreizend wirken
*) Blittersdorffs Bericht, Petersburg 26. Mai 1819.
**) Varnhagens Bericht, 27. März 1819.
***) Nach einer Aufzeichnung von Hrn. Prof. G. Weber in Heidelberg.
Widerhall in der Nation.
ſtattung ſeiner unnützen literariſchen Berichte freiwillig angeboten hatte. *) So erſchien Sand wie der Wahrer des deutſchen Hausrechts, ſeine That wie ein feierlicher Proteſt der Nation gegen eine eingebildete Fremdherr- ſchaft. Dann ſteigerte noch die unvermeidliche humane Grauſamkeit der modernen Rechtspflege das menſchliche Mitleid mit dem Gefangenen. Unter furchtbaren Schmerzen wurde ihm durch die Kunſt der Aerzte das Leben noch über ein Jahr lang gefriſtet, bis endlich der berühmte Heidel- berger Mediciner Chelius, nach ſeiner Pflicht, aber unter den Zornrufen der teutoniſchen Jugend, den Ausſpruch that, daß Sand die Hinrichtung aushalten könne. Schon in den erſten Wochen war das Gefängniß von aufgeregten Volkshaufen umringt. **) Je länger die Unterſuchung währte, um ſo lauter äußerte ſich die Theilnahme für den frommen Dulder, der unbeugſam in ſeinem Wahne, alle Qualen mit ſtoiſcher Ruhe ertrug.
Selbſt der Scharfrichter, ein warmherziger pfälziſcher Patriot, ver ehrte Sand als einen Helden der nationalen Idee, bat ihn im Voraus um Verzeihung, empfing ſeine letzten Aufträge und ſchenkte dann den Stuhl, der zur Hinrichtung gedient, einem Heidelberger Geſinnungsgenoſſen ins Haus, wo das Heiligthum als ein theueres Vermächtniß von Kindern und Kindes- kindern bewahrt wurde. Aus den Balken des Schaffots aber baute er ſich ein Weinbergshäuschen in ſeinem Rebgarten, an der ſonnigen Ecke des Rhein- und Neckarthals bei Heidelberg; noch lange Jahre nachher haben dort die Heidelberger Burſchenſchafter in Sands Schaffot, als Gäſte ſeines Henkers, ihre geheimen Zuſammenkünfte gehalten. ***) Am 20. Mai 1820 wurde die Hinrichtung auf einer Wieſe vor den Thoren Mannheims vollzogen; die Burſchen aus Heidelberg waren in Schaaren herübergekommen und ließen abends in ihrer Muſenſtadt manch kräftiges Pereat auf König Friedrich Wilhelm erſchallen. Die mit dem Blute des heiligen Sand beſpritzten Späne wurden eifrig gekauft, und die Stätte ſeines Todes hieß im Volke „Sands Himmelfahrtswieſe“.
Was die liberale Preſſe über die beiden Mordthaten ſagte, lief auf mehr oder minder verſteckte Anklagen gegen die Regierungen hinaus. Eine anonyme Schrift „Betrachtungen über die Ermordung Kotzebues“ pries gradezu die heilſame Wirkung der That Sands und ſchrieb alle Schuld den Kronen zu. Görres ſchilderte in Börnes „Wage“ mit myſtiſchem Wortſchwall die göttliche Fügung, welche die alte und die neue Zeit ein- ander habe blutig begegnen laſſen, und legte dann im Sommer, als die Demagogenverfolgung bereits begonnen hatte, die neueſten Einfälle ſeines beweglichen Kopfes in einem Buche „Deutſchland und die Revolution“ nieder, einer Schrift, die auf die Maſſe der Leſer nur aufreizend wirken
*) Blittersdorffs Bericht, Petersburg 26. Mai 1819.
**) Varnhagens Bericht, 27. März 1819.
***) Nach einer Aufzeichnung von Hrn. Prof. G. Weber in Heidelberg.
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Widerhall in der Nation.
ſtattung ſeiner unnützen literariſchen Berichte freiwillig angeboten hatte. *)
So erſchien Sand wie der Wahrer des deutſchen Hausrechts, ſeine That
wie ein feierlicher Proteſt der Nation gegen eine eingebildete Fremdherr-
ſchaft. Dann ſteigerte noch die unvermeidliche humane Grauſamkeit der
modernen Rechtspflege das menſchliche Mitleid mit dem Gefangenen.
Unter furchtbaren Schmerzen wurde ihm durch die Kunſt der Aerzte das
Leben noch über ein Jahr lang gefriſtet, bis endlich der berühmte Heidel-
berger Mediciner Chelius, nach ſeiner Pflicht, aber unter den Zornrufen
der teutoniſchen Jugend, den Ausſpruch that, daß Sand die Hinrichtung
aushalten könne. Schon in den erſten Wochen war das Gefängniß von
aufgeregten Volkshaufen umringt. **) Je länger die Unterſuchung währte,
um ſo lauter äußerte ſich die Theilnahme für den frommen Dulder, der
unbeugſam in ſeinem Wahne, alle Qualen mit ſtoiſcher Ruhe ertrug.
Selbſt der Scharfrichter, ein warmherziger pfälziſcher Patriot, ver
ehrte Sand als einen Helden der nationalen Idee, bat ihn im Voraus um
Verzeihung, empfing ſeine letzten Aufträge und ſchenkte dann den Stuhl, der
zur Hinrichtung gedient, einem Heidelberger Geſinnungsgenoſſen ins Haus,
wo das Heiligthum als ein theueres Vermächtniß von Kindern und Kindes-
kindern bewahrt wurde. Aus den Balken des Schaffots aber baute er
ſich ein Weinbergshäuschen in ſeinem Rebgarten, an der ſonnigen Ecke
des Rhein- und Neckarthals bei Heidelberg; noch lange Jahre nachher
haben dort die Heidelberger Burſchenſchafter in Sands Schaffot, als
Gäſte ſeines Henkers, ihre geheimen Zuſammenkünfte gehalten. ***) Am
20. Mai 1820 wurde die Hinrichtung auf einer Wieſe vor den Thoren
Mannheims vollzogen; die Burſchen aus Heidelberg waren in Schaaren
herübergekommen und ließen abends in ihrer Muſenſtadt manch kräftiges
Pereat auf König Friedrich Wilhelm erſchallen. Die mit dem Blute des
heiligen Sand beſpritzten Späne wurden eifrig gekauft, und die Stätte
ſeines Todes hieß im Volke „Sands Himmelfahrtswieſe“.
Was die liberale Preſſe über die beiden Mordthaten ſagte, lief auf
mehr oder minder verſteckte Anklagen gegen die Regierungen hinaus. Eine
anonyme Schrift „Betrachtungen über die Ermordung Kotzebues“ pries
gradezu die heilſame Wirkung der That Sands und ſchrieb alle Schuld
den Kronen zu. Görres ſchilderte in Börnes „Wage“ mit myſtiſchem
Wortſchwall die göttliche Fügung, welche die alte und die neue Zeit ein-
ander habe blutig begegnen laſſen, und legte dann im Sommer, als die
Demagogenverfolgung bereits begonnen hatte, die neueſten Einfälle ſeines
beweglichen Kopfes in einem Buche „Deutſchland und die Revolution“
nieder, einer Schrift, die auf die Maſſe der Leſer nur aufreizend wirken
*) Blittersdorffs Bericht, Petersburg 26. Mai 1819.
**) Varnhagens Bericht, 27. März 1819.
***) Nach einer Aufzeichnung von Hrn. Prof. G. Weber in Heidelberg.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/541>, abgerufen am 16.07.2024.
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