zum goldenen Tage der Freiheit. So ist aus den Träumen der Stu- denten jene Tricolore entstanden, die durch ein halbes Jahrhundert die Fahne der nationalen Sehnsucht blieb, die so viel Hoffnungen und so viel Thränen, so viel edle Gedanken und so viel Sünden über Deutsch- land bringen sollte, bis sie endlich, gleich dem schwarzblaurothen Banner der italienischen Carbonari, im Toben der Parteikämpfe entwürdigt und gleich jenem durch die Farben des nationalen Staates verdrängt wurde.
Die Absicht der Burschenschaft, alle Studenten in einer Verbindung zu vereinigen, entsprang einem überspannten Idealismus, da der schönste Reiz solcher Jugendvereine doch in der Innigkeit der persönlichen Freund- schaft liegt. Der unzähmbare persönliche Stolz der Deutschen wollte sich so leicht nicht über einen Kamm scheeren lassen. Aristokratischen Naturen war schon das allgemeine Duzen, das die Burschenschaft anbefahl, wider- wärtig; nicht blos die rohen Wüstlinge der alten Schule, sondern auch viele harmlos lebenslustige junge Männer langweilten sich bei dem alt- klugen, ernsthaften Tone des Burschenhauses, wo man nur durch pathe- tische Beredsamkeit, und allenfalls noch durch eine gute Klinge, sich An- sehen erwerben konnte; freie, eigenartige Köpfe, wie der junge Karl Immermann in Halle, wollten das Ansehen der Burschenvorsteher über- haupt nicht gelten lassen, da die berühmten akademischen Häuptlinge nur selten geistreiche Menschen sind. Wider solche Gegner half nur diktato- rische Härte; die Einseitigkeit, deren jede neue Richtung, zumal unter jungen Männern, bedarf, steigerte sich in der Burschenschaft bald bis zum Terrorismus. In Jena gelang es, alle abweichenden Meinungen vorläufig zum Schweigen zu bringen, und nun schwoll das Selbstgefühl der Burschen unleidlich an. Gewichtig schritten an jedem Nachmittag die Herren des Vorstands und des Ausschusses auf dem Marktplatze auf und nieder, das Wohl des Vaterlandes und der Hochschulen in gemessenem Gespräche erwägend; sie fühlten sich als Herrscher in diesem kleinen aka- demischen Reiche, zumal da die meisten Professoren den jungen Herren eine ganz unbillige, aus Angst und Wohlwollen gemischte Ehrerbietung erwiesen; sie sahen im Geiste schon die Zeit, wo ganz Deutschland von den Jüngern der Burschenschaft regiert würde.
Die patriotischen Zorn- und Prachtreden erklangen immer kräftiger und schlossen schon zuweilen mit dem Trumpfe: "unser Urtheil hat das Gewicht der Geschichte selbst, es ist vernichtend." Wie viele alte Burschen- schafter sind bis zur Grube in dem glücklichen Wahne geblieben, daß die Burschenschaft eigentlich das neue deutsche Reich gegründet habe; Arnold Ruge schilderte noch ein halbes Jahrhundert später den langen Einheits- und Freiheitskampf der neuen deutschen Geschichte wie eine einzige große Pro-patria-Paukerei zwischen Burschenschaften und Corps. Und sicher- lich hat mancher redliche junge Mann die erste Ahnung von der Herr- lichkeit des Vaterlandes auf der Burschenkneipe gewonnen; aber der poli-
Die Jenenſer Burſchenſchaft.
zum goldenen Tage der Freiheit. So iſt aus den Träumen der Stu- denten jene Tricolore entſtanden, die durch ein halbes Jahrhundert die Fahne der nationalen Sehnſucht blieb, die ſo viel Hoffnungen und ſo viel Thränen, ſo viel edle Gedanken und ſo viel Sünden über Deutſch- land bringen ſollte, bis ſie endlich, gleich dem ſchwarzblaurothen Banner der italieniſchen Carbonari, im Toben der Parteikämpfe entwürdigt und gleich jenem durch die Farben des nationalen Staates verdrängt wurde.
Die Abſicht der Burſchenſchaft, alle Studenten in einer Verbindung zu vereinigen, entſprang einem überſpannten Idealismus, da der ſchönſte Reiz ſolcher Jugendvereine doch in der Innigkeit der perſönlichen Freund- ſchaft liegt. Der unzähmbare perſönliche Stolz der Deutſchen wollte ſich ſo leicht nicht über einen Kamm ſcheeren laſſen. Ariſtokratiſchen Naturen war ſchon das allgemeine Duzen, das die Burſchenſchaft anbefahl, wider- wärtig; nicht blos die rohen Wüſtlinge der alten Schule, ſondern auch viele harmlos lebensluſtige junge Männer langweilten ſich bei dem alt- klugen, ernſthaften Tone des Burſchenhauſes, wo man nur durch pathe- tiſche Beredſamkeit, und allenfalls noch durch eine gute Klinge, ſich An- ſehen erwerben konnte; freie, eigenartige Köpfe, wie der junge Karl Immermann in Halle, wollten das Anſehen der Burſchenvorſteher über- haupt nicht gelten laſſen, da die berühmten akademiſchen Häuptlinge nur ſelten geiſtreiche Menſchen ſind. Wider ſolche Gegner half nur diktato- riſche Härte; die Einſeitigkeit, deren jede neue Richtung, zumal unter jungen Männern, bedarf, ſteigerte ſich in der Burſchenſchaft bald bis zum Terrorismus. In Jena gelang es, alle abweichenden Meinungen vorläufig zum Schweigen zu bringen, und nun ſchwoll das Selbſtgefühl der Burſchen unleidlich an. Gewichtig ſchritten an jedem Nachmittag die Herren des Vorſtands und des Ausſchuſſes auf dem Marktplatze auf und nieder, das Wohl des Vaterlandes und der Hochſchulen in gemeſſenem Geſpräche erwägend; ſie fühlten ſich als Herrſcher in dieſem kleinen aka- demiſchen Reiche, zumal da die meiſten Profeſſoren den jungen Herren eine ganz unbillige, aus Angſt und Wohlwollen gemiſchte Ehrerbietung erwieſen; ſie ſahen im Geiſte ſchon die Zeit, wo ganz Deutſchland von den Jüngern der Burſchenſchaft regiert würde.
Die patriotiſchen Zorn- und Prachtreden erklangen immer kräftiger und ſchloſſen ſchon zuweilen mit dem Trumpfe: „unſer Urtheil hat das Gewicht der Geſchichte ſelbſt, es iſt vernichtend.“ Wie viele alte Burſchen- ſchafter ſind bis zur Grube in dem glücklichen Wahne geblieben, daß die Burſchenſchaft eigentlich das neue deutſche Reich gegründet habe; Arnold Ruge ſchilderte noch ein halbes Jahrhundert ſpäter den langen Einheits- und Freiheitskampf der neuen deutſchen Geſchichte wie eine einzige große Pro-patria-Paukerei zwiſchen Burſchenſchaften und Corps. Und ſicher- lich hat mancher redliche junge Mann die erſte Ahnung von der Herr- lichkeit des Vaterlandes auf der Burſchenkneipe gewonnen; aber der poli-
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Die Jenenſer Burſchenſchaft.
zum goldenen Tage der Freiheit. So iſt aus den Träumen der Stu-
denten jene Tricolore entſtanden, die durch ein halbes Jahrhundert die
Fahne der nationalen Sehnſucht blieb, die ſo viel Hoffnungen und ſo
viel Thränen, ſo viel edle Gedanken und ſo viel Sünden über Deutſch-
land bringen ſollte, bis ſie endlich, gleich dem ſchwarzblaurothen Banner
der italieniſchen Carbonari, im Toben der Parteikämpfe entwürdigt und
gleich jenem durch die Farben des nationalen Staates verdrängt wurde.
Die Abſicht der Burſchenſchaft, alle Studenten in einer Verbindung
zu vereinigen, entſprang einem überſpannten Idealismus, da der ſchönſte
Reiz ſolcher Jugendvereine doch in der Innigkeit der perſönlichen Freund-
ſchaft liegt. Der unzähmbare perſönliche Stolz der Deutſchen wollte ſich
ſo leicht nicht über einen Kamm ſcheeren laſſen. Ariſtokratiſchen Naturen
war ſchon das allgemeine Duzen, das die Burſchenſchaft anbefahl, wider-
wärtig; nicht blos die rohen Wüſtlinge der alten Schule, ſondern auch
viele harmlos lebensluſtige junge Männer langweilten ſich bei dem alt-
klugen, ernſthaften Tone des Burſchenhauſes, wo man nur durch pathe-
tiſche Beredſamkeit, und allenfalls noch durch eine gute Klinge, ſich An-
ſehen erwerben konnte; freie, eigenartige Köpfe, wie der junge Karl
Immermann in Halle, wollten das Anſehen der Burſchenvorſteher über-
haupt nicht gelten laſſen, da die berühmten akademiſchen Häuptlinge nur
ſelten geiſtreiche Menſchen ſind. Wider ſolche Gegner half nur diktato-
riſche Härte; die Einſeitigkeit, deren jede neue Richtung, zumal unter
jungen Männern, bedarf, ſteigerte ſich in der Burſchenſchaft bald bis
zum Terrorismus. In Jena gelang es, alle abweichenden Meinungen
vorläufig zum Schweigen zu bringen, und nun ſchwoll das Selbſtgefühl
der Burſchen unleidlich an. Gewichtig ſchritten an jedem Nachmittag die
Herren des Vorſtands und des Ausſchuſſes auf dem Marktplatze auf und
nieder, das Wohl des Vaterlandes und der Hochſchulen in gemeſſenem
Geſpräche erwägend; ſie fühlten ſich als Herrſcher in dieſem kleinen aka-
demiſchen Reiche, zumal da die meiſten Profeſſoren den jungen Herren
eine ganz unbillige, aus Angſt und Wohlwollen gemiſchte Ehrerbietung
erwieſen; ſie ſahen im Geiſte ſchon die Zeit, wo ganz Deutſchland von
den Jüngern der Burſchenſchaft regiert würde.
Die patriotiſchen Zorn- und Prachtreden erklangen immer kräftiger
und ſchloſſen ſchon zuweilen mit dem Trumpfe: „unſer Urtheil hat das
Gewicht der Geſchichte ſelbſt, es iſt vernichtend.“ Wie viele alte Burſchen-
ſchafter ſind bis zur Grube in dem glücklichen Wahne geblieben, daß die
Burſchenſchaft eigentlich das neue deutſche Reich gegründet habe; Arnold
Ruge ſchilderte noch ein halbes Jahrhundert ſpäter den langen Einheits-
und Freiheitskampf der neuen deutſchen Geſchichte wie eine einzige große
Pro-patria-Paukerei zwiſchen Burſchenſchaften und Corps. Und ſicher-
lich hat mancher redliche junge Mann die erſte Ahnung von der Herr-
lichkeit des Vaterlandes auf der Burſchenkneipe gewonnen; aber der poli-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/437>, abgerufen am 25.11.2024.
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