nicht stören. Im Juli 1818 brachten ihm die Jenenser Burschen, von Heinrich v. Gagern geführt, einen Fackelzug zur Feier der Geburt seines Enkels; da gab er ihnen ein Gelage im Schloßhofe, erschien selber jugend- lich heiter auf dem Altane und betrachtete lange freudestrahlend das muntere Treiben drunten. Zur Taufe des Prinzen lud er dann, nach dem patriarchalischen Brauche der Ernestiner, mit allen übrigen Corpora- tionen des Landes auch drei Vertreter der Burschenschaft ein, und diese gefährlichen Gesellen wurden, wie man in der Hofburg mit tiefer Ent- rüstung erfuhr, sogar zur Tafel gezogen und von den neugierigen Hof- fräuleins sichtlich ausgezeichnet. Karl August war gerichtet, er hieß in Metternichs Kreise nur noch der Altbursche.
Inzwischen gingen die auf der Wartburg ausgestreuten Saaten auf; an vierzehn Universitäten bildeten sich Burschenschaften nach dem Jenenser Muster. Ihre Abgesandten traten im Oktober 1818 in Jena zusammen, und am Jahrestage des Wartburgfestes kam dort die Allgemeine Deutsche Burschenschaft zu Stande, die freie Vereinigung der gesammten deutschen Studentenschaft zu einem Ganzen, "gegründet auf das Verhältniß der deutschen Jugend zur werdenden Einheit des deutschen Vaterlandes". Alljährlich sollte im Siegesmonde ein allgemeiner Burschentag von Abge- ordneten aller Hochschulen sich vereinigen. Die Bestimmungen des Grund- gesetzes über den Zweck der Verbindung lauteten durchaus unverfänglich: Einheit, Freiheit, Gleichheit aller Burschen unter einander, christlich deutsche Ausbildung aller Kräfte zum Dienste des Vaterlandes. Bedenklich war nur der terroristische Geist, der den Zutritt der gesammten Studenten- schaft erzwingen wollte, alle anderen Verbindungen "ohne Weiteres in Verruf" erklärte und doch das Unmögliche nicht durchsetzen konnte, denn auf sämmtlichen Universitäten außer Jena blieben einzelne Landsmannschaften neben der Burschenschaft bestehen. Dem Partikularismus freilich und seinem Führer, dem Wiener Hofe, mußte schon das Dasein dieses "Ju- gend-Bundesstaates", wie Fries ihn nannte, hochgefährlich erscheinen; hier zum ersten male bildete sich in dem gewaltsam zertheilten Volke eine allge- mein deutsche Corporation. Die Erscheinung war so neu, daß selbst Goethe besorgt fragte, ob man denn über ganz Deutschland hin eine Innung dulden könne, die dem Bundestage nicht unterworfen sei.
Während die Burschenschaft also sich immer weiter ausbreitete, wurde ihre innere Kraft und Einheit bereits durch ein wüstes Parteitreiben er- schüttert. Für die Ideen Rousseaus war ein Geschlecht, das sich an Schillers Freiheitspathos begeisterte, von vorn herein empfänglich, und nachdem man mehrere Jahre beständig in aufgeregtem politischem Gerede verbracht hatte mußte die demagogische Partei unvermeidlich an Boden gewinnen. Den Heerd des akademischen Radikalismus bildete die Universität Gießen. Dort im Westen hatten die Doctrinen der französischen Revolution längst feste Wurzeln geschlagen; die Willkür des bonapartistischen Beamtenthums von
II. 7. Die Burſchenſchaft.
nicht ſtören. Im Juli 1818 brachten ihm die Jenenſer Burſchen, von Heinrich v. Gagern geführt, einen Fackelzug zur Feier der Geburt ſeines Enkels; da gab er ihnen ein Gelage im Schloßhofe, erſchien ſelber jugend- lich heiter auf dem Altane und betrachtete lange freudeſtrahlend das muntere Treiben drunten. Zur Taufe des Prinzen lud er dann, nach dem patriarchaliſchen Brauche der Erneſtiner, mit allen übrigen Corpora- tionen des Landes auch drei Vertreter der Burſchenſchaft ein, und dieſe gefährlichen Geſellen wurden, wie man in der Hofburg mit tiefer Ent- rüſtung erfuhr, ſogar zur Tafel gezogen und von den neugierigen Hof- fräuleins ſichtlich ausgezeichnet. Karl Auguſt war gerichtet, er hieß in Metternichs Kreiſe nur noch der Altburſche.
Inzwiſchen gingen die auf der Wartburg ausgeſtreuten Saaten auf; an vierzehn Univerſitäten bildeten ſich Burſchenſchaften nach dem Jenenſer Muſter. Ihre Abgeſandten traten im Oktober 1818 in Jena zuſammen, und am Jahrestage des Wartburgfeſtes kam dort die Allgemeine Deutſche Burſchenſchaft zu Stande, die freie Vereinigung der geſammten deutſchen Studentenſchaft zu einem Ganzen, „gegründet auf das Verhältniß der deutſchen Jugend zur werdenden Einheit des deutſchen Vaterlandes“. Alljährlich ſollte im Siegesmonde ein allgemeiner Burſchentag von Abge- ordneten aller Hochſchulen ſich vereinigen. Die Beſtimmungen des Grund- geſetzes über den Zweck der Verbindung lauteten durchaus unverfänglich: Einheit, Freiheit, Gleichheit aller Burſchen unter einander, chriſtlich deutſche Ausbildung aller Kräfte zum Dienſte des Vaterlandes. Bedenklich war nur der terroriſtiſche Geiſt, der den Zutritt der geſammten Studenten- ſchaft erzwingen wollte, alle anderen Verbindungen „ohne Weiteres in Verruf“ erklärte und doch das Unmögliche nicht durchſetzen konnte, denn auf ſämmtlichen Univerſitäten außer Jena blieben einzelne Landsmannſchaften neben der Burſchenſchaft beſtehen. Dem Partikularismus freilich und ſeinem Führer, dem Wiener Hofe, mußte ſchon das Daſein dieſes „Ju- gend-Bundesſtaates“, wie Fries ihn nannte, hochgefährlich erſcheinen; hier zum erſten male bildete ſich in dem gewaltſam zertheilten Volke eine allge- mein deutſche Corporation. Die Erſcheinung war ſo neu, daß ſelbſt Goethe beſorgt fragte, ob man denn über ganz Deutſchland hin eine Innung dulden könne, die dem Bundestage nicht unterworfen ſei.
Während die Burſchenſchaft alſo ſich immer weiter ausbreitete, wurde ihre innere Kraft und Einheit bereits durch ein wüſtes Parteitreiben er- ſchüttert. Für die Ideen Rouſſeaus war ein Geſchlecht, das ſich an Schillers Freiheitspathos begeiſterte, von vorn herein empfänglich, und nachdem man mehrere Jahre beſtändig in aufgeregtem politiſchem Gerede verbracht hatte mußte die demagogiſche Partei unvermeidlich an Boden gewinnen. Den Heerd des akademiſchen Radikalismus bildete die Univerſität Gießen. Dort im Weſten hatten die Doctrinen der franzöſiſchen Revolution längſt feſte Wurzeln geſchlagen; die Willkür des bonapartiſtiſchen Beamtenthums von
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nicht ſtören. Im Juli 1818 brachten ihm die Jenenſer Burſchen, von
Heinrich v. Gagern geführt, einen Fackelzug zur Feier der Geburt ſeines
Enkels; da gab er ihnen ein Gelage im Schloßhofe, erſchien ſelber jugend-
lich heiter auf dem Altane und betrachtete lange freudeſtrahlend das
muntere Treiben drunten. Zur Taufe des Prinzen lud er dann, nach
dem patriarchaliſchen Brauche der Erneſtiner, mit allen übrigen Corpora-
tionen des Landes auch drei Vertreter der Burſchenſchaft ein, und dieſe
gefährlichen Geſellen wurden, wie man in der Hofburg mit tiefer Ent-
rüſtung erfuhr, ſogar zur Tafel gezogen und von den neugierigen Hof-
fräuleins ſichtlich ausgezeichnet. Karl Auguſt war gerichtet, er hieß in
Metternichs Kreiſe nur noch der Altburſche.
Inzwiſchen gingen die auf der Wartburg ausgeſtreuten Saaten auf;
an vierzehn Univerſitäten bildeten ſich Burſchenſchaften nach dem Jenenſer
Muſter. Ihre Abgeſandten traten im Oktober 1818 in Jena zuſammen,
und am Jahrestage des Wartburgfeſtes kam dort die Allgemeine Deutſche
Burſchenſchaft zu Stande, die freie Vereinigung der geſammten deutſchen
Studentenſchaft zu einem Ganzen, „gegründet auf das Verhältniß der
deutſchen Jugend zur werdenden Einheit des deutſchen Vaterlandes“.
Alljährlich ſollte im Siegesmonde ein allgemeiner Burſchentag von Abge-
ordneten aller Hochſchulen ſich vereinigen. Die Beſtimmungen des Grund-
geſetzes über den Zweck der Verbindung lauteten durchaus unverfänglich:
Einheit, Freiheit, Gleichheit aller Burſchen unter einander, chriſtlich deutſche
Ausbildung aller Kräfte zum Dienſte des Vaterlandes. Bedenklich war
nur der terroriſtiſche Geiſt, der den Zutritt der geſammten Studenten-
ſchaft erzwingen wollte, alle anderen Verbindungen „ohne Weiteres in
Verruf“ erklärte und doch das Unmögliche nicht durchſetzen konnte, denn auf
ſämmtlichen Univerſitäten außer Jena blieben einzelne Landsmannſchaften
neben der Burſchenſchaft beſtehen. Dem Partikularismus freilich und
ſeinem Führer, dem Wiener Hofe, mußte ſchon das Daſein dieſes „Ju-
gend-Bundesſtaates“, wie Fries ihn nannte, hochgefährlich erſcheinen; hier
zum erſten male bildete ſich in dem gewaltſam zertheilten Volke eine allge-
mein deutſche Corporation. Die Erſcheinung war ſo neu, daß ſelbſt Goethe
beſorgt fragte, ob man denn über ganz Deutſchland hin eine Innung
dulden könne, die dem Bundestage nicht unterworfen ſei.
Während die Burſchenſchaft alſo ſich immer weiter ausbreitete, wurde
ihre innere Kraft und Einheit bereits durch ein wüſtes Parteitreiben er-
ſchüttert. Für die Ideen Rouſſeaus war ein Geſchlecht, das ſich an Schillers
Freiheitspathos begeiſterte, von vorn herein empfänglich, und nachdem man
mehrere Jahre beſtändig in aufgeregtem politiſchem Gerede verbracht hatte
mußte die demagogiſche Partei unvermeidlich an Boden gewinnen. Den
Heerd des akademiſchen Radikalismus bildete die Univerſität Gießen. Dort
im Weſten hatten die Doctrinen der franzöſiſchen Revolution längſt feſte
Wurzeln geſchlagen; die Willkür des bonapartiſtiſchen Beamtenthums von
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/450>, abgerufen am 22.11.2024.
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