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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
liche, das zu jeder Zeit Lebendige und vor Allem das Heimathliche, die
einfältige Kraft und Herzenswärme des unverbildeten germanischen We-
sens; das Forschen in den Sagen und Liedern unseres Alterthums galt
ihm als "ein rechtes Einwandern in die tiefere Natur des deutschen Volks-
lebens". Er fühlte, daß der Dichter, auch wenn er entlegene Stoffe be-
handelt, nur solche Empfindungen aussprechen darf, die in der Seele der
Lebenden widerklingen, und blieb sich des weiten Abstandes der Zeiten
klar bewußt. Niemals hat ihn die Freude an der Farbenpracht des Mit-
telalters den protestantischen und demokratischen Gedanken des neuen Jahr-
hunderts entfremdet. Derselbe Dichter, der so rührend von den Gottes-
streitern der Kreuzzüge sang, pries auch den Baum von Wittenberg, der mit
Riesenästen, dem Strahle des Lichtes entgegen, zum Klausendach hinaus-
wuchs, und gesellte sich freudig zu den streitbaren Sängern des Befreiungs-
krieges und beugte sich demüthig vor der Heldengröße des neuerstandenen
Vaterlandes:

Nach solchen Opfern heilig großen
Was gälten diese Lieder Dir?

Mit kräftigem Spotte kehrte er der Aftermuse der romantisch süßen
Herren, der Assonanzen- und Sonettenschmiede den Rücken zu und hielt
sich an den Wahlspruch der Altvorderen: "schlicht Wort und gut Gemüth
sind das echte deutsche Lied." Die anschaulichen, volksthümlichen Aus-
drücke strömten dem Sprachgewaltigen von selber zu. So leicht erklangen
seine ungekünstelten Verse, so frisch und heiter schwebten seine Gestalten
dahin, daß die Leser gar nicht bemerkten, wie viel Künstlerfleiß sich hinter
der tadellosen Reinheit dieser einfachen Formen verbarg, wie tief der
Dichter in die Schachte der Wissenschaft hatte hinabsteigen müssen bis
ihm Klein Roland und Taillefer, Eberhard der Rauschebart und der
Schenk von Limburg so vertraut und lebendig wurden. Für seine Er-
zählungen wählte er mit Vorliebe die dem leidenschaftlichen germanischen
Wesen zusagende Form der dramatisch bewegten Ballade, nur selten, wo
es die Natur des Stoffes gebot, die ruhig berichtende, ausführlich schil-
dernde südländische Romanze. Nicht die Begebenheit war ihm das Wesent-
liche, sondern ihr Widerschein in dem erregten Menschenherzen. Jede
Falte des deutschen Gemüthes lag ihm offen, und wunderbar glücklich
wußte er zuweilen mit wenigen anspruchslosen Worten ein Herzensge-
heimniß unseres Volkes zu offenbaren. Einfacher als in dem Gedichte
von dem treuen Kameraden ist nie gesagt worden, wie den streitbaren Ger-
manen seit der Cimbernschlacht bis zu den Franzosenkriegen im Schlacht-
getümmel immer zu Muthe war: so kampflustig und fromm ergeben, so
liebevoll und so treu.

Die Kraft der Empfindung drängte sich auch in seinen erzählenden
Dichtungen so stark hervor, daß manche Gedichte, die er selber Balladen
nannte, bald als Lieder in den Volksmund übergingen. Denn seinen

II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
liche, das zu jeder Zeit Lebendige und vor Allem das Heimathliche, die
einfältige Kraft und Herzenswärme des unverbildeten germaniſchen We-
ſens; das Forſchen in den Sagen und Liedern unſeres Alterthums galt
ihm als „ein rechtes Einwandern in die tiefere Natur des deutſchen Volks-
lebens“. Er fühlte, daß der Dichter, auch wenn er entlegene Stoffe be-
handelt, nur ſolche Empfindungen ausſprechen darf, die in der Seele der
Lebenden widerklingen, und blieb ſich des weiten Abſtandes der Zeiten
klar bewußt. Niemals hat ihn die Freude an der Farbenpracht des Mit-
telalters den proteſtantiſchen und demokratiſchen Gedanken des neuen Jahr-
hunderts entfremdet. Derſelbe Dichter, der ſo rührend von den Gottes-
ſtreitern der Kreuzzüge ſang, pries auch den Baum von Wittenberg, der mit
Rieſenäſten, dem Strahle des Lichtes entgegen, zum Klauſendach hinaus-
wuchs, und geſellte ſich freudig zu den ſtreitbaren Sängern des Befreiungs-
krieges und beugte ſich demüthig vor der Heldengröße des neuerſtandenen
Vaterlandes:

Nach ſolchen Opfern heilig großen
Was gälten dieſe Lieder Dir?

Mit kräftigem Spotte kehrte er der Aftermuſe der romantiſch ſüßen
Herren, der Aſſonanzen- und Sonettenſchmiede den Rücken zu und hielt
ſich an den Wahlſpruch der Altvorderen: „ſchlicht Wort und gut Gemüth
ſind das echte deutſche Lied.“ Die anſchaulichen, volksthümlichen Aus-
drücke ſtrömten dem Sprachgewaltigen von ſelber zu. So leicht erklangen
ſeine ungekünſtelten Verſe, ſo friſch und heiter ſchwebten ſeine Geſtalten
dahin, daß die Leſer gar nicht bemerkten, wie viel Künſtlerfleiß ſich hinter
der tadelloſen Reinheit dieſer einfachen Formen verbarg, wie tief der
Dichter in die Schachte der Wiſſenſchaft hatte hinabſteigen müſſen bis
ihm Klein Roland und Taillefer, Eberhard der Rauſchebart und der
Schenk von Limburg ſo vertraut und lebendig wurden. Für ſeine Er-
zählungen wählte er mit Vorliebe die dem leidenſchaftlichen germaniſchen
Weſen zuſagende Form der dramatiſch bewegten Ballade, nur ſelten, wo
es die Natur des Stoffes gebot, die ruhig berichtende, ausführlich ſchil-
dernde ſüdländiſche Romanze. Nicht die Begebenheit war ihm das Weſent-
liche, ſondern ihr Widerſchein in dem erregten Menſchenherzen. Jede
Falte des deutſchen Gemüthes lag ihm offen, und wunderbar glücklich
wußte er zuweilen mit wenigen anſpruchsloſen Worten ein Herzensge-
heimniß unſeres Volkes zu offenbaren. Einfacher als in dem Gedichte
von dem treuen Kameraden iſt nie geſagt worden, wie den ſtreitbaren Ger-
manen ſeit der Cimbernſchlacht bis zu den Franzoſenkriegen im Schlacht-
getümmel immer zu Muthe war: ſo kampfluſtig und fromm ergeben, ſo
liebevoll und ſo treu.

Die Kraft der Empfindung drängte ſich auch in ſeinen erzählenden
Dichtungen ſo ſtark hervor, daß manche Gedichte, die er ſelber Balladen
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[30/0044] II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre. liche, das zu jeder Zeit Lebendige und vor Allem das Heimathliche, die einfältige Kraft und Herzenswärme des unverbildeten germaniſchen We- ſens; das Forſchen in den Sagen und Liedern unſeres Alterthums galt ihm als „ein rechtes Einwandern in die tiefere Natur des deutſchen Volks- lebens“. Er fühlte, daß der Dichter, auch wenn er entlegene Stoffe be- handelt, nur ſolche Empfindungen ausſprechen darf, die in der Seele der Lebenden widerklingen, und blieb ſich des weiten Abſtandes der Zeiten klar bewußt. Niemals hat ihn die Freude an der Farbenpracht des Mit- telalters den proteſtantiſchen und demokratiſchen Gedanken des neuen Jahr- hunderts entfremdet. Derſelbe Dichter, der ſo rührend von den Gottes- ſtreitern der Kreuzzüge ſang, pries auch den Baum von Wittenberg, der mit Rieſenäſten, dem Strahle des Lichtes entgegen, zum Klauſendach hinaus- wuchs, und geſellte ſich freudig zu den ſtreitbaren Sängern des Befreiungs- krieges und beugte ſich demüthig vor der Heldengröße des neuerſtandenen Vaterlandes: Nach ſolchen Opfern heilig großen Was gälten dieſe Lieder Dir? Mit kräftigem Spotte kehrte er der Aftermuſe der romantiſch ſüßen Herren, der Aſſonanzen- und Sonettenſchmiede den Rücken zu und hielt ſich an den Wahlſpruch der Altvorderen: „ſchlicht Wort und gut Gemüth ſind das echte deutſche Lied.“ Die anſchaulichen, volksthümlichen Aus- drücke ſtrömten dem Sprachgewaltigen von ſelber zu. So leicht erklangen ſeine ungekünſtelten Verſe, ſo friſch und heiter ſchwebten ſeine Geſtalten dahin, daß die Leſer gar nicht bemerkten, wie viel Künſtlerfleiß ſich hinter der tadelloſen Reinheit dieſer einfachen Formen verbarg, wie tief der Dichter in die Schachte der Wiſſenſchaft hatte hinabſteigen müſſen bis ihm Klein Roland und Taillefer, Eberhard der Rauſchebart und der Schenk von Limburg ſo vertraut und lebendig wurden. Für ſeine Er- zählungen wählte er mit Vorliebe die dem leidenſchaftlichen germaniſchen Weſen zuſagende Form der dramatiſch bewegten Ballade, nur ſelten, wo es die Natur des Stoffes gebot, die ruhig berichtende, ausführlich ſchil- dernde ſüdländiſche Romanze. Nicht die Begebenheit war ihm das Weſent- liche, ſondern ihr Widerſchein in dem erregten Menſchenherzen. Jede Falte des deutſchen Gemüthes lag ihm offen, und wunderbar glücklich wußte er zuweilen mit wenigen anſpruchsloſen Worten ein Herzensge- heimniß unſeres Volkes zu offenbaren. Einfacher als in dem Gedichte von dem treuen Kameraden iſt nie geſagt worden, wie den ſtreitbaren Ger- manen ſeit der Cimbernſchlacht bis zu den Franzoſenkriegen im Schlacht- getümmel immer zu Muthe war: ſo kampfluſtig und fromm ergeben, ſo liebevoll und ſo treu. Die Kraft der Empfindung drängte ſich auch in ſeinen erzählenden Dichtungen ſo ſtark hervor, daß manche Gedichte, die er ſelber Balladen nannte, bald als Lieder in den Volksmund übergingen. Denn ſeinen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/44>, abgerufen am 23.11.2024.