Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Ermordnung Kotzebues. fest nahm, rief er noch laut: "Hoch lebe mein deutsches Vaterland undim deutschen Volke Alle, die den Zustand der reinen Menschheit zu för- dern streben!" Neben dem Leichnam fand sich ein Schriftstück "Todes- stoß dem A. v. Kotzebue", darin die Worte: "ein Zeichen muß ich Euch geben, muß mich erklären gegen diese Schlaffheit, weiß nichts Edleres zu thun als den Erzknecht und das Schutzbild dieser feilen Zeit, Dich, Ver- derber und Verräther meines Volks, A. v. Kotzebue niederzustoßen" -- und dann die blasphemischen Verse Follens: "ein Christus kannst Du werden." Der Burschenschaft hatte Sand in einem zu Jena zurück- gelassenen und erst nach der That aufgefundenen Briefe seinen Austritt angekündigt, weil er jetzt ausziehen müsse, um Volksrache zu üben. Auf seinem Schmerzenslager im Gefängniß zeigte er die höchste Standhaftig- keit, unerschütterlichen Gleichmuth, keine Spur von Reue. In den Ver- hören log er als ein treuer Schüler Follens mit eiserner Stirn, denn gegen die Knechte der Zwingherren war Alles gestattet; um Follen zu decken beschuldigte er sogar einen seiner besten Freunde, Asmis fälschlich, daß er ihm das Reisegeld geliehen habe, und ließ sich selbst durch die flehentlichen Bitten des Unschuldigen nicht von seiner Verruchtheit abbringen, bis endlich durch andere Zeugen die Wahrheit erwiesen wurde. Die Untersuchung wurde mit schonender Milde geführt, aber auch Ermordnung Kotzebues. feſt nahm, rief er noch laut: „Hoch lebe mein deutſches Vaterland undim deutſchen Volke Alle, die den Zuſtand der reinen Menſchheit zu för- dern ſtreben!“ Neben dem Leichnam fand ſich ein Schriftſtück „Todes- ſtoß dem A. v. Kotzebue“, darin die Worte: „ein Zeichen muß ich Euch geben, muß mich erklären gegen dieſe Schlaffheit, weiß nichts Edleres zu thun als den Erzknecht und das Schutzbild dieſer feilen Zeit, Dich, Ver- derber und Verräther meines Volks, A. v. Kotzebue niederzuſtoßen“ — und dann die blasphemiſchen Verſe Follens: „ein Chriſtus kannſt Du werden.“ Der Burſchenſchaft hatte Sand in einem zu Jena zurück- gelaſſenen und erſt nach der That aufgefundenen Briefe ſeinen Austritt angekündigt, weil er jetzt ausziehen müſſe, um Volksrache zu üben. Auf ſeinem Schmerzenslager im Gefängniß zeigte er die höchſte Standhaftig- keit, unerſchütterlichen Gleichmuth, keine Spur von Reue. In den Ver- hören log er als ein treuer Schüler Follens mit eiſerner Stirn, denn gegen die Knechte der Zwingherren war Alles geſtattet; um Follen zu decken beſchuldigte er ſogar einen ſeiner beſten Freunde, Asmis fälſchlich, daß er ihm das Reiſegeld geliehen habe, und ließ ſich ſelbſt durch die flehentlichen Bitten des Unſchuldigen nicht von ſeiner Verruchtheit abbringen, bis endlich durch andere Zeugen die Wahrheit erwieſen wurde. Die Unterſuchung wurde mit ſchonender Milde geführt, aber auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0537" n="523"/><fw place="top" type="header">Ermordnung Kotzebues.</fw><lb/> feſt nahm, rief er noch laut: „Hoch lebe mein deutſches Vaterland und<lb/> im deutſchen Volke Alle, die den Zuſtand der reinen Menſchheit zu för-<lb/> dern ſtreben!“ Neben dem Leichnam fand ſich ein Schriftſtück „Todes-<lb/> ſtoß dem A. v. 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Als Follen, der verdächtigſte<lb/> aller Zeugen, mit dem Mörder confrontirt wurde, verſuchte er bei einer<lb/> bedenklichen Frage eine jedem Criminaliſten wohlbekannte Liſt: er klagte<lb/> über die Schwäche ſeines Gedächtniſſes, obwohl der kalte Rechner, der<lb/> kein Wort unerwogen ſprach, ſicherlich auch keines wieder vergaß, und bat<lb/> den Freund, ihm zunächſt den ganzen Hergang genau zu berichten, dann<lb/> werde ihm wohl ſelber das Vergeſſene wieder einfallen. Die Unter-<lb/> ſuchungskommiſſion ging wirklich in dieſe plumpe Falle, ſie erlaubte dem<lb/> Angeklagten ſein Märchen ausführlich zu erzählen, und nunmehr wurden<lb/> auch in Follens Gedächtniß die erloſchenen Erinnerungen plötzlich wieder<lb/> lebendig, und er erklärte, Sands Darſtellung möge wohl richtig ſein.<lb/> Die Eltern und der Bruder des Angeklagten verweigerten ihr Zeugniß,<lb/> und da man in Baden von den Parteibildungen innerhalb der Jenenſer<lb/> Burſchenſchaft nichts wußte, ſo wurde aus Follens engerem Kreiſe nur<lb/> noch einer, R. Weſſelhöft vernommen, auch er ein kluger und vorſich-<lb/> tiger junger Mann. Unter ſolchen Umſtänden konnte die Unterſuchung<lb/> ihren Zweck allerdings nicht vollſtändig erreichen, wie der Vorſitzende der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [523/0537]
Ermordnung Kotzebues.
feſt nahm, rief er noch laut: „Hoch lebe mein deutſches Vaterland und
im deutſchen Volke Alle, die den Zuſtand der reinen Menſchheit zu för-
dern ſtreben!“ Neben dem Leichnam fand ſich ein Schriftſtück „Todes-
ſtoß dem A. v. Kotzebue“, darin die Worte: „ein Zeichen muß ich Euch
geben, muß mich erklären gegen dieſe Schlaffheit, weiß nichts Edleres zu
thun als den Erzknecht und das Schutzbild dieſer feilen Zeit, Dich, Ver-
derber und Verräther meines Volks, A. v. Kotzebue niederzuſtoßen“ —
und dann die blasphemiſchen Verſe Follens: „ein Chriſtus kannſt Du
werden.“ Der Burſchenſchaft hatte Sand in einem zu Jena zurück-
gelaſſenen und erſt nach der That aufgefundenen Briefe ſeinen Austritt
angekündigt, weil er jetzt ausziehen müſſe, um Volksrache zu üben. Auf
ſeinem Schmerzenslager im Gefängniß zeigte er die höchſte Standhaftig-
keit, unerſchütterlichen Gleichmuth, keine Spur von Reue. In den Ver-
hören log er als ein treuer Schüler Follens mit eiſerner Stirn, denn
gegen die Knechte der Zwingherren war Alles geſtattet; um Follen zu
decken beſchuldigte er ſogar einen ſeiner beſten Freunde, Asmis fälſchlich,
daß er ihm das Reiſegeld geliehen habe, und ließ ſich ſelbſt durch die
flehentlichen Bitten des Unſchuldigen nicht von ſeiner Verruchtheit
abbringen, bis endlich durch andere Zeugen die Wahrheit erwieſen
wurde.
Die Unterſuchung wurde mit ſchonender Milde geführt, aber auch
mit lächerlichem Ungeſchick, ſo daß die grundſätzliche Verlogenheit der
Schwarzen den freieſten Spielraum fand. Namhafte Richter mochten ſich
zu dem verhaßten Geſchäfte der Demagogenverfolgung nicht hergeben; da-
her mußte man die Unterſuchung faſt überall unfähigen juriſtiſchen Hand-
langern anvertrauen, und von dem Wenigen, was überhaupt erwieſen
werden konnte, kam nichts an den Tag. Als Follen, der verdächtigſte
aller Zeugen, mit dem Mörder confrontirt wurde, verſuchte er bei einer
bedenklichen Frage eine jedem Criminaliſten wohlbekannte Liſt: er klagte
über die Schwäche ſeines Gedächtniſſes, obwohl der kalte Rechner, der
kein Wort unerwogen ſprach, ſicherlich auch keines wieder vergaß, und bat
den Freund, ihm zunächſt den ganzen Hergang genau zu berichten, dann
werde ihm wohl ſelber das Vergeſſene wieder einfallen. Die Unter-
ſuchungskommiſſion ging wirklich in dieſe plumpe Falle, ſie erlaubte dem
Angeklagten ſein Märchen ausführlich zu erzählen, und nunmehr wurden
auch in Follens Gedächtniß die erloſchenen Erinnerungen plötzlich wieder
lebendig, und er erklärte, Sands Darſtellung möge wohl richtig ſein.
Die Eltern und der Bruder des Angeklagten verweigerten ihr Zeugniß,
und da man in Baden von den Parteibildungen innerhalb der Jenenſer
Burſchenſchaft nichts wußte, ſo wurde aus Follens engerem Kreiſe nur
noch einer, R. Weſſelhöft vernommen, auch er ein kluger und vorſich-
tiger junger Mann. Unter ſolchen Umſtänden konnte die Unterſuchung
ihren Zweck allerdings nicht vollſtändig erreichen, wie der Vorſitzende der
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