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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Humboldt in das Ministerium berufen.
der üblichen lakonischen Form gehaltene Cabinetsordre theilte dem neuen
Minister seine Bestimmung mit; denn nach dem Staatsrechte der absoluten
Monarchie war die Berufung zu einem Ministerposten ein königlicher Befehl
wie andere auch, ein Befehl, dem jeder aktive Staatsdiener unweiger-
lich zu gehorchen hatte. In einem freundschaftlichen Briefe fügte Harden-
berg noch den deutlichen Wink hinzu, er arbeite jetzt an dem Verfassungs-
plane und denke seinen Entwurf dem neuen Collegen späterhin mitzu-
theilen.*)

Gleichwohl mißverstand Humboldt die Absicht des Königs vollständig.
Er glaubte, daß er selber den Verfassungsentwurf erst dem Ministerium,
dann dem Monarchen unterbreiten solle, dankte tiefgerührt für diesen
Beweis des königlichen Vertrauens, erklärte sich bereit "diesem Geschäfte
sein ganzes Dasein zu opfern", bat aber um die Erlaubniß zu einer Reise
nach der Hauptstadt: nur dort könne er die Verhältnisse übersehen und
einen Entschluß fassen (24. Jan.). Als dieser Brief und ein zweiter ähn-
lichen Inhalts an den Staatskanzler in Berlin eintraf, da brach Harden-
bergs lange verhaltener Groll in hellen Flammen aus. Er sah sich an-
gegriffen in den Prärogativen seines Amts -- denn Humboldt hatte in
seinem Schreiben an den König der Rechte des Staatskanzlers nicht ein-
mal gedacht -- und entwarf eigenhändig eine scharfe Cabinetsordre
(31. Jan.), welche den Minister kurz und streng über seinen neuen Wir-
kungskreis belehrte.**)

Nunmehr entschloß sich Humboldt zu einem zweiten, sehr ausführ-
lichen Schreiben an den König, das einer Kriegserklärung gegen Harden-
berg gleichkam. Nochmals bat er um seine Abberufung aus Frankfurt
damit er in Berlin sich unterrichten und dann sich erklären könne: sein
Hauptbedenken sei die Frage, ob er die Unabhängigkeit eines verantwort-
lichen Ministers erhalten, ob er das Recht haben werde, dem Monarchen
über alle Angelegenheiten seines Departements unmittelbar zu berichten.
Hardenberg erwiderte in einigen Randbemerkungen, deren leidenschaftlicher
Ton von der gewohnten urbanen Sprache des feinfühlenden Mannes
seltsam abstach. Hier galt es dem Todfeinde, dem einzigen Gegner, den
er unversöhnlich haßte; "was will er denn? warum dann das weitläufige
Geschreibe?" fragte er wiederholt. Das Geschrei der Zeitungen, die den
neuen Minister schon im Voraus als den Vater der preußischen Ver-
fassung feierten, hatte den Unmuth des Staatskanzlers zum Ueberlaufen
gebracht. Aber er war im Rechte; denn die Cabinetsordre vom 11. Jan.
hatte den Ministern soeben erst das Recht zugestanden, dem Könige in
Gegenwart des Staatskanzlers über die Geschäfte ihrer Ressorts Vortrag

*) Cabinetsordre an Humboldt 11. Jan. 1819 mit Begleitschreiben des Staats-
kanzlers.
**) Humboldt an den König, 24. Jan., an Hardenberg 24. Jan., Cabinetsordre an
Humboldt 31. Jan. 1819.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 32

Humboldt in das Miniſterium berufen.
der üblichen lakoniſchen Form gehaltene Cabinetsordre theilte dem neuen
Miniſter ſeine Beſtimmung mit; denn nach dem Staatsrechte der abſoluten
Monarchie war die Berufung zu einem Miniſterpoſten ein königlicher Befehl
wie andere auch, ein Befehl, dem jeder aktive Staatsdiener unweiger-
lich zu gehorchen hatte. In einem freundſchaftlichen Briefe fügte Harden-
berg noch den deutlichen Wink hinzu, er arbeite jetzt an dem Verfaſſungs-
plane und denke ſeinen Entwurf dem neuen Collegen ſpäterhin mitzu-
theilen.*)

Gleichwohl mißverſtand Humboldt die Abſicht des Königs vollſtändig.
Er glaubte, daß er ſelber den Verfaſſungsentwurf erſt dem Miniſterium,
dann dem Monarchen unterbreiten ſolle, dankte tiefgerührt für dieſen
Beweis des königlichen Vertrauens, erklärte ſich bereit „dieſem Geſchäfte
ſein ganzes Daſein zu opfern“, bat aber um die Erlaubniß zu einer Reiſe
nach der Hauptſtadt: nur dort könne er die Verhältniſſe überſehen und
einen Entſchluß faſſen (24. Jan.). Als dieſer Brief und ein zweiter ähn-
lichen Inhalts an den Staatskanzler in Berlin eintraf, da brach Harden-
bergs lange verhaltener Groll in hellen Flammen aus. Er ſah ſich an-
gegriffen in den Prärogativen ſeines Amts — denn Humboldt hatte in
ſeinem Schreiben an den König der Rechte des Staatskanzlers nicht ein-
mal gedacht — und entwarf eigenhändig eine ſcharfe Cabinetsordre
(31. Jan.), welche den Miniſter kurz und ſtreng über ſeinen neuen Wir-
kungskreis belehrte.**)

Nunmehr entſchloß ſich Humboldt zu einem zweiten, ſehr ausführ-
lichen Schreiben an den König, das einer Kriegserklärung gegen Harden-
berg gleichkam. Nochmals bat er um ſeine Abberufung aus Frankfurt
damit er in Berlin ſich unterrichten und dann ſich erklären könne: ſein
Hauptbedenken ſei die Frage, ob er die Unabhängigkeit eines verantwort-
lichen Miniſters erhalten, ob er das Recht haben werde, dem Monarchen
über alle Angelegenheiten ſeines Departements unmittelbar zu berichten.
Hardenberg erwiderte in einigen Randbemerkungen, deren leidenſchaftlicher
Ton von der gewohnten urbanen Sprache des feinfühlenden Mannes
ſeltſam abſtach. Hier galt es dem Todfeinde, dem einzigen Gegner, den
er unverſöhnlich haßte; „was will er denn? warum dann das weitläufige
Geſchreibe?“ fragte er wiederholt. Das Geſchrei der Zeitungen, die den
neuen Miniſter ſchon im Voraus als den Vater der preußiſchen Ver-
faſſung feierten, hatte den Unmuth des Staatskanzlers zum Ueberlaufen
gebracht. Aber er war im Rechte; denn die Cabinetsordre vom 11. Jan.
hatte den Miniſtern ſoeben erſt das Recht zugeſtanden, dem Könige in
Gegenwart des Staatskanzlers über die Geſchäfte ihrer Reſſorts Vortrag

*) Cabinetsordre an Humboldt 11. Jan. 1819 mit Begleitſchreiben des Staats-
kanzlers.
**) Humboldt an den König, 24. Jan., an Hardenberg 24. Jan., Cabinetsordre an
Humboldt 31. Jan. 1819.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 32
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[497/0511] Humboldt in das Miniſterium berufen. der üblichen lakoniſchen Form gehaltene Cabinetsordre theilte dem neuen Miniſter ſeine Beſtimmung mit; denn nach dem Staatsrechte der abſoluten Monarchie war die Berufung zu einem Miniſterpoſten ein königlicher Befehl wie andere auch, ein Befehl, dem jeder aktive Staatsdiener unweiger- lich zu gehorchen hatte. In einem freundſchaftlichen Briefe fügte Harden- berg noch den deutlichen Wink hinzu, er arbeite jetzt an dem Verfaſſungs- plane und denke ſeinen Entwurf dem neuen Collegen ſpäterhin mitzu- theilen. *) Gleichwohl mißverſtand Humboldt die Abſicht des Königs vollſtändig. Er glaubte, daß er ſelber den Verfaſſungsentwurf erſt dem Miniſterium, dann dem Monarchen unterbreiten ſolle, dankte tiefgerührt für dieſen Beweis des königlichen Vertrauens, erklärte ſich bereit „dieſem Geſchäfte ſein ganzes Daſein zu opfern“, bat aber um die Erlaubniß zu einer Reiſe nach der Hauptſtadt: nur dort könne er die Verhältniſſe überſehen und einen Entſchluß faſſen (24. Jan.). Als dieſer Brief und ein zweiter ähn- lichen Inhalts an den Staatskanzler in Berlin eintraf, da brach Harden- bergs lange verhaltener Groll in hellen Flammen aus. Er ſah ſich an- gegriffen in den Prärogativen ſeines Amts — denn Humboldt hatte in ſeinem Schreiben an den König der Rechte des Staatskanzlers nicht ein- mal gedacht — und entwarf eigenhändig eine ſcharfe Cabinetsordre (31. Jan.), welche den Miniſter kurz und ſtreng über ſeinen neuen Wir- kungskreis belehrte. **) Nunmehr entſchloß ſich Humboldt zu einem zweiten, ſehr ausführ- lichen Schreiben an den König, das einer Kriegserklärung gegen Harden- berg gleichkam. Nochmals bat er um ſeine Abberufung aus Frankfurt damit er in Berlin ſich unterrichten und dann ſich erklären könne: ſein Hauptbedenken ſei die Frage, ob er die Unabhängigkeit eines verantwort- lichen Miniſters erhalten, ob er das Recht haben werde, dem Monarchen über alle Angelegenheiten ſeines Departements unmittelbar zu berichten. Hardenberg erwiderte in einigen Randbemerkungen, deren leidenſchaftlicher Ton von der gewohnten urbanen Sprache des feinfühlenden Mannes ſeltſam abſtach. Hier galt es dem Todfeinde, dem einzigen Gegner, den er unverſöhnlich haßte; „was will er denn? warum dann das weitläufige Geſchreibe?“ fragte er wiederholt. Das Geſchrei der Zeitungen, die den neuen Miniſter ſchon im Voraus als den Vater der preußiſchen Ver- faſſung feierten, hatte den Unmuth des Staatskanzlers zum Ueberlaufen gebracht. Aber er war im Rechte; denn die Cabinetsordre vom 11. Jan. hatte den Miniſtern ſoeben erſt das Recht zugeſtanden, dem Könige in Gegenwart des Staatskanzlers über die Geſchäfte ihrer Reſſorts Vortrag *) Cabinetsordre an Humboldt 11. Jan. 1819 mit Begleitſchreiben des Staats- kanzlers. **) Humboldt an den König, 24. Jan., an Hardenberg 24. Jan., Cabinetsordre an Humboldt 31. Jan. 1819. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 32

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/511>, abgerufen am 22.11.2024.