Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Der erste badische Landtag.
Schlacht sich bekannt gemacht hatte. Als Redner feurig, schlagfertig und
doch besonnen, wohl das glänzendste parlamentarische Talent der badischen
Geschichte, in seinen Ansichten durchaus liberal, unterschied er sich von
der Mehrzahl seiner Genossen durch praktischen Takt und ein gesundes
militärisches Urtheil; die Festigkeit seines Charakters stand aber weit hinter
seiner Begabung zurück.

Fast alle Redner der Opposition gehörten dem Beamtenstande an,
der überhaupt in diesem Landtage unverhältnißmäßig stark vertreten war;
und so ward denn zum erstenmale ein schlimmes Gebrechen des deutschen
Parlamentarismus fühlbar, das bis zum heutigen Tage ungeheilt ge-
blieben ist. Da eine Klasse von Berufspolitikern diesem verarmten Volke
noch gänzlich fehlte und namentlich die juristische Bildung fast aus-
schließlich in den Reihen der Beamten zu finden war, so hatten die Ur-
heber der neuen Verfassungen, um nicht die Sachkundigen ganz von den
Kammern auszuschließen, allesammt den Staatsdienern die Wählbarkeit
eingeräumt. Manche der kleinen Kronen schmeichelten sich mit der Hoff-
nung, daß die Beamten im Landtage den Eifer der Opposition ermäßigen
würden. Das deutsche Beamtenthum war aber durch die neuen, dem
preußischen Muster nachgebildeten Dienstpragmatiken unabhängiger ge-
stellt, als irgend ein anderer Staatsdienerstand der Welt; seine Mit-
glieder beanspruchten als Abgeordnete das unbeschränkte Recht ihre Vor-
gesetzten zu bekämpfen, und es bildete sich bald die Ansicht aus, daß der
Beruf des Volksvertreters hoch über der Amtspflicht stehe, der Diensteid
mithin für die Dauer des Landtagsmandates seine Kraft verliere. So
entstand die zweifache Gefahr -- und beide Folgen sind in Süddeutsch-
land abwechselnd eingetreten -- daß entweder die Mannszucht des Staats-
dienstes zerrüttet oder die Charakterfestigkeit des Beamtenthums durch
Gunst und Druck von oben her gebrochen würde. Ein Mittel der Unter-
drückung lag nahe zur Hand: die Verfassung enthielt keine Vorschriften
über die Beurlaubung der zum Landtage gewählten Staatsdiener, und
schon während des ersten badischen Landtags ward im Ministerium die
Frage erwogen, ob man nicht wohl thue, in Zukunft die Führer der Oppo-
sition durch Versagung des Urlaubs den Kammern fern zu halten -- ein
kleinlicher und doch bei der Schwäche dieser Regierungen leicht begreif-
licher Gedanke, der noch viel Unfrieden über den Süden bringen sollte.

Es konnte nicht ausbleiben, daß eine an aufgeweckten Köpfen so reiche Ver-
sammlung im ersten Hochgefühle einer großen Bestimmung, ihre Redekünste
über alle Höhen und Tiefen des Staatslebens erstreckte. So lange der Nation
ein Reichstag fehlte, waren die kleinen Landtage fast gezwungen, trotz
der Warnungen des Großherzogs Ludwig, über ihre Sphäre hinauszu-
gehen, Fragen der gesammtdeutschen Politik in den Kreis ihrer Be-
rathungen zu ziehen. Ein Menschenalter hindurch blieb es fortan der
historische Beruf dieses beweglichen oberrheinischen Völkchens, daß hier im

Der erſte badiſche Landtag.
Schlacht ſich bekannt gemacht hatte. Als Redner feurig, ſchlagfertig und
doch beſonnen, wohl das glänzendſte parlamentariſche Talent der badiſchen
Geſchichte, in ſeinen Anſichten durchaus liberal, unterſchied er ſich von
der Mehrzahl ſeiner Genoſſen durch praktiſchen Takt und ein geſundes
militäriſches Urtheil; die Feſtigkeit ſeines Charakters ſtand aber weit hinter
ſeiner Begabung zurück.

Faſt alle Redner der Oppoſition gehörten dem Beamtenſtande an,
der überhaupt in dieſem Landtage unverhältnißmäßig ſtark vertreten war;
und ſo ward denn zum erſtenmale ein ſchlimmes Gebrechen des deutſchen
Parlamentarismus fühlbar, das bis zum heutigen Tage ungeheilt ge-
blieben iſt. Da eine Klaſſe von Berufspolitikern dieſem verarmten Volke
noch gänzlich fehlte und namentlich die juriſtiſche Bildung faſt aus-
ſchließlich in den Reihen der Beamten zu finden war, ſo hatten die Ur-
heber der neuen Verfaſſungen, um nicht die Sachkundigen ganz von den
Kammern auszuſchließen, alleſammt den Staatsdienern die Wählbarkeit
eingeräumt. Manche der kleinen Kronen ſchmeichelten ſich mit der Hoff-
nung, daß die Beamten im Landtage den Eifer der Oppoſition ermäßigen
würden. Das deutſche Beamtenthum war aber durch die neuen, dem
preußiſchen Muſter nachgebildeten Dienſtpragmatiken unabhängiger ge-
ſtellt, als irgend ein anderer Staatsdienerſtand der Welt; ſeine Mit-
glieder beanſpruchten als Abgeordnete das unbeſchränkte Recht ihre Vor-
geſetzten zu bekämpfen, und es bildete ſich bald die Anſicht aus, daß der
Beruf des Volksvertreters hoch über der Amtspflicht ſtehe, der Dienſteid
mithin für die Dauer des Landtagsmandates ſeine Kraft verliere. So
entſtand die zweifache Gefahr — und beide Folgen ſind in Süddeutſch-
land abwechſelnd eingetreten — daß entweder die Mannszucht des Staats-
dienſtes zerrüttet oder die Charakterfeſtigkeit des Beamtenthums durch
Gunſt und Druck von oben her gebrochen würde. Ein Mittel der Unter-
drückung lag nahe zur Hand: die Verfaſſung enthielt keine Vorſchriften
über die Beurlaubung der zum Landtage gewählten Staatsdiener, und
ſchon während des erſten badiſchen Landtags ward im Miniſterium die
Frage erwogen, ob man nicht wohl thue, in Zukunft die Führer der Oppo-
ſition durch Verſagung des Urlaubs den Kammern fern zu halten — ein
kleinlicher und doch bei der Schwäche dieſer Regierungen leicht begreif-
licher Gedanke, der noch viel Unfrieden über den Süden bringen ſollte.

Es konnte nicht ausbleiben, daß eine an aufgeweckten Köpfen ſo reiche Ver-
ſammlung im erſten Hochgefühle einer großen Beſtimmung, ihre Redekünſte
über alle Höhen und Tiefen des Staatslebens erſtreckte. So lange der Nation
ein Reichstag fehlte, waren die kleinen Landtage faſt gezwungen, trotz
der Warnungen des Großherzogs Ludwig, über ihre Sphäre hinauszu-
gehen, Fragen der geſammtdeutſchen Politik in den Kreis ihrer Be-
rathungen zu ziehen. Ein Menſchenalter hindurch blieb es fortan der
hiſtoriſche Beruf dieſes beweglichen oberrheiniſchen Völkchens, daß hier im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0525" n="511"/><fw place="top" type="header">Der er&#x017F;te badi&#x017F;che Landtag.</fw><lb/>
Schlacht &#x017F;ich bekannt gemacht hatte. Als Redner feurig, &#x017F;chlagfertig und<lb/>
doch be&#x017F;onnen, wohl das glänzend&#x017F;te parlamentari&#x017F;che Talent der badi&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;chichte, in &#x017F;einen An&#x017F;ichten durchaus liberal, unter&#x017F;chied er &#x017F;ich von<lb/>
der Mehrzahl &#x017F;einer Geno&#x017F;&#x017F;en durch prakti&#x017F;chen Takt und ein ge&#x017F;undes<lb/>
militäri&#x017F;ches Urtheil; die Fe&#x017F;tigkeit &#x017F;eines Charakters &#x017F;tand aber weit hinter<lb/>
&#x017F;einer Begabung zurück.</p><lb/>
          <p>Fa&#x017F;t alle Redner der Oppo&#x017F;ition gehörten dem Beamten&#x017F;tande an,<lb/>
der überhaupt in die&#x017F;em Landtage unverhältnißmäßig &#x017F;tark vertreten war;<lb/>
und &#x017F;o ward denn zum er&#x017F;tenmale ein &#x017F;chlimmes Gebrechen des deut&#x017F;chen<lb/>
Parlamentarismus fühlbar, das bis zum heutigen Tage ungeheilt ge-<lb/>
blieben i&#x017F;t. Da eine Kla&#x017F;&#x017F;e von Berufspolitikern die&#x017F;em verarmten Volke<lb/>
noch gänzlich fehlte und namentlich die juri&#x017F;ti&#x017F;che Bildung fa&#x017F;t aus-<lb/>
&#x017F;chließlich in den Reihen der Beamten zu finden war, &#x017F;o hatten die Ur-<lb/>
heber der neuen Verfa&#x017F;&#x017F;ungen, um nicht die Sachkundigen ganz von den<lb/>
Kammern auszu&#x017F;chließen, alle&#x017F;ammt den Staatsdienern die Wählbarkeit<lb/>
eingeräumt. Manche der kleinen Kronen &#x017F;chmeichelten &#x017F;ich mit der Hoff-<lb/>
nung, daß die Beamten im Landtage den Eifer der Oppo&#x017F;ition ermäßigen<lb/>
würden. Das deut&#x017F;che Beamtenthum war aber durch die neuen, dem<lb/>
preußi&#x017F;chen Mu&#x017F;ter nachgebildeten Dien&#x017F;tpragmatiken unabhängiger ge-<lb/>
&#x017F;tellt, als irgend ein anderer Staatsdiener&#x017F;tand der Welt; &#x017F;eine Mit-<lb/>
glieder bean&#x017F;pruchten als Abgeordnete das unbe&#x017F;chränkte Recht ihre Vor-<lb/>
ge&#x017F;etzten zu bekämpfen, und es bildete &#x017F;ich bald die An&#x017F;icht aus, daß der<lb/>
Beruf des Volksvertreters hoch über der Amtspflicht &#x017F;tehe, der Dien&#x017F;teid<lb/>
mithin für die Dauer des Landtagsmandates &#x017F;eine Kraft verliere. So<lb/>
ent&#x017F;tand die zweifache Gefahr &#x2014; und beide Folgen &#x017F;ind in Süddeut&#x017F;ch-<lb/>
land abwech&#x017F;elnd eingetreten &#x2014; daß entweder die Mannszucht des Staats-<lb/>
dien&#x017F;tes zerrüttet oder die Charakterfe&#x017F;tigkeit des Beamtenthums durch<lb/>
Gun&#x017F;t und Druck von oben her gebrochen würde. Ein Mittel der Unter-<lb/>
drückung lag nahe zur Hand: die Verfa&#x017F;&#x017F;ung enthielt keine Vor&#x017F;chriften<lb/>
über die Beurlaubung der zum Landtage gewählten Staatsdiener, und<lb/>
&#x017F;chon während des er&#x017F;ten badi&#x017F;chen Landtags ward im Mini&#x017F;terium die<lb/>
Frage erwogen, ob man nicht wohl thue, in Zukunft die Führer der Oppo-<lb/>
&#x017F;ition durch Ver&#x017F;agung des Urlaubs den Kammern fern zu halten &#x2014; ein<lb/>
kleinlicher und doch bei der Schwäche die&#x017F;er Regierungen leicht begreif-<lb/>
licher Gedanke, der noch viel Unfrieden über den Süden bringen &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Es konnte nicht ausbleiben, daß eine an aufgeweckten Köpfen &#x017F;o reiche Ver-<lb/>
&#x017F;ammlung im er&#x017F;ten Hochgefühle einer großen Be&#x017F;timmung, ihre Redekün&#x017F;te<lb/>
über alle Höhen und Tiefen des Staatslebens er&#x017F;treckte. So lange der Nation<lb/>
ein Reichstag fehlte, waren die kleinen Landtage fa&#x017F;t gezwungen, trotz<lb/>
der Warnungen des Großherzogs Ludwig, über ihre Sphäre hinauszu-<lb/>
gehen, Fragen der ge&#x017F;ammtdeut&#x017F;chen Politik in den Kreis ihrer Be-<lb/>
rathungen zu ziehen. Ein Men&#x017F;chenalter hindurch blieb es fortan der<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;che Beruf die&#x017F;es beweglichen oberrheini&#x017F;chen Völkchens, daß hier im<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[511/0525] Der erſte badiſche Landtag. Schlacht ſich bekannt gemacht hatte. Als Redner feurig, ſchlagfertig und doch beſonnen, wohl das glänzendſte parlamentariſche Talent der badiſchen Geſchichte, in ſeinen Anſichten durchaus liberal, unterſchied er ſich von der Mehrzahl ſeiner Genoſſen durch praktiſchen Takt und ein geſundes militäriſches Urtheil; die Feſtigkeit ſeines Charakters ſtand aber weit hinter ſeiner Begabung zurück. Faſt alle Redner der Oppoſition gehörten dem Beamtenſtande an, der überhaupt in dieſem Landtage unverhältnißmäßig ſtark vertreten war; und ſo ward denn zum erſtenmale ein ſchlimmes Gebrechen des deutſchen Parlamentarismus fühlbar, das bis zum heutigen Tage ungeheilt ge- blieben iſt. Da eine Klaſſe von Berufspolitikern dieſem verarmten Volke noch gänzlich fehlte und namentlich die juriſtiſche Bildung faſt aus- ſchließlich in den Reihen der Beamten zu finden war, ſo hatten die Ur- heber der neuen Verfaſſungen, um nicht die Sachkundigen ganz von den Kammern auszuſchließen, alleſammt den Staatsdienern die Wählbarkeit eingeräumt. Manche der kleinen Kronen ſchmeichelten ſich mit der Hoff- nung, daß die Beamten im Landtage den Eifer der Oppoſition ermäßigen würden. Das deutſche Beamtenthum war aber durch die neuen, dem preußiſchen Muſter nachgebildeten Dienſtpragmatiken unabhängiger ge- ſtellt, als irgend ein anderer Staatsdienerſtand der Welt; ſeine Mit- glieder beanſpruchten als Abgeordnete das unbeſchränkte Recht ihre Vor- geſetzten zu bekämpfen, und es bildete ſich bald die Anſicht aus, daß der Beruf des Volksvertreters hoch über der Amtspflicht ſtehe, der Dienſteid mithin für die Dauer des Landtagsmandates ſeine Kraft verliere. So entſtand die zweifache Gefahr — und beide Folgen ſind in Süddeutſch- land abwechſelnd eingetreten — daß entweder die Mannszucht des Staats- dienſtes zerrüttet oder die Charakterfeſtigkeit des Beamtenthums durch Gunſt und Druck von oben her gebrochen würde. Ein Mittel der Unter- drückung lag nahe zur Hand: die Verfaſſung enthielt keine Vorſchriften über die Beurlaubung der zum Landtage gewählten Staatsdiener, und ſchon während des erſten badiſchen Landtags ward im Miniſterium die Frage erwogen, ob man nicht wohl thue, in Zukunft die Führer der Oppo- ſition durch Verſagung des Urlaubs den Kammern fern zu halten — ein kleinlicher und doch bei der Schwäche dieſer Regierungen leicht begreif- licher Gedanke, der noch viel Unfrieden über den Süden bringen ſollte. Es konnte nicht ausbleiben, daß eine an aufgeweckten Köpfen ſo reiche Ver- ſammlung im erſten Hochgefühle einer großen Beſtimmung, ihre Redekünſte über alle Höhen und Tiefen des Staatslebens erſtreckte. So lange der Nation ein Reichstag fehlte, waren die kleinen Landtage faſt gezwungen, trotz der Warnungen des Großherzogs Ludwig, über ihre Sphäre hinauszu- gehen, Fragen der geſammtdeutſchen Politik in den Kreis ihrer Be- rathungen zu ziehen. Ein Menſchenalter hindurch blieb es fortan der hiſtoriſche Beruf dieſes beweglichen oberrheiniſchen Völkchens, daß hier im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/525
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/525>, abgerufen am 09.05.2024.