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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 8. Der Aachener Congreß.
Badener den russischen Monarchen als den Beschirmer ihres Landes. In
Wahrheit hatte Czar Alexander für den badischen Staat nicht mehr ge-
than als König Friedrich Wilhelm, er hatte nur mit schauspielerischem
Geschick verstanden zur rechten Stunde den Ausschlag zu geben und ver-
säumte nicht, nach dem Congresse in Baden selbst die Früchte seines Thuns
in Augenschein zu nehmen. In Frankfurt verbat er sich bei dem badi-
schen Gesandten alle auffälligen Demonstrationen; nur "was freier Erguß
der Herzen ist" wollte er nicht untersagen. Und dieser Erguß der badi-
schen Herzen erfolgte denn auch so reichlich, so ergiebig, wie es der Czar
selbst unter seinen Russen kaum erlebt hatte. Triumphbogen und weiß-
gekleidete Ehrenjungfrauen in jedem Städtchen, überall Kränze mit der
Inschrift "Dem Retter Badens" und in Karlsruhe am Abend allgemeine
Erleuchtung, so daß Alexander doch für gerathen hielt zu Hause zu blei-
ben.*) Das war der Nationalstolz der Süddeutschen, drei Jahre nach
Belle-Alliance. In den patriotischen Blättern fand sich Niemand, der
diesem Geschlechte gesagt hätte, wie viel ihm noch zu einer Nation fehlte;
die Presse richtete ihren Zorn allein gegen Oesterreich und Preußen, die
fortan immer an jedem Uebel schuld sein sollten: warum gestatteten sie
dem Auslande eine solche Einmischung in deutsche Händel? Und doch war
der Schiedsspruch des Aachener Congresses nur die unausbleibliche Folge
des Verhaltens der Rheinbundstaaten im Jahre 1813. Weil diese deutschen
Staaten erst nach dem Siege, einzeln, als souveräne europäische Mächte,
durch Accessionsverträge sich dem Bündniß der vier Mächte angeschlossen
hatten, darum unterlag jetzt der bairisch-badische Streit von Rechtswegen
der Entscheidung des Vierbundes.

Leidenschaftlich wie die Freude der Badener äußerte sich die Ent-
rüstung des Münchener Hofes. Umsonst versuchte Kaiser Franz auf der
Heimreise seinen Schwiegervater zu beschwichtigen, umsonst erboten sich
Metternich und Kapodistrias noch einen Fetzen badischen Landes in den
Kauf zu geben**); die Wittelsbacher verwarfen Alles, Kronprinz Ludwig
klagte gleich dem König von Schweden über die Wiederkehr der napo-
leonischen Gewaltherrschaft, doch sein Zorn blieb ohne Folgen. Die Be-
vollmächtigten des Vierbundes bei der Frankfurter Territorialcommission
hatten bereits gemessene Weisung, die Aachener Beschlüsse auszuführen.
Nachdem der Stein des Anstoßes endlich beseitigt war, ging die Arbeit
rasch vorwärts, und am 20. Juli 1819 unterzeichneten die vier Mächte
den Frankfurter Territorialreceß, ein unsäglich mühevolles Werk, das nach
einem Zeitalter der Kriege den Besitzstand der deutschen Staaten auf
lange Jahre hinaus sicherstellte. Der bairische Hof ließ sich zwar das

*) Berckheims Bericht, Frankfurt 24. November; Varnhagens Bericht, Karlsruhe
27. Nov. 1818.
**) Krusemarks Berichte, 26., 30. Dec. 1818.

II. 8. Der Aachener Congreß.
Badener den ruſſiſchen Monarchen als den Beſchirmer ihres Landes. In
Wahrheit hatte Czar Alexander für den badiſchen Staat nicht mehr ge-
than als König Friedrich Wilhelm, er hatte nur mit ſchauſpieleriſchem
Geſchick verſtanden zur rechten Stunde den Ausſchlag zu geben und ver-
ſäumte nicht, nach dem Congreſſe in Baden ſelbſt die Früchte ſeines Thuns
in Augenſchein zu nehmen. In Frankfurt verbat er ſich bei dem badi-
ſchen Geſandten alle auffälligen Demonſtrationen; nur „was freier Erguß
der Herzen iſt“ wollte er nicht unterſagen. Und dieſer Erguß der badi-
ſchen Herzen erfolgte denn auch ſo reichlich, ſo ergiebig, wie es der Czar
ſelbſt unter ſeinen Ruſſen kaum erlebt hatte. Triumphbogen und weiß-
gekleidete Ehrenjungfrauen in jedem Städtchen, überall Kränze mit der
Inſchrift „Dem Retter Badens“ und in Karlsruhe am Abend allgemeine
Erleuchtung, ſo daß Alexander doch für gerathen hielt zu Hauſe zu blei-
ben.*) Das war der Nationalſtolz der Süddeutſchen, drei Jahre nach
Belle-Alliance. In den patriotiſchen Blättern fand ſich Niemand, der
dieſem Geſchlechte geſagt hätte, wie viel ihm noch zu einer Nation fehlte;
die Preſſe richtete ihren Zorn allein gegen Oeſterreich und Preußen, die
fortan immer an jedem Uebel ſchuld ſein ſollten: warum geſtatteten ſie
dem Auslande eine ſolche Einmiſchung in deutſche Händel? Und doch war
der Schiedsſpruch des Aachener Congreſſes nur die unausbleibliche Folge
des Verhaltens der Rheinbundſtaaten im Jahre 1813. Weil dieſe deutſchen
Staaten erſt nach dem Siege, einzeln, als ſouveräne europäiſche Mächte,
durch Acceſſionsverträge ſich dem Bündniß der vier Mächte angeſchloſſen
hatten, darum unterlag jetzt der bairiſch-badiſche Streit von Rechtswegen
der Entſcheidung des Vierbundes.

Leidenſchaftlich wie die Freude der Badener äußerte ſich die Ent-
rüſtung des Münchener Hofes. Umſonſt verſuchte Kaiſer Franz auf der
Heimreiſe ſeinen Schwiegervater zu beſchwichtigen, umſonſt erboten ſich
Metternich und Kapodiſtrias noch einen Fetzen badiſchen Landes in den
Kauf zu geben**); die Wittelsbacher verwarfen Alles, Kronprinz Ludwig
klagte gleich dem König von Schweden über die Wiederkehr der napo-
leoniſchen Gewaltherrſchaft, doch ſein Zorn blieb ohne Folgen. Die Be-
vollmächtigten des Vierbundes bei der Frankfurter Territorialcommiſſion
hatten bereits gemeſſene Weiſung, die Aachener Beſchlüſſe auszuführen.
Nachdem der Stein des Anſtoßes endlich beſeitigt war, ging die Arbeit
raſch vorwärts, und am 20. Juli 1819 unterzeichneten die vier Mächte
den Frankfurter Territorialreceß, ein unſäglich mühevolles Werk, das nach
einem Zeitalter der Kriege den Beſitzſtand der deutſchen Staaten auf
lange Jahre hinaus ſicherſtellte. Der bairiſche Hof ließ ſich zwar das

*) Berckheims Bericht, Frankfurt 24. November; Varnhagens Bericht, Karlsruhe
27. Nov. 1818.
**) Kruſemarks Berichte, 26., 30. Dec. 1818.
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[484/0498] II. 8. Der Aachener Congreß. Badener den ruſſiſchen Monarchen als den Beſchirmer ihres Landes. In Wahrheit hatte Czar Alexander für den badiſchen Staat nicht mehr ge- than als König Friedrich Wilhelm, er hatte nur mit ſchauſpieleriſchem Geſchick verſtanden zur rechten Stunde den Ausſchlag zu geben und ver- ſäumte nicht, nach dem Congreſſe in Baden ſelbſt die Früchte ſeines Thuns in Augenſchein zu nehmen. In Frankfurt verbat er ſich bei dem badi- ſchen Geſandten alle auffälligen Demonſtrationen; nur „was freier Erguß der Herzen iſt“ wollte er nicht unterſagen. Und dieſer Erguß der badi- ſchen Herzen erfolgte denn auch ſo reichlich, ſo ergiebig, wie es der Czar ſelbſt unter ſeinen Ruſſen kaum erlebt hatte. Triumphbogen und weiß- gekleidete Ehrenjungfrauen in jedem Städtchen, überall Kränze mit der Inſchrift „Dem Retter Badens“ und in Karlsruhe am Abend allgemeine Erleuchtung, ſo daß Alexander doch für gerathen hielt zu Hauſe zu blei- ben. *) Das war der Nationalſtolz der Süddeutſchen, drei Jahre nach Belle-Alliance. In den patriotiſchen Blättern fand ſich Niemand, der dieſem Geſchlechte geſagt hätte, wie viel ihm noch zu einer Nation fehlte; die Preſſe richtete ihren Zorn allein gegen Oeſterreich und Preußen, die fortan immer an jedem Uebel ſchuld ſein ſollten: warum geſtatteten ſie dem Auslande eine ſolche Einmiſchung in deutſche Händel? Und doch war der Schiedsſpruch des Aachener Congreſſes nur die unausbleibliche Folge des Verhaltens der Rheinbundſtaaten im Jahre 1813. Weil dieſe deutſchen Staaten erſt nach dem Siege, einzeln, als ſouveräne europäiſche Mächte, durch Acceſſionsverträge ſich dem Bündniß der vier Mächte angeſchloſſen hatten, darum unterlag jetzt der bairiſch-badiſche Streit von Rechtswegen der Entſcheidung des Vierbundes. Leidenſchaftlich wie die Freude der Badener äußerte ſich die Ent- rüſtung des Münchener Hofes. Umſonſt verſuchte Kaiſer Franz auf der Heimreiſe ſeinen Schwiegervater zu beſchwichtigen, umſonſt erboten ſich Metternich und Kapodiſtrias noch einen Fetzen badiſchen Landes in den Kauf zu geben **); die Wittelsbacher verwarfen Alles, Kronprinz Ludwig klagte gleich dem König von Schweden über die Wiederkehr der napo- leoniſchen Gewaltherrſchaft, doch ſein Zorn blieb ohne Folgen. Die Be- vollmächtigten des Vierbundes bei der Frankfurter Territorialcommiſſion hatten bereits gemeſſene Weiſung, die Aachener Beſchlüſſe auszuführen. Nachdem der Stein des Anſtoßes endlich beſeitigt war, ging die Arbeit raſch vorwärts, und am 20. Juli 1819 unterzeichneten die vier Mächte den Frankfurter Territorialreceß, ein unſäglich mühevolles Werk, das nach einem Zeitalter der Kriege den Beſitzſtand der deutſchen Staaten auf lange Jahre hinaus ſicherſtellte. Der bairiſche Hof ließ ſich zwar das *) Berckheims Bericht, Frankfurt 24. November; Varnhagens Bericht, Karlsruhe 27. Nov. 1818. **) Kruſemarks Berichte, 26., 30. Dec. 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/498>, abgerufen am 09.05.2024.