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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
Docent der Rechte und bezauberte die Studenten durch jene bewußte
Sicherheit, die von der unerfahrenen Jugend so gern als ein Zeichen
genialer Begabung betrachtet wird; jedes seiner Worte war durchdacht,
keines nahm er wieder zurück; mit unerbittlicher Logik zog er aus dem
Satze der unbedingten Gleichheit Aller, vor keiner Folgerung zurück-
schreckend, seine Schlüsse. Die räthselhafte Mischung von Kälte und Fana-
tismus in seinem Wesen, auch die peinliche Sauberkeit seiner Erscheinung
und der drohende Zug über den Augen erinnerten an Robespierre; nur
war er kein Heuchler, sondern übte wirklich die bedürfnißlose Sittenstrenge,
die er predigte. Für die unschuldigen Kaiserträume der Tübinger und
Jenenser Burschen, die sich die Krone der Staufer gern auf dem Haupte
ihres Wilhelm oder Karl August dachten, hatte Karl Follen nur ein
Lächeln; auch ihr Franzosenhaß und ihre Deutschthümelei schienen ihm
kindisch, obgleich er sich wohl hütete seine weltbürgerlichen Ansichten, die
ihn um allen Einfluß gebracht hätten, offen einzugestehen. Er war Jako-
biner schlechtweg und unterhielt wahrscheinlich schon im Jahre 1818, wie
die Jenenser Burschen argwöhnten, unzweifelhaft aber seit 1820 einen
vertraulichen Verkehr mit den radikalen Geheimbünden, welche über ganz
Frankreich verzweigt, von Lafayettes Comite directeur beherrscht wurden.
Sein leitender Gedanke war, daß Niemand einem Gesetze, dem er sich
nicht freiwillig unterworfen habe, Gehorsam schulde und mithin -- nach
dem alten Rousseau'schen Trugschlusse -- nur die Mehrheitsherrschaft zu
Recht bestehe: "jeder Bürger ist Haupt des Staates, denn der gerechte
Staat ist eine vollkommene Kugel, wo es kein Oben noch Unten giebt,
weil jeder Punkt Spitze sein kann und ist."

So enthielt denn auch der Entwurf einer deutschen Reichsverfassung,
der aus Follens Kreise hervorgegangen, im Herbst 1818 dem Jenenser
Burschentage vorgelegt wurde, bis auf einige teutonische Redensarten nichts
weiter als eine freie Nachbildung des Grundgesetzes der französischen Re-
publik. Alle Deutschen an Rechten vollkommen gleich; Gesetzgebung durch
gleiche Abstimmung Aller nach Mehrzahl; das eine und untheilbare Reich
in Gaue von gleicher Seelenzahl gegliedert, die nach Flüssen und Bergen
benannt werden; alle Beamten gleich besoldet und in die Hand der Volks-
vertreter vereidigt; eine einzige christlich-deutsche Kirche und daneben kein
anderes Bekenntniß geduldet; die Schulen sämmtlich auf dem flachen
Lande, vornehmlich für den Ackerbau und das Handwerk bestimmt; über
Alledem ein gewählter König mit einem Reichsrathe. Es war als ob
St. Just selber die Feder geführt hätte. Weit verderblicher als diese ra-
dikalen Doctrinen wirkte auf die Jugend jene niederträchtige Sittenlehre,
welche Karl Follen mit der Weihe des Propheten vortrug, eine völlig
bodenlose Moral, noch schändlicher als die Lehren von Mariana und
Suarez. Die Jesuiten hatten immerhin noch die Autorität der Kirche
gelten lassen; Follen aber entwickelte aus dem Cultus der persönlichen

II. 7. Die Burſchenſchaft.
Docent der Rechte und bezauberte die Studenten durch jene bewußte
Sicherheit, die von der unerfahrenen Jugend ſo gern als ein Zeichen
genialer Begabung betrachtet wird; jedes ſeiner Worte war durchdacht,
keines nahm er wieder zurück; mit unerbittlicher Logik zog er aus dem
Satze der unbedingten Gleichheit Aller, vor keiner Folgerung zurück-
ſchreckend, ſeine Schlüſſe. Die räthſelhafte Miſchung von Kälte und Fana-
tismus in ſeinem Weſen, auch die peinliche Sauberkeit ſeiner Erſcheinung
und der drohende Zug über den Augen erinnerten an Robespierre; nur
war er kein Heuchler, ſondern übte wirklich die bedürfnißloſe Sittenſtrenge,
die er predigte. Für die unſchuldigen Kaiſerträume der Tübinger und
Jenenſer Burſchen, die ſich die Krone der Staufer gern auf dem Haupte
ihres Wilhelm oder Karl Auguſt dachten, hatte Karl Follen nur ein
Lächeln; auch ihr Franzoſenhaß und ihre Deutſchthümelei ſchienen ihm
kindiſch, obgleich er ſich wohl hütete ſeine weltbürgerlichen Anſichten, die
ihn um allen Einfluß gebracht hätten, offen einzugeſtehen. Er war Jako-
biner ſchlechtweg und unterhielt wahrſcheinlich ſchon im Jahre 1818, wie
die Jenenſer Burſchen argwöhnten, unzweifelhaft aber ſeit 1820 einen
vertraulichen Verkehr mit den radikalen Geheimbünden, welche über ganz
Frankreich verzweigt, von Lafayettes Comité directeur beherrſcht wurden.
Sein leitender Gedanke war, daß Niemand einem Geſetze, dem er ſich
nicht freiwillig unterworfen habe, Gehorſam ſchulde und mithin — nach
dem alten Rouſſeau’ſchen Trugſchluſſe — nur die Mehrheitsherrſchaft zu
Recht beſtehe: „jeder Bürger iſt Haupt des Staates, denn der gerechte
Staat iſt eine vollkommene Kugel, wo es kein Oben noch Unten giebt,
weil jeder Punkt Spitze ſein kann und iſt.“

So enthielt denn auch der Entwurf einer deutſchen Reichsverfaſſung,
der aus Follens Kreiſe hervorgegangen, im Herbſt 1818 dem Jenenſer
Burſchentage vorgelegt wurde, bis auf einige teutoniſche Redensarten nichts
weiter als eine freie Nachbildung des Grundgeſetzes der franzöſiſchen Re-
publik. Alle Deutſchen an Rechten vollkommen gleich; Geſetzgebung durch
gleiche Abſtimmung Aller nach Mehrzahl; das eine und untheilbare Reich
in Gaue von gleicher Seelenzahl gegliedert, die nach Flüſſen und Bergen
benannt werden; alle Beamten gleich beſoldet und in die Hand der Volks-
vertreter vereidigt; eine einzige chriſtlich-deutſche Kirche und daneben kein
anderes Bekenntniß geduldet; die Schulen ſämmtlich auf dem flachen
Lande, vornehmlich für den Ackerbau und das Handwerk beſtimmt; über
Alledem ein gewählter König mit einem Reichsrathe. Es war als ob
St. Juſt ſelber die Feder geführt hätte. Weit verderblicher als dieſe ra-
dikalen Doctrinen wirkte auf die Jugend jene niederträchtige Sittenlehre,
welche Karl Follen mit der Weihe des Propheten vortrug, eine völlig
bodenloſe Moral, noch ſchändlicher als die Lehren von Mariana und
Suarez. Die Jeſuiten hatten immerhin noch die Autorität der Kirche
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[438/0452] II. 7. Die Burſchenſchaft. Docent der Rechte und bezauberte die Studenten durch jene bewußte Sicherheit, die von der unerfahrenen Jugend ſo gern als ein Zeichen genialer Begabung betrachtet wird; jedes ſeiner Worte war durchdacht, keines nahm er wieder zurück; mit unerbittlicher Logik zog er aus dem Satze der unbedingten Gleichheit Aller, vor keiner Folgerung zurück- ſchreckend, ſeine Schlüſſe. Die räthſelhafte Miſchung von Kälte und Fana- tismus in ſeinem Weſen, auch die peinliche Sauberkeit ſeiner Erſcheinung und der drohende Zug über den Augen erinnerten an Robespierre; nur war er kein Heuchler, ſondern übte wirklich die bedürfnißloſe Sittenſtrenge, die er predigte. Für die unſchuldigen Kaiſerträume der Tübinger und Jenenſer Burſchen, die ſich die Krone der Staufer gern auf dem Haupte ihres Wilhelm oder Karl Auguſt dachten, hatte Karl Follen nur ein Lächeln; auch ihr Franzoſenhaß und ihre Deutſchthümelei ſchienen ihm kindiſch, obgleich er ſich wohl hütete ſeine weltbürgerlichen Anſichten, die ihn um allen Einfluß gebracht hätten, offen einzugeſtehen. Er war Jako- biner ſchlechtweg und unterhielt wahrſcheinlich ſchon im Jahre 1818, wie die Jenenſer Burſchen argwöhnten, unzweifelhaft aber ſeit 1820 einen vertraulichen Verkehr mit den radikalen Geheimbünden, welche über ganz Frankreich verzweigt, von Lafayettes Comité directeur beherrſcht wurden. Sein leitender Gedanke war, daß Niemand einem Geſetze, dem er ſich nicht freiwillig unterworfen habe, Gehorſam ſchulde und mithin — nach dem alten Rouſſeau’ſchen Trugſchluſſe — nur die Mehrheitsherrſchaft zu Recht beſtehe: „jeder Bürger iſt Haupt des Staates, denn der gerechte Staat iſt eine vollkommene Kugel, wo es kein Oben noch Unten giebt, weil jeder Punkt Spitze ſein kann und iſt.“ So enthielt denn auch der Entwurf einer deutſchen Reichsverfaſſung, der aus Follens Kreiſe hervorgegangen, im Herbſt 1818 dem Jenenſer Burſchentage vorgelegt wurde, bis auf einige teutoniſche Redensarten nichts weiter als eine freie Nachbildung des Grundgeſetzes der franzöſiſchen Re- publik. Alle Deutſchen an Rechten vollkommen gleich; Geſetzgebung durch gleiche Abſtimmung Aller nach Mehrzahl; das eine und untheilbare Reich in Gaue von gleicher Seelenzahl gegliedert, die nach Flüſſen und Bergen benannt werden; alle Beamten gleich beſoldet und in die Hand der Volks- vertreter vereidigt; eine einzige chriſtlich-deutſche Kirche und daneben kein anderes Bekenntniß geduldet; die Schulen ſämmtlich auf dem flachen Lande, vornehmlich für den Ackerbau und das Handwerk beſtimmt; über Alledem ein gewählter König mit einem Reichsrathe. Es war als ob St. Juſt ſelber die Feder geführt hätte. Weit verderblicher als dieſe ra- dikalen Doctrinen wirkte auf die Jugend jene niederträchtige Sittenlehre, welche Karl Follen mit der Weihe des Propheten vortrug, eine völlig bodenloſe Moral, noch ſchändlicher als die Lehren von Mariana und Suarez. Die Jeſuiten hatten immerhin noch die Autorität der Kirche gelten laſſen; Follen aber entwickelte aus dem Cultus der perſönlichen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/452>, abgerufen am 09.05.2024.